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Der Regen prasselte unermüdlich an sein Fenster. Wie reglos stand er da und blickte nun schon seit Stunden aus diesem. Beobachtete die Tropfen, die schwer die Scheibe hinab liefen. Folgte den neuen die kamen.
Gedankenverloren ballte er dabei seine Hand zur Faust und öffnete sie wieder. Wie oft hatte er das in letzter Zeit eigentlich gemacht? Unzählige Male.
Er stand hier und hinterfragte seine Position. Er war verdammt noch mal Lehrer und kein Spion! Zumindest wollte er keiner mehr sein. Warum ließen sie ihn nicht in Ruhe?
Voldemort, Dumbledore, alle! Jeder kam und forderte von ihm, zehrte unermüdlich an seinen Kräften. Ständig musste er auf der Hut sein und zwar auf beiden Seiten.
Tief atmete er ein und lies seine Augen über die grünen Wiesen von Hogwarts gleiten. Sein Zuhause, seine Zuflucht, aber zu welchem Preis? Schon beim bloßen Gedanken an die kommende Nacht wurde ihm speiübel und seine Hände begannen leicht zu zittern.
Erneut schloss er sie fest zur Faust. Wenn er zusammenbrach nutzte er keinem mehr. Severus atmete tief durch und ließ die Landschaft rund um Hogwarts soweit er es überblicken konnte auf sich wirken.
Ein letztes Mal nur, ein letztes Mal wollte er den Schein eines Friedens genießen, den es für ihn schon lange nicht mehr gab. Zögernd trat er einen Schritt zurück, strafte seine Schultern und verließ seine Kammer.
Auf dem Gang begegnete ihm glücklicherweise niemand und fast hätte er es durch die große Halle geschafft ohne einer Seele zu begegnen, aber nur fast. Woher zum Teufel kam die neugierige Granger? Innerlich fluchte er.
Er wollte niemanden sehen, er wollte nur alleine sein. Nicht einmal das war ihm gegönnt, nicht einmal das. Hermione Granger sah eingeschüchtert an ihm hoch, hauchte ehrfürchtig einen Gruß und huschte weiter.
Er würdigte sie keiner Antwort, sah sie nicht an, richtete seine Augen nur geradeaus, fern von ihr. Endlich stand er vor dem Portal, nur mehr hindurchschlüpfen und für den Augenblick die Illusion der Freiheit genießen.
Severus stieß mit beiden Händen die Tür auf und kaum war er draußen, ließ er sie laut krachend hinter sich ins Schloss fallen, so als wollte er jeden warnen ebenfalls heraus zu treten, ihm zu folgen oder einfach nur die klare, frische Luft, die der Regen mit sich brachte, zu schnuppern.
Er wollte alleine sein und jeder hatte das zu respektieren oder es würde ihm schlecht bekommen. Forsch schritt er trotz des heftigen Regens aus. Schon bald hing ihm sein schwarzes Haar in dicken nassen Strähnen im Gesicht und verbarg seinen grimmigen Ausdruck.
Seine Kleidung klebte an ihm wie eine zweite Haut und die Kälte drang ihm bis auf die Knochen, aber er spürte es nicht. Hätte er über seine Schulter zurück geblickt, wäre er noch wütender geworden.
Hermione stand an einem der oberen Fenster im Treppenhaus und blickte hinab auf ihn. In ihren Augen stand ein Ausdruck von Sorge, gemischt mit Angst und einer Sehnsucht die sie nicht benennen konnte.
Was hatte dieser finstere Mann nur an sich, dass er es schafft trotz aller Hässlichkeiten die er von sich gab, sie dennoch dazu brachte sich zu wünschen in seiner Nähe sein zu können?
Hermione wandte traurig den Blick und stieg die Stufen weiter nach oben in den Gryffindorturm. Kaum war sie durch das Porträt der fetten Lady geschlüpft und sah ihre Freunde beim Kamin sitzen, war Snape bereits wieder vergessen.
