Blutige Nächte

Fanfiction von Slytherene

Benvenuti!
Um Euch das Warten auf das neue Kapitel „Frühlingserwachen" zu verkürzen (fertig, aber noch nicht beta gelesen), anbei ein Textfragment, das partout aus meinem Kopf wollte.
Viel Vergnügen…


Musicus: Alice mit „Una notte spaciale"


1. Tödliche Verbündete

Remus Lupin starrte auf die blütenweiße Tischdecke und die edlen Kristallgläser vor ihm. Der Kellner, der ihn schon bei seinem Eintreten mit diesem Blick gemustert hatte, der die Frage enthielt, ob er seine Rechnung wohl würde bezahlen können, näherte sich nun schon zum wiederholten Mal.

„Wünschen Sie vielleicht noch ein…Leitungswasser, Sir?"

Remus fixierte den dicken Bauch des Mannes. Vermutlich hatte er heute Abend bereits mehr als einmal in der Küche Häppchen hier und Hors d'oeuvres dort ‚probiert.' Ihm selbst knurrte der Magen, aber für den Fall, dass der Kontaktmann nicht kam, würde er das Geld, das der Orden ihm für das ‚Geschäftsessen' zur Verfügung gestellt hatte, nicht anrühren.

„Danke, ich warte noch", antwortete Remus, und es klang beinahe wie ein Knurren. Der dicke Ober erbleichte merklich und entfernte sich eilig.

Remus fühlte sich müde und elend. Um ihn herum klapperte das Besteck auf den Tellern, und selbst wenn er seine Ohren und Augen hätte verschließen können, seine Nase ließ sich nicht täuschen. Es roch nach Gesottenem und Gebratenem, und seine letzte warme Mahlzeit war das Abendessen vor drei Tagen bei den Weasleys gewesen. Er brauchte dringend, wirklich dringend Arbeit, wenn er nicht wieder bei Albus um Geld fragen wollte. Und er war es so leid, von den anderen abhängig zu sein: von Albus, den Weasleys, Kingsley oder Moody – selbst Tonks hatte er schon angepumpt.

Jeder von ihnen hatte stets mit einem Lächeln ‚aber selbstverständlich, Remus' gesagt. Selbst Arthur hatte hinzugesetzt: ‚Gib es mir zurück, wenn du wieder flüssig bist'. Arthur, der mit seinem kärglichen Gehalt und den immer noch vier Kindern in der Schule selbst kaum über die Runden kam.

Nun hockte er hier in diesem viel zu teuren Restaurant in Kensington, um den Verbindungsmann des italienischen Äquivalents des Phönixordens zu treffen. Sie hatten gerade erst begonnen, Kontakte nach ganz Europa zu weben. Paolo Bertucci, der Mann aus Rom, schien nicht viel von Pünktlichkeit zu halten. Um halb neun waren sie verabredet gewesen, jetzt krochen sowohl der große Zeiger der Uhr an der Wand ebenso wie der kleine auf die zehn zu.

Ausgerechnet Severus Snape war es gewesen, der Remus Dumbledores Anliegen überbrachte, sich um den römischen Abgesandten zu kümmern.

Mit arrogantem Genäsel hatte der Slytherin sich darüber ausgelassen, wie wichtig dies Treffen sei, welches er, der große Tränkemeister, höchstpersönlich eingeleitet hatte. Mit gönnerhaftem Blick hatte er einen Lederbeutel mit Geld vor Remus auf den Boden fallen lassen.

„Wie ungeschickt von mir, verzeih'. Du bückst dich sicher selbst danach." Das feine hämische Grinsen, das Snapes Lippen gekräuselt hatte, sprach eine eindeutige Sprache.

Oh, Remus verfluchte Severus Snape! Und er verfluchte diesen Signore Bertucci, der es nicht für nötig hielt, wenigstens per Eule abzusagen.

