MÖP 1
Die Schulglocke klingelte und verkündete somit das Ende der ersten Stunde dieses sonnigen Freitagmorgens. Der Lehrer verlies den Klassenraum und Anzu beugte sich zu ihrem Freund Yugi herüber, der nur einen Platz weiter saß.
„Joey ist immer noch nicht da...", sagte sie beunruhigt zu ihrem stachelköpfigen Freund. „Der hat bestimmt nur wieder verschlafen...", erklärte Honda, der inzwischen dazu getreten war. „Meinst du wirklich? Ich meine...er ist nun echt der letzte, der es sich leisten könnte Unterricht zu verpassen...", wollte das Mädchen wissen. „Er ist halt n Morgenmuffel...", lächelte Yugi, „Du kennst ihn doch...". „Auf jeden Fall kommt er schon wieder zu spät.", schimpfte Anzu nun, durch die Worte ihrer Freunde erleichtert. „Das gibt sicher Ärger!", gab Bakura seinen Beitrag zum Gespräch. „Ach was, nichts was unser Joey nicht überstehen könnte...", grinste Honda und knuffte seinen weißhaarigen Kumpanen.
Gelangweilt lauschte Seto Kaiba dem Gespräch des versammelten Kindergartens.
Na ja, war ja nicht das erste mal, dass Joey Wheeler nicht pünktlich zum Unterricht erschien, dachte er bei sich. Selbst wenn die Flohschleuder mal da war, wohnte er gedanklich scheinbar nie so ganz dem Unterricht bei, was im übrigen nicht nur Kaiba aufgefallen war, sondern auch so ziemlich sämtlichen Lehrern. Aber was sollte man auch anderes von diesem Köter erwarten...? Kaiba schnaubte verächtlich.
Die nächste Stunde hatte begonnen, die Lehrkraft wollte zur Begrüßung ansetzen und Kaiba seinerseits wollte sich gerade wieder seinem Notebook zu wenden, als Joey hastig in die Klasse hineingestolpert kam. „Ah, Mr. Wheeler, wieder mal zu spät?", hakte der Lehrer genervt nach. Von besagtem kam lediglich ein kurzes Nicken, denn er war zu sehr außer Atem, als dass er hätte ihm hätte antworten können. Mit einer Handbewegung in Richtung seines Platzes schickte Lehrer-chan Joey auf ebendiesen und wandte sich nun zu seiner heißgeliebten Tafel um.
Seto beobachtete, wie sich das Hündchen zu seinem Platz schleppte und bemerkte dabei den Bluterguss, der sich in blauen, roten und violetten Tönen auf Joeys Wangenknochen abzeichnete, aber halb von Joeys langen goldenen Haarstränen verdeckt wurde. Der Blondschopf tauschte ein Lächeln mit seinen Freunden aus und setzte sich dann auf seinen Platz, der übrigens weit vorne war, so dass die Lehrer ihn im Auge behalten konnten. Auch Seto hatte so gute Sicht auf den kleinen Kläffer und konnte ihn von seinem Tisch aus gut beobachten.
//Nicht, dass ich diese Flohschleuder jemals beobachten würde.//, fügte er allerdings gedanklich dazu und senkte seinen Blick wieder hinunter auf seinen Laptop.
Eine ermüdende Schulstunde später drehte sich Joey zu seinen Freunden um, um diese erst einmal richtig zu begrüßen. „Morgen, Alter! Na, wieder nich aus den Federn rausgekommen?", grinste Honda und knuffte den Blonden, der ebenfalls grinste und „Yo" antwortete. Anzu wuschelte ihm durch das Haar: „Tja, so ist unser Joey eben..." Yugi für seinen Teil hatte inzwischen Joeys Wange bemerkt und blickte diese verstört an: „Was hast du denn da gemacht...?" „Eh...also da...ehm da bin ich unglücklich gestürzt. Ihr wisst schon, bin halt gestolpert. Is nur halb so wild, Leute.", antwortete er auf die besorgten Blicke der anderen, deren Gesichter sich prompt wieder aufhellten. „Du bist echt'n Tollpatsch, Joey!", scherzte Honda und schlug Joey leicht auf den Rücken. Niemand bemerkte wie Joey kurz zusammenzuckte als hätte er Schmerzen...
