Disclaimer: Alle Tolkien Figuren gehören natürlich Tolkien. Die Songs
gehören den Verfassern, obwohl es saumäßig geil wäre, wenn die auf meinem
Mist gewachsen wären... Übersetzt habe ich selber, weil ich finde, dass man
dann besser versteht was gemeint ist. Ihr werdet also nix Englisches oder
sonst irgendwie Fremdsprachiges finden. Linda und Maike und Denise und
Katha und Emilia gehören mir, auch wenn ich mich an realen Personen –auf
deren AUSDRÜCKLICHEN Wunsch hin- orientiert habe *zu Linder rübergrinst*
Viel Spaß beim Lesen!
Leben lernen
Vorspann
Ich habe es so satt, hier zu sein
Unterdrückt von all meinen kindischen Ängsten
Und wenn du schon gehen musst
Wünsche ich mir, dass du sofort gehst
Denn deine Anwesenheit weilt immer noch hier
Und sie wird mich nicht alleine lassen
Es ist hell. Blendend hell. Ich blinzele. ZU hell. Ich möchte die Augen gerne wieder schließen, doch das grelle Licht durchdringt sogar noch meine Augenlider. Gezwungenermaßen stehe ich auf.
Ich schaue mich um. Ein großer, weiß gestrichener Saal mit 10 Betten, jeweils durch einen Vorhang abgetrennt. Neben jedem eine kleine Kommode, schmal, ganze 4 Schubladen hoch. Große Fenster, die Licht und den von Gittern versperrten Blick aufs Meer hereinlassen. Es ist genau der selbe Saal wie am vorigen Tag, wie vorige Woche, voriges Jahr...
2 Monate bin ich inzwischen hier, und ich hasse es. Das helle unbarmherzig grelle Licht, das sanft wirken soll und jeden Frieden zerstört. Die bescheuerten, abstrakten Bilder, die sie Mittwochmittags immer malen und helfen sollen, sich zu entspannen und „den Geist zu leeren". Und natürlich das ewige, dauerhaft ins Gesicht zementierte Ach-du-arme-Irre-Grinsen der Wärterinnen. Nun, eigentlich sind sie Pflegerinnen, so drückt man es höflich aus, viele ehrenamtlich, aber für mich sind es Wärterinnen, Wärterinnen für einen goldenen Käfig. Ich würde nicht sagen, dass ich sie hasse, aber verachten, verachten tue ich sie bestimmt. Sie machen mich wahnsinnig, wirklich wahnsinnig, und wenn sie nicht bald aufhören, dann werde ich sogar einen Grund haben, hier zu sein. Aber natürlich, sie wollen ja nur helfen. Geradezu bedauerlich, dass ich ihnen das nicht abnehme.
Ich stehe auf und ziehe mich an. Eine Hose und ein Top, darüber ein Longarmshirt. Alles in weiß, rosa oder hellblau, kurz: Pastell. Ich fühle mich unwohl. Das erste was sie gemacht haben, als ich angekommen bin, war meine Klamotten und Schmuck in den Schrank. Meine schwarzen Hosen, Pullis, Tops, mein schwarzer Nagellack, meine Nietenarmbänder, mein Heartagramm – alles futsch. Vielleicht haben sie es auch schon weggeworfen.
Nur mein Ankh haben sie mir gelassen, meinen Ohrstecker, weil sie nicht wissen, was es bedeutet, und weil es so biegsam ist, sich also nicht als Waffe eignet. Aber meine Kette, an der ein echter Dolch hängt –Mithril, aber DAS habe ich ihnen nicht gesagt-, die haben sie in den Tresor gesperrt und irgendwas von „Waffenschein"gefaselt.
