Disclaimer:Ich borge mir nur die Charaktere, sonst nichts. Idee, Entwurf und fertige Geschichte gehören mir. Fehler, können passieren, selbst der unglaublichen Beta-Leserin, Amira.

Titel: Rain

Genre: Romanze, Drama

Rating: M

Original Writing: 07. Januar 2011

Original Air-Date: 11. Oktober 2011

a/n: Es ist absolut notwendig, die Multichapter-Story Baby Love gelesen zu haben, da viele vorherige Geschehnisse von immenser Bedeutung sind!

Ich hoffe es gefällt. Viel Spaß:


Prolog – Once Upon A Time With Me (Florence Warner Jones)

„Was hat sie?", fragte er routiniert, während er neben dem Sanitäter herlief, der wiederum in knappen Worten beschrieb, dass die Patientin von einem Auto angefahren worden wäre und seither das Bewusstsein nicht verloren hätte. Im Gegenteil, sie fühlte sich trotz großer Platzwunde am Hinterkopf, mehrerer gebrochener Rippen und vermeintlichen inneren Blutungen pudelwohl.

Nach einer schellen Transformation in die grünen Kittel, war der OP mit Schwestern und seinen Assistenzärzten gefüllt. Der Anästhesist hatte merkwürdigerweise die Frau auch nicht so schnell ins Traumland befördert, wie man es gewohnt war und erwartet hätte. Doch Dr. Marc Meier würde nicht Dr. Marc Meier sein, wenn er sich von diesen Symptomen beeindrucken lassen würde.

„Knechtelsdorfer, haben Sie schon wieder zu viel gegessen, oder warum stöhnen Sie so?", fauchte ihn sein erster Vorgesetzter harsch an, als die zweite Assistenz kaum gerade stehen konnte.

„Uhm, bin ich kurz entschuldigt?", fragte der Österreicher salopp.

Er würde nicht ausrasten, er würde ganz ruhig bleiben. Heute war sein letzter Arbeitstag – was redete er, es waren die letzten Arbeitsstunden, stellte er mit einem Blick auf die Wanduhr fest – und niemand würde ihn so furchtbar aufregen, dass er sich den ganzen Urlaub darüber ärgern würde.

„Dann gehen Sie doch, aber kommen Sie mir heute ja nicht mehr unter die Augen", schnaubte er verächtlich.

Seine erste Assistenz störte sich herzlich wenig an ihrem Konkurrenten. Sie schaute konzentriert auf die mit Fibrin geklebten Stellen im Bauchraum der Patientin.

„Du und der Knechtelsdorfer übt ja gar keine Machtkämpfchen mehr aus", grinste er sie an, nachdem sie sich wieder die weißen Kittel angezogen hatten. Eben geöffnete Patientin war stabil und wurde auf die Hassmann abgeschoben, sollte sie sich um den Neuroh-Schaden allein kümmern. Es war schon ziemlich lange her gewesen, dass er freiwillig irgendwo Ferien gemacht hatte, noch dazu mit einer Frau an seiner Seite, die ihn vermutlich von einem Museum zum anderen schleppen würde. Dabei wollte er nichts sehnlicher als sich satte zwei Wochen am Strand von der Insel Oahu, Hawaii, zu suhlen und mit dem dicksten Sonnenbrand wieder nach Hause zu kommen.

„Ich denke, er ist erwachsen geworden", sagte Gretchen gehässig.

Im Schwesternzimmer stellte sie aus den Schränken zwei Gläser auf die Arbeitsplatte um diese mit Wasser für Marc und sich selbst zu füllen.

„Und wann folgst du ihm, Hasenzahn?", fragte er belustigt.

„Hei, werd nicht frech, jetzt. Die letzten paar Stunden schaffst du auch ohne blöde Witze." Sie trank einen Schluck und fügte dann salbungsvoll hinzu:
„Außerdem heißt es Dr. Hasenzahn!"

