Hallo, liebe Leser, nach langer, langer, laaaanger Zeit melde ich mich wieder zurück. Dies ist die Fortsetzung von "Sirius Black und das Geheimnis der Peitschenden Weide", "Sirius Black und der Diener des dunklen Lords" und "Sirius Black und die Abgründe der Nokturngasse" und damit der vierte Teil meiner Sirius-Black-Reihe. Updates wird es wie immer jeden Samstag geben. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen! :)
Und an die Leute, denen ich nicht per PN antworten kann:
ValeyBlues: Freut mich, dass dir der erste Teil gefallen hat. :) Ich hätte auch schwören können, dass irgendwann mal gesagt wurde, dass Andromeda in Ravenclaw war, aber das war wohl eher eine Erfindung aus dem FF-Bereich; Sirius' Aussage im siebten Teil, dass seine gesamte Familie in Slytherin war, ist da wohl eindeutig.
Daniel Freund: Schön, dass dir die Geschichte gefällt. Hier kommt die gewünschte Fortsetzung! ;)
DISCLAIMER: WELT UND PERSONEN GEHÖREN J. K. ROWLING.
Sommerferien
„Sitz gerade, Sirius", sagte Walburga Black. „Und hör auf, in deinem Essen herumzustochern. Das gehört sich nicht."
Sirius Black, Erbe der reinblütigsten und ältesten Zaubererfamilie Großbritanniens, Gryffindor und seines Zeichens größter Unruhestifter von Hogwarts zusammen mit seinem besten Freund James Potter, ignorierte sie. Kaum eine Sekunde später bohrte sich eine unsichtbare Faust in sein Kreuz, während seine Schultern zurückgezogen wurden. Walburga Black löste ihre Finger von ihrem Zauberstab und aß weiter. Sirius warf seiner Mutter einen finsteren Blick zu. Sein jüngerer Bruder Regulus verdrehte die Augen und schüttelte kaum merklich den Kopf.
„Gibt es etwas Neues im Ministerium?", wandte sich Walburga Black an ihren Mann als sei nichts geschehen. „Im Tagespropheten stand, es habe letzte Nacht Werwolf-Angriffe gegeben."
Sirius spürte, wie sich beim Wort „Werwolf" seine Hand um sein Weinglas verkrampfte. Er horchte auf.
„Das entspricht der Wahrheit", antwortete Orion Black. „Ein Mann ist getötet und zwei Kinder sind gebissen worden. Glücklicherweise nur Schlammblüter, aber für das Ministerium ist das natürlich eine peinliche Angelegenheit."
Klonk. Sirius hatte Glas lauter als nötig abgesetzt.
„Es ist völlig egal, ob die Opfer reinblütig sind oder nicht!"
Er dachte an Remus, der sich jeden Monat bei Vollmond unter Schmerzen in eine blutrünstige Bestie verwandelte. Orion Black warf seinem ältesten Sohn einen strengen Blick zu.
„Die Diskussion hatten wir schon, Sirius."
Ein warnender Unterton schwang in seiner Stimme mit. Sirius funkelte seinen Vater zornig an.
„Es gibt keinen Unterschied zwischen Reinblütern und Mugglestämmigen! In meinem Jahrgang ist ein mugglestämmiges Mädchen, das..."
„Ich wiederhole mich nur ungern, Sirius", unterbrach ihn Orion Black mit kalter Stimme, diesmal eindeutig verärgert. „Dieses Thema ist beendet."
Bevor Sirius erneut widersprechen konnte, fragte Regulus: „Und was unternimmt das Ministerium gegen die Angriffe?"
„Das Werwolf-Fangkommando hat strikten Befehl, alle auffälligen Werwölfe einzufangen und nach Askaban zu bringen. Sie haben sogar Unterstützung von den Auroren, aber bislang ohne Erfolg."
Walburga Black schnaubte.
„Wen wundert es, dass die Auroren erfolglos sind, wenn ein Blutsverräter wie Potter die Zentrale leitet! Die ganze Gesellschaft ist von Schlammblütern und Blutsverrätern durchsetzt. Selbst Hogwarts geht vor die Hunde, seit Dumbledore Schulleiter ist!"
„Du hast völlig Recht, Mutter", stimmte Regulus ihr zu. „Das einzige Haus, in dem die Reinblüter noch unter sich sind, ist Slytherin. Und selbst Slughorn nimmt es mit dem reinen Blut nicht mehr so genau."
„Weil sich Slughorn die begabtesten Schüler raussucht", warf Sirius ein. „Deshalb sind auch Mugglestämmige im Slug-Klub." Er warf Regulus ein charmantes Lächeln zu. „Was das angeht, frage ich mich bis heute, wie du es in den Slug-Klub geschafft hast."
Das stimmte nicht ganz. Slughorn suchte sich die erfolgreichsten Schüler heraus und Erfolg ging nicht nur mit Begabung, sondern auch mit den richtigen Beziehungen einher. Was Regulus anging, so traf auf ihn beides zu. Aber Sirius hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als ihm das zu sagen.
„Interessant", gab Regulus zurück. „Ich hingegen habe mich nie gewundert, warum du es nicht in den Slug-Klub geschafft hast."
„Weil ich besseres zu tun habe, als mir Slughorns Geschichten anzuhören und ihm dabei zuzusehen, wie er kandierte Ananas in sich hineinstopft."
„Keine Streitereien am Tisch, Sirius!", warf Walburga Black mit schneidender Stimme ein.
„Das gilt auch für dich, Regulus", setzte Orion Black hinzu.
„Ja, Vater. Entschuldige bitte."
Orion Black nickte gnädig. Er wandte seinen Blick Sirius zu.
„Ich entschuldige mich nicht dafür, die Wahrheit gesagt zu haben!", erklärte dieser trotzig.
„Du entschuldigst dich auf der Stelle!", mischte sich Walburga Black ein.
„Nein."
Sie gab ihm eine Ohrfeige. Sirius stand so abrupt auf, dass sein Stuhl mit einem lauten Krachen nach hinten über fiel.
„Ich lasse mir von euch nicht den Mund verbieten!", knurrte er. Orion Black schwang seinen Zauberstab und Sirius' Stuhl richtete sich wieder auf.
„Setz dich wieder an den Tisch, Sirius!"
„Nein! Ich..."
Eine unsichtbare Kraft drückte ihn in seinen Stuhl zurück und hinderte ihn daran, wieder aufzustehen.
„In diesem Haus gibt es Regeln", erklärte Orion Black. „Und an die hast du dich zu halten!"
„Eure Regeln sind mir scheißegal! Ich mache, was ich will und..."
Orion Black schlug härter zu als seine Frau. Plötzlich wurde Sirius' Kopf zur Seite gerissen und seine Wange brannte.
„Ich sagte, keine Diskussionen mehr, Sirius!"
Sirius biss die Zähne zusammen und starrte auf seinen Teller. Er wusste, wenn er noch ein Wort sagte, dann würde er sich in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Sein Rücken juckte und er widerstand dem Drang, sich zu kratzen. Auch ohne dass seine Finger seinen Rücken berührten, wusste er, was ihn erwarten würde: ein Netz feiner erhabener, kaum sichtbarer Linien – die Überreste eines Peitschfluches aus den letzten Osterferien.
Plötzlich hörte Sirius Flügelschlagen und sah überrascht auf. Eine Eule war im Grimmauldplatz aufgetaucht und landete zu Sirius' größter Überraschung neben seinem Teller.
„Was hat das zu bedeuten, Junge?", wollte Walburga Black mit schneidender Stimme wissen. Sirius zuckte mit den Schultern. Die einzigen, die ihm Briefe schrieben, waren James, Remus und Peter, aber normalerweise brachten die Eulen ihre Briefe direkt in Sirius' Zimmer. Ganz abgesehen davon hatte Sirius diese Eule noch nie zuvor gesehen. Neugierig öffnete er den Brief.
Sehr geehrter Mr. Black,
ich möchte Sie bitten, mich in einer Angelegenheit vor dem Zaubergamot zu unterstützen. Tatsächlich würden Sie mir einen großen Gefallen tun, wenn Sie und Mr. Potter als Zeugen aussagen würden.
Sirius runzelte die Stirn und las den letzten Satz zweimal. Was zur Hölle sollte er denn vor dem Zaubergamot?