Niemand außer Kaiba, doch was kümmerte es ihn schon ob
Wheeler es wieder mal geschafft hatte sich beinahe alle Knochen dank
seiner Unfähigkeit zu brechen? Er würde einen Teufel tun
sich um diesen Idioten zu sorgen. Er? Niemals. Schließlich war
er Seto Kaiba...Ein selbstbewusster, gutaussehender und verdammt
reicher, junger Mann... ,der gerade jetzt am liebsten seinen Kopf
immer und immer wieder auf die Tischplatte vor ihm geschlagen hätte.
Natürlich tat er das nicht. Ein Kaiba zerlegte keine Schultische
mit Hilfe seiner Schädelknochen...
Er wusste genau das
Wheeler ihm egal ein sollte und dennoch machte er ihn verrückt.
Noch konnte er es jedoch leugnen, also nahm er sich zusammen und
folgte dem Unterricht.
5 Schulstunden und einiges an Beherrschung später erhob sich Seto Kaiba und packte seine Unterlagen zusammen, um endlich das Schulgebäude verlassen zu können. Er seufzte ungesehen. Dass er überhaupt noch zur Schule ging war eine reine Formalität. Seine Zukunft war schließlich schon gesichert, aber einen Schulabschluss sollte er wohl trotzdem machen...Aus den Augenwinkeln nahm Kaiba wahr, dass Joey und seine Freunde ebenfalls dem Strom aus Schülern folgten und versuchten so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Wahrscheinlich um sich mit ihren Freunden irgendwo zu treffen oder so etwas...Kaiba hatte weder Zeit, noch Lust sich vorzustellen, was wohl der Kindergarten in seiner Freizeit trieb. Schließlich hatte er ein Imperium zu leiten!
Gerade wollte auch er sich aus dem Klassenraum begeben, da rief die Lehrerin, die er in der letzten Stunde gehabt hatte, ihn und - Oh Wunder - Joey Wheeler zurück. Erneut seufzte Kaiba, ging dann aber gewohnt elegant auf das Pult seiner Mathe- und Klassenlehrerin zu, um zu beobachten, dass Joey, wie ein verängstigter Hund, ebenfalls dazu geschlichen kam. Tja Joey hatte wohl auch Grund zu Angst, denn heute hatte er wieder mal in so gut wie allen Fächern, inklusive Mathe, die Hausaufgaben nicht dabei gehabt. „Ich wollte mit euch beiden über etwas reden...", begann die Frau vor ihnen. „Es handelt sich um deine Leistungen Joey. Du lässt einfach immer mehr nach. Du kommst ständig zu spät, wenn du überhaupt kommst. Nie ist dein Fehlen entschuldigt. Deine Noten sind im Keller und wann hast du zum letztem Mal deine Hausaufgaben gemacht? Du weißt, dass es nicht so weiter gehen kann oder?", fragte die Lehrerin behutsam aber mahnend. „...ja...", kam die Antwort eines eingeschüchterten Hundes. Seto wunderte sich ein bisschen, dass Joey das ganze einfach so hinnahm. Eigentlich hatte er erwartet, dass der Jüngere dümmlich grinsen würde und dazu irgendeine Ausrede parat hatte. Aber nein.
Neben ihm stand ein ernst und ein wenig traurig blickendes Hündchen, das seinen Blick auf den Boden richtete. //Wen stört's...//, dachte Seto und wand sein Wort an seine Lehrerin: „Darf ich fragen, was das Ganze mit mir zu tun hat?" //Das hier verschwendet nur meine Zeit.//... „Folgendes...für Joey steht die Versetzung auf dem Spiel und ich würde es begrüßen, wenn Sie als Klassenbester Joey Nachhilfe geben könnten. Um wenigstens seine Mathenote halbwegs zu retten..." Kaiba prustete.
Er? Wheeler Nachhilfe geben? Nicht einmal im Traum dachte er daran. „Das ist doch lächerlich!", erklärte er. „Ja! Das is überhaupt nich nötig! Wirklich! Ich streng mich bei den nächsten Examen einfach mehr an...und...", begann Joey drauflos zu faseln. Seto wollte ihm einen belustigten Blick zu werfen und eine bissige Bemerkung loswerden, doch er registrierte, dass das, was in Joeys Augen lag, irgendwie stark nach Angst aussah.