Ich gehe in den Frühstücksraum. Die meisten andren sind schon da. Auch Maike, endlich wieder. Ihre Handgelenke sind noch umwickelt mit dicken Binden. Sie hat versucht sich umzubringen, schon wieder. Ihr dritter Versuch. Wo sie immer die Klingen und Schlaftabletten herkriegt, ist mir ernsthaft ein Rätsel. Das sie es vorhatte, allerdings weniger. In den 2 Monaten, die ich jetzt hier bin, habe ich allein in meinem Trakt 7 Selbstmordversuche erlebt, 2 davon erfolgreich, 5 aus nächster Nähe. Inzwischen kann ich direkt ein Muster erkennen, bei wem es wann soweit ist, ihre seelische Verelendung ist unübersehbar. Es wundert mich, dass es den Pflegerinnen noch nicht aufgefallen ist. Mein Blick schweift über den Tisch und bleibt an Linda hängen. Sie wird die nächste sein, schätze ich. Sie ist mein letzter Test. Schon bei dem ersten Selbstmordversuch, den ich mit erlebt habe, hatte ich vor her so etwas geahnt. Bei den letzten 4 bin ich mir ganz sicher gewesen. Wenn es dieses Mal stimmt, kann ich mich darauf verlassen, das ich recht habe, beschließe ich.
Linda entspricht genau dem Schema, obwohl man das so mit Bestimmtheit ja nie sagen kann. Sie hat sich abgekapselt die letzten Tage, kaum was gegessen. Sie scheint irgendwie... durchsichtiger zu sein als sonst, und sie war schon immer sehr blass. Ihr Elijah–Wood-Bild gibt sie nicht mehr aus der Hand, auch nicht zum schlafen. Sie ist total besessen von ihm, bricht in Tränen aus wenn ein böses, oder besser: nicht 200% positives Wort über ihn fällt. Mir ist das unbegreiflich. Herr der Ringe konnte ich schon auswendig, bevor Jackson auch nur im Traum an den Film dachte, und nach allem, was passiert ist, begreife ich diese Welt als alle, besser noch als Tolkien selbst. Linda jedoch ist auf den Film fixiert, ganz und gar. Sie hat auf einer Party, in deren Anschluss sie eingeliefert wurde, irgend so einen Typen, der Elijah ähnlich sieht, kennen gelernt. Nach 2 Wodka ist sie mit ihm in die Ecke verschwunden und danach hat sie ihn dort festgekettet, denn sie „wollte schließlich nicht riskieren, dass er mir noch mal wegläuft."Klar, denn „wir sind für einander BESTIMMT..."
Der Junge liegt zwei Gebäude weiter in der Orthopädie. Seine Handgelenke sind gebrochen, und er steht immer noch unter Schock. Das Ganze ist jetzt 3 Wochen her, und Linda ist überreif. Ihre Blicke irren umher, treffen ständig die Tür zur Küche. Sie wird ein Messer nehmen, das Fleischermesser. Die Schlüssel dazu –die Küche ist immer abgeschlossen, das niemand an scharfkantige Gegenstände heran kommt- die Schlüssel, die hat sie garantiert schon an sich genommen. Heute Nacht ist es soweit. Nachdenklich beende ich mein Frühstück. Ich bin schon gespannt, ob ich wieder richtig liege.
Es ist Nacht. Irgendetwas hat mich geweckt. Da, schon wieder! Ein Krachen, dann ist ein leises Scheppern zu hören. Ein Lächeln huscht auf mein Gesicht, und sofort wische ich es wieder weg. Meine Theorie hat sich bestätigt, na und? Soll ich mich wirklich freuen, wenn sie so verzweifelt ist?
Schnell stehe ich auf, um mich herum schläft alles. Ich laufe auf den Flur und zum Speisesaal. Wie erwartet ist die Tür zur Küche offen. Linda liegt in der Ecke, halb aufgerichtet. Das Blut sprudelt nur so aus ihren Handgelenken. Sie ist ohnmächtig, neben ihr liegt tatsächlich das Fleischermesser; überall ist Blut. Ich renne zum Wandschrank und hole die Mullbinden heraus, dann wetzte ich zu Linda zurück und binde ihr erst die Arme ab, anschließend verbinde ich notdürftig die Handgelenke. In Gedanken danke ich meiner langjährigen DLRG-Erste-Hilfe-Ausbildung und Elrond, der meine Fähigkeiten nahezu vervollkommnet hat – immerhin habe ich während des Ringkriegs auch ordentlich Übung bekommen. Erst dann rufe ich die Schwestern.