Gerade, als sich der dicke Ober, flankiert von einem Hilfskellner, der schon seinen Zauberstab bereit hielt, wieder auf den Weg zu Remus' Tisch machen wollte, öffnete sich die Tür des Restaurants.

Mit einer ganzen Schar Hexen und zwei Fotografen im Schlepptau betrat ein blond gelockter Zauberer in türkisfarbener Robe das Etablissement.

„Pierre, ein Tisch für Mr. Lockhard, vite, vite!"

Der dicke Ober eilte davon.

‚Auch das noch' dachte Remus und duckte sich unwillkürlich. ‚Gilderoy der Große', der personifizierte Erfolg. Nachdem der einst bekannte Buchautor und mehrmalige Gewinner alberner Hexenmagazinpreise mit den restaurierten Fragmenten seines Gedächtnisses, jedoch bar fast jeder Magie aus St. Mungos entlassen worden war, hatte er auf Londons Bühnen Karriere gemacht – den Muggelbühnen. Sein leer gefegter Kopf schien wie geschaffen, um Texte jeder Art aufzunehmen, und Gilderoy gab mit Erfolg Hamlet, Äneas und sämtliche jugendlichen Liebhaber, die das klassische Genre zu bieten hatte.

Er war der Hit der Saison. Muggelfrauen und Hexen liebte ihn gleichermaßen, und ‚das bisschen Mogelei' bei seinen Büchern aus vergangenen Tagen hatte man ihm großzügig verziehen.

Remus wünschte, die Zauberergesellschaft hätte auch ihm ebenso großzügig verziehen, dass er anders war.

„Mr. Lupin?"

Von einem Auenblick zum nächsten stand eine Frau vor ihm. Er hatte sie nicht kommen sehen, sie musste im Gefolge von Lockhard das Restaurant betreten haben.

„Sinte Sie Mr. Lupin?" fragte sie nun noch einmal mit südländischem Akzent, und Ungeduld schwang in ihrer Stimme.

„Der bin ich".

Ein geschäftsmäßiges Lächeln flog über ihr Gesicht. „Ich bin Marina Bertucci."

Bertucci – sie musste der Kontaktmann sein. Hatte er sich verhört? Severus hatte eindeutig von einem Zauberer gesprochen.

Remus beeilte sich aufzustehen. Für einen Augenblick wurde ihm schwindelig, aber er riss sich zusammen. Nur jetzt nicht aus der Rolle fallen und keine Schwäche zeigen.

Sie reichte ihm die Hand.

Remus wollte schon ihre ausgestreckte Hand ergreifen, als er die Ringe an ihren Fingern bemerkte. Sie mochten aus Silber oder Weißgold sein, jedenfalls verspürte er keine Ambitionen, das auszutesten.

„Entschuldigen Sie vielmals" sagte er und zog die Hand zurück. „Silberschmuck?"

Sie ließ ihre ausgestreckte Rechte sinken und zog erstaunt eine Augenbraue hoch. „Sind Sie…?"

„Äh…ja. - Verzeihung, aber ich hatte einen Herrn erwartet, " wechselte er schnell das Thema.

„Mein Vater ist leider verhindert. Er bat mich, ihn zu vertreten. Leider hatte mein Flugzeug Verspätung. Die Fluglotsen streiken schon wieder in Italia – iste immer dasselbe.

„Bitte, nehmen Sie doch Platz", bot Remus an und rückte der zierlichen Fremden den Stuhl zurecht.

Marina Bertucci setzte sich und Remus reichte ihr die Karte. Die gesamte Kellnerschar war noch mit Lockhards Harem beschäftigt.

„Professor Dumbledore entbietet seinen Gruß. Herzlich willkommen in London. Wir sind sehr froh, dass Sie Zeit gefunden haben, diesen Termin zu wahrzunehmen."

Sie nickte knapp und studierte die Weinkarte. „Können Sie den Barólo empfehlen?"

Remus warf einen Blick auf seine Karte, die anders als die ihre die Preise enthielt. Er zuckte merklich zusammen. Sie hatte zielsicher einen der teuersten Weine ausgewählt.