Nicht die Sorte mit der er sonst aufkam, wenn es zum Beispiel um Ärger oder Nachsitzen ging. Diese Art von Angst, die sich dort in Joeys Blick wiederspiegelte war für Seto nicht greifbar. Joey wirkte irgendwie verstört.
//Bin ich denn so schwer zu ertragen, dass er sich so davor fürchtet mit mir allein zu sein? Doch nicht wirklich, oder?//, ging es Seto durch den Kopf.
„Ich denke...Ich werde es doch versuchen...", sagte Seto und setzte dabei sein übliches bösartiges Grinsen auf. Joeys blonder Kopf drehte sich mit großen Augen Richtung Seto, der das Entsetzen darin nur zu gerne sah. „Wunderbar! Dann vereinbaren sie beide mal schön ein paar Termine. Ich wünsche frohes Schaffen!", mit diesen Worten verschloss die Lehrerin ihre Tasche. Es machte klick und ehe sie sich versahen war sie auch schon raus aus dem Klassenraum. Kaiba begab sich ebenfalls Richtung Türe und, wie erwartet, lief Joey ihm laut fluchend hinterher. Wenigstens das war wie immer.
„...Weißt du es hat nicht jeder so viel freie Zeit wie du, du Großkotz! Warum kannst du dir nicht einfach irgendwen anders suchen, den du schikanieren kannst!? Damit du's weißt, das mit der Nachhilfe vergisst du ganz schnell wieder, du reiches..." und so weiter...Joey zeterte so lange bis Kaiba seine Limousine erreicht hatte und nun eine der hinteren Türen öffnete um hinein zu steigen. Joey stand völlig außer Atem da und starrte die Fensterscheibe an, die Kaiba hinunter lies. „Morgen. Bei mir zu Hause. Wir sehn uns, Köter.", grinste er und fuhr von dannen.
„Verdammt!", fluchte Joey laut und stapfte seinerseits zu Fuß nach Hause.
Er achtete nicht darauf, wie die Straßenviertel, die er durchstreifte, immer heruntergekommener und düsterer wurden, war dies doch der Weg den er fast täglich einschlug. Angekommen vor einem tristen und verlassenen, grauen Wohnblock, bei dem die Fassade bereits zu bröckeln begonnen hatte, kramte er in der Tasche seiner Jacke nach einem Schlüssel. Er öffnete die schwere Türe, bei der das untere Sichtfenster eingeschlagen war, und stieg die wenigen Stufen hoch, die ihn zu seinem Apartment führten. Schon als er die Wohnung betrat, stieg ihm der Geruch von Alkohol entgegen. „Ich bin wieder zu Hause...", verkündete er kleinlaut und lies die Türe ins Schloss fallen.
Der nächste Tag begann für Seto wie jeder andere auch. Punkt fünf klingelte sein Wecker. Sich sehr wohl bewusst, dass es Samstag war stand er auf und suchte sich seinen Weg ins Badezimmer, das an sein großes und lichtdurchflutetes Zimmer anschloss. Er schlug sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht und blickte dann, die Hände auf das Waschbecken vor ihm gestützt in den Spiegel. Ihm entgegen blickten zwei kalte, blaue Augen. Er wand den Blick ab und zog sich an, um die langen leeren Gänge seines Hauses entlang zu gehen, auf dem Weg in sein Arbeitszimmer. Dabei kam er an der Türe vorbei, hinter der Mokuba immer noch schlummerte. Leicht musste er lächeln bei dem Gedanken an Mokuba, der wahrscheinlich gerade sein Kissen umarmte und im Schlaf vor sich hinmurmelte.
Er ging weiter und erreichte schließlich den gesuchten Raum. Dort öffnete er die großen cremefarbenen Vorhänge, die die hohen Fenster verdeckten und somit das Zimmer, das nun in Sonnenlicht getaucht wurde, in Dunkelheit gelassen hatten. Seto begab sich zu seinem Schreibtisch und schaltete den PC ein, um wenigstens noch ein bisschen vor dem Frühstück zu arbeiten. Was sollte er auch anderes tun?