Marc betrachte sein Gegenüber, nachdem er sich auf einem Schwingstuhl niedergelassen hatte. Sie waren jetzt fast ein ganzes Jahr zusammen. Und je mehr Klamotten von Gretchens Kleiderschrank bei ihm Unterkunft erbaten, desto sicherer war er sich, dass er sich auf seine Feierabende sehr viel mehr freute, als auf das Aufstehen morgens, wenn die Arbeit begann.

Es war nie so gewesen.

Nicht einen Tag konnte er sich daran erinnern, dass er lieber zuhause in seiner Wohnung gewesen wäre, als auf der Arbeit – bis letztes Jahr September, nachdem er mit seinem Hasenzahn, pardon, durch ihre Promotion ja jetzt ein titeltragender Hasenzahn, Dr. med., den Sprung ins kalte Wasser gewagt hatte, und sie beide ganz frivol dem monogamischen Trieb eines jeden Frauenherzens erlegen waren. Eine Zeit lang hatte er gedacht, dass er jeden Tag, den er nicht fremdgehen würde, so etwas wie Stolz empfinden würde. Doch schon nach den ersten Tagen musste er zugeben, dass er überhaupt gar keine Ambitionen mehr zeigte anderen Frauen auch nur noch nachzuschauen. Die niedlichen zwanzigjährigen Mädchen mit ihren festen Brüsten, mit denen man Nüsse knacken konnte, törnten ihn weniger bis gar nicht mehr an, und weiß Gott, nicht ein einziges Mal hatte er sich einen Porno reingezogen oder gar müssen.

Und vor nunmehr ebenfalls fast einem ganzen Jahr hatte Gretchen ganz zeremoniell ihren Doktorhut mit Titel überreicht bekommen.

Er zeigte es niemandem, nicht einmal seiner Freundin in verweichlichten post-Orgasmus-Momenten, dass er unheimlich stolz auf sie war. Gerade weil der Mensch, der es, nach ihm, vermutlich am meisten ersehnt hatte, nicht miterleben konnte – ihr Vater.

Er seufzte.

Gretchen ließ sich vor ihm in die Hocke sinken und schaute ihn ernst an: „Hast du Zweifel?", fragte sie vorsichtig. Die Frage kam seit Wochen des Häufigeren über ihre Lippen. Jedes Mal, wenn er sich länger streckte, oder ein paar Stunden keine Anspielung auf ihre Null-Diät gemacht hatte, würde sie ihn fragen, ob er sich wirklich sicher war, ob er mit ihr wirklich in den Urlaub wollte.

„Ich kann verstehen, wenn du nicht willst. Wir müssen ja nun auch nichts überstürzen und die Tickets kann man sicher noch..."

„Nein, du könntest es nicht verstehen", sagte er bestimmt, blickte ihr tief in die Augen und legte seine Stirn an ihr, „aber zum – ich hab nicht mitgezählt – einmillionsten Mal?, wir fliegen heute Nacht gen Westen! Klar?"

Gretchen schaute ihn mit glänzenden Augen an. Sie biss sich sogar auf die Lippe, nachdem sie heftig genickt hatte.

„Gut", sagte er ebenfalls nickend. Er hob ihren Kopf ein klein wenig mehr an und drückte energisch seinen Mund auf ihren.

„Sie sind echt nicht zum Aushalten", unterbrach Maria die beiden forsch.

Gretchen, nur ein kleines bisschen ihres sonst so liebevollen Gemüts von Marc korrumpiert, errötete sofort und auch ihr Freund räusperte sich umständlich: „Ihre Tochter kommt ganz nach Ihnen, Frau Dr. Hassmann, sie klopft auch nie an." Er rümpfte verächtlich die Nase. Die einzige wunde Stelle, das hatte er gelernt, war bei dieser verhärteten Ärztin vor ihm ihre Tochter: Moira.

„Gut, dass ich sie (Moira) immer weiter mit irgendwelchen peinlichen Geschichten über Ihre RomCom hier am Arbeitsplatz füttern kann, nicht wahr, Dr. Meier", lächelte sie daraufhin wissend.