*********
Zwei Tage später geht es Linda wieder besser. Sie lässt mich zu sich rufen. Ich erwarte Anschuldigungen, schließlich WOLLTE sie sterben. Ich habe Recht, sie sieht schlecht gelaunt aus, als ich hereinkomme. Daran ändert sich auch nichts, als sie mich sieht und mich bittet mich zu setzen. Sie ergreift das Wort: „Ich sollte mich jetzt wohl bei dir bedanken und so, aber ich bin nicht sicher, ob ich das kann beziehungsweise überhaupt will." Ich nicke. Das verstehe ich. Sie fährt fort: „Ich wollte dich was fragen. Wegen der Sache, warum du hier bist."
Ich runzele die Stirn. Es irritiert mich. Offiziell heißt es ich habe Wahnvorstellungen. Das ist, was meine Eltern und „Freunde"glauben, doch ich weiß, dass das nicht stimmt. Ich habe keine Wahnvorstellungen, ich bin gesund. Ich bin nur ein bisschen... ANDERS.
Ich wende mich ihr wieder zu. „Ich meine nur", sagt sie. „Eigentlich ist es ja dein Problem... egal, ich habe gehört, du hättest Wahnvorstellungen, von Herr der Ringe. Du würdest glauben, du wärst DORT gewesen."Sie beugt sich begierig vor. „In Mittelerde."Ich zucke mit den Achseln. Was soll ich dazu sagen? Mir glaubt eh keiner.
Als sie merkt, dass ich nicht antworten werde, redet sie weiter: „Ich halte das nämlich für ausgesprochenen Blödsinn. Ich verstehe ja, dass du dich wichtig machen willst –jeder braucht Aufmerksamkeit- aber du brauchst mich nicht nachzuäffen, klar? Elijah LIEBT mich. Und ich ihn. Wir sind ein Paar und sehr, sehr glücklich. Aber nur, weil du keinen Promi und auch sonst keinen abkriegst, musst du nicht so tun, als gäbe es Mittelerde wirklich. Es ist nur ERFUNDEN, kapiert? Und du brauchst nicht so zu tun, als wärst du was besseres als ich. Dazu habe höchstens ich das Recht, aber ich tue es natürlich nicht! Schließlich bin ich bescheiden, und außerdem will ich Elijah und mir ein bisschen Privatsphäre gönnen. Aber das ist für dich noch lange kein Grund, dich so aufzuspielen."Sie ist offensichtlich sehr zufrieden mit sich.
Ich dagegen kann es kaum fassen. Immerhin wäre jetzt definitiv geklärt, warum sie hier ist – Elijah Wood ist meines Wissens zur Zeit sowieso mit Franka Potente zusammen. In der Ferne taucht ein Gedanke auf. Ich bleibe still sitzen, bis er mich erreicht und vollkommen durchdrungen hat. Erst dann antworte ich, ruhig und beherrscht. Wie schon so oft bewundere ich mich selbst für meine schauspielerischen Fähigkeiten.
Ich hole tief Luft und sage: „Da du jetzt ruhig bist, kann ich ja auch mal was sagen. 3 Dinge, um genau zu sein: Erstens, ich war vor dir hier, mache dich also bestimmt nicht nach. Zweitens, du magst es ja für Blödsinn halten, aber im Gegensatz zu deiner ist meine Story WIRKLICH. Es ist echt passiert, nur glaubt mir das keiner, also mach ich diesen Sommer noch Therapie, erzähle meine Story nie wieder und das war's dann. Du und auch sonst alle werden nie wieder etwas davon hören. Und drittens, wenn du so glücklich mit deinem tollen Elijah bist, warum ist er dann nicht hier? Warum bist du hier? WARUM WOLLLTEST DU DICH UMBRINGEN?"
Linda ist während meiner kleinen Rede immer blasser geworden. Jetzt bricht sie in Tränen aus, wasserreich und lautstark. „Das g-g-geht d-dich gar ni- ni-nix an er l-li-liebt m-m-m-mich w-wir sind ein P-P-Paar...."Weiter kommt sie erst mal nicht, sie muss erst Luftholen, dann bricht sie in herzzerreißendes Schluchzen aus. Zumindest soll es das wohl sein, doch mir ist ihr Geflenne reichlich egal. Ich bin schon immer für Schocktherapie gewesen.