Seto Kaiba hatte nicht wirklich irgendein Hobby...mal abgesehen von Duel Monsters und seiner Leidenschaft fürs lesen. Na ja und außerdem schätzte er diese kleinen Streitgespräche, die er hin und wieder mit Wheeler führte, weil er dabei zum einen Stress abbauen konnte und zum anderen fühlte er sich, wenn er sich mit dem Hund stritt, als könne er auf eine seltsame Art und Weise er selbst sein. Die Diskussionen mit dem hitzköpfigen Blonden machten ihm Spaß. Es war einfach zu köstlich, wie leicht der Köter in Rage zubringen war. Er hatte seinen Spaß daran sich immer wieder neue Gemeinheiten einfallen zu lassen und zu sehen, wie der andere diesmal wohl reagieren würde. Irgendwie...aber nur irgendwie...mochte er Joey Wheeler vielleicht sogar ein bisschen. Auf eine seeeeeeeeeehr, sehr abstruse Art und Weise.
Nun...Nichts, was er jemals gegenüber Joey zugeben würde und auch nichts, was man – letztendlich- großartig als Hobby bezeichnen könnte. Seto konnte nicht gut mit Gefühlen umgehen. Es war sein Job keine zu zeigen, denn als Präsident der KC konnte er keine Schwäche zeigen und Gefühle und Schwäche waren für seine Begriffe so ziemlich das Selbe. Eben, WEIL er nicht mit Gefühlen umgehen konnte, sie nicht einschätzen oder bestimmen und keine bestimmte Ordnung in sie bringen konnte, waren sie eine Schwäche. Sie waren nicht fassbar und somit nicht kontrollierbar, was für Seto ganz klar und schon von klein auf hieß, dass er seine Gefühle immer zurückstellen musste. Das gelang ihm jedoch nicht immer. Bei Mokuba konnte er einfach nicht anders als sich liebevoll ihm Gegenüber zu verhalten. Sie hatten viel durchgemacht und auch, wenn es durch den Haufen an zu bewältigender Arbeit so schien, als würde er sich nicht um ihn kümmern, so war sein kleiner Bruder doch eines der wenigen Dinge auf der Welt, die er wirklich liebte und beschützen wollte. Mokuba bereitete ihm Freude, hellte sein Leben ein wenig auf...Ähnlich wie Joey es tat und doch ganz anders...
Jetzt, wo seine Gedanken abermals Wheeler thematisierten, fiel ihm ein, dass er den Hund für Heute zu sich herbestellt hatte. Was versprach er sich eigentlich davon? Jetzt war es wohl zu spät einen Rückzieher zu machen (außerdem machte ein Seto Kaiba nie Rückzieher!).
So verbrachte er einige Stunden grübelnd über verschiedenen Akten und Statistiken am Computer und entschloss sich dann irgendwann die Küche aufzusuchen um seinen morgendlichen Kaffee zu kochen. Zu seinem Erstaunen stürmte kurz nach ihm Mokuba zur Küchentür rein und sprang auf ihn zu. „Guten Morgen, Nii-sama! Hast du gut geschlafen?" „Morgen Mokuba...", antwortete Kaiba, schenkte seinem Bruder ein Lächeln und wuschelte ihm durchs lange, schwarze Haar. „Bist du schon wach? Es ist doch erst kurz nach neun?", wunderte er sich. Mokuba nickte nur und meinte er hätte einfach nicht wieder einschlafen können.