Seufzend setzte sie sich am runden Tisch gegenüber von Marc hin. Gretchen hatte sich in der Zeit aufgerichtet und stellte auch Maria einen Kaffee hin.

„Danke – das MRT zeigt nichts, was auf einen äußeren Fremdkörper schließen lassen könnte. Kein Tumor, kein Narbengewebe – nicht mal ein undefinierbarer Schatten. Wir führen gerade ein EEG durch, mal sehen, ob das etwas anzeigt", sagte sie nachdenklich und schob die Patientenakte über den Tisch zu Marc und Gretchen hin.

Der wiederum sah die Bögen Papier nur belanglos an und schob sie wieder von sich weg.

„Falls es Ihnen entgangen sein sollte, Frau Dr. Hassmann, wir", er zeigte auf Gretchen und sich „haben in ein paar Stunden zwei Wochen Urlaub – außer Sex am Strand wird da wenig über irgendwelche merkwürdigen Gehirnwindungen eines nicht mehr in unseren Zuständigkeitsbereich fallenden Patienten geredet, geschweige darüber nur ansatzweise nachgedacht. Auch wenn es sehr interessant klingt...", fügte er leiser hinzu. Es kostete ihn wirklich Kraft, die Verantwortung abzugeben.

Die Pieper von Gretchen und ihrem Oberarzt klingelten synchron: „Tja, Frau Dr. Hassmann, sollten wir uns nicht mehr sehen – gutes Gelingen die nächsten zwei arbeitsreichen Wochen, nicht?", führte die Blonde aus und winkte beim Gehen.

Eigentlich sollten sie um 19 Uhr Feierabend gemacht haben, im Auto saßen sie aber erst um kurz nach neun. Eine Massenkarambolage auf der Autobahn hatte den ganzen Ablauf ins Wanken gebracht.

Es hatte sich irgendwie selbstverständlich eingebürgert, dass Gretchen fuhr. Durch den Verlust seines Führerscheins über ein halbes Jahr war es zur Normalität übergegangen. Einige Male hatte sie sogar versucht ihn zu überreden, ob sie sich nicht aufs Fahrrad schwingen wollten, um dann zur Arbeit zu fahren. Dies hatte er dankend abgelehnt. Man konnte vielleicht von dem Anwesen der Haases mit dem Rad fahren, es waren ja auch nicht mal ganz drei Kilometer, sein Apartment lag aber etwas weiter entfernt, und wenn er die Möglichkeit hatte, eineinhalb bis sogar zwei Stunden länger mit ihr im Bett zu liegen, oder zu... toben, dann würde er das auch nicht aufgeben, nur damit die Frau neben ihm hier und da noch ein paar Pfunde verlor.

Geschickt lenkte sie sein Schlachtross durch die Straßen von Berlin, fuhr vorsichtig an jede Kreuzung heran, blieb an jedem Stoppschild stehen, überfuhr keine gelben Ampeln mehr und ließ sogar Leute, die am Zebrastreifen vergeblich warteten, dass man sie rüberließ, gewähren und hielt an.

Er beobachtete sie jedes Mal, wenn sie sich konzentriert einer Sache hingab. Und neben dem Autofahren war dies in Operationssälen, beim Umgestalten seiner Wohnung und den Blick jeden Freitagmorgen auf die Waage.

„Uh, wir müssen nachher am Flughafen unbedingt noch einen Erste-Hilfe-Koffer kaufen, nicht das unterwegs noch etwas passiert und wir dann dastehen und..."

Marc schüttelte lachend den Kopf, seit Monaten, seit er sie den Weihnachtsmorgen überrascht hatte, plante sie diesen Urlaub bis ins kleinste Detail, angefangen von ihrer leicht besorgniserregenden Nulldiät, die ihre beiden Mütter an Nachwuchs denken lassen hatte, bis hin zum Koffer oder besser gesagt Koffern, in die alles rein gepfropft wurde.

Es war schon merkwürdig, dass sich innerhalb so kurzer Zeit sein ganzes Leben um einhundertachtzig Grad gedreht hatte, allerdings positiv, sodass er selbst schon die Autofahrten genoss, die beide in sein Apartment beförderten.