Der diensthabenden Wärter-Schwester ist es aber nicht egal. Sie kommt hereingestürmt, beruhigt flüchtig Linda, klingelt nach Verstärkung und bugsiert mich zur Tür hinaus. Kaum sind die anderen Wärterrinnen eingetroffen, schleift sie mich in die Wärterbaracke, die hier unter dem Namen „Schwesternzimmer"läuft und macht mich zur Schnecke. Was mir einfiele, das arme Kind so fertig zu machen. Es wäre ja nicht gerade so, als dass ich keinen Dreck am Stecken hätte. Nur, weil meine Therapie besser anschlüge, sei ich noch lange nicht berechtigt, auf die anderen herab zu sehen. Hier seien alle gleichberechtigt... Und so weiter und so weiter. Sie redet fast eine halbe Stunde. Ich lasse alles an mir vorbeiplätschern, ignoriere sie.
In Gedanken bin ich bei dem, was Linda gesagt hat, und bei meiner zugegeben etwas harschen Antwort. Ich fühle mich schlecht. Als ich endlich entlassen bin, gehe ich in den Schlafsaal. Es gibt Abendessen, doch ich habe keinen Hunger. Ich sitze auf der Fensterbank, angelehnt an die Gitter und denke nach, erinnere mich. Was soll ich auch sonst tun, andere Beschäftigungen habe ich nicht. Es gibt keinen Fernseher, die Bücher, die ich lesen würde sind nach den Ansichten der Wärterrinnen zu „bedenklich"und CDs sind nicht mehr erlaubt, seit Denise eine zerbrochen hat, um sich mit den Splittern „DEATH"in die Stirn zu ritzen.
Ich schließe die Augen, und er ist da. Ich bin nicht mehr sicher, was Traum ist und was Wirklichkeit. Irgendwie ist er immer bei mir, ob ich wache oder schlafe. In Momenten wie diesen werde ich mir seiner besonders bewusst. Ich liebe ihn, wegen allem, was er mir gegeben und gezeigt hat, wegen ihm selbst, weil er immer für mich da war. Und ich hasse ihn, weil er jetzt nicht hier ist, weil ich vor Kummer weder ein noch aus weiß, weil mich die Sehnsucht nach ihm allmählich wahnsinnig macht, und weil ich ihn nie wieder sehen werde. Meine Gedanken werden träger, langsam falle ich in einen tiefen, Trance ähnlichen Schlaf. Ich bemerke nicht, wie sie mich ins Bett tragen, auch nicht, wie sie am nächsten Morgen vergeblich versuchen, mich zu wecken.
Noch einen Tag später werde ich verlegt, in die Neurologie. Dort wissen sie besser, was sie mit Komapatienten anstellen sollen.
Leben lernen
Vorspann
Ich habe es so satt, hier zu sein
Unterdrückt von all meinen kindischen Ängsten
Und wenn du schon gehen musst
Wünsche ich mir, dass du sofort gehst
Denn deine Anwesenheit weilt immer noch hier
Und sie wird mich nicht alleine lassen
Es ist hell. Blendend hell. Ich blinzele. ZU hell. Ich möchte die Augen gerne wieder schließen, doch das grelle Licht durchdringt sogar noch meine Augenlider. Gezwungenermaßen stehe ich auf.
Ich schaue mich um. Ein großer, weiß gestrichener Saal mit 10 Betten, jeweils durch einen Vorhang abgetrennt. Neben jedem eine kleine Kommode, schmal, ganze 4 Schubladen hoch. Große Fenster, die Licht und den von Gittern versperrten Blick aufs Meer hereinlassen. Es ist genau der selbe Saal wie am vorigen Tag, wie vorige Woche, voriges Jahr...
2 Monate bin ich inzwischen hier, und ich hasse es. Das helle unbarmherzig grelle Licht, das sanft wirken soll und jeden Frieden zerstört. Die bescheuerten, abstrakten Bilder, die sie Mittwochmittags immer malen und helfen sollen, sich zu entspannen und „den Geist zu leeren". Und natürlich das ewige, dauerhaft ins Gesicht zementierte Ach-du-arme-Irre-Grinsen der Wärterinnen. Nun, eigentlich sind sie Pflegerinnen, so drückt man es höflich aus, viele ehrenamtlich, aber für mich sind es Wärterinnen, Wärterinnen für einen goldenen Käfig. Ich würde nicht sagen, dass ich sie hasse, aber verachten, verachten tue ich sie bestimmt. Sie machen mich wahnsinnig, wirklich wahnsinnig, und wenn sie nicht bald aufhören, dann werde ich sogar einen Grund haben, hier zu sein. Aber natürlich, sie wollen ja nur helfen. Geradezu bedauerlich, dass ich ihnen das nicht abnehme.
