Hallo, liebe Leser! Hier melde ich mich mit meiner neuen Story zurück.
Wieder einmal ist Legolas der Held - ich hoffe, Ihr langweilt Euch nicht
und reviewt mir fleißig?
Ansonsten viel Vergnügen! Eure Demetra
Gegen jeden Willen
Kapitel 1 - Die Entscheidung
"Ich verstehe, warum Du erregt bist, Kind. Aber Du musst mir glauben -."
"Was soll ich Dir noch glauben?" Maeriel verbarg ihre vor Wut zitternden Hände hinter ihrem Rücken und blickte an ihrer Tante vorbei in den Wald hinein. Es war ein friedvoller Tag, die Vögel sangen in den Ästen der immergrünen Bäume, geschützt durch Elbenmacht. Die kleine Kolonie im äußersten Süden des Düsterwalds zeichnete sich, wie viele andere, durch diese Stimmung aus. Es war ein Ort der Ruhe, nicht derart gefährlich und verwunschen wie andere Bereiche des riesigen Waldgebietes, in dem sich oftmals auch Schatten verbargen, deren Magie nichts mit der der Elben zu tun hatte. Maeriel war hier geboren worden, doch an diesem Tag schien es ihr, als würden die uralten Eichen Stück für Stück näher rücken und sie einzwängen wollen. "Du hast mir versprochen, sämtliche Entscheidungen mit mir zu besprechen! Und vor allem eine solche! Ich habe jedes Recht dazu!"
Ihre Tante Beriel, eine kleine, schlanke Frau, die stets mit leiser Stimme sprach und neben der sich Maeriel stets ungelenk und düster vorkam, räusperte sich, um die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken.
"Du bist noch jung. Zu jung, um über Angelegenheiten von solcher Tragweite zu entschieden oder ihre Konsequenzen einzusehen. Wenn Deine Eltern noch bei uns wären, dann würden sie auch nicht anders handeln als ich. Sie würden wissen, dass es Zeit für Dich ist, erwachsen zu werden und Dich deinen Verpflichtungen zu stellen." Beriel klang mit einem Mal völlig verändert, fast hart. Maeriel begriff, dass sie dieses Mal mit gutem Zureden und trotz nicht weiterkommen würde. "Du wolltest diese Kolonie im Namen Deiner Eltern weiterführen. Das hast Du soeben noch energisch gefordert. Nun gehe auch den letzten Schritt."
"Ich werde keinen Schritt gehen, mit dem ich mir meine Freiheit nehmen lassen." Maeriel musste sich stark zusammennehmen, um nicht ihrem Temperament nachzugeben. Stattdessen bemühte sie sich um einen ruhigen Ton, aus dem jedoch die Eiseskälte, die sich in ihrem Inneren zusammenballte, nicht völlig zu vertreiben war. Niemand sollte ihr vorwerfen können, nicht erwachsen genug zu sein. "Du machst es Dir sehr einfach. Aber ich werde Deine Entscheidung nicht akzeptieren. Verheirate doch Deine Tochter mit dem Prinzen. Sie wird begeistert sein!"
"Du bist das Kind einer Fürstin und die Erstgeborene - noch vor meiner Tochter." Die Tante seufzte und hob die Hand, um zu verhindern, dass sie unterbrochen wurde. "Und nun Schluss mit der Diskussion. Er wird im Lauf der Woche hier eintreffen und ich erwarte, dass Du Dich ihm gegenüber angemessen verhältst."
Maeriel hatte ebenfalls genug von diesem Gespräch. Sie fuhr auf dem Absatz herum und stürmte davon. Eine Gruppe von Elben, die ihr entgegenkam, tauschte halb verwunderte, halb amüsierte Blicke. Sie beachtete sie nicht weiter. Oft genug wurde hinter ihrem Rücken über sie geredet. Niemand konnte anscheinend glauben, dass sie die Tochter ihrer Mutter war, deren Sanftmut weit über die Grenzen des Waldes hinaus bekannt gewesen war.