Auch, dass er zum besten Babysitter aller Zeiten, Lily hatte ihm zum Geburtstag ein in Ton gestanztes Bild mit eben jener Aufschrift geschenkt, mutiert war, störte ihn herzlich wenig, wenn er daran dachte, wie viel Spaß er dabei mit seinem Hasenzahn gehabt hatte.

„Ja, und auf der Liste steht ebenfalls noch einmal Sex zuhause, das dürfen wir ebenfalls nicht vergessen", grinste er schelmisch.

Gretchen kniff ihm in den Oberarm: „Ich will doch nur, dass alles perfekt ist", seufzte sie.

„Sagt dir dieser furchtbar pathetische Spruch: „Das Streben nach der Perfektion ist immer imperfekt?" etwas? Es wird schon alles glatt gehen!"

Gretchen biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. Als sie abermals an einem Bahnübergang stehen bleiben musste, lehnte sie ihren Kopf gegen die Stütze und schaute ihn verstört an.

„Ich weiß ja selber nicht, warum ich so nervös bin..."

„Weil du eine Frau bist und nicht das Gehirn zum Denken einsetzt, sondern den lebensnotwendigen Blut pumpenden Muskel in deiner Brust etwas oberhalb der Leber. Selbst wenn du dich am ersten Abend mit Salmonellen vergiften solltest, solange ich Whale Watching betreiben kann, egal wo, ist es mir egal"

„Ich wusste gar nicht, dass du Wale so gern magst. Und auch nicht, dass vor der Küste Hawaiis Wale schwimmen", gab sie beschämt zu.

Er versucht diesmal wirklich nicht zu lachen. Er bemühte sich. Aber es gelang ihm nicht. Schallendes Gelächter erfüllte den kleinen Raum des Autos: „Warum lachst du denn jetzt?", fragte sie leidlich.

Doch er schüttelte nur den Kopf und lachte weiter vor sich hin, den einzigen Hinweis, den er ihr gab, war sein Zeigefinger, der auf sie gerichtet war.

„Ist mir schon klar, dass du über mich lachst – aber warum?", sie rümpfte beleidigt die Nase.

Er beruhigte sich nach einigen Minuten wieder, in denen noch immer kein einziger Zug über die Gleise gebrettert war.

„Ich habe keine Beziehung zu Fischen, oder Walen, oder Tieren im Allgemeinen", sagte er zweideutig und da verstand dann natürlich auch Gretchen, was denn nun Whale Watching zu sein schien. Mit Absicht etwas kräftiger schlug sie ihm auf den Oberarm: „Marc Meier, ich bin kein Wal! Warum vergleichst du mich immer nur mit furchtbaren Tieren oder hässlichen Zähnen? Das ist wirklich nicht nett. Dir ist schon klar, dass mich das sehr tief trifft." Es sollte würdevoll und verletzt klingen, doch natürlich gelang es ihr nicht, durch die zuckenden Mundwinkel, die ein Lächeln formen wollten.

„Ich könnte doch auch ein graziler Delphin sein."

„Hallo Flipper-ine, was?", er grinste.

„Oder ein hübscher bunter Fisch, gibt es ja im türkisfarbenen Wasser zu Dutzenden."

„Ein Clownfisch also, ja?"

Der Zug kam nun endlich vorbei gerauscht.

„Och Mann, Marc, jetzt wirklich, fällt dir kein hübsches, intelligentes Tier ein, mit dem du mich vergleichen magst?"

Er presste die Lippen zusammen, er tat so, als ob er angestrengt überlegte: „Eine Qualle vielleicht?"

Resigniert schnaubte sie ihren Ärger aus, nachdem sie nun endlich wieder den Motor gestartet hatte, und die Fahrt fortsetzte.

Nach ein paar Minuten, in denen eine unbehagliche Stille über das Auto hereingebrochen war, fragte er in schönster Oberarzt-Manier: „Bist'e jetzt sauer, oder was?"

