Damit Sie auch morgen noch kraftvoll zubeißen können (Blend-a-med)
Ancalagon leckte sich über seine Fänge. Er liebte es, wenn alle vor Furcht erzitterten, sobald er ein Zähneblecken auch nur andeutete. Zahnpflege war für ihn daher von größter Wichtigkeit. Es wäre doch so unendlich peinlich, wenn er schlechte oder vergilbte Fänge hätte!
Er pulte sich mit einer Klaue zwischen den Fängen herum und fischte allerlei Reste seiner letzten Mahlzeit. Verächtlich schnippte er sie davon. Es würde wieder Zeit, sich um die Fänge zu kümmern. Er war bereit, alles dafür zu tun, das perfekte Erscheinungsbild zu geben. Er war ANCALAGON, der Stolz seines Meisters.
Mit raschelnden Schuppen erhob er sich und kroch tiefer in die Höhle, vor deren Eingang er sich bis jetzt gesonnt hatte. Weiter hinten lag ein großer Fleischberg, der Kadaver eines anderen Drachen, den er an diesem Tag erlegt hatte, um dessen Hort zu rauben. Verächtlich beschnupperte er den Kadaver. Schwächlicher Wurm. Dann packte er eines der Beine mit dem Maul und zerrte daran. Mit dem widerwärtigen Geräusch von reißendem Fleisch und berstenden Knochen löste es sich von Rest des Körpers. Ancalagon setzte sich auf sein Hinterteil und spie Feuer auf das tote Fleisch, bis es völlig vom Knochen gebrannt war. Dann begann er, diesen ausgiebig zu benagen.
Und dann habe ich in meinen Dokumenten noch ein anderes Dokument entdeckt, von dem ich nicht weiß, warum es einzeln da herumschwirrte, weil es auch zu diesem Projekt gehörte. Hier ist die dadurch gefundene alternative Version:
Wir befinden uns in einem deutlich überdimensionierten Studioraum. Kameras sind rings um einen Green Screen drapiert und blinken, während die Kameramänner sie auf ihre Funktionalität testen. Überall schlängeln sich Kabel über den Boden. Vor dem Green Screen liegt ein angesengter Knochen, der definitiv zu groß ist, um selbst von einem Wal zu stammen. Wer sich nun fragt, was das alles soll, soll die Antwort just in diesem Augenblick erhalten.
Ein Beben ging durch den Raum, gefolgt von einem beängstigenden Knacken im Mauerwerk des Gebäudes. Einiger der Mitarbeiter schauten sich besorgt an.
„Sicher, dass das eine gute Idee vom Chef war, ihn anzuheuern für den Spot?", fragte einer.
„Der Chef war von seiner Leistung überzeugt, würde der absolute Renner, sagte er", warf ein Tontechniker ein.
„Normalerweise machen wir die Werbung für Blend-a-med doch mit weiß bekittelten Schnöseln und nicht mit…" Der Kameramann wurde jäh von eine zornigen Schnauben unterbrochen. Langsam wandte er sich um. Schweißperlen liefen ihm den Nacken hinab. Er schluckte.
Ein riesiger schwarzer Drache hatte sich in den Raum gequetscht, auch wenn fraglich war, wie er hier hereingekommen war. Er sah deutlich fehl am Platze aus, da er den Kopf einziehen und die Flügel eng an den schuppigen Leib pressen musste.
„Was muss ich tun?", brummte Ancalagon. „Morgoth sei verflucht!" Er schnaubte missmutig eine Flamme aus und hätte beinahe einen Kabelbrand ausgelöst. Warum nur musste Morgoth ihn hierfür abstellen? Um sein Image zu verbessern! Und wer dachte dabei an Ancalagon, der sich zu Deppen machen musste? Niemand!
Ein nervöser Bildtechniker huschte vor Ancalagons Pranken herum. „Wenn Sie mir bitte hierüber folgen mögen", haspelte er. „Lächeln Sie einfach nur freundlich in die Kamera und loben Sie unser Produkt. Wie es im Drehbuch stand, das man Ihnen aushändigte."
Ancalagon zog eine Grimasse. „Etwa so?", wollte er wissen.
„Äh… so in etwa." Der Bildtechniker sagte lieber zu allem Ja und Amen. Auch er hielt die Idee, den Drachen für die neue Werbekampagne anzustellen, für nicht gerade die Beste vom Chef.
Der Drache tapste zum Green Screen, eine Schneise der Verwüstung hinter sich her ziehend, und setzte sich vor den Knochen. Er stammte von einer seiner letzten Beuten, ein anderer Drache, ein elender Wurm, dessen Hort Ancalagon erbeutet hatte. Mit Stolz besah er sich seine Beute. Er war schlicht und ergreifend der Beste, ohne Frage!
Ein kleines Männchen huschte in sein Blickfeld, das mit einer seltsamen Klappe herumfuchtelte. „Äh, Euer Hochwürden", begann es zögernd. „Wenn Sie bitte den Kopf etwas senkten würden. Die Kameras haben Probleme, diesen Winken bis dort oben hin aufzunehmen."
Ancalagon leistete dem folge. Je eher sie eine gelungene Aufnahme machen konnten, desto eher konnte er wieder zurück zum heimatlichen Hort.
„Noch etwas tiefer bitte… und noch… und noch… und…"
„Jetzt ist aber gut!", donnerte Ancalagon. Mittlerweile lag er beinahe mit dem Kinn auf dem Boden. Erniedrigende Pose!
„Äh… So ist es gut", beeilte sich das Männchen zu sagen. Dann hielt er die Klappe vor eine der Kameras. „Take off, die erste!"
Die Klappe klackte. Die Kamera begann zu summen, als sie aufnahm.
Ancalagon zog eine Grimasse und schob etwas umständlich den Kochen in das Bild. Dann begann er darauf herum zu kauen. Nachdem ihm jemand hinter den Kameras ein Zeichen gegeben hatte, hörte er damit auf und bleckte die Zähne. Sie strahlten im hellsten Weiß. Durch das von der Decke fallende Flutlicht bildete sich ein Lichtreflex, der effektvoll an einem seiner Eckzähne aufblitze.
„Blend-a-med!", grinste Ancalagon so freundlich es mit einem Drachengrinsen eben ging in die Kamera. „Damit Sie auch morgen noch kraftvoll zubeißen können!"
Die Klappe klackte erneut. „Beendet!", rief der Mann. „Wir haben's im Kasten! Perfekt!"
Zufrieden richtete Ancalagon sich auf und steckte die Flügel, auch wenn er damit nicht weit kam. Mit Wucht peitschten sie rechts und links gegen die Wände, dass der Putz herabrieselte, gefolgt von einigen Gesteinsbrocken. Ungerührt tapste Ancalagon davon. Die kleinen Wichte hatten, was sie wollten, er hatte seinen Teil erledigt.
Als er fort war, ging ein allgemeines Raunen durch das Studio.