Aus diesem Grund würde ich Sie am Mittwoch in drei Tagen bitten, mich und Mr. Potter im Foyer des Zaubereiministeriums um 8 Uhr am Brunnen der magischen Geschwister zu treffen. Bitte schicken Sie Ihre Antwort eulenwendend.
In der Hoffnung, Sie am Mittwoch zu sehen,
verbleibe ich mit herzlichen Grüßen Ihr
Albus Dumbledore.
Sirius war so verblüfft, dass er den Brief gleich noch einmal las. Dann sah er auf.
„Dumbledore will sich mit mir treffen. In drei Tagen. Im Zaubereiministerium. Um", er warf einen schnellen Blick auf den Brief, „acht Uhr:"
„Was hat das zu bedeuten?", wiederholte Walburga Black. „Was will dieser muggleliebende Narr von dir? Und warum will er dich im Zaubereiministerium treffen?" Sie warf Sirius einen argwöhnischen Blick zu. „Wenn ich herausbekomme, dass du dir was hast zu Schulden kommen lassen, Junge, dann kannst du was erleben!"
Orion Black hob erstaunt eine Augenbraue.
„Am Mittwoch in drei Tagen, sagtest du?", fragte er. Sirius nickte.
„Ja, Vater."
„Da ist Mundungus Fletchers Verhandlung vor dem Zaubergamot."
„Und ich soll eine Zeugenaussage vor dem Zaubergamot machen", stellte Sirius leicht beunruhigt fest.
„Was hat das zu bedeuten, Sirius?", verlangte Walburga Black zum dritten Mal zu wissen.
„Das wüsste ich allerdings auch gern", bemerkte Orion Black. „Sirius, nach dem Essen kommst du in mein Arbeitszimmer."
„Ja, Vater."
Die Eule krallte sich derweil an Sirius' Rückenlehne fest und wartete geduldig.
Sirius stand nervös vor dem Arbeitszimmer seines Vaters und wartete darauf, dass ihn dieser hineinrief. Er wusste nicht, was ihn erwartete. War Orion Black ärgerlich über den Brief oder wollte er tatsächlich nur erfahren, was es mit dieser Zeugenaussage auf sich hatte?
Unwillkürlich berührte Sirius sein Gesicht, wo sein Vater ihn geschlagen hatte. Seine Wange fühlte sich geschwollen und wund an. Wenn er wütend ist, kann ich gleich mein Testament machen. Andererseits musste er sich dann nicht überlegen, was er Orion Black darüber erzählen sollte, was sich am Ende des letzten Schuljahres zugetragen hatte. Noch nicht einmal James kannte die ganze Wahrheit. Dumbledore hatte ihn natürlich befragt, nachdem Sirius im Krankenflügel wieder zu sich gekommen war, aber auch ihm hatte er nicht alles gesagt. Und falls Dumbledore vermutet hatte, dass er ihm etwas verschwieg, hatte er sich nichts anmerken lassen. Am Ende hatte der Schulleiter ihn noch gebeten, nicht über den Vorfall zu reden, und Sirius war dieser Bitte nur zu gerne gefolgt. Aber wie viel wusste Orion Black? Hatte er mit Bellatrix gesprochen? Oder Malfoy?
Als Sirius ins Arbeitszimmer kam, ließ er sich von seiner Nervosität nichts anmerken. Sein Vater musterte ihn einen Augenblick, dann fragte er: „Wie kommt Dumbledore auf die Idee, dass du etwas zu Fletchers Prozess beitragen könntest?"
Sirius dachte angestrengt nach. Was konnte er verraten? Und wenn die Frage jetzt schon mal gestellt worden war – wie, glaubte Dumbledore, sollte er Fletcher mit seinem Wissen entlasten können? Schließlich hatte Fletcher die Artefakte weiterverkauft oder es zumindest versucht. Und dass er sie nicht gestohlen hatte, das wusste das Zaubereiministerium inzwischen selbst.
„Hast du Fletcher zu dem Zeitpunkt gesehen, als die Artefakte aus der Mysteriumsabteilung entwendet wurden?"
Sirius schüttelte den Kopf.
„Nein, Vater. Aber..."
Er brach ab. Das Zaubereiministerium weiß doch, dass es Janus Thickey war!
„Aber?", hakte Orion Black nach.
„Im Tagespropheten stand, dass jemand anders als Fletcher für den Diebstahl der Artefakte verantwortlich ist."
„Janus Thickey ist wieder verschwunden", erklärte Orion Black.
„Was?!", entfuhr es Sirius. Wie konnte Thickey einfach verschwunden sein? Es hatte geheißen, er sei zum Verhör in einer der Zellen der magischen Strafverfolgung untergebracht worden, bevor man ihn nach Askaban überstellen würde.
„Davon stand nichts im Tagespropheten", stellte er etwas verspätet fest. Orion Black nickte.
„Noch nicht. Aber jetzt ist Fletcher der einzige Schuldige, den das Zaubereiministerium in dieser Angelegenheit vorzuweisen hat. Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet?"
Sirius überlegte einen Augenblick.
„Er muss verurteilt werden. Sonst ist das Ministerium blamiert."
Orion Black nickte.
„Richtig. Dumbledore scheint das jedoch anders zu sehen."
Wieder arbeitete es in Sirius' Gehirn. Fletcher war nicht unschuldig. Das konnte also nicht Dumbledores Beweggrund sein. Außer natürlich...
„Für was ist Fletcher alles angeklagt?"
Orion Black nickte Sirius anerkennend zu.
„Sehr gut, du stellst die richtigen Fragen. Er ist für alles angeklagt, einschließlich des Diebstahls in der Mysteriumsabteilung. Außerdem wird ihm vorgeworfen, er habe versucht, die Artefakte an Todesser zu verkaufen. Angeblich ist er dabei auf frischer Tat ertappt worden."
„Was?! Aber als die Todesser..."
Er biss sich auf die Lippen. Orion Black musterte ihn mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Hast du mir etwas mitzuteilen, Sirius?", fragte er. Sirius zögerte, dann schüttelte er den Kopf.
„Nein, Vater."
Orion Black warf ihm einen forschenden Blick zu, fragte jedoch nicht weiter.
„Also gut", sagte er stattdessen. „Dann nehme ich dich am Mittwochmorgen ins Zaubereiministerium mit."
„Das heißt, du lässt mich aussagen?", entfuhr es Sirius verblüfft.
„Allerdings." Angesichts Sirius' ungläubigem Gesichtsausdruck fuhr er fort: „Sirius, manchmal scheinst du zu denken, ich wollte dir nur das Leben schwer machen. Aber ich tue nur, was ich für dich und die Familie am besten ist."
„Und warum darf ich dann nicht James besuchen?", rutschte es Sirius heraus, ehe er sich daran hindern konnte. Orion Blacks Gesichtsausdruck verdüsterte sich.
„Darüber haben wir bereits gesprochen", gab er knapp zurück.
„Aber..."
„Ich habe es dir bereits einmal erklärt und ich werde es nicht wiederholen."
„Vielleicht habe ich es beim ersten Mal nicht verstanden."
„Dieses Gespräch ist beendet, Sirius."
„Aber nicht für mich! Es gibt keinen Grund, warum ich ihn nicht sehen sollte. Er ist Reinblüter und die Potters gehören zu den alten Familien! Darum geht es euch doch immer, oder? Es geht immer nur um das reine Blut und..."
Zum zweiten Mal an diesem Tag kassierte Sirius eine Ohrfeige von seinem Vater. Er taumelte und konnte sich gerade noch fangen. Als er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, hielt Orion Black seinen Zauberstab in der Hand.
„Hör mir gut zu, Sirius. Ich bin dein Vater und das Oberhaupt dieser Familie, deshalb hast du zu tun, was ich dir sage. Du wirst mir nicht mehr widersprechen, hast du das verstanden?"
Sirius antwortete nicht. Ein scharfer Schlenker mit dem Zauberstab und ein Fluch warf ihn gegen die Wand. Eine unsichtbare Hand packte ihn an der Kehle und ließ ihn frei im Raum schweben. Sirius hatte plötzlich Schwierigkeiten, Luft zu bekommen. Auf einmal stieg Panik in ihm auf, einen Augenblick lang, hatte er wieder Walburga Blacks Gesicht vor Augen und ihren lächelnden roten Mund. Er versuchte, sich zu befreien, aber natürlich war das sinnlos. Dann lockerte sich der Griff plötzlich und seine Füße berührten den Boden. Er musste sich am Schreibtisch abstützen, um sich auf den Beinen zu halten. Seine Knie zitterten plötzlich und Schweiß stand auf ihm auf der Stirn. Orion Black musterte ihn argwöhnisch. Er wusste nicht, dass Walburga Blacks Umhänge Sirius in den letzten Weihnachtsferien beinahe erwürgt hatten.