Nostalgischer Narr! Schimpfte er unermüdlich auf sich ein. Er schritt gerade weit ausholend an Hagrids Hütte vorbei. Beinahe akribisch besuchte er alle Plätze von Hogwarts, sein nächstes Ziel war das Quiddichstadium.
Plötzliche starke Schmerzen in der Brust ließen ihn auf die Knie sinken. Sein Herz zog sich gequält zusammen und nahm ihm die Luft zum atmen. Seine Hände gruben sich tief in den Schlamm der vom Regen aufgeweichten Erde.
Woher kamen sie? Atme Severus, atme. Mühsam richtete er sich wieder auf, der Druck in seinem Herzen ließ nach, lediglich ein dumpfes Pochen blieb zurück. Ein vorsichtiger Blick über die Schultern sagte ihm, dass seinen Moment der Schwäche niemand gesehen haben konnte.
Schwer atmend lehnte er sich an einen der Bäume die den Rand zum verbotenen Wald säumten. Er grub seine Nägel tief in die Rinde und versuchte so den Schmerz zu verdrängen.
Als wenn das so einfach wäre! Dummkopf! Hast du den gar nichts dazu gelernt in all den Jahren? Vor allem das eine, das manche Schmerzen nie vergehen, nie aufhören und einem in jedem wachen Moment auflauern, festhielten und quälten?
Severus stieß sich vom Stamm ab und schritt schnell weiter, er rannte vor sich selbst fort, nur es gab kein entkommen.
Er kehrte erst nach Hogwarts zurück als die Dunkelheit hereinbrach. In seiner Kammer riss er sich die nassen Kleider vom Leib und warf sich trockene über. Er hätte das durchaus schneller machen können, ein Schwenker mit seinem Zauberstab und er wäre sofort in trockene Kleidung gehüllt gewesen, aber er wollte sich Zeit lassen damit.
Zeit.
Meistens kroch sie für ihn nur so dahin und schien ihn der es immer eilig hatte zu verspotten, doch heute flog sie mit dem Wind. Ein Blick auf die Uhr verkündete ihm, dass er nur noch wenige Stunden hatte.
Steif und mechanisch zwang er sich dazu in der großen Halle zu erscheinen. Das Abendessen war bereits im vollen Gange. Er ließ sich auf seinen Stuhl fallen und schob seinen leeren Teller ruhelos hin und her.
Dumbledors mahnender Blick ließ ihn innehalten. Er füllte sich von allen Speisen auf dem Tisch einige Happen auf seinen Teller um dann lustlos mit der Gabel darin herum zu stochern.
Erneut trafen sich Dumbledors Augen mit den seinigen. „Du hast es mir versprochen!" sagte sie ihm.
Gefasst sah er zurück. „Das habe ich und ich werde mein Wort halten!" antwortete er ihm.
Zufrieden ließ Dumbledore den Blick schweifen und nickte den Kinder fröhlich zu, zwinkerte übermütig zu Minerva und Poppy und unterhielt sich angeregt mit Hagrid. Dumbledore war wie immer, ein Fisch in seinem Element, noch dazu wo er wusste er würde seinen Willen bekommen.
Severus gab den Versuch zu Essen auf, er brachte keinen Bissen hinunter und außerdem war die Gefahr alles wieder von sich zu geben groß. Zu seinem Schmerz in der Brust hatte sich ein unangenehmes drücken in der Magengegend gesellt.
Er fühlte sich elend und krank. Nahm dieses Abendessen denn gar kein Ende? Er wünschte er könnte gehen, aber er musste den Schein wahren. Schon fühlte er wie sich in seinem Hals ein würgen breit machte.
Severus! Herr Gott noch mal, reiß dich zusammen! Du bist doch keine heulende Memme. Gefasst saß er da. Beide Hände zu Fäusten geballt, lagen sie neben dem unberührten Teller.
Hermione hob ihren Kopf und sah zufällig zum Lehrertisch. Ihre Augen blieben ungewollt an Snape haften. Wirkte er ihm Kerzenlicht nicht noch blasser als sonst? Seine Gesichtszüge sahen so angespannt aus, als müsste er sich mit aller Gewalt beherrschen und seine Wut bezähmen.