Sie lächelte bitter. Nein, sie war nicht wie ihre Mutter, die ihr ganzes Leben bis zu ihrem Tod nur geschwiegen und alles über sich ergehen gelassen hatte. Sie würden den Regeln ihres Volkes entgehen.
Du bist nicht wie sie, sagte eine Stimme in ihrem Kopf. Du bist das Kind Deines Vaters.
Ein Plan drängte sich ihr auf. Wenn ihr künftiger Ehemann eintraf, dann würde sie ihm keinesfalls höflich gegenübertreten. Sie würde einfach nicht da sein.
***
Es war bereits Nacht, als Maeriel zu den Ställen schlich. Diese lagen ein wenig außerhalb der Häuser, leichte, aus Lehm und verwobenen Blättern gefertigte Gebäude, die dennoch jedem Sturm standhielten. Niemand würde sie hören. Bis auf die geschickt in den Bäumen versteckten Wachen.
Kaum hatte sie es gedacht, raschelte es in ihrer Nähe, als ein hochgewachsenere Mann von einem Baum zu Boden sprang und sich ihr näherte. Ein Lächeln lag auf seinem schönen Gesicht, das sie so gut kannte wie ihr eigenes.
Galwion, ihr Vetter, war so alt wie sie, fünfundzwanzig Jahre genau. Das hatte sie vom Tag ihrer Geburt an miteinander verbunden. Er hatte ihr ihren ersten Bogen gebaut und sie getröstet, wenn sie beim Spiel gestürzt war. Galwion war ebenso ein Kindskopf wie sie es manchmal war und deswegen schmerzte es sie, dass er es war, der sie bei ihrer Flucht ertappte.
"Wohin geht es denn, muin?", wollte er wissen und spähte wissend auf das Bündel, das sie über ihrer Schulter trug. Seine Augen wanderten über ihre Reisekleidung, Hose, Wams und Mantel in den Farben des Waldes. Auch den Bogen in ihrer Hand und den Köcher übersah er nicht. Dann schüttelte er den Kopf und erinnerte sie frappierend an seine Mutter. "Du willst doch nicht etwa weglaufen?"
"Was willst Du jetzt tun? Alarm schlagen?", antwortete sie launisch und ging an ihm vorbei in den Stall hinein. Die warme, nach Tier riechende Luft schlug ihr entgegen, angenehm und lebendig im Vergleich zu der Kälte der Nacht. Ihre Stute Adyial wieherte ihr leise entgegen und begann, mit den Hufen zu scharren. Maeriel flüsterte ihr beruhigend zu und führte das Tier dann langsam aus der Box.
Galwion war ihr gefolgt und lehnte an einem der Stützpfeiler des Stalles, die Arme verschränkt, das Gesicht skeptisch verzogen.
"Bist Du sicher, dass Du weißt, was Du tust? Du hast diese Wälder noch nie verlassen!"
"Was soll ich denn Deiner Meinung nach tun, Galwion? Einen Fremden heiraten, der über tausend Jahre älter ist als ich? Mich für ein Leben an ihn binden, ohne zu wissen, dass wir zueinander passen?" Mit mehr Elan als nötig schnallte sie Adyial den Sattel auf den Rücken und ihre Habseligkeiten darauf. "Ich weiß, wie ich überleben kann. Ich bin keine schlechte Bogenschützin und bis Bruchtal oder Lorien ist es nicht weit. Dort kann ich sicher unterkommen."
"Und dort wird Mutter Dich zuerst suchen lassen." Er trat zur Seite, als sie in den Sattel stieg, griff ihr dann jedoch noch einmal in die Zügel. "Mir ist klar, dass Mutter in diesem Fall nicht nachgeben wird, so wie sie es sonst tut. Aber wenn Du jetzt fortgehst, dann gefährdest Du nicht nur Dein Leben. Die Verbindung mit einem der Söhne des Königs würde Truppen für uns bedeuten, Verstärkung gegen die ständigen Überfälle, bessere Waffen. Bist Du bereit, diese dringenden Notwendigkeiten zu ignorieren?"