„Hast du das verstanden?", wiederholte Orion Black seine Frage. Sirius biss die Zähne zusammen und streckte den Rücken durch. Reiß dich zusammen! Es waren nur ein paar Sekunden, es ist nichts passiert!
„Ja, Vater."
„Dem reinen Blut, das du so verachtest, verdankst du all deine Privilegien. Ich werde keine verächtlichen Äußerungen diesbezüglich mehr von dir dulden."
„Ja, Vater."
„Gut."
Orion Black senkte den Zauberstab. Obwohl er Sirius in den letzten Minuten mit keinem Fluch mehr belegt hatte, fühlte sich dieser erleichtert, als hätte ihm jemand eine schwere Last von den Schultern genommen.
„Geh jetzt in dein Zimmer. Du bleibst dort bis zur Verhandlung. Kreacher wird dir deine Mahlzeiten bringen. Danach unterhalten wir uns weiter."
Oben in seinem Zimmer schrieb Sirius als erstes eine Antwort an Dumbledore. Die Eule war gerade davon geflogen, als sein Zweiwegespiegel vibrierte.
„Sirius, na endlich!", rief James. „Ich versuche schon die ganze Zeit, dich zu erreichen!" Er stutzte. „Was ist denn mit deinem Gesicht passiert?"
Sirius fluchte innerlich.
„Hab mich mit Regulus geschlagen. Hast du auch eine Eule von Dumbledore bekommen?"
James nickte.
„Mum ist fast vom Stuhl gekippt, aber ich glaube, Dad hat schon so was geahnt." Er lachte bei der Erinnerung, aber dann fuhr er ernster fort: „Aber ich weiß immer noch nicht so genau, was Dumbledore eigentlich von uns will. Ich meine, wir können nicht wirklich was Entlastendes über Fletcher sagen, oder?"
„Thickey ist verschwunden. Deshalb klagen sie Fletcher auch wegen des Diebstahls in der Mysteriumsabteilung an und außerdem sagen sie, er hätte versucht, die Artefakte an Todesser zu verhökern", erklärte Sirius. „Vielleicht sollen wir darüber irgendwas aussagen."
„Was?", entfuhr es James. „Dad hat mir erzählt, dass Thickey verschwunden ist, aber dass sie deshalb Fletcher für alles verantwortlich machen, hat er nicht gesagt. Woher weißt du das?"
„Vater hat es mir gesagt."
James sah ihn verblüfft an.
„Ich wusste nicht, dass du mit deinem Vater über solche Dinge redest."
Sirius zuckte mit den Schultern.
„Hin und wieder."
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, dann sagte James: „Du kannst nach der Verhandlung übrigens gleich mit nach Godric's Hollow kommen. Ich habe Mum und Dad gefragt, sie sind einverstanden, wenn du die restlichen Ferien bei uns verbringst."
„James..."
„Jetzt komm schon, Sirius, woher willst du wissen, dass du nicht darfst, wenn du noch nicht mal gefragt hast? Du dürftest doch bis jetzt in allen Sommerferien kommen."
Vor zwei Wochen hatten sich Sirius und James beim Quidditchspiel der Wimbourner Wespen gegen die Heidelberger Vandalen getroffen. Sie hatten in der Sonne auf den besten Plätzen auf der Tribüne gesessen und Eis gegessen. Sirius kam es unwirklich wie ein Traum vor. Seitdem versuchte James, ihn zu überreden, wieder nach Godric's Hollow zu kommen, wo er sich anscheinend alleine fürchterlich langweilte.
„Ich habe gefragt, James."
„Und?"
„Und sie haben nein gesagt."
„Aber warum?"
Wieder zuckte Sirius mit den Schultern.
„Um mich zu ärgern? Keine Ahnung, jedenfalls darf ich nicht", gab er barscher als geplant zurück.
„Ist ja gut, Kumpel", meinte James beschwichtigend. „Falls sie es sich anders überlegen, du bist jederzeit eingeladen."
Sirius versuchte ein Lächeln.
„Ich werd's nicht vergessen."
Aber sie würden es sich nicht anders überlegen. Nachdem James verschwunden war, begann Sirius in seinen Büchern zu blättern. Vielleicht fand er ja einen guten Fluch, mit dem er Kreacher belegen konnte, wenn dieser ihm das Essen brachte.
In der Nacht vor der Verhandlung konnte Sirius nicht schlafen. Zum Einen hatte er Hunger, denn Kreachers Vorstellung von einer ausreichenden Mahlzeit schien sich nicht mit seiner zu decken, und zum Anderen war er nervös. Was würde das Zaubergamot ihn fragen? Und wer würde alles dort sein? Er wusste, dass abgesehen von Orion Black auch noch Onkel Cygnus, Abraxas Malfoy und Lestrange Senior im Zaubergamot saßen. Die Longbottoms, die Bones und die Rosiers hatten ebenfalls jeweils einen Sitz, glaubte er sich zu erinnern.
Würde er gegen Bellatrix aussagen müssen? Er hatte keine Lust, die Ferien in den Fängen einer Wahnsinnigen zu verbringen. Und was würde er tun, wenn einer von den Lestranges gegen ihn aussagte? Er hatte einen Cruciatus-Fluch gegen Bellatrix eingesetzt, wenn auch nur für ein paar Sekunden. Mit 14 Jahren war er zu jung, um nach Askaban gebracht zu werden, aber man konnte ihn von Hogwarts ausschließen. Keiner der Anwesenden würde bezweifeln, dass ein Black in der Lage war, einen solchen Fluch einzusetzen, und auch bereit wäre, es zu tun.
Aber dann müsste Bellatrix zugeben, dass sie da gewesen ist, sagte eine vernünftige Stimme in seinem Kopf. Sie wird ohnehin schon von allen Seiten verdächtigt, eine Todesserin zu sein. Noch ein paar mehr Stimmen und sie wandert direkt nach Askaban. Aber das änderte nichts daran, dass seine Cousine ihm das Leben zur Hölle machen konnte, wenn sie wollte.
Als Sirius hinter Orion Black aus dem Kamin in das Foyer des Zaubereiministeriums trat, winkte ihm James schon vom Brunnen der magischen Geschwister zu. Neben ihm standen Mr. Potter und Dumbledore. Sirius hätte schwören können, dass James' Haare noch unordentlicher aussahen als sonst.
Mr. Potter, Mr. Black und Dumbledore wechselten einige Worte, dann machten sich Orion Black und Mr. Potter auf den Weg zu ihren Arbeitsplätzen, während Sirius und James bei Dumbledore blieben.
„Es freut mich wirklich sehr, dass Sie beide meiner Bitte gefolgt sind, Mr. Potter, Mr. Black", sagte Dumbledore freundlich. „Ich verspreche Ihnen, es wird auch nicht lange dauern und dann können Sie wieder ihren Ferienaktivitäten nachgehen."
„Sir, äh...was genau sollen wir eigentlich tun?", fragte James, während sie durch die Eingangshalle schritten.
„Sie müssen einfach nur ein paar Fragen beantworten, Mr. Potter. Wenn alles läuft wie geplant – und das tut es meistens, wenn ich etwas plane, wie ich in aller Unbescheidenheit anmerken muss – dann wird das Ganze eine kurze, aber höchst lohnenswerte Angelegenheit."
„In Ordnung...", sagte James und sah nicht unbedingt beruhigter aus. Zusammen traten sie an ein Pult, über dem „Sicherheit" stand. Ein müde aussehender Zauberer legte bei ihrem Anblick seinen Tagespropheten zur Seite.
„Guten Morgen. Wir kommen wegen der Verhandlung gegen Mundungus Fletcher", erklärte Dumbledore liebenswürdig.
„Verstehe. Haben Sie schon Plaketten?"
Dumbledore verneinte.
„Also gut. Name und Anliegen?"
„James Potter und Sirius Black, beide Zeugen der Verteidigung."
Während es irgendwo zu klicken und zu rattern anfing, nahm der Sicherheitszauberer eine lange dünne goldene Rute und führte sie an ihnen auf und ab.