Aber was wühlte ihn so auf? Was nahm ihn so mit? Harry stieß sie mit dem Ellenbogen in die Seite und zog so ihre Aufmerksamkeit auf sich. Mit halbem Ohr ließ sie seinen Wortschwall über sich ergehen und sobald er sie nicht mehr ansah, huschten ihre Augen schnell zum Lehrertisch, doch sein Platz war leer.
Er war fort. Ihr Herz fühlte sich mit Traurigkeit und Angst.
Er hastete durch die schwach beleuchteten Gänge hinab in den Kerker, hinab in seine Gemächer. Viele glaubten er hause hier unten nur, weil es zu seiner Stimmung passte, das mochte durchaus zutreffen, aber es gab einen anderen Grund.
Kaum einer der hier nichts verloren hatte verirrte sich hier her. Schwerfällig ließ er sich in seinen gemütlichen Ohrensessel fallen und zauberte sich ein Glas Feuerwhisky herbei. Er nahm einen großzügigen Schluck und genoss das Brennen in seiner Kehle.
Nur noch wenige Stunden waren ihm geblieben. Er bildete sich ein den Gestank des Todes bereits zu riechen. Heute würde Gevatter Tod nach Hogwarts kommen und er würde sein gehorsamer Diener sein. Severus sank in sich zusammen.
Seine Stirn lag schwer in seiner Hand. Müde schloss er die Augen, blendete so den Rest dieser verhassten Welt aus.
Ein Pochen an seiner Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Er wusste wer ihn hier aufsuchte, aber er wollte ihn nicht sehen. Nicht heute, nicht jetzt. Er leerte sein Glas in einem Zug und stellte es mit wucht auf den Tisch gerade so das es nicht zerbrach.
Beherrscht wie immer. Erneut erklang das Pochen. Wütend und gereizt schritt er auf die Tür zu und riss sie mit Schwung auf, so dass sie beinahe aus den Angeln riss.
„Ich habe dich erwartet. Komm herein." Sein Gast trat ein und Severus schloss die Tür.
Severus verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. Er bat seinem Gast nichts an, keinen Platz, keine Erfrischung, er wollte ihn nicht sehen, wollte obwohl es unausweichlich war, auch nicht seine Worte hören oder mit ihm sprechen.
„Severus bitte!" flehte sein Gast.
„Als ich dir vor vielen Jahren versprochen habe, dir zu dienen und dir jeden Gefallen um den du mich bitten würdest zu erfüllen, konnte ich nicht ahnen, dass du mich darum bitten würdest."
Obwohl er es vermeiden wollte, schlich sich doch Bitterkeit in seine Worte. Er liebte diesen Mann wie einen Vater und doch forderte er so einen hohen Preis seiner Loyalität von ihm. Der andere Mann presste fest die Lippen zusammen, ernst und kalt blickte er Severus an.
„Du hast es versprochen! Dein Versprechen bindet dich, denk daran!" ermahnte er ihn.
Severus konnte ihm nicht mehr in die Augen sehen. Tränen machten die seinen blind, also senkte er den Kopf und sah nach unten.
„Ich werde mein Wort halten, so wie ich es versprochen habe!" stieß er mühsam hervor, bemüht jegliches Gefühl aus seiner Stimme zu verdrängen.
Zufrieden verließ sein später Besucher ihn ohne ein Wort des Abschiedes, dass wäre der Gipfel des Zynismus gewesen und ihm gegenüber eine grobe Beleidigung.
Severus legte seine Sachen zurecht. Was konnte er mitnehmen? Er würde nicht mehr zurückkehren. Sehnsüchtig sah er auf seine Bücher. Über die Jahre hinweg hatte er eine beachtliche Sammlung zusammengetragen.
Sanft, beinahe zärtlich strich er über die Buchrücken, erinnerte sich dabei an jede einzelne Geschichte wie er zu dem Buch kam. Kein einziges konnte er mit sich nehmen, er musste sie alle zurück lassen. Oh wie sehr in das schmerzte. Bücher waren sein Leben.