Sie sagte nichts, worauf er nur ergeben aufstöhnte: „Du konntest doch eben selbst beinahe drüber lachen!"

„Wal und Qualle, Marc. Jetzt weiß ich ja wenigstens was du wirklich von mir denkst." Sie war wirklich leicht sauer. Er schaffte es immer wieder, sie von himmelhochjauchzend in tieftraurig zu verwandeln wie die größte manisch-depressive Erkrankung, die sie kannte. Der Mann machte sie echt wahnsinnig.

„Du bist aber auch heute empfindlich – du hattest deine Regel doch aber erst letzte Woche, daran kann's also nicht liegen", dachte er laut nach.

„Oder hast du heute noch nicht deine Tagesration Tofu gegessen?" Sie aß, seit Weihnachten, kaum etwas anderes mehr, zumindest nicht vor ihm.

„Warum kann ich nicht etwas Süßes, Niedliches sein? Kein Hasenzahn, sonder vielleicht ein Hasi, oder statt dieses bösen Pottwals ein kleines Seepferdchen."

„Damit ich dich gut einreiten kann, nicht?" Seine Augenbrauen tanzten vielversprechend auf und ab. Er sah manchmal aus, wie einem alten italienischen Mafia-Film entsprungen. Heiß, aber gefährlich.

Sie grollte tief, als sie endlich die Auffahrt des Apartment-Parkplatzes erreicht hatten.

„Du verstehst überhaupt gar nicht was ich meine, oder? Und noch schlimmer, du versuchst es noch nicht einmal"

Sie war wirklich frustriert. Sie hatte sich so dermaßen angestrengt, abzunehmen. Es war ihr sogar gelungen, ganze zehn Kilo fehlten ihr seit dem Jahreswechsel und er hatte es nicht ein einziges Mal gewürdigt. Nicht: „Du bist so wunderschön" oder „ich bin so stolz auf dich" - es kam in dieser Hinsicht absolut nichts rüber.

Sie freute sich natürlich wahnsinnig jedes Mal aufs Neue, wenn er die drei speziellen Worte über die Lippen brachte – sie waren rar, aber damit waren sie umso schöner und einzigartiger, wenn er sie doch hervor bekam – aber Frauen und Gretchen im Besonderen, freuten sich auch mal darüber, wenn man ihnen sagte, dass sie begehrenswert, schön und attraktiv gefunden wurden.

„Das, was ich raushöre ist, dass du willst, dass ich dir einen bescheuerten Kosenamen gebe. Du hast dich bisher doch auch nie über den Hasenzahn aufgeregt?"

„Ich rege mich auch nicht über „Hasenzahn" auf, sondern über den Wal. Ich hab verdammt viel abgenommen und ich bin unsagbar stolz drauf, und alles was du zu sagen hast, ist, dass ich anscheinend immer noch so dick wie ein Wal bin." Sie stieg aus dem Auto, nachdem sie es in die gewohnte Parklücke abgestellt hatte, und ging schon einmal vor.

Marc seufzte.

Schnellen Schrittes folgte er ihr und hatte sie auf Höhe der Eingangstür eingeholt. Ruckartig packte er sie am Handgelenk und wirbelte sie zu sich herum. Und natürlich sah er die ersten Tränen in ihren Augen glitzern:
„Ich hab dir schon einmal gesagt, dass ich auf dicke Ärsche stehe", versuchte er die Situation zu lockern, doch Gretchen wollte sich nur seinen Armen entziehen.

Er grollte. „Ja, gut, ich gebe zu, ich habe nicht einmal deinen Diätwahn kommentiert – aber nicht weil ich wollte, dass du dich dezimierst, sondern weil es mich herzlich wenig interessiert!", sagte er ehrlich und drückte sich mit Zeige- und Mittelfinger aufs Nasenbein.

„Ich hab keinen dicken Arsch", wehrte sie sich und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Doch, hast du immer noch", lachte er leichthin, fügte aber direkt hinzu: „Es ist mir trotzdem scheißegal."