„Zauberstäbe", verlangte er dann und streckte die Hand aus. Als erstes legte er James' Zauberstab auf ein Messinstrument, das aussah wie ein Waage. Es fing an zu vibrieren und ein schmaler Pergamentstreifen schoss aus einem Schlitz im Sockel. Der Zauberer riss ihn ab und las: „11 Zoll, Mahagoni, Kern Einhornhaar, 3 Jahre in Gebrauch. Stimmt das?"
James nickte und bekam seinen Zauberstab zurück.
Dann kam Sirius an die Reihe. Es war ein ungewohntes Gefühl, seinen Zauberstab freiwillig aus der Hand zu geben.
„12 Zoll, Ebenholz, Kern Drachenherzfaser, 3 Jahre in Gebrauch. Alles richtig?"
Sirius bejahte und nahm seinen Zauberstab erleichtert wieder an sich. Dazu bekamen sie silberne Plaketten, die sie sich vorne an die Umhänge heften mussten.
„Wir müssen in den zehnten Stock", erklärte Dumbledore, nachdem das erledigt war. „Am besten nehmen wir die Treppe, der Fahrstuhl fährt ohnehin nur bis zum neunten Stock."
Während sie Dumbledore folgten, schauten sich Sirius und James neugierig um. Obwohl Orion Black schon sehr lange im Zaubergamot saß, war Sirius nur selten im Zaubereiministerium gewesen. Die prächtige Eingangshalle im achten Stock hatte einen blank polierten dunklen Holzboden und eine blaue Decke. Sie war mit goldenen Zeichen bedeckt, die sich ständig veränderten und neu schrieben. An den Wänden befanden sich goldene Kamine, durch die Ministeriumsmitarbeiter beständig kamen und gingen. In der Mitte stand der Brunnen der magischen Geschwister.
Dumbledore, der sich bestens auszukennen schien, führte sie an einem Fahrstuhl vorbei zu einer nicht ganz so prächtig aussehenden Treppe, die außer ihnen niemand zu benutzen schien. Der neunte Stock war ganz anders als das prächtige Foyer. Es gab einen großen Korridor mit schwarzen kahlen Wänden ohne Fenster und mit nur einer Tür am Ende des Flurs. Bevor Sirius sich näher umsehen konnte, führte Dumbledore sie schon die nächste Treppe hinunter. Wieder landeten sie in einem Korridor. Dieser hatte grobe Steinwände und wurde in regelmäßigen Abständen von Fackeln beleuchtet.
„Hier finden die Gerichtsverhandlungen vor dem Zaubergamot statt", erklärte Dumbledore. „Wir müssen zu Gerichtsraum zehn."
Mit weit ausgreifenden Schritten schritt er den Gang hinab, Sirius und James auf den Fersen. Vor einer großen Tür mit eisernen Riegeln und einem schweren Schloss blieben sie stehen.
„Das Gericht schreibt vor, dass Zeugen draußen warten müssen", erklärte Dumbledore. „Man wird Sie nacheinander hereinrufen." Er wandte sich schon zum Gehen, da blieb er noch einmal stehen. „Ah, ehe ich es vergesse." Innerhalb weniger Sekunden hatte er zwei Stühle aus dem Nichts heraufbeschworen. „Machen Sie es sich bequem."
Und damit verschwand er in den Gerichtssaal. Weder Sirius noch James machte Anstalten, sich zu setzen. James begann, unruhig auf- und abzugehen. Er schien mindestens genauso nervös zu sein wie Sirius, was diesen auf eine seltsame Art beruhigte.
„Wir müssen nur das antworten, was wir abgesprochen", sagte er. „Dann wird alles gut gehen."
Die letzten drei Tage hatten sich Sirius und James fast unablässig über ihre Taschenspiegel unterhalten und sich überlegt, was man sie alles fragen könnte und was sie darauf antworten wollten.
„Und was ist, wenn das Gericht uns etwas ganz anderes fragt?"
„Dann sagen wir die Wahrheit. Alles andere ist schließlich kein Geheimnis."
James kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe herum.
„Du hast Recht. Was glaubst du, wen sie von uns beiden als erstes aufrufen?"
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und eine junge Hexe mit kurzen blonden Haaren steckte den Kopf heraus: „Sirius Black!"
„Viel Glück", murmelte James noch, als Sirius in den Gerichtssaal ging. Es war ein großer Raum, der nur spärlich von Fackeln beleuchtet wurden, die an der grobfugigen Steinmauer hingen. Links, rechts und in der Mitte erstreckten sich Bankreihen bis fast unter die Decke. Die Zuschauerreihen waren leer, die Verhandlung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. In den oberen Reihen in der Mitte saßen die Mitglieder des Zaubergamots und unterhielten sich flüsternd. In der Mitte vor den Bänken stand ein mit Ketten versehener Stuhl, auf dem Mundungs Fletcher hockte. Obwohl ihn die Ketten nicht umschlungen hatten, wirkte er wie ein Häufchen Elend. Neben ihm saß auf einem bequemen Chintz-Lehnstuhl Dumbledore. Er winkte Sirius heran und beschwor einen zweiten Stuhl herauf. Sirius setzte sich und bemühte sich, so auszusehen, als würde er jeden Tag nichts anderes machen, als vor dem Zaubergamot auszusagen.
„Vollständiger Name?", fragte jemand aus der vorderen Reihe. Es war der amtierende Zaubereiminister, Alois Dunder. Sirius hatte ihn beinahe nicht erkannt. Er trug den gleichen blauen Umhang wie die anderen Mitglieder des Zaubergamots. Sein Gesicht war so durchschnittlich, dass er auch auf dem Kettenstuhl hätte sitzen können, ohne dass sich jemand groß gewundert hätte.
„Sirius Orion Black", sagte Sirius laut und deutlich, sodass ihn jeder hören konnte. Der Mann links neben dem Zaubereiminster musste Mr. Potters Chef, der Leiter der Abteilung für magische Strafverfolgung sein. Er war ein dürrer alter Mann und Sirius glaubte nicht, dass er besonders viel zu sagen hatte, obwohl er einen der höchsten Posten im Ministerium inne hatte. Er und der Zaubereiminister passten gut zusammen.
„Wohnhaft?", fragte der Zauberer rechts neben dem Zaubereiminister. Es war Crouch, der Leiter des Zaubergamot-Verwaltungsdienstes.
„Grimmauldplatz Nummer zwölf, London."
„Die Angaben stimmen mit unseren Daten überein", stellte Crouch fest. Sirius hätte beinahe die Augen verdreht. Natürlich taten sie das!
„Es geht um die Straftat, die am 20. Mai 1974 verübt worden ist", fuhr Crouch fort. „Was können Sie uns dazu sagen?"
Sirius warf Dumbledore einen kurzen Blick zu. Dieser nickte ihm ermutigend zu.
„An dem Tag war ich mit James in Hogsmeade, als..."
„So weit ich das sehe war der 20. Mai 1974 ein Montag. Was hatten Sie an einem regulären Schultag in Hogsmeade zu suchen?"
Sirius konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen.
„Nun, Sir, es war ein schöner Sommertag und kurz vor den Prüfungen und außerdem war der Unterricht schon vorbei..."
„Da das Ministerium nicht für das Verhalten von Hogwarts-Schülern in der Schule zuständig ist, spielt der Grund von Sirius' Aufenthalt in Hogsmeade in dieser Verhandlung wohl kaum eine Rolle", warf Dumbledore ein.
„Ich muss Sie korrigieren, Dumbledore", gab Crouch kühl zurück. „Falls die angeblichen Zeugen selber Kunden bei dem Angeklagten waren, dann spielt das sehr wohl eine Rolle."
Ein entrüstetes Gemurmel erhob sich.
„James und ich wollten zum Honigtopf und Süßigkeiten kaufen", sagte Sirius.
„Ein völlig harmloses Anliegen", stellte Dumbledore fest.
Crouchs Augen verengten sich zu Schlitzen.
„Nehmen wir einmal an, diese Aussage entspricht der Wahrheit. Wer ist dieser James, mit dem Sie in Hogsmeade waren?"
„James Potter", antwortete Sirius und wieder erhob sich Gemurmel.
„Der zweite Zeuge der Verteidigung", ergänzte Dumbledore. „James Potter und Sirius Black sind seit ihrem ersten Schuljahr eng befreundet."