Er liebte die bedruckten Seiten, das rascheln beim umblättern, die unterschiedlichen Gerüche die ein altes Buch verströmte. Es hatte gelebt und erzählte ihm auf vielen Wegen seine Geschichte.
Mit den Augen, in dem er las welche Geschichte sich zwischen den Buchrücken verbarg. Mit den Händen ertastete er jede Erhebung und jede Einkerbung und wusste so ob es gut oder schlecht behandelt worden war und schließlich sein Geruch. Anhand dieses ließ sich sagen ob sein Besitzer es geliebt oder mit Missachtung gestraft hatte.
Roch es nach Mottenkugeln und waren die Seiten blassgelb, so wurde es lieblos auf einem Dachboden gesperrt, aber roch es nach Wärme, nach Möbelpolitur und vielleicht noch nach Zigarre. So wurde es geschätzt und behielt immer seinen Ehrenplatz in einem von der Sonne abgewandten Bücherregal.
Severus rückte ein letztes Mal alle ordentlich in eine Reihe und kehrte ihnen den Rücken zu.
Er packte seinen Zauberstab und verbarg in unter seiner schwarzen Robe, ihn würde er heute ganz bestimmt noch brauchen.
Ein Blick auf die Uhr sagte ihm es wurde Zeit zu gehen, ohne zögern Schritt er zur Tür und öffnete sie. Er trat in den Flur und warf einen letzten Blick in seine Kammer.
15 Jahre hatte er hier gelebt. Er würde nie wieder in seinem Ohrensessel vor dem Kamin sitzen, ein Glas Wein in der Hand und ein Buch in der anderen. Er würde nie wieder aus dem Fenster sehen und über sein Leben philosophieren. Nie wieder würde er hier Frieden finden.
Schwungvoll warf er die Tür ins Schloss, er hatte keine Zeit für Sentimentalitäten. Mit großen Schritten eilte er den Gang entlang, hinauf in den Astronomieturm.
Hier im Kerker war alles noch wie immer, doch je höher er stieg umso lauter wurden die Geräusche des Krieges. Sein alter Meister hatte seine Schergen ausgeschickt den einen zu vernichten, aber an ihm würde es liegen diese schändliche Tat auszuführen.
Müde, er war so müde. Warum konnte er nicht an seiner statt sterben? Ihn würde niemand vermissen, keiner würde um seine verlorene Seele trauern. Severus du hast keine Zeit dich solch albernen Gedanken hinzugeben! Ermahnte er sich selber streng.
Er hatte die letzte Treppe hoch zum Turm erreicht. Zorniges Geschrei drang nach unten. Draco Malfoy war oben und auch Greyback und noch wer, dessen Stimme er noch nicht zu ordnen konnte.
Wenn er diese Treppe überwand gab es kein zurück mehr, dann musste er es tun.
„Du hast es versprochen!" klang es plötzlich in seinen Ohren. „Ja das hab ich alter Mann und ich halte meine Versprechen!"
Wütend stieg er die Stufen empor und trat durch die Tür auf die Aussichtsplattform des Turms. Dumbledore lehnte an der Brüstung und sah ihn flehend an. Hinter ihm prang am Himmel das Zeichen des dunklen Lords.
Wie war der Zauberstab in seine Hand gekommen? Er musste ihn bevor er hier heraus kam gezückt haben. Seine andere Hand krampfte sich um den Stoff seiner Robe. „Zurück!" bellte er Malfoy an und trat selber noch einen Schritt nach vorne.
„Bitte!"
flehte Dumbledore.
„Bitte Severus!"
In seinen Augen loderte ein Hass auf, wie er ihn noch nie verspürt hatte und verzehrte seine Gesichtszüge vor Abscheu. Er hasste Dumbledore dafür dass er ihm das antat.
Die schlimmste aller Strafen und Tat zugleich die er je bekam und ausübte. Er hob seinen Zauberstab und sprach die unverzeihlichen Worte aus.
„Avada Kedavra!"