Ich stehe auf und ziehe mich an. Eine Hose und ein Top, darüber ein Longarmshirt. Alles in weiß, rosa oder hellblau, kurz: Pastell. Ich fühle mich unwohl. Das erste was sie gemacht haben, als ich angekommen bin, war meine Klamotten und Schmuck in den Schrank. Meine schwarzen Hosen, Pullis, Tops, mein schwarzer Nagellack, meine Nietenarmbänder, mein Heartagramm – alles futsch. Vielleicht haben sie es auch schon weggeworfen.
Nur mein Ankh haben sie mir gelassen, meinen Ohrstecker, weil sie nicht wissen, was es bedeutet, und weil es so biegsam ist, sich also nicht als Waffe eignet. Aber meine Kette, an der ein echter Dolch hängt –Mithril, aber DAS habe ich ihnen nicht gesagt-, die haben sie in den Tresor gesperrt und irgendwas von „Waffenschein"gefaselt.
Ich gehe in den Frühstücksraum. Die meisten andren sind schon da. Auch Maike, endlich wieder. Ihre Handgelenke sind noch umwickelt mit dicken Binden. Sie hat versucht sich umzubringen, schon wieder. Ihr dritter Versuch. Wo sie immer die Klingen und Schlaftabletten herkriegt, ist mir ernsthaft ein Rätsel. Das sie es vorhatte, allerdings weniger. In den 2 Monaten, die ich jetzt hier bin, habe ich allein in meinem Trakt 7 Selbstmordversuche erlebt, 2 davon erfolgreich, 5 aus nächster Nähe. Inzwischen kann ich direkt ein Muster erkennen, bei wem es wann soweit ist, ihre seelische Verelendung ist unübersehbar. Es wundert mich, dass es den Pflegerinnen noch nicht aufgefallen ist. Mein Blick schweift über den Tisch und bleibt an Linda hängen. Sie wird die nächste sein, schätze ich. Sie ist mein letzter Test. Schon bei dem ersten Selbstmordversuch, den ich mit erlebt habe, hatte ich vor her so etwas geahnt. Bei den letzten 4 bin ich mir ganz sicher gewesen. Wenn es dieses Mal stimmt, kann ich mich darauf verlassen, das ich recht habe, beschließe ich.
Linda entspricht genau dem Schema, obwohl man das so mit Bestimmtheit ja nie sagen kann. Sie hat sich abgekapselt die letzten Tage, kaum was gegessen. Sie scheint irgendwie... durchsichtiger zu sein als sonst, und sie war schon immer sehr blass. Ihr Elijah–Wood-Bild gibt sie nicht mehr aus der Hand, auch nicht zum schlafen. Sie ist total besessen von ihm, bricht in Tränen aus wenn ein böses, oder besser: nicht 200% positives Wort über ihn fällt. Mir ist das unbegreiflich. Herr der Ringe konnte ich schon auswendig, bevor Jackson auch nur im Traum an den Film dachte, und nach allem, was passiert ist, begreife ich diese Welt als alle, besser noch als Tolkien selbst. Linda jedoch ist auf den Film fixiert, ganz und gar. Sie hat auf einer Party, in deren Anschluss sie eingeliefert wurde, irgend so einen Typen, der Elijah ähnlich sieht, kennen gelernt. Nach 2 Wodka ist sie mit ihm in die Ecke verschwunden und danach hat sie ihn dort festgekettet, denn sie „wollte schließlich nicht riskieren, dass er mir noch mal wegläuft."Klar, denn „wir sind für einander BESTIMMT..."
Der Junge liegt zwei Gebäude weiter in der Orthopädie. Seine Handgelenke sind gebrochen, und er steht immer noch unter Schock. Das Ganze ist jetzt 3 Wochen her, und Linda ist überreif. Ihre Blicke irren umher, treffen ständig die Tür zur Küche. Sie wird ein Messer nehmen, das Fleischermesser. Die Schlüssel dazu –die Küche ist immer abgeschlossen, das niemand an scharfkantige Gegenstände heran kommt- die Schlüssel, die hat sie garantiert schon an sich genommen. Heute Nacht ist es soweit. Nachdenklich beende ich mein Frühstück. Ich bin schon gespannt, ob ich wieder richtig liege.