„Das tut hier nichts zur Sache", sagte Crouch gereizt. „Was passierte dann?"
„Todesser sind aufgetaucht und haben einen Mann umzingelt."
„Den Angeklagten?"
„Ja."
„Beschreiben Sie die Todesser."
„Es waren sechs und sie trugen schwarze Umhänge und Masken."
„Haben Sie irgendjemanden erkannt?"
Sirius stockte. Lucius Malfoy, Bellatrix, die Lestrange-Brüder... Zwischen den Mitgliedern des Zaubergamots erkannte er Lestrange, Rosier, Avery, Malfoy, seinen Vater und neben ihm Onkel Cygnus.
„Sie haben doch gehört, dass sie Masken trugen", warf da der Zaubereiminister mit gelangweilter Stimme ein. „Wie soll er da jemanden erkannt haben?"
Crouch ignorierte seinen Vorgesetzten.
„Fahren Sie fort."
„Die Todesser wollten wissen, wo Fletcher die Artefakte aus der Mysteriumsabteilung versteckt hat. Er hat es ihnen erst gesagt, als sie ihm gedroht haben, und dann sind sie mit ihm disappariert", antwortete Sirius, erleichtert, dass heikle Thema umschifft zu haben. „Wir haben gehört, dass Fletcher die Artefakte in der Nokturngasse versteckt hat, deshalb sind wir zurück zur Schule gerannt und haben einen Brief an James' Vater geschrieben und dann sind wir ihnen in die Nokturngasse gefolgt."
Die junge Hexe, die Sirius hereingerufen hatte, räusperte sich.
„Ja, Weatherby?"
„Dem Gericht liegt eine schriftliche Aussage von Mr. Potter vor, die das bestätigt."
Mr. Crouch nickte.
„Und wie sind Sie in die Nokturngasse gekommen?", wandte er sich wieder an Sirius.
„Per Flohpulver."
Crouch blickte zu Dumbledore.
„Ist das möglich?"
„Die Kamine in Hogwarts sind an das Flohnetzwerk angeschlossen, wenn sie auch selten für den Personentransport benutzt werden", bestätigte der Schulleiter. Mit einem Zwinkern fügte er hinzu: „Normalerweise braucht es dafür die Erlaubnis eines Lehrers."
„Die in diesem Fall vermutlich nicht vorlag. Wie ging es dann weiter?"
„Es war nicht schwer, Fletcher zu finden. Die Todesser haben ihn gefoltert. Wir mussten nur den Schreien hinterherlaufen."
Wieder erhob sich Gemurmel. Fletcher war heftig zusammengezuckt.
„Und dann..."
„Kurz darauf sind die Auroren eingetroffen zusammen mit meiner Wenigkeit", fuhr Dumbledore vor. „Meinen Bericht kennen Sie bereits. Nun, Minister?"
Der Zaubereiminister wich Dumledores Blick aus, als wolle er sich lieber nicht mit dem Schulleiter anlegen.
„Gibt es noch Fragen an den Zeugen?" Er wartete keine Antwort ab, sondern fuhr an Sirius gewandt fort: „Sie können gehen."
Das ließ sich Sirius nicht zweimal sagen. Sich aufrecht haltend und scheinbar völlig gelassen legte er den Weg zum Ausgang zurück. James sprang von seinem Stuhl auf, als Sirius die Tür hinter sich schloss.
„Und?", wollte er wissen. „Was haben sie alles gefragt?"
Hastig fasste Sirius das Wichtigste zusammen, bevor die Tür aufging und die blonde Hexe wieder ihren Kopf herausstreckte: „James Potter."
Sirius klopfte ihm auf den Rücken, als er vorbeiging. James grinste unsicher zurück. Als sein bester Freund gegangen war, ließ sich Sirius schwer auf einen Stuhl fallen. Er hatte eben die Möglichkeit versäumt, dem Zaubergamot vier Todessernamen zu nennen. Warum hatte er bloß gezögert? Hätte er nur eine halbe Sekunde eher den Mund aufgemacht... Weil Malfoy und Lestrange alles bestritten hätten und der Zaubereiminister eher ihnen als dir glaubt. Aber das war nicht alles und er wusste es. Weil Mutter dich umbringen würde, wenn du Bellatrix in Schwierigkeiten bringen würdest. Weil Vater es dir nicht verzeihen würde, wenn du die Familie verrätst. Und weil du Angst vor seinen Strafen hast.
Sirius schüttelte wütend den Kopf. Natürlich hatte er keine Angst! Der Zaubereiminister hätte ihm ohnehin nicht geglaubt und James konnte die Namen genauso gut nennen wie er. Und zwar ohne dass ihm dafür der Cruciatus droht. Vorausgesetzt sie fragten ihn danach.
Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis James wieder herauskam, und es schien noch einmal länger zu dauern, bis die Tür sich öffnete und die Mitglieder des Zaubergamots hinausströmten. Sirius fragte sich, ob Dumbledore das unter einer „kurzen" Angelegenheit verstand – aber wer wusste schon, was einem kurz vorkam, wenn man fast 100 Jahre alt war.
Zu ihrer Überraschung kam der Schulleiter zusammen mit Mundungus Fletcher heraus, der um einiges besser aussah als vorhin auf dem Kettenstuhl.
„Schuld euch und Dumbledore 'n Gefallen, Jungs. Ohne eure Aussage wär ich jetzt schon auf'm Weg nach Askaban."
„Sie haben dich frei gesprochen?", wollte James ungläubig wissen.
„Fast. 50 Galleonen Geldstrafe ham sie mir aufgebrummt, aber jetz, wo ich mich nich mehr verstecken muss, gehen die Geschäfte auch wieder besser..."
„Sagen wir, das Zaubergamot fand meine Vision der Geschehnisse am Ende überzeugender", erklärte Dumbledore mit einem Lächeln. „Und das verdanken wir zu keinem unbeträchtlichen Teil Ihren Zeugenaussagen."
Sirius und James warfen sich einen irritierten Blick zu. Sie hatten nicht den Eindruck gehabt, ihre Zeugenaussagen hätten besonders viel Eindruck hinterlassen.
„Nun, entschuldigen Sie uns, Mr. Potter, Mr. Black", sagte Dumbledore, „Mundungus und ich haben noch etwas zu bereden. Ah und Mr. Black, ich glaube, Ihr Vater ist noch in ein Gespräch verwickelt. Vermutlich dauert es noch etwas."
Er zwinkerte ihnen zu und schritt mit Fletcher den Gang hinunter.
„Super", meinte James und begann, Sirius von der Tür wegzuziehen, „dann lass uns Dad im Büro besuchen."
Die Abteilung für magische Strafverfolgung lag im zweiten Stock. Memos zischten hin und her, Zauberer und Hexen hasteten eilig über die Flure und aus den Großraumbüros drangen hitzige Diskussionen.
„Hier rein", sagte James und deutete auf eine offen stehende Tür, über der ein schiefes Schild mit der Aufschrift „Aurorenzentrale" hing. Drei junge Auroren unterhielten sich gerade über die Trennwände ihrer Zellen hinweg. Sie waren so in ihre Unterhaltung vertieft, dass sie Sirius und James gar nicht bemerkten. James packte Sirius am Arm und zog ihn hinter einen Aktenschrank.
„Das ist ja Garth", flüsterte Sirius. Der Auror hatte in ihrem ersten Jahr in Hogwarts Verteidigung gegen die dunklen Künste unterrichtet. James legte den Finger auf die Lippen.
„Es ist nicht unsere Aufgabe, jeden Befehl zu hinterfragen", sagte einer der jungen Auroren gerade. Er hatte kurze dunkle Bürstenhaare und schmale Lippen.
„Wir fangen sie ein. Den Rest entscheidet der Zaubergamot-Verwaltungsdienst. Wenn sie unschuldig sind, kommen sie wieder frei."
„Da hat er nicht unrecht", warf ein anderer mit blonder Haarmähne und stechenden blauen Augen ein. „Das Ministerium muss handeln. Sonst meldet sich wieder Malfoy zu Wort und behauptet, wir könnten die magische Gesellschaft nicht beschützen." Er schnaubte. „Als wenn nicht jeder wüsste, dass er zu diesen maskierten Irren mit den schwarzen Umhängen gehört."
„Dafür gibt es keine Beweise", warf der Auror mit den Bürstenhaaren ein, wurde jedoch sofort von Garth unterbrochen.