Wenn er sich etwaige Peinlichkeiten ersparen wollte, bekannte er lieber gleich Farbe.
„In dieser Preiskategorie gehe ich davon aus, dass er ausgezeichnet ist", erklärte er. „Leider wird dieser Wein die Möglichkeiten meines Budgets ausschöpfen oder sogar übersteigen, befürchte ich." Er versuchte ein entschuldigendes Lächeln.

„Bedauerlich", entgegnete sie kühl.

Sie sah zu den Haufen Kellner und Lockhard-Groupies hinüber und studierte dann weiter seelenruhig die Karte.

Dies verschaffte Remus die Gelegenheit, die Italienerin näher in Augenschein zu nehmen.

Marina Bertuccis Alter war schwer zu schätzen. Ihre Haut war makellos hell und glatt, aber sie wirkte dennoch nicht wie eine Zwanzigjährige.

Ihr ebenmäßiges Gesicht war von glattem, tintenschwarzem Haar umrahmt, dass sie im Nacken zu einem eleganten Knoten verschlungen hatte.

Sie trug kein Make-up, lediglich ihre Lippen waren karmesinrot geschminkt.

Ihr Geschmack bei Mode war ungefähr so exklusiv wie ihre Weinauswahl; Remus vermutete, dass er von dem, was allein ihr Designerumhang wert sein mochte, ein ganzes Jahr würde mehr als anständig leben können.

Ihre Augen blieben an einer Stelle der Karte hängen. „Ah, der gute Severrus" sagte sie lächelnd.

„Der…wie bitte?" entfuhr es Remus.

„Severrus. Er hat dieses Lokal hier ausgewählt. Sie führen Wein aus meiner Heimat."

Remus verkniff sich die Bemerkung, dass italienischer Wein in einem Restaurant der gehobenen Kategorie nichts Ungewöhnliches war.

Marina Bertucci schnippte mit den Fingern, und sofort entfernte sich einer der Kellner aus der Traube um Gilderoy und strebte ihrem Tisch zu.

„Madame, was darf ich Ihnen bringen?" fragte der Mann beflissen.

„Ist die Leber frisch? fragte sie.

„Selbstverständlich, Madame."

„Sehr gut. Denn wenn sie es nicht ist, werde ich sie zurückgehen lassen und die Ihre verspeisen – zum Dessert."

Remus stockte der Atem. Doch der Kellner, der kurz vorher noch drauf und dran war, ihn hinaus zu komplimentieren, nickte nur ergeben.

„Also, ich möchte das Carpaccio von roher Kalbsleber, keine Zwiebeln, kein Gratin dazu. Mr. Lupin, was nehmen Sie? Oder haben Sie schon gegessen? Immerhin habe ich mich verspätet."

Für einen Moment überlegte Remus, ob er behaupten sollte, schon gegessen zu haben. Von dem Ersparten würde er eine, wenn nicht zwei Wochen leben können. Aber bei dem Gedanken, hungrig neben einer Platte mit Lebercarpaccio sitzen zu müssen, traute er seiner Selbstbeherrschung nicht.

„Ich nehme das Chateaubriand", verkündete er, und bemühte sich, souverän zu klingen. Verdammt, er wusste sehr wohl, wie man sich auf gesellschaftlichem Parkett bewegte.

„Sehr wohl, das Chateaubriand" wiederholte der Ober. „Medium?"

„Englisch, bitte" antwortete Remus. Sein Magen führte Freudentänze auf.

„Dazu bringen Sie uns bitte zwei Gläser…trinken Sie Rotwein, Mrs. Bertucci?"

Sie nickte.

„Also Chianti, bitte", fuhr Remus fort.

„Sehr wohl, Sir", sagte der Ober und wandte sich zum gehen.

