Vertraue niemals deinen Gefühlen
Kapitel 1
Severus saß am Tisch der Lehrer von Hogwarts. Das blasse Gesicht schien glatt und hart wie Marmor. Sein Teller stand unberührt vor ihm, er hatte diesen Morgen nicht den geringsten Appetit.
Wie konnte er auch, solange er nicht wusste, was in ihn gefahren war. Es war ein Tabu, sich in eine Schülerin zu verlieben, dennoch konnte er seine Gefühle für das fröhlich schnatternde Mädchen im Kreise ihrer Freunde nicht verleugnen.
So wunderschön, dachte er und fröstelte. Er ließ seinen Blick prüfend durch die Halle schweifen, hinüber zum Tisch der Griffindors. Schwarzes, unbändiges Haar fiel ihm über die Augen und berührte seine Wangen. Dann drehte er sich weg.
Sein seltsames Verhalten war kaum jemandem aufgefallen. Nur Professor McGonagall, die neben ihm saß, sah ihn schief an. Er erwiderte den Blick, ohne zu ahnen, was für eine Flutwelle an Ereignissen er soeben ausgelöst hatte.
„Stimmt etwas nicht, Minerva?", fragte er unschuldig.
Minervas Mundwinkel zuckten, sie wirkte beunruhigt. „Du solltest aufhören, meine Gedanken zu durchforsten, Severus. Bei mir wirst du damit keinen Erfolg haben."
„Einen Versuch war es wert", sagte er mit einem flachen Grinsen auf den Lippen.
Minerva blickte ihn entrüstet an. „Besonders viel Charme hast du ja noch nie besessen." Dann besann sie sich eines besseren, überging ihren nächsten Angriff auf ihn und kam lieber gleich zur Sache. „Ich weiß es, Severus."
Er sah ihr tief in die Augen, ohne auch nur eine Miene seines Gesichts zu verziehen. „Minerva, ich denke nicht, dass dich meine Entscheidungen etwas angehen."
Woher zum Henker konnte sie wissen, was in ihm vorging, wenn er selbst sich nicht einmal sicher war? Natürlich war es kein Pappenstiel, in eine seiner Schülerinnen verliebt zu sein. Aber konnte er überhaupt schon so weit gehen, es Verliebtheit oder gar Liebe zu nennen?
Vielleicht hatte seine Wahrnehmung ihm einen Streich gespielt. Dennoch, er konnte nicht leugnen, dass es ihm den Magen zusammen zog, wenn er das Mädchen in Begleitung anderer Jungen (als ihrer nutzlosen Freunde Potter und Weasley) über das Schulgelände schlendern sah.
Minervas Blick verhärtete sich zusehends, sie wirkte gekränkt. Dennoch nahm sie sich zusammen und konfrontierte ihn mit ihren Gedanken. „Ich weiß, dass du es verweigert hast, Albus auf dem Astronomieturm zu töten."
Snape konnte nicht glauben, was er soeben gehört hatte und doch blieb sein Gesicht eine harte, steinerne Fassade.
Einerseits war er erleichtert, weil sie ein völlig anderes Thema aufgegriffen hatte, als er erwartet hatte, andererseits war er sich sicher gewesen, dass Dumbledore niemandem von seiner Abmachung mit ihm erzählte hatte.
„Woher?", fragte er knapp. Seine Stimme zitterte, aus Angst, Minerva könnte noch weitere Geheimnisse aus seiner Vergangenheit kennen. Wut machte sich in seinem Inneren breit: Albus hatte ihre Abmachung verraten und damit auch ihn selbst.
„Er hat lange gezögert, es mir zu erzählen." Sie sah ernsthaft besorgt aus. „Severus, ich kenne dich nun schon so lange. Es fällt mir hin und wieder schwer, dich einen Freund zu nennen, trotzdem ..."
„Minerva ..."
„Nein, Severus, du wirst mir zuhören. Ich fand es sehr mutig, was du getan hast. Es ist ein Wunder, dass Voldemort dich nicht zu Tode gefoltert hat."
„Er hat es versucht", antwortete er, Stolz schwang in seinem Ton mit.
„Denkst du etwa, es war leicht für mich, damit umzugehen, als ich erfuhr, was Albus von dir verlangte? Er ist eindeutig zu weit gegangen, wenn du mich fragst. Niemand sollte etwas derartiges von einem Freund fordern."
„Albus ist mein Mentor, Minerva. Er war es, der mir eine zweite Chance gegeben hat. Ich war ihm einen Gefallen schuldig und habe versagt." Seine Augen blitzten auf. „Wem hat er noch davon erzählt? Ich möchte nur zu gern wissen, welchen Hohn und Spott ich zu erwarten habe."
Sie schüttelte den Kopf. „Du gehst zu hart mit dir ins Gericht, wie gewöhnlich. Manchmal ist es mutiger, gegen seine Freunde aufzubegehren, wenn das Wohl vieler Menschen davon abhängt." Ihr Blick bohrte sich tief in seine Augen.
„Und was hat es uns gebracht?", fragte er höhnisch. „Albus ist geschwächt. Seine Hand versagt ihm den Dienst und wir wissen nicht, wie viel Zeit ihm noch bleibt."
„Du bist am Leben, Severus. Und Albus auch. Wir werden einen Weg finden."
Snape seufzte tief und gedankenverloren, den Blick auf den Boden gesenkt. „Er braucht mehr Heilelixier, als ich ihm beschaffen kann."
„Dann musst du jemanden um Hilfe bitten, Hogwarts braucht dich."
Er fuhr herum, seine schwarze Mähne streifte Minervas Spitzhut, die sich erschrocken an die Krempe fasste. Snape schien das nicht zu kümmern.
„Unsere Verbündeten werden mit jedem Tag weniger, die Mauern von Hogwarts sind in Gefahr. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich der Dunkle Lord neu formiert hat und uns angreift. Woher, Minerva, soll ich deiner Meinung nach diese Hilfe nehmen?"
Seine Augen glühten vor Erregung. Hogwarts war sein Zuhause geworden, ob er es sich nun eingestehen wollte, oder nicht. Es kümmerte ihn also sehr wohl, was aus der Einrichtung wurde, wenn Voldemort einen Angriff plante.
Minerva fasste sich ein Herz, rutschte auf ihrem Stuhl zu ihm herüber und klammerte sich mit aller Kraft am Kragen seines Umhangs fest. Snape starrte sie erschrocken an. Seit langem hatte niemand es mehr gewagt, ihm so nahe zu kommen.
„Du wirst einen Weg finden", hauchte sie, „ich weiß es." Tränen spiegelten sich in ihren Augen. Sie musste wirklich verzweifelt sein.
Severus schluckte seinen Ärger hinunter. Minerva war, neben Dumbledore, eine der wenigen Personen gewesen, die ihn als den akzeptiert hatten, der er war. „Ich werde sehen, was ich tun kann", sagte er und umklammerte mit festem Griff ihre Hände, die noch immer an seinem Kragen hingen. Dann stand er auf und verließ schnellen Schrittes und mit aufgebauschtem Umhang die Halle.