"Also erwartest Du von mir, mein Leben gegen das der anderen einzutauschen?" Sie verzog die Mundwinkel gezwungen nach oben. "Ich danke Dir, dass Du mich daran erinnerst, wie pflichtvergessen ich bin. Aber auch das wird mich nicht umstimmen können. Wenn meine Tante diese Verbindung mit dem König wünscht, wird ihr sicher etwas Neues einfallen. Mich braucht sie dafür nicht."
Galwion ließ die Zügel wieder los. Besorgnis zeichnete seine Züge.
"Si dartho, Maeriel, ich bitte Dich. Wenn Du jetzt gehst, wird sich alles für Dich ändern."
"Ändern wird sich alles, auf die eine oder andere Weise, Galwion. Aber ich will bestimmen, wie es geschieht." Maeriel legte für einen kurzen Moment eine Hand auf die Schulter des Verwandten und Freundes. Dann trieb sie Adyial an und trabte in die Nacht hinaus.
***
Maeriel ritt nach Norden, am Rand des Waldes entlang. Zumindest glaubte sie das, denn die dichten Regenwolken, die sich seit ihrem Aufbruch aus ihrer Heimat über ihr türmten, erlaubten ihr nicht, sich an den Sternen zu orientieren, so wie man es sie gelehrt hatte.
Adyials Tritt wurde immer häufiger unsicher, denn sie waren nun einen ganze Tag und eine halbe Nacht in schnellem Tempo unterwegs, ohne auch nur eine Pause zu machen. In Maeriels Absicht lag es, soviel Raum wie möglich in denkbar kürzester Zeit zwischen sich und ihre Heimat zu bringen.
Doch je größer diese Distanz wurde, desto schlimmer fühlte sie sich. Galwion hatte ganz Recht. Sie war pflichtvergessen. Sie kannte und liebte die Elben, auch wenn sie ihm Herzen nie ganz eine der ihren gewesen war. Es mochte das zum Teil menschliche Blut ihres Vaters gewesen sein, dass heiß in ihr aufgewallt und sie zu dieser überstürzten Entscheidung bewegt hatte.
Seufzend saß sie ab, als die Stute ein weiteres Mal stolperte und fast in den Vorderläufen eingeknickt wäre. Liebevoll streichelte sie das weiche Maul des Pferdes und die sternförmige, weiße Blesse, die wie der Abendstern auf dem schwarzen Fell glänzte und griff dann nach den Zügeln. Mit entschlossenen Schritten stapfte sie durch das Unterholz, zog Adyial mit sanfter, aber stetiger Gewalt voran.
Ihr oft getragener Mantel erwies ihr keinen guten Dienst. Der feine Nieselregen, gebrochen durch die Kronen der Bäume, schien von allen Seiten gleichzeitig zu kommen. Dazu kam ein stetiger Wind, der die Tröpfchen unbarmherzig durch ihre Kleidung trieb. Sie fröstelte, bewegte ihre in Lederhandschuhen steckenden Finger, um ein wenig Gefühl zu bekommen.
Sie wusste nicht genau, wohin sie gehen sollte. Zumindest nicht direkt nach Bruchtal oder Lorien, wie Galwion schon vermutet hatte. Im Norden erwarteten sie allerdings nur endlose Wälder, bevölkert von Elben und anderen Wesen, denen sie am liebsten nicht begegnen wollte. Das ganze Areal östlich und südlich des Düsterwaldes gehörte zum Gebiet der Menschen, doch nun wehte nur noch Staub über die leeren Ebenen.
Vielleicht bot der Lauf des Andúin das, was sie suchte. Wenn sie nur wissen würde, was das genau war.
Adyial scheute und sprang ein Stück zurück. Maeriel wurden dadurch fast die Zügel aus der Hand gerissen. Während sie das aufgeregte Pferd zu beruhigen suchte, verharrte sie reglos und lauschte in den dichten Forst hinein. Was immer das Tier wahrgenommen hatte, sie konnte es nicht ausmachen. Vielleicht ein Geruch oder ein Geräusch. Doch ihr feines Gehör hatte sie schon einige Male getäuscht, eine ihrer zahlreichen Schwächen.