„Uno Momento!" befahl Marina Bertucci. „Keinen Chianti, Madonna mia. Bringen Sie uns bitte eine Flasche Sanguine de Sicilia, den 1999er, den Sie auf der Weinkarte haben. Und pronto, per favore."

Der Kellner stürzte davon, als gäbe es nichts dringenderes in der Welt, als der schönen Römerin zu Willen zu sein.

„Das Blut Siziliens", sagte Remus.

„Si", antwortete sie und lachte, wobei sie zwei Reihen blitzender Perlzähne entblößte. „Ich liebe meine Heimat. Der Wein trägt sie in sich wie die Menschen in ihrem Blut."

„Leider übersteigt der Geschmack Ihrer Heimat meine Möglichkeiten", erinnerte Remus unangenehm berührt. Er wusste nicht, was er von dieser Frau halten sollte.

„Das ist kein Problem", bemerkte sie überlegen. „Die Rechnung wird ohnehin aufs Haus gehen."

Remus hatte plötzlich eine Assoziation: Marina Bertucci in einem Ristorante in Palermo, sie wiederholte eben diesen Satz, und Minuten später erschien ein völlig verängstigter Gastronom am Tisch, um zu verkünden, dass das Essen für die Signorina selbstverständlich aufs Haus gehe, und beste Grüße an den Herrn Papa. Wie in einem schlechten Mafia-Film der Sechziger Jahre.

Seine Gedanken wurden jäh unterbrochen, weil er das untrügliche Gefühl hatte, beobachtet zu werden.

Tatsächlich musterte Marina Bertucci ihn mit ihren fast schwarzen Augen genau so, wie er sie zuvor betrachtet hatte. Plötzlich fühlte er sich wieder schäbig und abgerissen. Dies war seine beste Robe, aber auch sie war natürlich an mehreren Stellen geflickt, wenn auch sorgfältig.

Er konnte dies ebenso wenig verstecken wie die Schatten unter seinen Augen oder seine hohlen Wangen. Die Armut und vor allem sein Stolz, der ihn davon abhielt, öfter den Platz an Mollys Mittagstisch einzunehmen, setzten ihm langsam zu. Außerdem war erst vor zwei Tagen Vollmond.

„Sind Sie der einzige Werwolf im Phönixorden?" erkundigte sie sich ohne jede Einleitung.

„Derzeit, ja", erwiderte Remus, und begegnete ihrem dunklen Blick. Ihre Augen hatten etwas an sich, dass ihn frösteln ließ. Ihre direkte Art war ihm unangenehm, und dass sie ihn hemmungslos musterte, machte es nicht unbedingt leichter.

„Severrus hat nie erwähnt, dass Dumbledore dunkle Kreaturen aufnimmt", sagte sie kühl.

Allein das Auftauchen des Kellners, der mit gewichtigem Getue das „Blut Siziliens" mitbrachte, hielt Remus davon ab, eine ausgesprochen unhöfliche Antwort auf diese Unverschämtheit zu geben. Merlin, jetzt war ihm klar, warum die alte Fledermaus ihn auserkoren hatte, die Dame zu begrüßen. Sie hielt ganz offenbar nichts von seiner Spezies, wie so viele, aber sie hatte den Nerv, ihre Verachtung nicht einmal hinter einem Minimum an Höflichkeit zu verbergen.

„Snape", sagte Remus jetzt mit harter Stimme, „gibt selten ungefragt etwas preis, es sei denn, er zöge Nutzen aus der Weitergabe einer Information."

Zu Remus Erstaunen lachte sie leise. „Soviel ist wahr", lächelte sie. „Wie ich sehe, mögen Sie einander nicht sonderlich. Bene, wer kann ihn schon ausstehen, die giftige, dürre Fledermaus."

„Ich würde nicht soweit gehen, ihn zu bezeichnen", erwiderte Remus reserviert. ‚Jedenfalls nicht laut', setzte er in Gedanken hinzu.