Es ist Nacht. Irgendetwas hat mich geweckt. Da, schon wieder! Ein Krachen, dann ist ein leises Scheppern zu hören. Ein Lächeln huscht auf mein Gesicht, und sofort wische ich es wieder weg. Meine Theorie hat sich bestätigt, na und? Soll ich mich wirklich freuen, wenn sie so verzweifelt ist?
Schnell stehe ich auf, um mich herum schläft alles. Ich laufe auf den Flur und zum Speisesaal. Wie erwartet ist die Tür zur Küche offen. Linda liegt in der Ecke, halb aufgerichtet. Das Blut sprudelt nur so aus ihren Handgelenken. Sie ist ohnmächtig, neben ihr liegt tatsächlich das Fleischermesser; überall ist Blut. Ich renne zum Wandschrank und hole die Mullbinden heraus, dann wetzte ich zu Linda zurück und binde ihr erst die Arme ab, anschließend verbinde ich notdürftig die Handgelenke. In Gedanken danke ich meiner langjährigen DLRG-Erste-Hilfe-Ausbildung und Elrond, der meine Fähigkeiten nahezu vervollkommnet hat – immerhin habe ich während des Ringkriegs auch ordentlich Übung bekommen. Erst dann rufe ich die Schwestern.
*********
Zwei Tage später geht es Linda wieder besser. Sie lässt mich zu sich rufen. Ich erwarte Anschuldigungen, schließlich WOLLTE sie sterben. Ich habe Recht, sie sieht schlecht gelaunt aus, als ich hereinkomme. Daran ändert sich auch nichts, als sie mich sieht und mich bittet mich zu setzen. Sie ergreift das Wort: „Ich sollte mich jetzt wohl bei dir bedanken und so, aber ich bin nicht sicher, ob ich das kann beziehungsweise überhaupt will." Ich nicke. Das verstehe ich. Sie fährt fort: „Ich wollte dich was fragen. Wegen der Sache, warum du hier bist."
Ich runzele die Stirn. Es irritiert mich. Offiziell heißt es ich habe Wahnvorstellungen. Das ist, was meine Eltern und „Freunde"glauben, doch ich weiß, dass das nicht stimmt. Ich habe keine Wahnvorstellungen, ich bin gesund. Ich bin nur ein bisschen... ANDERS.
Ich wende mich ihr wieder zu. „Ich meine nur", sagt sie. „Eigentlich ist es ja dein Problem... egal, ich habe gehört, du hättest Wahnvorstellungen, von Herr der Ringe. Du würdest glauben, du wärst DORT gewesen."Sie beugt sich begierig vor. „In Mittelerde."Ich zucke mit den Achseln. Was soll ich dazu sagen? Mir glaubt eh keiner.
Als sie merkt, dass ich nicht antworten werde, redet sie weiter: „Ich halte das nämlich für ausgesprochenen Blödsinn. Ich verstehe ja, dass du dich wichtig machen willst –jeder braucht Aufmerksamkeit- aber du brauchst mich nicht nachzuäffen, klar? Elijah LIEBT mich. Und ich ihn. Wir sind ein Paar und sehr, sehr glücklich. Aber nur, weil du keinen Promi und auch sonst keinen abkriegst, musst du nicht so tun, als gäbe es Mittelerde wirklich. Es ist nur ERFUNDEN, kapiert? Und du brauchst nicht so zu tun, als wärst du was besseres als ich. Dazu habe höchstens ich das Recht, aber ich tue es natürlich nicht! Schließlich bin ich bescheiden, und außerdem will ich Elijah und mir ein bisschen Privatsphäre gönnen. Aber das ist für dich noch lange kein Grund, dich so aufzuspielen."Sie ist offensichtlich sehr zufrieden mit sich.
Ich dagegen kann es kaum fassen. Immerhin wäre jetzt definitiv geklärt, warum sie hier ist – Elijah Wood ist meines Wissens zur Zeit sowieso mit Franka Potente zusammen. In der Ferne taucht ein Gedanke auf. Ich bleibe still sitzen, bis er mich erreicht und vollkommen durchdrungen hat. Erst dann antworte ich, ruhig und beherrscht. Wie schon so oft bewundere ich mich selbst für meine schauspielerischen Fähigkeiten.