Seit ihrer Kindheit hatte sie ihre Cousine Saewen damit aufgezogen, dass sie niemals eine "richtige" Elbin sein würde, dass das Erbe ihres Vaters sie in vielen Dingen schwach und verletzlich machte. Es war nicht leicht, diesem Gerede auszuweichen, zumal auch andere die Meinung der Cousine teilten. Hinter dem Rücken ihrer Mutter, die in jedem Aspekt ihrer Führung der Kolonie die perfekten Tugenden der elbischen Lebensweise vorgelebt hatte, war eine Menge geredet worden.
Maeriel wusste, dass man sie bei ihrem Volk für einen Unglücksboten hielt. Für ein hîn en crebain, ein Kind der Krähen. Geboren an einem Tag ohne Sonne, an dem die dunklen Vögel flogen, ein Neugeborenes mit nachtschwarzen Haaren und goldenen Augen, von denen man sich abwandte.
Sie lächelte unglücklich. Ihrer Tante käme es wirklich nur allzu gelegen, sie loszuwerden und an einen Mann zu vergeben, der sie nicht kannte und vor dem bösen Omen ihrer Geburt zurückschrecken konnte. Wenn sie ging, würde die Kolonie wieder frei von jeglichem Schatten sein.
In ihrer düsteren Reflektion verharrend, merkte sie nicht, das Adyial die Augen verdrehte, so dass man das Weiße sehen konnte und nervös zu schnauben begann. Erst ein leises Geräusch im Unterholz ließ sie aufhorchen. Mit einem Mal stürmten all jene Zeichen auf sie ein, die sie vorher nicht hatte wahrnehmen können. Mit einer schnellen Bewegung ließ sie die Zügel fahren, riss einen Pfeil aus dem Köcher auf ihrem Rücken und legte ihn auf die Sehne ihres Bogens. Vor Nervosität zitternd, beobachtete sie, wie ihr Pferd davonstob.
Dann ertönte das Geräusch erneut, jenes Bedrohung verheißende Knacken im Unterholz und sie erkannte, dass es, was auch immer es war, näher kam. Sehr schnell.
Ansonsten viel Vergnügen! Eure Demetra
Gegen jeden Willen
Kapitel 1 - Die Entscheidung
"Ich verstehe, warum Du erregt bist, Kind. Aber Du musst mir glauben -."
"Was soll ich Dir noch glauben?" Maeriel verbarg ihre vor Wut zitternden Hände hinter ihrem Rücken und blickte an ihrer Tante vorbei in den Wald hinein. Es war ein friedvoller Tag, die Vögel sangen in den Ästen der immergrünen Bäume, geschützt durch Elbenmacht. Die kleine Kolonie im äußersten Süden des Düsterwalds zeichnete sich, wie viele andere, durch diese Stimmung aus. Es war ein Ort der Ruhe, nicht derart gefährlich und verwunschen wie andere Bereiche des riesigen Waldgebietes, in dem sich oftmals auch Schatten verbargen, deren Magie nichts mit der der Elben zu tun hatte. Maeriel war hier geboren worden, doch an diesem Tag schien es ihr, als würden die uralten Eichen Stück für Stück näher rücken und sie einzwängen wollen. "Du hast mir versprochen, sämtliche Entscheidungen mit mir zu besprechen! Und vor allem eine solche! Ich habe jedes Recht dazu!"
Ihre Tante Beriel, eine kleine, schlanke Frau, die stets mit leiser Stimme sprach und neben der sich Maeriel stets ungelenk und düster vorkam, räusperte sich, um die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken.
"Du bist noch jung. Zu jung, um über Angelegenheiten von solcher Tragweite zu entschieden oder ihre Konsequenzen einzusehen. Wenn Deine Eltern noch bei uns wären, dann würden sie auch nicht anders handeln als ich. Sie würden wissen, dass es Zeit für Dich ist, erwachsen zu werden und Dich deinen Verpflichtungen zu stellen." Beriel klang mit einem Mal völlig verändert, fast hart. Maeriel begriff, dass sie dieses Mal mit gutem Zureden und trotz nicht weiterkommen würde. "Du wolltest diese Kolonie im Namen Deiner Eltern weiterführen. Das hast Du soeben noch energisch gefordert. Nun gehe auch den letzten Schritt."