Resigniert seufzte die Blonde auf: „Dann nenn mich nie wieder einen Wal – das ist nicht nett!"
Er leckte sich über die Lippen und seine Augen blitzten verdächtig auf – der nächste Angriff würde prompt folgen:

„Soll ich dir etwa andere bescheidene Kosenamen geben, wie es die kleine dicke Freundin von deinem Bruder macht?"

Sie prustete laut: „Mich kann man nicht Jochen-Joey nennen, Marc." Seine Schlagfertigkeit und auch seine Sticheleien waren in den Versöhnungsmomenten so furchtbar plump, dass sie jedes Mal einlenken musste, wenn sie sich über solch banale Dinge „schein"-stritten – doch die gute Nachricht war: Es gab keine wirklichen Streitgespräche.

„Ich mein ja auch diesen anderen... irgendwas mit super oder..."

Doch Gretchen hatte schon ihre Arme um seinen Nacken gelegt und zog ihn ein Stückweit zu sich hinab: „Ich habe gar keine Ambitionen auf einen anderen Spitznamen, als Dr. Hasenzahn. Von daher kannst du in nicht ganz vierundzwanzig Stunden gern Rabbit Teeth Watching machen. Für den Wal musst du dich allerdings noch entschuldigen, also richtig", flüsterte sie verheißungsvoll. Die letzten Zentimeter überwand er fix um seine Lippen auf ihre zu legen.

Eine dreiviertel Stunde später stand Gretchen in Marcs Hemd vor dem Kühlschrank in der Wohnung und suchte nach etwas Essbarem. Anscheinend störte es ihn wirklich nicht sehr, dass sie durchschnittlich korpulentere Züge hatte, als die moderne Modellfrau eines jeden anderen Oberarztes.

Sie entschied sich für einen Schokoladenpudding, der ihr aber in einer raubkatzenartigen Bewegung aus der Hand entwendet wurde. Marc hatte sich besagten Pudding geschnappt und setzte sich auf die Arbeitsplatte der Kücheninsel. Ein breites Lächeln zierte sein Gesicht.

„Wenn du den hier isst, war der ganze Sex gerade vollkommen umsonst!" Er öffnete den Aludeckel selbst und löffelte den ersten Happen.

Gretchen trat die Schranktür zu und schwang sich neben ihn auf die Ablage. Es sollte grazil und damenhaft wirken, aber im Endeffekt sah es aus, wie ein Wackelpudding, der die Treppe hinunter fiel. Marc sagte jedoch nichts, und aß den Pudding kommentarlos weiter, obwohl sie ihn eindringlich anschaute, damit er ihr auch einen Löffel zukommen ließ.

Sie seufzte theatralisch und lehnte sich noch ein bisschen näher an ihn ran. Ihr war durchaus bewusst, dass er so tat, als ob er nicht verstand, dass sie ebenfalls ein bisschen Pudding abbekommen wollte. Doch irgendwann würde er einlenken, das machte er immer.

„Also wenn du mir die Hälfte übrig lässt, wäre der Sex nur halb so sinnlos gewesen, oder?", fragte sie nach ein paar weiteren desinteressierten Teelöffeln, die er sich egoistisch in den Mund geschoben hatte.

Und da rang sich auch endlich ihm ein kleines Lächeln ab, als er ihr den halbleer gefutterten Becher in die Hand drückte, einen weiteren Löffel aus der Schublade neben ihm kramte und sie glücklich vor sich hin essen ließ.
„Du hast keine Ahnung, wie sehr ich das jetzt gebraucht habe! Mehdi hatte vielleicht recht gehabt, ich hätte zu den Weight Watchers gehen sollen, schließlich darf man da ja alles essen", sagte sie leichthin, während sie genießerisch den Löffel ableckte.

„Die Gruppe Halbirrer hatte Mehdi damals auch nicht geholfen", seufzte Marc. Er ging abermals zum Kühlschrank und holte noch einen weiteren Pudding aus dem Fach hinaus.