Beim gemeinsamen Frühstück, welches Kaiba selbst zubereitete, verkündete Mokuba, er wolle heute einen Freund besuchen und wisse noch nicht wann er wieder da sei. Gute zwei Stunden später begleitete Seto seinen kleinen Bruder noch in die große Einganghalle ihres Heims um sich von ihm zu verabschieden. Er öffnete die Türe und wollte einen Blick nach draußen werfen, doch seine Augen trafen sofort die Joeys, der unmittelbar vor ihm stand und scheinbar gerade klingeln wollte. „Äh...Hi.", sagte Wheeler zögernd und erntete dafür ein erstauntes „Köter!", in Kombination mit einer angehobenen Augenbraue. So früh hatte Seto ihn nicht erwartet. Joey seufzte: „Lass uns das einfach schnell hinter uns bringen, okay?" Seto winkte seinem Bruder, der das Geschehen gespannt verfolgt hatte und sich nun lachend auch von Joey verabschiedete, noch einmal nach und schlug dann einen der Gänge dieses Hauses, das viel mehr einem Labyrinth glich, ein. Joey folgte ihm missmutig. Gelangweilt tapste er Seto nach und betrachtete neugierig sein Umfeld. Er musste sich bemühen seinen Mund geschlossen zu halten, denn bei der Einrichtung wollte er gar nicht erst wissen, wie viele Millionen dafür draufgegangen waren. Allein bei dem Gedanken wurde ihm übel. Schließlich führte Seto ihn in einen gut beleuchteten Raum, in dem Couch, Sessel, ein kleiner Tisch und, im hinteren Eck des Raumes nahe der Fensterfront, eine Bar Platz gefunden hatten. „Setz dich und starr nicht so als hättest du noch nie ein Haus von innen gesehen, du Streuner.", gab der Brünette garstig von sich. „Ich starre nicht! Ich dachte nur gerade, dass dieser verdammte Raum etwa die Größe meines gesamten Apartments hat..", murmelte Joey ohne groß darüber nach zu denken. Kaiba grinste. „Ja... Das dachte ich mir." Joey stieg die Röte ins Gesicht und gerade wollte er etwas erwidern, da klingelte Setos Handy. „Kaiba?", seufzte ebendieser, als er das silberne Wunder der Technik zu seinem Ohr erhoben hatte. Er hob einen Finger Richtung Joey, was ihm wahrscheinlich sagen sollte, dass dieser sich kurz zu gedulden hatte. Joey seinerseits lies sich beleidigt auf die weiße Couch sinken, da Kaibas Gespräch offenbar wichtiger war als ihr Streit. Nach ein oder zwei Minuten, in denen der Blauäugige sein Handy angeschnauzt hatte, legte er schließlich auf und wand sich wieder Joey zu. „Könnten wir uns vielleicht ein wenig beeilen, Mr. Imperiumsleiter? Ich hab besseres zu tun weißt du?", maulte der Blonde, der nun schon die ganze Zeit nervös mit seinem, über das andere geschlagene, Bein wippte. „Oh, natürlich. Was könntest du wohl wichtiges verpassen? Mit deinen kleinen Freunden rumzuhängen scheint ja immens spannend zu sein, wenn du dafür deine Noten den Bach runter gehen lässt...", spottete Kaiba und bemerkte, dass Joeys Gesichtsfarbe zwar eine Spur mehr Rot dazu gewann, er aber lediglich mit einem Murmeln antwortete, dass es ihn nichts anginge, was er in seiner Freizeit triebe. Daher seufzte er und wand sich ihrer eigentlichen Beschäftigung zu: Mathe.
„Also wo liegt dein Problem", fragte der Multimillionär.
„Du bist mein Problem."
„Eigentlich bezog ich mich bei
meiner letzten Bemerkung auf deine Defizite im Bereich Mathematik..."
„Achso..."
Kaiba massierte sich die Schläfe.
„Also?"
„Naja...eh...ich bin eigentlich nirgendwo so richtig gut."
„Was du nicht sagst..."
„Hey!"
„Vielleicht fangen wir einfach gaaanz vorne an...", grübelte Kaiba und blätterte in Joeys mitgebrachten Matheunterlagen, die leider nicht all zu viel hergaben.
Joey gab sich geschlagen und erduldete es, dass Kaiba es sich nun zur Aufgabe gemacht hatte ihm wenigstens ein bisschen Mathe in den Kopf zu quetschen. Knapp 3 Stunden später sank Joey tiefer in die weichen Polster der Couch, auf der er Platz genommen hatte und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Erstaunlicherweise hatte er sogar das meiste, was Kaiba ihm versucht hatte näher zu bringen verstanden auch, wenn es immer noch hier und da mächtig haperte. Auch Kaiba musste fest stellen, dass Joey kein ganz so hoffnungsloser Fall war, was ihn schon ein wenig verwunderte. „Man, mein Kopf platzt gleich, Alter...", stöhnte Joey und fächelte sich mit der Hand Luft zu. Die Nase über das ‚Alter' rümpfend lehnte auch Seto sich zurück. „Man sollte meinen du hättest in dem riesen Schuppen so was wie ne Klimaanlage, weißt du?", maulte Joey und zupfte an seinem Sweatshirt herum. Der Jeansjacke, die er getragen hatte, hatte er sich entledigt und auch Seto schien das sommerliche Wetter zu schaffen zu machen, denn an seinem Hemd waren weitaus mehr Knöpfe als sonst geöffnet und sein Haar war leicht verstrubbelt. Als Joey sich sein Gegenüber so besah, musste er schmunzeln.