"Ich werde keinen Schritt gehen, mit dem ich mir meine Freiheit nehmen lassen." Maeriel musste sich stark zusammennehmen, um nicht ihrem Temperament nachzugeben. Stattdessen bemühte sie sich um einen ruhigen Ton, aus dem jedoch die Eiseskälte, die sich in ihrem Inneren zusammenballte, nicht völlig zu vertreiben war. Niemand sollte ihr vorwerfen können, nicht erwachsen genug zu sein. "Du machst es Dir sehr einfach. Aber ich werde Deine Entscheidung nicht akzeptieren. Verheirate doch Deine Tochter mit dem Prinzen. Sie wird begeistert sein!"
"Du bist das Kind einer Fürstin und die Erstgeborene - noch vor meiner Tochter." Die Tante seufzte und hob die Hand, um zu verhindern, dass sie unterbrochen wurde. "Und nun Schluss mit der Diskussion. Er wird im Lauf der Woche hier eintreffen und ich erwarte, dass Du Dich ihm gegenüber angemessen verhältst."
Maeriel hatte ebenfalls genug von diesem Gespräch. Sie fuhr auf dem Absatz herum und stürmte davon. Eine Gruppe von Elben, die ihr entgegenkam, tauschte halb verwunderte, halb amüsierte Blicke. Sie beachtete sie nicht weiter. Oft genug wurde hinter ihrem Rücken über sie geredet. Niemand konnte anscheinend glauben, dass sie die Tochter ihrer Mutter war, deren Sanftmut weit über die Grenzen des Waldes hinaus bekannt gewesen war.
Sie lächelte bitter. Nein, sie war nicht wie ihre Mutter, die ihr ganzes Leben bis zu ihrem Tod nur geschwiegen und alles über sich ergehen gelassen hatte. Sie würden den Regeln ihres Volkes entgehen.
Du bist nicht wie sie, sagte eine Stimme in ihrem Kopf. Du bist das Kind Deines Vaters.
Ein Plan drängte sich ihr auf. Wenn ihr künftiger Ehemann eintraf, dann würde sie ihm keinesfalls höflich gegenübertreten. Sie würde einfach nicht da sein.
***
Es war bereits Nacht, als Maeriel zu den Ställen schlich. Diese lagen ein wenig außerhalb der Häuser, leichte, aus Lehm und verwobenen Blättern gefertigte Gebäude, die dennoch jedem Sturm standhielten. Niemand würde sie hören. Bis auf die geschickt in den Bäumen versteckten Wachen.
Kaum hatte sie es gedacht, raschelte es in ihrer Nähe, als ein hochgewachsenere Mann von einem Baum zu Boden sprang und sich ihr näherte. Ein Lächeln lag auf seinem schönen Gesicht, das sie so gut kannte wie ihr eigenes.
Galwion, ihr Vetter, war so alt wie sie, fünfundzwanzig Jahre genau. Das hatte sie vom Tag ihrer Geburt an miteinander verbunden. Er hatte ihr ihren ersten Bogen gebaut und sie getröstet, wenn sie beim Spiel gestürzt war. Galwion war ebenso ein Kindskopf wie sie es manchmal war und deswegen schmerzte es sie, dass er es war, der sie bei ihrer Flucht ertappte.
"Wohin geht es denn, muin?", wollte er wissen und spähte wissend auf das Bündel, das sie über ihrer Schulter trug. Seine Augen wanderten über ihre Reisekleidung, Hose, Wams und Mantel in den Farben des Waldes. Auch den Bogen in ihrer Hand und den Köcher übersah er nicht. Dann schüttelte er den Kopf und erinnerte sie frappierend an seine Mutter. "Du willst doch nicht etwa weglaufen?"