Sie lachte wieder, ein leises, mokantes Lachen. Remus fühlte sich an Bellatrix erinnert, und bei dem Gedanken lief ihm ein Schauer den Rücken hinunter. Martina Bertucci umgab eine Aura von Gefährlichkeit, die ihm alle Nackenhaare zu Berge stehen ließ.

Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und betrachtete den immer noch lärmenden Auflauf rund um Lockhard.

„Manche fallen immer auf die Füße, wie schwarze Katzen", sagte sie. Dann wandte sie sich Remus zu. „Sie sehen nicht danach aus, als würden Sie dazu gehören."

Remus schluckte, wich aber ihrem dunklen Blick nicht aus. „Hören Sie, Mrs. Bertucci."

„Miss". Sie lächelte.

„Wie? Miss, also schön." Jetzt hatte sie ihn aus dem Konzept gebracht. Er räusperte sich, und begann dann von Neuem. Merlin, warum hatte er das Gefühl, sich wie ein dämlicher Primaner zu gebärden? Dieses Weib hatte kein Recht, ihn grundlos lächerlich zu machen.

„Hören Sie, Miss Bertucci. Ich habe mich um diesen Termin nicht gerissen. Meine Aufgabe besteht darin, ein paar grundsätzliche Positionen mit Ihnen zu erörtern, um festzustellen, inwieweit eine Zusammenarbeit unserer Organisationen möglich ist. Ich will Ihnen nicht verhehlen, dass der britische Orden … Personalprobleme hat."

„Das glaube ich gern", unterbrach sie ihn und warf ihm wieder einen abschätzigen Blick zu.

‚Merlin!' dachte Remus und zählte still bis zehn. Dann sprach er weiter, als hätte er ihre unverschämte Bemerkung nicht gehört.

„Ich denke, ich gehe Recht in der Annahme, dass unserer beider Organisationen dasselbe Ziel verfolgen – den, dessen Name nicht…"

„Voldemort", sagte sie und ihr Blick hatte jetzt etwas Eisiges.

Remus holte tief Luft. „Voldemort", wiederholte er leise, nur um sich nicht die Blöße zu geben, den Namen des fürchterlichen Zauberers nicht auszusprechen zu wagen. „Voldemort zu besiegen."

„Wir sind uns aber auch darin einig, dass man ihn nicht einfach besiegen und einsperren kann? Tom Riddle muss sterben. Nur sein Tod ist akzeptabel für uns."

„Ich widerspreche Ihnen nicht", sagte Remus.

„Bene", erwiderte sie und hob jetzt ihr Glas. „Darauf trinke ich. Chin-chin."

Remus griff ebenfalls nach seinem Glas. Der Wein funkelte wie ein flüssiger Rubin im Licht der Kerzenkronleuchter. Er hatte ein erdiges, dunkles, aber keinesfalls muffiges Aroma. Er nahm einen kleinen Schluck und ließ den edlen Tropfen über seinen Gaumen und seine Zunge rollen. Himmel, welch ein Genuss! Der Wein schmeckte rund und vollmundig, gleichzeitig weckte er in Remus die Assoziation eines heißen Spätsommertages am Meer.

„Beinahe der Geschmack Siziliens", hörte er Marina Bertuccis Stimme, die jetzt merkwürdig weich und samten klang. Sie hatte ihren Kelch abgesetzt und leckte sich jetzt mit ihrer Zungespitze einen winzigen Tropfen von den roten, vollen Lippen.