„Jedenfalls ist es nicht richtig, wenn Unschuldige dafür bezahlen müssen, dass das Zaubereiministerium den Anschein von Handeln erwecken kann."
„Reden die von Fletcher?", fragte Sirius leise. James zuckte mit den Schultern.
„Es geht nicht darum, den Anschein zu erwecken!", widersprach der Auror mit den Bürstenhaaren, jetzt eindeutig gereizt. „Es ist die einzige Möglichkeit die Schuldigen zu finden!"
Er gestikulierte, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Dabei streifte er mit dem Zipfel seines Umhangs seinen Zauberstab, der auf dem Schreibtisch lag. Unbemerkt von den Streitenden rollte der Stab vom Tisch und landete auf dem Boden. Sirius konnte nicht widerstehen.
„Accio Zauberstab", flüsterte er. Er hatte den Zauberstab gerade eingesteckt, als ihn eine Hand im Nacken packte.
„He!", hörte er James neben sich protestieren, da wurden sie schon hinter dem Aktenschrank hervorgezerrt.
„So, Jungs", knurrte eine barsche Stimme hinter ihnen, „und jetzt dreht euch langsam um. Und Finger weg von euren Zauberstäben!"
Sirius zog hastig seine Hand zurück und schaute auf. Vor ihnen stand ein großer breitschultriger Mann, dessen gewaltige schwarzgraue Haarmähne zu einem dicken Zopf zusammengebunden war. Sein Augen waren klein und dunkel, sein Mund eine klaffende Narbe, die sich quer über das Gesicht zog. Er hatte seinen Zauberstab gezogen und hielt ihn auf Sirius und James gerichtet. Sirius, der normalerweise nicht so leicht zu beeindrucken war, hatte augenblicklich Respekt vor ihm.
„Hallo, Mr. Moody", sagte James und grinste über das ganze Gesicht.
„James, Sirius!", rief Garth überrascht.
„James Potter." Aus Moodys Mund klang der Name wie ein Fluch. James grinste noch breiter.
„Und wer ist das?"
„Ich bin Sirius."
Moody musterte ihn argwöhnisch.
„Ein Black?", grollte er dann. Aber bevor er noch etwas anderes sagen oder unternehmen konnte, kam Mr. Potter herein.
„Sirius ist ein Freund von James", erklärte er. „Er war bei dem Zwischenfall in der Nokturngasse dabei."
„Aha."
Sirius könnte förmlich spüren, wie er einer erneuten Musterung unterzogen wurde.
„Und was was hattet ihr hinter dem Aktenschrank zu suchen?"
Das überlegene Grinsen verschwand aus James' Gesicht und wich leichter Besorgnis.
„Wir wollten Dad besuchen..."
„Hast du deinem Sohn nicht beigebracht, dass man keine fremden Gespräche belauscht?", wandte sich Moody an Mr. Potter. Dieser warf seinem Sohn einen ärgerlichen Blick zu. James verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
„Du erzählst mir ja sonst nichts!"
„Und ihr", knurrte Moody an die drei jungen Auroren gewandet, „ihr lasst euch von zwei halbwüchsigen Bengeln belauschen? Habe ich euch denn nichts beigebracht? IMMER WACHSAM!"
Sirius und James fuhren zusammen.
„Was wäre gewesen, wenn das nicht zwei Kindern, sondern Spione von Voldemort gewesen wären? Hm?"
„In Ordnung, Alastor, ich glaube, sie haben ihre Lektion gelernt", meinte Mr. Potter beschwichtigend. „Zurück an die Arbeit", setzte er an die jungen Auroren gewandt hinzu. Diese folgten dem Befehl nur zu gerne.
„Wie du meinst", knurrte Moody. „Aber du bist zu nachsichtig mit ihnen. Draußen hat man nur eine Chance. DAWLISH, WAS STEHEN SIE HIER NOCH RUM?"
Eine leichte Röte breitete sich auf dem Gesicht des Auroren mit dem Bürstenhaarschnitt aus.
„Ich suche meinen Zauberstab."
„WAS?!"
Moody sah aus, als könnte er jeden Augenblick explodieren. Sirius grinste breit und zog den geklauten Zauberstab hervor.
„Meinen Sie etwa den?"
Eine Ader auf Dawlishs Stirn fing an zu pochen. Mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er ihn am liebsten zusammengeschlagen, riss er Sirius den Zauberstab aus der Hand.
„MITKOMMEN!", raunzte Moody und marschierte zur Tür hinaus. Dawlish folgte ihm und warf Sirius im Vorbeigehen einen mörderischen Blick zu. James konnte sich vor Lachen kaum auf den Beinen halten. Mr. Potter warf seinen Sohn einen missbilligenden Blick zu.
„Das ist nicht komisch, James. Ihr habt Dawlish in eine unangenehme Lage gebracht."
Natürlich hatten die Worte keinerlei Wirkung auf James. Mr. Potter seufzte.
„Also gut. Wir gehen in mein Büro..."
„Ah, Mr. Potter, gut, dass ich Sie treffe", wurde er von einer kühlen Stimme unterbrochen, „ich dachte mir schon, dass mein Sohn bei Ihnen ist."
Sirius fuhr herum. In der Tür zur Aurorenzentrale stand Orion Black. Sirius fühlte, wie sich seine Muskeln anspannten. In der Zentrale war es totenstill geworden. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, dass Garth aufgesprungen war und jetzt die Hand auf seinen Zauberstab legte. Fieberhaft überlegte Sirius, ob sein Vater wohl sehr wütend darüber war, ihn hier zu finden, aber wie üblich war Orion Blacks Gesicht eine unleserliche Maske.
Dann spürte er plötzlich Mr. Potters Hand beruhigend auf seiner Schulter. James trat an seine Seite und starrte Orion Black finster an.
„Man hat mir mitgeteilt, dass Sie noch beschäftigt sind, daher habe ich Sirius und James angeboten, in die Aurorenzentrale zu kommen", erklärte Mr. Potter. „Sie wissen doch, wie schnell Jungen sich in dem Alter langweilen."
Orion Black warf seinem Sohn einen undefinierbaren Blick zu.
„Allerdings. Wir gehen, Sirius."
„Denk daran, dass du jederzeit bei uns willkommen bist, Sirius", sagte Mr. Potter leise, als Sirius ihm die Hand reichte.
„Meld dich über den Spiegel, Kumpel", sagte James. Sirius nickte und winkte auch seinem alten Verteidigungslehrer noch einmal zum Abschied zu, bevor er Orion Black nach draußen folgte.
Sie gingen direkt in Orion Blacks Arbeitszimmer. Sirius spürte, wie er immer nervöser wurde. Er hatte das sichere Gefühl, das irgendetwas nicht stimmte, aber er konnte nicht genau sagen, was es war.
„Deine Aussage heute war höchst interessant, Sirius", sagte Orion Black schließlich. Hat er mit Bellatrix oder Malfoy gesprochen?
„Tatsächlich, Vater? Für dich wird es wohl kaum etwas Neues gewesen sein. Dumbledore sagte mir, er habe dir und Mutter einen Brief geschrieben, der alles erklärt."
„Den Brief haben wir bekommen. Ich frage mich nur, wann du vorhattest, uns die ganze Geschichte zu erzählen."
Sirius setzte seinen unschuldigsten Gesichtsausdruck auf.
„Die ganze Geschichte, Vater?"
Orion Black schlug plötzlich mit der Hand auf den Tisch. Sirius konnte nicht verhindern, dass er zusammenzuckte.
„Ich lasse mich von dir nicht zum Narren halten, Sirius!"
Sirius biss die Zähne zusammen, um sich seine Furcht nicht anmerken zu lassen.
„Mir war nicht bewusst, dass ich dich zum Narren halte, Vater."
Orion Black betrachtete seinen Sohn eine Sekunde lang fast nachdenklich, dann schlug er zu. Sirius taumelte und wäre beinahe gestürzt. In seinem linken Ohr hörte er einen schrillen Pfeiffton.
„Ich habe dich vor der Verhandlung gefragt, ob du mir etwas mitzuteilen hättest, Sirius", rief ihm Orion Black mit kalter Stimme ins Gedächtnis zurück. „Diesmal will ich auf meine Fragen wahrheitsgemäße Antworten hören. Wie kommt mein Sohn in die Gesellschaft eines gemeinen Diebes? Und wie kommt es, dass ich in einer Gerichtsverhandlung davon erfahre, dass mein Sohn sich offensichtlich in die Geschäfte des dunklen Lords eingemischt hat?"