"Was willst Du jetzt tun? Alarm schlagen?", antwortete sie launisch und ging an ihm vorbei in den Stall hinein. Die warme, nach Tier riechende Luft schlug ihr entgegen, angenehm und lebendig im Vergleich zu der Kälte der Nacht. Ihre Stute Adyial wieherte ihr leise entgegen und begann, mit den Hufen zu scharren. Maeriel flüsterte ihr beruhigend zu und führte das Tier dann langsam aus der Box.
Galwion war ihr gefolgt und lehnte an einem der Stützpfeiler des Stalles, die Arme verschränkt, das Gesicht skeptisch verzogen.
"Bist Du sicher, dass Du weißt, was Du tust? Du hast diese Wälder noch nie verlassen!"
"Was soll ich denn Deiner Meinung nach tun, Galwion? Einen Fremden heiraten, der über tausend Jahre älter ist als ich? Mich für ein Leben an ihn binden, ohne zu wissen, dass wir zueinander passen?" Mit mehr Elan als nötig schnallte sie Adyial den Sattel auf den Rücken und ihre Habseligkeiten darauf. "Ich weiß, wie ich überleben kann. Ich bin keine schlechte Bogenschützin und bis Bruchtal oder Lorien ist es nicht weit. Dort kann ich sicher unterkommen."
"Und dort wird Mutter Dich zuerst suchen lassen." Er trat zur Seite, als sie in den Sattel stieg, griff ihr dann jedoch noch einmal in die Zügel. "Mir ist klar, dass Mutter in diesem Fall nicht nachgeben wird, so wie sie es sonst tut. Aber wenn Du jetzt fortgehst, dann gefährdest Du nicht nur Dein Leben. Die Verbindung mit einem der Söhne des Königs würde Truppen für uns bedeuten, Verstärkung gegen die ständigen Überfälle, bessere Waffen. Bist Du bereit, diese dringenden Notwendigkeiten zu ignorieren?"
"Also erwartest Du von mir, mein Leben gegen das der anderen einzutauschen?" Sie verzog die Mundwinkel gezwungen nach oben. "Ich danke Dir, dass Du mich daran erinnerst, wie pflichtvergessen ich bin. Aber auch das wird mich nicht umstimmen können. Wenn meine Tante diese Verbindung mit dem König wünscht, wird ihr sicher etwas Neues einfallen. Mich braucht sie dafür nicht."
Galwion ließ die Zügel wieder los. Besorgnis zeichnete seine Züge.
"Si dartho, Maeriel, ich bitte Dich. Wenn Du jetzt gehst, wird sich alles für Dich ändern."
"Ändern wird sich alles, auf die eine oder andere Weise, Galwion. Aber ich will bestimmen, wie es geschieht." Maeriel legte für einen kurzen Moment eine Hand auf die Schulter des Verwandten und Freundes. Dann trieb sie Adyial an und trabte in die Nacht hinaus.
***
Maeriel ritt nach Norden, am Rand des Waldes entlang. Zumindest glaubte sie das, denn die dichten Regenwolken, die sich seit ihrem Aufbruch aus ihrer Heimat über ihr türmten, erlaubten ihr nicht, sich an den Sternen zu orientieren, so wie man es sie gelehrt hatte.
Adyials Tritt wurde immer häufiger unsicher, denn sie waren nun einen ganze Tag und eine halbe Nacht in schnellem Tempo unterwegs, ohne auch nur eine Pause zu machen. In Maeriels Absicht lag es, soviel Raum wie möglich in denkbar kürzester Zeit zwischen sich und ihre Heimat zu bringen.
Doch je größer diese Distanz wurde, desto schlimmer fühlte sie sich. Galwion hatte ganz Recht. Sie war pflichtvergessen. Sie kannte und liebte die Elben, auch wenn sie ihm Herzen nie ganz eine der ihren gewesen war. Es mochte das zum Teil menschliche Blut ihres Vaters gewesen sein, dass heiß in ihr aufgewallt und sie zu dieser überstürzten Entscheidung bewegt hatte.