Ich hole tief Luft und sage: „Da du jetzt ruhig bist, kann ich ja auch mal was sagen. 3 Dinge, um genau zu sein: Erstens, ich war vor dir hier, mache dich also bestimmt nicht nach. Zweitens, du magst es ja für Blödsinn halten, aber im Gegensatz zu deiner ist meine Story WIRKLICH. Es ist echt passiert, nur glaubt mir das keiner, also mach ich diesen Sommer noch Therapie, erzähle meine Story nie wieder und das war's dann. Du und auch sonst alle werden nie wieder etwas davon hören. Und drittens, wenn du so glücklich mit deinem tollen Elijah bist, warum ist er dann nicht hier? Warum bist du hier? WARUM WOLLLTEST DU DICH UMBRINGEN?"
Linda ist während meiner kleinen Rede immer blasser geworden. Jetzt bricht sie in Tränen aus, wasserreich und lautstark. „Das g-g-geht d-dich gar ni- ni-nix an er l-li-liebt m-m-m-mich w-wir sind ein P-P-Paar...."Weiter kommt sie erst mal nicht, sie muss erst Luftholen, dann bricht sie in herzzerreißendes Schluchzen aus. Zumindest soll es das wohl sein, doch mir ist ihr Geflenne reichlich egal. Ich bin schon immer für Schocktherapie gewesen.
Der diensthabenden Wärter-Schwester ist es aber nicht egal. Sie kommt hereingestürmt, beruhigt flüchtig Linda, klingelt nach Verstärkung und bugsiert mich zur Tür hinaus. Kaum sind die anderen Wärterrinnen eingetroffen, schleift sie mich in die Wärterbaracke, die hier unter dem Namen „Schwesternzimmer"läuft und macht mich zur Schnecke. Was mir einfiele, das arme Kind so fertig zu machen. Es wäre ja nicht gerade so, als dass ich keinen Dreck am Stecken hätte. Nur, weil meine Therapie besser anschlüge, sei ich noch lange nicht berechtigt, auf die anderen herab zu sehen. Hier seien alle gleichberechtigt... Und so weiter und so weiter. Sie redet fast eine halbe Stunde. Ich lasse alles an mir vorbeiplätschern, ignoriere sie.
In Gedanken bin ich bei dem, was Linda gesagt hat, und bei meiner zugegeben etwas harschen Antwort. Ich fühle mich schlecht. Als ich endlich entlassen bin, gehe ich in den Schlafsaal. Es gibt Abendessen, doch ich habe keinen Hunger. Ich sitze auf der Fensterbank, angelehnt an die Gitter und denke nach, erinnere mich. Was soll ich auch sonst tun, andere Beschäftigungen habe ich nicht. Es gibt keinen Fernseher, die Bücher, die ich lesen würde sind nach den Ansichten der Wärterrinnen zu „bedenklich"und CDs sind nicht mehr erlaubt, seit Denise eine zerbrochen hat, um sich mit den Splittern „DEATH"in die Stirn zu ritzen.
Ich schließe die Augen, und er ist da. Ich bin nicht mehr sicher, was Traum ist und was Wirklichkeit. Irgendwie ist er immer bei mir, ob ich wache oder schlafe. In Momenten wie diesen werde ich mir seiner besonders bewusst. Ich liebe ihn, wegen allem, was er mir gegeben und gezeigt hat, wegen ihm selbst, weil er immer für mich da war. Und ich hasse ihn, weil er jetzt nicht hier ist, weil ich vor Kummer weder ein noch aus weiß, weil mich die Sehnsucht nach ihm allmählich wahnsinnig macht, und weil ich ihn nie wieder sehen werde. Meine Gedanken werden träger, langsam falle ich in einen tiefen, Trance ähnlichen Schlaf. Ich bemerke nicht, wie sie mich ins Bett tragen, auch nicht, wie sie am nächsten Morgen vergeblich versuchen, mich zu wecken.
Noch einen Tag später werde ich verlegt, in die Neurologie. Dort wissen sie besser, was sie mit Komapatienten anstellen sollen.