//Sieht fast schon menschlich aus...Er sollte öfter mal lockerere Sachen tragen, dann sieht er noch viel besser aus ...!?...//
Joey unterbrach sich selbst in seinem Gedankengang. Was war das denn eben gewesen? Hatte er einen Sonnenstich oder was war los mit ihm? Als ob er damit seine Gedanken vertreiben könnte schüttelte er den Kopf. Kaiba, der Joeys Gestik beobachtet hatte, hob eine Augenbraue. „Geht's dir gut, Köter?", fragte er laut und rief somit den Blonden in die Realität zurück. „Eh...glaub schon.", antworte Joey und nickte. „Wie du vielleicht eben bei deinem Ausflug ins Traumland nicht mitbekommen hast, erklärte ich, dass die Klimaanlage zur Zeit nicht funktionstüchtig ist und du daher wohl oder übel mit den Temperaturen leben musst. Ich verstehe sowieso nicht, warum du bei so einem Wetter solch warme Klamotten trägst.", schilderte Kaiba und deutete auf Joeys Oberteil, dass nicht gerade viel Haut preisgab.
Joey schwieg erst eine Weile und sagte dann deutlich:
„Es geht dich rein gar nichts an, was ich trage."
Erneut stieß sein brauhaariger Gesprächspartner ein Seufzen aus.
„Durst?", fragte er knapp, woraufhin Joey nur ein „huh?" erwiderte.
„Ob du etwas trinken möchtest?", wiederholte Seto und erhob sich von seinem Platz. Er erntete einen skeptischen Blick von dem straßenköterblonden Jungen und grinste. „Ich werde dich schon nicht vergiften...", versicherte er lächelnd und seltsamerweise lockerte sich Joeys Haltung augenblicklich auf, nicht zu letzt aus Erstaunen über diesen ungewohnten Anblick eines ernsthaft lächelnden Kaibas.
Er schenkte Joey ein Glas Orangensaft ein, den er aus einem Kühlschrank unterhalb der Theke gezaubert hatte und drückte ihm dieses in die Hand, bevor er sich mit seiner Flasche Wasser neben Joey auf die Couch setzte. „Ich würde übrigens sagen, dass du ab jetzt alle zwei Tage vorbeikommst. Du hast Stoff aus den letzten 5 Jahren nach zu holen, weißt du das?" „Muss das wirklich sein?", seufzte Joey und dachte an all die Zeit, die das kosten würde. „Sagen wir...wir treffen uns Montag noch einmal für Mathe und sehen dann weiter, ok?" „Gut.", nickte Joey, auch wenn ihm nicht ganz wohl dabei war.
„ Du kannst eigentlich vorbeikommen, wann du willst. Ich arbeite in letzter Zeit häufiger zu Hause um mehr Zeit für Mokuba zu haben...", erklärte Kaiba.
„Du hast's gut...das muss unglaublich schön sein so reich zu sein...", murmelte der Blonde vor sich hin, als er sich im Zuge dieser mathefreien Pause den Raum besah.
„Hn.", machte Kaiba nur. Joey sah ihn fragend an.
„Was ‚hn'?"
„Es gibt wichtigeres als Geld, glaube ich.", antwortete Kaiba und sah aus dem Fenster.
Joey seinerseits sah Kaiba an. Jetzt, wo er darüber nachdachte, war er so anders...
Keine bissigen Kommentare, keine Sticheleien, keine überheblichen Sprüche...
War Kaiba denn etwa krank? Hatte er seinen netten Tag heute? Hatte ein Kaiba überhaupt nette Tage? Oder hatte der Kühlschrank vielleicht Fieber?
Vielleicht stieg die Hitze auch Kaiba zu Kopf und es war ihm zu warm zum Streiten?
„Was starrst du mich so an, Köter?" Joey revidierte seinen letzten Gedanken.
Seto Kaiba war nie zu warm zum streiten...