Seufzend saß sie ab, als die Stute ein weiteres Mal stolperte und fast in den Vorderläufen eingeknickt wäre. Liebevoll streichelte sie das weiche Maul des Pferdes und die sternförmige, weiße Blesse, die wie der Abendstern auf dem schwarzen Fell glänzte und griff dann nach den Zügeln. Mit entschlossenen Schritten stapfte sie durch das Unterholz, zog Adyial mit sanfter, aber stetiger Gewalt voran.
Ihr oft getragener Mantel erwies ihr keinen guten Dienst. Der feine Nieselregen, gebrochen durch die Kronen der Bäume, schien von allen Seiten gleichzeitig zu kommen. Dazu kam ein stetiger Wind, der die Tröpfchen unbarmherzig durch ihre Kleidung trieb. Sie fröstelte, bewegte ihre in Lederhandschuhen steckenden Finger, um ein wenig Gefühl zu bekommen.
Sie wusste nicht genau, wohin sie gehen sollte. Zumindest nicht direkt nach Bruchtal oder Lorien, wie Galwion schon vermutet hatte. Im Norden erwarteten sie allerdings nur endlose Wälder, bevölkert von Elben und anderen Wesen, denen sie am liebsten nicht begegnen wollte. Das ganze Areal östlich und südlich des Düsterwaldes gehörte zum Gebiet der Menschen, doch nun wehte nur noch Staub über die leeren Ebenen.
Vielleicht bot der Lauf des Andúin das, was sie suchte. Wenn sie nur wissen würde, was das genau war.
Adyial scheute und sprang ein Stück zurück. Maeriel wurden dadurch fast die Zügel aus der Hand gerissen. Während sie das aufgeregte Pferd zu beruhigen suchte, verharrte sie reglos und lauschte in den dichten Forst hinein. Was immer das Tier wahrgenommen hatte, sie konnte es nicht ausmachen. Vielleicht ein Geruch oder ein Geräusch. Doch ihr feines Gehör hatte sie schon einige Male getäuscht, eine ihrer zahlreichen Schwächen.
Seit ihrer Kindheit hatte sie ihre Cousine Saewen damit aufgezogen, dass sie niemals eine "richtige" Elbin sein würde, dass das Erbe ihres Vaters sie in vielen Dingen schwach und verletzlich machte. Es war nicht leicht, diesem Gerede auszuweichen, zumal auch andere die Meinung der Cousine teilten. Hinter dem Rücken ihrer Mutter, die in jedem Aspekt ihrer Führung der Kolonie die perfekten Tugenden der elbischen Lebensweise vorgelebt hatte, war eine Menge geredet worden.
Maeriel wusste, dass man sie bei ihrem Volk für einen Unglücksboten hielt. Für ein hîn en crebain, ein Kind der Krähen. Geboren an einem Tag ohne Sonne, an dem die dunklen Vögel flogen, ein Neugeborenes mit nachtschwarzen Haaren und goldenen Augen, von denen man sich abwandte.
Sie lächelte unglücklich. Ihrer Tante käme es wirklich nur allzu gelegen, sie loszuwerden und an einen Mann zu vergeben, der sie nicht kannte und vor dem bösen Omen ihrer Geburt zurückschrecken konnte. Wenn sie ging, würde die Kolonie wieder frei von jeglichem Schatten sein.
In ihrer düsteren Reflektion verharrend, merkte sie nicht, das Adyial die Augen verdrehte, so dass man das Weiße sehen konnte und nervös zu schnauben begann. Erst ein leises Geräusch im Unterholz ließ sie aufhorchen. Mit einem Mal stürmten all jene Zeichen auf sie ein, die sie vorher nicht hatte wahrnehmen können. Mit einer schnellen Bewegung ließ sie die Zügel fahren, riss einen Pfeil aus dem Köcher auf ihrem Rücken und legte ihn auf die Sehne ihres Bogens. Vor Nervosität zitternd, beobachtete sie, wie ihr Pferd davonstob.
Dann ertönte das Geräusch erneut, jenes Bedrohung verheißende Knacken im Unterholz und sie erkannte, dass es, was auch immer es war, näher kam. Sehr schnell.