Sirius' Mund war plötzlich ganz trocken und ihm selbst eiskalt.
„Heißt das etwa, du stehst auf seiner Seite, Vater?"
„Ich stehe auf der Seite der Reinblüter."
„Das ist keine Antwort auf meine Frage."
Orion Black erhob sich. Plötzlich hielt er seinen Zauberstab in der Hand. Obwohl Sirius gewachsen war, überragte ihn sein Vater noch um ein gutes Stück. Der Erbe der Blacks fühlte, wie er erstarrte.
„Es ist die einzige, die du bekommen wirst, Sirius. Und jetzt beantworte meine Frage."
Sirius presste die Lippen zusammen.
„Nein."
Es war zu gefährlich. Es stand zu viel auf dem Spiel und zu viele Leute waren involviert. Die Potters würden James schützen können, aber was war mit Peter? Die Pettigrews waren zwar reinblütig, aber weder reich noch mächtig. Und Remus war ein Halbblut und ein Werwolf. Sirius hätte sich eher die Zunge abgebissen, als einen seiner Freunde in Gefahr zu bringen.
„Du stellst eine Bande von Schlammblütern und Blutsverrätern über deine Familie?", fragte Orion Black nach. Sirius' Mund war staubtrocken und er merkte, dass er schneller atmete als gewöhnlich.
„Wer sagt, dass meine Freunde etwas damit zu tun haben?"
Orion Blacks Stimme klang so kalt, dass er die Themse hätte gefrieren lassen können.
„Dein Freund, Potter, hat mit dir vor dem Zaubergamot ausgesagt."
Oh. Stimmt.
„Also?"
Eine unsichtbare Hand packte Sirius am Kinn und zwang ihn, Orion ins Gesicht zu sehen.
„Ich erzähle niemandem etwas, der mit Voldemort zusammenarbeitet!"
Sirius wurde gegen die Wand geschleudert. Sterne explodierten vor seinen Augen und der Aufprall trieb ihm die Luft aus den Lungen. Hustend und mit einem stechenden Schmerz im Hinterkopf versuchte er, wieder auf die Beine zu kommen. Orion Black packte ihn an der Kehle und zog ihn hoch.
„Bist du dir im Klaren darüber, was du da gerade gesagt hast, Sirius?"
Sirius antwortete nicht gleich. Die Stimme seines Vaters klang irgendwie dumpf in seinen Ohren und schien von weit weg zu kommen. Plötzlich schüttelte ihn jemand.
„Ist dir klar, was das bedeutet?"
Sirius' Kopf dröhnte, aber die Benommenheit war gegangen. Orion Black hielt ihn immer noch an der Kehle gepackt, sein Gesicht war nur Zentimeter von Sirius' entfernt. Eine Ader pochte auf seiner Stirn und Sirius begrifft, dass er gerade eine Grenze überschritten hatte, von der er bis eben noch nicht einmal gewusst hatte, dass sie existierte. Zum ersten Mal erlebte er, dass sein Vater die Beherrschung verlor.
Er wird mich umbringen. Der Gedanke sprang plötzlich in seinen Kopf und Sirius wusste, dass es stimmte. Und es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Er lächelte.
„Ja, Vater. Das ist mir klar."
Orion Black schleuderte seinen Sohn von sich und richtete den Zauberstab auf ihn.
„Crucio."
Ferien im Grimmauldplatz waren noch nie besonders angenehm gewesen, aber diese, entschied Sirius, waren die schlimmsten Sommerferien, die er je erlebt hatte. Die Stimmung im Haus war so aufgeladen, dass es ein Wunder war, dass noch keine Funken flogen. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten wurde nur das absolut Nötigste gesprochen. Walburga Black explodierte bei jeder Kleinigkeit und sie und Sirius gerieten täglich aneinander. Regulus ignorierte Sirius und schloss demonstrativ die Tür hinter sich, wenn sich sein älterer Bruder wieder mit Walburga stritt.
Orion Black hatte die letzte Auseinandersetzung mit Sirius mit keinem Wort mehr erwähnt. Sirius hatte für seine Regelverstöße gebüßt und damit war die Angelegenheit für ihn erledigt. Aber Sirius fiel eine gewisse Kälte auf, die jetzt in Orion Blacks Blick lag, wenn er ihn ansah, die früher nicht da gewesen war. Sirius konnte es noch nicht einmal vor sich selbst zugeben, aber es tat weh. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, schienen auch noch seine Freunde sauer auf ihn zu sein.
Sirius hatte sich seit Fletchers Verhandlung nicht mehr über den Zweiwegespiegel bei James gemeldet. Es war einfach nicht gegangen. Zu deutlich hatte man die Spuren der Auseinandersetzungen mit Orion und Walburga Black in seinem Gesicht gesehen. Er hatte James, Remus und Peter ein paar nichtssagende Briefe geschrieben, aber keine Antworten zurückbekommen. Inzwischen hatte er es aufgegeben, ihnen zu schreiben, und erwartete auch gar keine Post mehr. Sollte doch James mit seinem Vater in Godric's Hollow im Garten Quidditch spielen und sollte doch Peter die tolle Aussicht bei seinen Verwandten in den Bergen genießen und sollte doch Remus seine Ferien mit seinen geliebten Büchern verbringen. Sie hätten ihm ohnehin nicht helfen können und so hatten wenigstens drei von ihnen schöne Ferien im Gegensatz zu Sirius, der sich sicher war, dass es schlimmer wohl kaum noch kommen konnte.
Das dachte er zumindest, bis er herausfand, warum er keine Briefe von seinen Freunden bekam: Walburga Black verbrannte sie nämlich gerade im Kamin, als Sirius in den Salon kam. Die meisten warf sie ungelesen ins Feuer, aber zwischendurch zog sie immer wieder einen heraus, las ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und warf ihn anschließend mit angeekeltem Gesichtsausdruck in die Flammen. Sirius starrte sie ein paar Augenblicke ungläubig an. Dann merkte er, wie eine unglaubliche Wut in ihm aufstieg. Fast berstend vor Zorn zog er seinen Zauberstab und stürzte sich auf die verbliebenen Briefe.
Es folgte die heftigste Auseinandersetzung, seit Sirius den Grimmauldplatz diesen Sommer betreten hatte. Diesmal flogen nicht nur Flüche, sondern auch Gegenstände durch die Luft und mehrere Familienerbstücke gingen in die Brüche. Kreacher verbrannte die restlichen Briefe vor Sirius' Augen und Walburga Black schickte ihn mit frischen Blessuren in sein Zimmer. Nur dass Sirius nicht in sein Zimmer ging, diesmal nicht. Rasend vor Zorn stürzte er nach draußen.
Erst rannte er, um so viel Wegstrecke wie möglich zwischen sich und den Grimmauldplatz zu bringen, dann rannte er, weil es sich so gut anfühlte, so frei. Der Grimmauldplatz lag hinter ihm, er war in Muggle-London, wo ihn niemand kannte, wo niemand wusste, dass er der rebellische Erbe der ältesten, mächtigsten und reinblütigsten Zaubererfamilie Großbritanniens war, und wo er tun und lassen konnte, was er wollte.
Irgendwann wurde er langsamer und allmählich setzte die Erkenntnis ein: Er war alleine in Muggle-London, er hatte keinen blassen Schimmer, wo er gerade war (außer dass es irgendein Park war) und wohin er sollte, er hatte keine Galleonen, geschweige denn Muggle-Geld; er hatte nichts außer seinem Zauberstab, den er nicht benutzen dürfte, und dem was, er auf dem Leib trug. Und alle starrten ihn an.
Das letzte Problem ließ sich am leichtesten lösen. Sirius riss sich seinen Umhang von den Schultern und warf ihn in das nächste Gebüsch. Unter dem Umhang trug er Hemd und Hose. Altmodisch, sagte James dazu, traditionell, urteilte Remus. Sirius war egal, so lange er bloß nicht angestarrt wurde.