„Wie meinst du das? Ich hab mal ein Foto von ihm gesehen, wo er wirklich, nun... sehr rundlich ausgesehen hatte. Und er sagt ja selber, dass er..."

Marc kratzte sich nachdenklich an der Stirn: „Er hat nur abgenommen, weil ich damals die Kantinen-Tante bestochen habe, sodass sie ihm ein starkes Abführmittel unters Essen mischen musste", gestand er und blieb zwischen ihren hängenden Beinen stehen.

Gretchen hörte sofort auf zu essen und stellte Löffel mit noch immer nicht leerem Becher neben sich ab. Wie ein Reh, das im Scheinwerfer eines Autos bewegungslos stehen blieb, schaute sie ihn erschrocken an.

Marc rollte nur die Augen: „Nein, ich hab den Pudding nicht vergiftet, Hasenzahn!"

„Dr. Hasenzahn, soviel Zeit muss sein", wiederholte sie die Worte, die sie seit ihrem Titel schon so oft in den Mund genommen hatte.

„Musst du eigentlich immer das letzte Wort haben?"

Sie leckte sich lasziv über die Unterlippe: „Nein. Ich kann auch sehr passiv sein."

„Schon wieder, immer das letzte Wort.", lachte er heiser, als er sich der Nähe zu ihr sehr viel bewusster war als noch einen Augenaufschlag zuvor.

Ruppig riss er sein eigenes Hemd an ihrem Körper an der Knopfleiste in zwei: „Marc", quiekte sie erschrocken, stöhnte aber direkt danach kehlig auf, als er eine heiße Spur von ihrem Dekolleté über ihren Hals bis hinter ihr Ohr mit seiner Zunge malte.

„W... wir sollten vielleicht wieder ins Schlafzimmer", stotterte sie keuchend.

Marc stöhnte, erhob seinen Kopf aus ihrer Halsbeuge und schaute ihr direkt in die Augen. Mit einem eingehenden Grinsen neckte er sie: „Du bist so prüde, weißt du das. Wir hatten noch nie hier in der Küche Sex – das wäre doch ein guter Urlaubsbeginn." Er zwinkerte. Entschieden drückte er sie nach hinten zurück. Durch die Kälte der Edelstahlplatte erzitterte sie schon am ganzen Körper, bevor er nur eine geschickte Fingerkuppe über ihre Haut fahren ließ. Er hatte schon immer diese besondere Gabe gehabt, sie mit nur ein paar winzigen Berührungen um sämtliche Willenskraft zu bringen.

Von ihr völlig unbemerkt hatte er den Puddingbecher geöffnet und wollte gerade mit dem glasierten Zeigefinger etwas auf ihren nackten Bauch malen, als es klingelte.

Sie schrie leicht erschrocken auf und setzte sich wieder hin, während er sauer fluchte: „Es ist nach 10! Wer auch immer das ist, kann mich am Arsch lecken." Er versuchte sie wieder zurück zudrücken, wollte unter gar keinen Umständen jetzt aufhören, doch sie schob sich das Hemd schon wieder zurecht, verknotete die noch drangebliebenen Knöpfe und fuhr sich fahrig durch die Haare.

„Nun geh schon", sie schubste ihn gen Wohnungstür, schlug selbst aber den Weg zum Schlafzimmer ein. Wer auch immer das da draußen war, wollte definitiv nicht zu ihr. Ein jeder, den sie kannte, wusste, dass sie morgen früh im Flieger nach Frankfurt saß, um von dort aus in einem fünfzehnstündigen Flug ins Paradies abzudriften.

Ein permanentes Lächeln hatte sich auf ihrem Gesicht breit gemacht, wie in einem Film ließ sie sich deshalb ungeniert rücklings in die weichen Federn des Bettes fallen.

Marc räusperte sich, um sich zu sammeln, bevor er die Tür öffnete.

Vermutlich hätte er sonst seinem Gegenüber gehörig den Marsch geblasen, was diesem wohl einfiele zu solch später Stunde noch zu stören.