„Wenn du endlich mit diesen ewigen Hundescherzen aufhören würdest, wäre ich dir sehr verbunden...", knurrte Joey, was Kaiba nur noch mehr zum Grinsen brachte. Der Blondschopf war einem Hund einfach zu ähnlich, als dass er es hätte ignorieren können. „Warum sollte ein Herrchen seinem Hund keine Spitznamen geben?", fragte er spöttisch und erntete ein wütendes „Du bist definitiv NICHT mein Herrchen, damit das klar ist...und ich bin KEIN verdammter Hund, du Geldsack!!" schnaubend fügte der Braunäugige hinzu: „und erst recht nicht deiner..." „Also willst du lieber ein Streuner sein? Ich glaube nicht, dass außer mir irgendjemand so gut zur dir ist und so etwas strohdummes und wertloses, wie dich bei sich aufnimmt.", die letzten Worte waren Kaiba einfach so im Eifer des Gefechts über die Lippen gerutscht. Eigentlich hatte er nicht beabsichtigt so etwas Gemeines zu sagen, schließlich wollte er Joey ja nur ein wenig sticheln... Um Joey nicht zu wütend werden zu lassen begann er: „Wheeler, ich...", um so etwas ähnliches wie eine Entschuldigung zu formulieren, doch scheinbar hatte Kaiba soeben einen wunden Punkt bei Joey getroffen, denn dieser murmelte nur ein: „Du bist so ein Mistkerl, Kaiba...", stand sein Glas umwerfend auf, schnappte sich seine Jeansjacke und schritt eilig aus dem Raum. Tja, jetzt saß Kaiba da in seinem Wohnzimmer und starrte auf die in Fruchtsaft getränkten Matheunterlagen seines Hundes. Langsam erhob er sich, denn er rechnete nicht damit, dass Joey den Ausgang aus dem Anwesen all zu schnell finden würde, doch egal, wo er suchte, Joey war nicht auffindbar. Schließlich verweilte er in der Nähe der Eingangshalle, wo eines der Dienstmädchen ihn fragte, warum denn der junge Mann eben so wütend davon marschiert sei. Sie erntete ein genuscheltes „Geht sie nichts an." und lies Kaiba allein mit seinen Schuldgefühlen gegenüber seinem Hündchen. Er mochte ja beim besten Willen kein sonderlich guter Mensch sein und umgänglich war er auch nicht, aber irgendwo wusste er schon, dass er diesmal übertrieben hatte.
Joey indessen biss sich auf die Lippe um nicht los zu heulen. Das fehlte ihm noch. Hier auf offener Straße anzufangen zu flennen! Und trotzdem war ihm danach. Warum in aller Welt musste ihn jeder ständig daran erinnern, dass er wertlos war? Nacht für Nacht verdeutlichte sein Vater ihm dies und jetzt fing auch noch Kaiba an ihn so zu betiteln? Er wusste ja selber, dass er es nie zu was bringen würde. Und er wusste selber, dass er ein Nichtsnutz war, auch ohne, dass sein Vater ihm das immer wieder sagte. //Jetzt bloß nicht heulen.// So leicht würde Joey Wheeler nicht aufgeben. Er musste das Beste aus seinem Leben machen und auch, wenn momentan alles einfach miserabel wirkte, so nahm er sich trotzdem vor stark zu bleiben. Er ertrug seinen Vater jetzt schon seit er 6 war. Und mit Kaiba war er auch schon lange klar gekommen, oder etwa nicht? Wenn es schon bergab mit ihm ging, dann würde er sich es wenigstens nicht wortlos gefallen lassen!
Joey seufzte und stellte fest, dass er wieder mal Richtung Park gelaufen war. Hier, auf dem um die Uhrzeit bereits ziemlich verlassenen und überhaupt recht armseligen Spielplatz, setzte er sich auf eine der Schaukeln und dachte über den Tag nach. Dabei war Kaiba zwischendurch total in Ordnung gewesen, dachte er sich. Er hatte ganz normal mit ihm geredet. Sich mit ihm unterhalten. Warum nur verwandelt sich der Firmenleiterprinz nach Mitternacht nur immer wieder in eine Gefriertruhe? Joey stellte fest, dass er seine Tasche bei Kaiba vergessen hatte. Also fragte er eine ältere Dame nach der Uhrzeit, da seine Armbanduhr zusammen mit seiner Tasche auf Reisen im Kaibaanwesen war. Er stellte fest, dass er viel zu lange bei Kaiba gewesen war und rannte los Richtung Innenstadt. Jetzt kam er schon wieder zu spät zu einem seiner Parttimejobs. Er konnte von Glück reden, wenn er jetzt nicht schon wieder entlassen wurde. Alles Kaibas Schuld!