Der Gedanke an seine Freunde erinnerte ihn an die verbrannten Briefe und Sirius ballte vor Wut die Fäuste. Wie hatte er nur so ein Idiot sein können? Wie hatte er nur glauben können, dass seine Freunde, mit denen er durch einen unbrechbaren Schwur verbunden war und mit denen er gegen Todesser gekämpft hatte, wie hatte er nur glauben können, dass ihn diese Freunde im Stich lassen könnten? Jetzt, wo er die Wahrheit kannte, erschien der Gedanke geradezu lächerlich.
Ärgerlich lief Sirius weiter. Irgendwann lag der Park hinter ihm. Er lief eine breite, dicht befahrene Straße entlang und bog irgendwann wahllos in eine der kleineren Nebenstraßen ab. Trotzdem herrschte hier immer noch mehr Verkehr als im Wohngebiet rund um den Grimmauldplatz. Die Häuser waren hier nicht so groß und sahen nicht so herrschaftlich aus. Dafür gab es viele Geschäfte, Supermärkte und Lokale. Neugierig schaute sich sich Sirius ein paar Schaufenster an, aber er konnte mit den ausgestellten Waren nicht besonders viel anfangen. Was sollte denn bitte ein „Staubsauger AEG Vampyrette 202 made in West Germany" sein? Außerdem schienen sich nur Frauen für das seltsame Gerät zu interessieren. Hastig wandte sich Sirius ab und wollte gerade weitergehen, als sein Blick von etwas anderem gefangen genommen wurde und er nicht anders konnte, als stehen zu bleiben und es mit offenem Mund anzustarren. Später wusste Sirius, dass es nur eine alte Norton Manx mit einem Zylinder und 50 PS war, aber als er das Gefährt in diesem Moment erblickte, schien es das Schönste und Aufregendste zugleich auf der ganzen Welt zu sein.
„He, Kleiner! Was glotzt'n du so?"
Sirius brauchte eine Sekunde, bis er begriff, dass er gemeint war. Und das gefiel ihm gar nicht. Mühsam riss er seinen Blick von dem Muggle-Gefährt los und lenkte ihn auf den stolzen Besitzer, den er bis eben einfach komplett ausgeblendet hatte. Er war größer und älter als Sirius, seine Augen wurden von einer Sonnenbrille verdeckt, er hatte schwarze Haare und trug trotz der Sommerhitze eine Lederjacke und schwere Stiefel. In seinem Mundwinkel hing eine Zigarette. Er war cool.
Aber da er Sirius eben als klein bezeichnet hatte, brauchte er das nicht zu wissen. Der Erbe der Blacks setzte seinen arrogantesten Gesichtsausdruck auf und kam ein paar Schritte näher.
„Gehört das dir?"
„Natürlich gehört die mir. Das ist mein Baby. Haste noch nie ein Motorrad gesehen, Kleiner?"
Ein paar Jugendliche, die sich um das Motorrad gruppiert hatten, lachten.
„Natürlich habe ich schon ein Motorrad gesehen." Sirius' Gesichtsausdruck wurde, wenn irgend möglich, noch arroganter. „Ich hätte bloß nicht gedacht, dass ein Waschlappen wie du eins fahren darf."
Das Lachen erstarb. Zwei Jugendliche sprangen auf, einer hielt ein Klappmesser in der Hand, der andere eine abgebrochene Flasche. Zwei Mädchen, die bis eben noch hinter einer Zeitung gekichert hatten, ließen ihre Zeitschrift sinken und sahen interessiert auf.
„Sag das noch einmal, du feiner Pinkel!"
„Für Schwachköpfe wie euch wiederhole ich es gerne noch einmal: Ich hätte nicht gedacht..."
Der Motorradbesitzer brach in schallendes Gelächter aus. Er schien so etwas wie der Anführer hier zu sein, denn die zwei Jungen ließen ihre Waffen sinken und drehten sich verwirrt zu ihm um.
„Hast du nicht gehört, was er gesagt hat, Teddy?", knurrte der mit dem Messer. „Er hat dich einen Waschlappen genannt."
Teddy lachte nur noch lauter.
„Der Kleine hat Schneid! Sag mal, Kleiner", wandte er sich an Sirius, nachdem er sich wieder einigermaßen gefangen hatte, „wie alt bist'n du eigentlich?"
Sirius überlegte einen Augenblick.
„17."
Wieder rief seine Antwort allgemeine Heiterkeit hervor.
„16 hätte ich dir vielleicht gerade noch abgenommen, Kleiner."
Eines der Mädchen kam näher. Sie hatte ihre Jeans so kurz abgeschnitten wie es Sirius noch bei keinem Mädchen in Hogwarts gesehen hatte. Er musste sich zusammenreißen, um ihr ins Gesicht zu sehen und nicht die ganze Zeit auf ihre schlanken, langen Beine zu starren. Zu allem Unglück war sie auch noch größer als er.
„Vielleicht ist er ja doch schon älter, Teddy", schnurrte sie und berührte mit den Fingerspitzen die Kratzspuren, die Walburga Blacks lange Fingernägel auf Sirius' Wangen hinterlassen hatten. „Hast du dich mit deiner Freundin gestritten, Kleiner?"
Das andere Mädchen lachte.
„Schau mal, er wird rot, Shelly. Ist er nicht süß?"
Daraufhin spürte Sirius, wie ihm das Blut erst recht in den Kopf schoss. Irgendetwas stimmte hier nicht, sonst ließ er sich doch nie so leicht aus dem Konzept bringen. So fühlt sich Peter also die ganze Zeit...
„Lasst ihn in Ruhe", rettete ihn Teddy. „Willste ein Bier, Kleiner?"
Sirius wollte und ergriff freudig die Gelegenheit, aus der Gesellschaft der beiden verwirrenden Mädchen zu kommen. Nachdem er sich an den bitteren Geschmack gewöhnt hatte, schmeckte es ihm sogar. Aber noch besser gefiel ihm, dass Teddy ihm bereitwillig jede Frage über sein Motorrad beantwortete.
Als es dämmerte, begann sich die Gruppe zu zerstreuen. Einer nach dem anderen brach auf und am Ende blieben nur noch Teddy und Sirius übrig. Ersterer stand schließlich auch auf.
„Ich muss los, Kleiner. Soll ich dich irgendwo absetzen?"
Was Sirius nicht einmal zu hoffen gewagt hatte, wurde wahr: Er würde mit dem Motorrad fahren dürfen. Aber wo sollte er hin? Er hatte nicht die geringste Lust, in den Grimmauldplatz zurückzukehren. Dann kam ihm plötzlich eine Idee.
„Charing Cross Road."
Es war noch besser, als er es sich vorgestellt hatte. Der Fahrtwind blies ihm ins Gesicht, die Nacht flog an ihnen vorbei und die Maschine vibrierte unter ihren Beinen. In den Kurven stürzten sie der Straße entgegen, um sich dann auf gerader Strecke wieder anmutig aufzurichten. Sie schlängelten sich an im Stau stehenden Autos vorbei und fuhren über eine rote Ampel. Und dann waren sie da.
„Endstation, Kleiner!", verkündete Teddy und Sirius stieg ab. „Wart noch 'n Augenblick", setzte er hinzu, als Sirius Anstalten machte, sich zu verabschieden. Er griff unter seinen Sitz und zog ein dickes Magazin hervor. Auf dem Titelblatt war ein riesiges rotes Motorrad abgebildet.
„Kannste haben, Kleiner. Ich brauch das nicht mehr."
Bevor Sirius fragen konnte, warum Teddy das Heft nicht mehr brauchte, hatte dieser sich schon wieder auf sein Motorrad geschwungen.
„Cheerio, Kleiner!"
Und weg war. Sirius sah dem Motorrad einen Moment sehnsüchtig hinterher, dann wandte er sich ab und ging die Straße hinunter, wo sich der Tropfende Kessel unbemerkt von Mugglen zwischen einem Buch- und einem Plattenladen befand. Unwillkürlich musste er grinsen. Das hier war mit Abstand der beste Tag der ganzen Sommerferien gewesen. Und über den Kamin im Tropfenden Kessel konnte er zu den Potters nach Godric's Hollow reisen. Sie würden bestimmt nichts dagegen haben, wenn er die restlichen Ferien bei ihnen verbringen würde. Immerhin hatte ihm Mr. Potter vor ein paar Wochen erst gesagt, dass er jederzeit bei ihnen willkommen wäre.
Sirius stieß die Tür zum Tropfenden Kessel auf und das Grinsen erstarb auf seinen Lippen: Vor ihm stand Orion Black.