Remus stellte mit Entsetzen fest, dass er sich gerade fragte, wie es sich anfühlen musste, diese Lippen zu berühren, sie zu kosten, sie auf den seinen zu spüren. Unmöglich! Zornig verscheuchte er den Gedanken und nahm noch einen großen Schluck des herrlichen Weines. Diese Frau war arrogant, hartherzig und unverschämt. Ihre Schönheit war nur äußerlich und es gab nichts an ihr, dass ihn gereizt hätte – wenn man von diesem Mund absah, dem ebenmäßigen Gesicht und der schlanken Gestalt. Ziemlich gewalttätige Phantasien rasten plötzlich in loser Bilderabfolge durch seinen Kopf. Er sah sich selbst, sie in einer düsteren Gasse gegen eine Mauer pressen und leidenschaftlich küssen, sie auf einer hohen, schroffen Klippe über einem dunkel tosenden Meer mit aller Härte ins Gesicht schlagen, so dass sie den halt verlor und über die Felskante kippte, und er fand sich mit ihr in einem riesigen, von vier mächtigen hölzernen, schlangen umwundenen Pfosten umrahmten Bett, über ihnen einen Spiegel, in dem er sich selbst betrachtete, während sie auf ihm kauerte, nackt und mit einem Ausdruck unbändiger Lust in den schwarz glitzernden Augen.

Es war der Geruch gebratenen Fleisches und roher Leber, der ihn schließlich aus diesen Gedanken befreite. Remus war nicht nur in einer Hinsicht ausgehungert, gestand er sich selbst unwillig ein. Er schämte sich, aber zum Glück konnte die kühle Römerin seine unkeuschen Gedanken nicht lesen.

Schweigend aßen sie ihr Dinner.

„Madonna, ich weiß nicht, wann ich zuletzt jemanden ein solch großes Stück Fleisch derart habe inhalieren sehen!" stellte die Italienerin erstaunt fest.

Remus unterbrach sein Kauen, nur um festzustellen, dass er tatsächlich bereits das letzte Stück Chateaubriand mehr oder weniger ungekaut verschlang. Miss Bertucci hatte ihr Carpaccio kaum angerührt.

„Entschuldigung", murmelte er und wurde zu seinem großen Ärger jetzt auch noch rot. „Aber Sie waren wirklich sehr spät dran." Merlin sei Dank konnte er ihr die Schuld geben.

Sie lächelte souverän.

„Ich bin nicht sehr hungrig", sagte sie dann und schob ihren Teller ein Stück weg. „Falls Sie noch mögen?"

Remus schwankte zwischen seinem immer noch beträchtlichen Hunger und seinem Stolz. Sein Hunger gewann das Duell. Das Carpaccio war hauchdünn, lauwarm und zerging auf der Zunge. Remus konnte sich nicht erinnern, wann er etwas Derartiges je gekostet hätte.

„Sie legen die Kalbsleber in Stutenmilch ein", bemerkte Martina Bertucci und lachte wieder ihr leise, mokantes Lachen.

„Sie glauben doch nicht, mich damit schockieren zu können?" fragte Remus kühl und nahm den letzten Bissen auf die Gabel. Was sie konnte, beherrschte er schon lange.

„Aber no. Nicht damit." Sie lächelte. Dann sagte sie sehr leise: „Im Stockwerk über uns und rund um das Restaurant liegen etwa zwanzig Zauberer auf der Lauer. Ich höre sie. Sie wollen angreifen und die Gäste überfallen. Mr. Lockhards Glücksträhne ist dabei, zu reißen. Wir sollten verschwinden. Auf uns haben sie es nicht abgesehen."

„Was?" fragte Remus irritiert, aber die Frau hatte sich bereits erhoben.

Der Kellner eilte zu ihrem Tisch. „Waren Sie zufrieden, Madam? Haben Sie noch einen…?" Er verstummte und starrte sie an.

„…Wunsch?" fragte sie, während ihre dunklen Augen seinen Blick offenbar gefangen hielten. „Aber nein. Wir waren sehr zufrieden."

„Der Wein und das Essen gehen selbstverständlich aufs Haus", nuschelte der Ober.

„Grazie", erwiderte sie. „Sterben Sie wohl."

Sie nahm den verblüfften Remus bei der Hand und zog ihn aus dem Lokal hinaus ins Freie. Eilig überquerte sie die Straße und hielt im Schatten einer Mauer an. Nur Augenblicke später sprangen ein ganzes Duzend und mehr dunkle Gestalten in schwarzen Umhängen und mit maskierten Gesichtern aus der Dunkelheit hervor, die Glastüren des Restaurants splitterten in Millionen feinster Scherben, und grüne Blitze zuckten durch die Nacht.