Und gut, dass er dies gemacht hatte, denn vor ihm stand ein korpulenterer aber ausdrucksstarker alter Mann im sechziger Jahre Trenchcoat, hinter ihm eine Armee von Leuten, zwei ebenfalls in zivil gekleidete junge Herren, eine Frau, Marc tippte sie auf Mitte Fünfzig, und zwei erkennbare Polizisten in Uniform.

„Marc Meier?", fragte der Mann, der ihn irgendwie an eine schlechte '80er Jahre Krimiserie aus den USA erinnerte.

Marc bewegte seinen Mund ähnlich wie ein Fisch auf und zu, bis dann doch endlich ein Ton folgte: „J-ja. Dr. Marc Meier", führte er aus.

„Becker, meine Kollegen", er deutete auf die zwei Männer zu seiner Rechten, „Schirke und Phalke – Mordkommission." Er zeigte seinen legitimen Ausweis vor. „Frau Staatsanwältin Landmann, und die zwei netten Herrschaften, sind nur hier, falls sich Schwierigkeiten ergeben sollten." Er zeigte auf die Polizisten.

Die Frau überreichte ihm einen auf rotem(pink) Papier gedruckten Haftbefehl und einen weiteren Fetzen: Durchsuchungsbeschluss.

Marc wich sämtliche Farbe aus dem Gesicht. Würde man ihn jetzt doch tatsächlich für den damaligen Unfall zur Rechenschaft ziehen, hatte Gabi irgendwo ein Hintertürchen gefunden? Gerade jetzt, wo alles so verdammt gut für ihn gelaufen war?
Beim Überfliegen der Zettel hatte er eine kleine Wichtigkeit überlesen, die er erst realisierte, als man ihn abermals ansprach:
„Lassen Sie uns nun hinein?", fragte der vermeintliche Hauptkommissar forsch.

„Wir wissen, dass die Verdächtige bei Ihnen wohnt", fuhr er fort und Marc erblickte nun auch endlich die Adressierung: „Frau Dr. med. Margarethe Haase"

Anstelle von Erleichterung, dass es anscheinend nicht um den umgefahrenen Mann ging, spürte er einen sehr viel größeren Anflug von Panik als zuvor.

„S-sie ist im Schlafzimmer", sagte er wahrheitsgemäß. Natürlich dachte er, dass er sie wenigstens holen gehen durfte, aber das nahm der Kollege Phalke in die Hand, nachdem er in einer frechen Art gefragt hatte, wo sich denn die Gemächer der Ex-Millionärswitwe befanden. Marc verstand nun wahrlich nicht mehr viel, da er zu sehr geschockt von diesem überfallartigen Besuch war. Doch was definitiv von seinem Gehirn in Informationen umgewandelt wurde, war, dass es augenscheinlich um Alexis ging, oder besser gesagt um dessen Tod. Gewiss war dieser Mann kein Freund von ihm gewesen, und es scherte ihn herzlich wenig, wo er war, oder was er machte, doch den Tod hatte er nach noch nicht mal ganz der Hälfte seines Lebens auch nicht verdient.

Etwas ruppig wurde Gretchen aus dem Schlafzimmer befördert. Sie hatte eine zerschlissene alte Jeans an und noch immer sein zerrupftes Hemd.

„So kann sie ja unmöglich aussagen", mischte sich nun auch erstmalig die Staatsanwältin ein.
Der aschblonde Phalke rümpfte nur die Nase.

„Wo-worum geht es denn um Himmels Willen noch eins?", fragte nun erstmals auch Gretchen. Marc kam schon auf sie zu und legte beruhigend einen Arm um ihre Schulter, nachdem er ihr die Papiere gegeben hatte, die sie sich dann selbst durchlas. Nur wurde sie daraus genauso wenig schlau, wie aus dieser ganzen Aktion.

„Nun, Sie stehen unter dringendem Tatverdacht, Ihren Ex-Ehemann, Alexis von Buren, aus Habgier ermordet und eingemauert zu haben", sagte die Staatsanwältin routiniert und bedeutete den Polizisten sich die Wohnung genauer anzusehen.

lg

manney