Remus, den Rücken gegen den Mauerschatten gedrückt, starrte entsetzt auf die Szenerie vor ihnen. Er wusste, sie hatten keine Chance, einzugreifen. Man würde sie entdecken und schneller töten, als er „Expelliarmus!" rufen konnte. Es waren einfach zu viele vermummte Gestalten.

Eine halbe Minute später war der Sturm vorbei. das grüne Leuchten erstarb, bis auf den Abglanz des Dunklen Mals, das über dem jetzt einem Schlachtfeld gleichenden Haus stand.

Die Todesser glitten wie Schatten in dem mit ein paar schwachen Lumos-Zaubern erhellten Lokal hin- und her.

„Sie könnten einen von ihnen erwischen, Mr. Lupin", flüsterte sie leise an seinem Ohr.

„Das wäre Mord", widersprach er atemlos. „Ich töte nur zur Verteidigung."

„Dann werden sie wieder morden, die dort drüben."

„Ich weiß", entgegnete er hitzig. „Aber das ist eine Frage der Moral!"

„Sagen Sie das den Unschuldigen, die als nächste dran sind", fauchte sie plötzlich, dann trat sie aus dem Schatten. Sie schien zu wachsen, als sie ihren Stab hoch über ihren Kopf hob.

Avada kedavra!" Grünes Licht brach aus ihrem Stab. Aber anstatt als gebündelter Strahl auf einen der Todesser zuzurasen, bildete es eine leuchtend giftgrüne Kugel.

Dispersio!" flüsterte sie.

Die Kugel zerstob, und winzige helle Fünkchen machten sich auf den Weg in das Lokal, wo sie wie kleine, unschuldige Glühwürmchen herum tanzten, und eine Spur des Todes hinter sich ließen. Man konnte Schreie ungläubigen Entsetzens vernehmen.

Eine Wand barst, und Remus konnte eine hohe, in dunkle Roben gekleidete Gestalt ausmachen, die vor der letzten der mortalen Lichtlein floh. Silbriges Haar fiel dem Todesser, dessen Kapuze hinunter gerutscht war, über die Schultern.

Protego!" rief er verzweifelt, als das Geisterlicht ihn zunehmend in die Enge trieb.

Doch der Zauber würde den tödlichen Funken nicht abhalten. Sie alle wussten es.

Der Zauberer presste sich gegen die Häuserwand, die seinen Fluchtweg abschnitt. Zwei weitere grüne Flammen kamen langsam auf ihn zugeschwebt.

„Bitte!" flehte Remus leise. „Das ist kaltblütiger Mord."

Die schöne Römerin drehte sich zu ihm um. Ihr Haar flatterte jetzt lose um ihrem Kopf; sie stand offenbar in einer heftigen Brise, auch wenn es dort, wo Remus kauerte, völlig windstill war. Grüne Funken wirbelten um sie herum wie ein tödlicher Tornado, berührten sie jedoch nicht.

Absorbo Lux Mortis!" gebot sie.

Die mörderischen Lichtquanten wanderten flirrend in ihren Stab zurück.

Expelliarmus!" rief Remus und entwaffnete den letzten überlebenden Todesser.

„Grazie!" nickte Marina Bertucci ihm zu, steckte seelenruhig ihr Haar zurecht und ihren Stab wieder ein., jetzt, da der Todessturm urplötzlich verebbt war.

„Du …" Sie riss dem Todesser die Maske vom Gesicht. Remus konnte nicht sagen, wann er jemals eine derartige Panik in Draco Malfoys Augen gesehen hatte.

„Wie der Vater, so der Sohn", sagte sie kalt. „Verschwinde zu deinem Meister und sage ihm, der Tod kommt aus Italien."


TBC irgendwann?