Kapitel 1
Lupin
Als ich den Raum betrat, empfing mich eine wohlbekannte Stille. Das war recht angenehm, schirmte sie mich doch vor dem Trubel da draußen ab, der mitunter lästig werden konnte. Ich würde wagen zu behaupten, dass man als Werwolf zur Genüge mit seiner persönlichen inneren Unruhe beschäftigt war und es nicht darauf anlegte, viel unter Menschen zu sein.
Seit ich meine Arbeit in Hogwarts aufgegeben hatte, hatte sich die Anzahl meiner sozialen Kontakte auf ein überschaubares Maß reduziert. Im letzten Jahr war ich quasi ständig auf Reisen gewesen. Für jemanden wie mich ist es nicht leicht, eine feste Anstellung zu finden. Von vornherein ausgeschlossen sind Berufe, in denen man nachts im Einsatz ist. Die Arbeit mit Kindern oder Tieren gestaltet sich problematisch, da ich in der Regel hungrig werde, wenn ich mich lange in ihrer Gegenwart aufhalte.
Es spielt keine Rolle, wie sehr man darin geübt ist, seine wölfische Natur zu verbergen. Spätestens an Vollmond zeigt sich die Wahrheit von ihrer hässlichen Seite.
Ich zog meinen Mantel aus, legte die Tasche, auf der mein Name in Goldbuchstaben eingraviert war, auf den Tisch in der Küche und warf einen Blick in den Kühlschrank. Merlin sei Dank war noch Schokolade da! Ein Tag wie dieser schrie geradezu nach einem Trösterchen. Obendrein war es die Gute aus dem Honigtopf, die im Sonderangebot gewesen war und die ich schon zu meiner Schulzeit gern gegessen hatte. Derart gewappnet machte ich es mir im einzigen Zimmer der Mietwohnung bequem, in die ich letzten Monat gezogen war. Zuvor war sie von einer steinalten Muggelfrau bewohnt gewesen und dementsprechend war auch die Einrichtung im Stil der Nachkriegszeit gehalten – zweckmäßig und trist. Mit anderen Worten ein Unterschlupf, der einer Kreatur wie mir würdig war.
Auf dem Couchtisch verstreut lagen der Tagesprophet, Briefe von Sirius Black und Albus Dumbledore. Es war bezeichnend, dass die Presse kein Wort zur Rückkehr Lord Voldemorts schrieb – Fudge hatte ganze Arbeit geleistet.
Verständlich, dass der Zaubereiminister Angst davor hatte, der Wahrheit ins Auge zu blicken. Charakterstärke war noch nie eine hervorstechende Eigenschaft von Cornelius Fudge gewesen. Als an diesem schrecklichen Tag der Schüler Cedric Diggory durch die Hand Peter Pettigrews starb, der Dunkle Lord erneut eine körperliche Gestalt erlangte und beinahe auch Harry tötete, war es Dumbledore gewesen, der den alten Phönixorden reaktivierte. Die Weitsichtigkeit dieses Mannes war und blieb erstaunlich; mehr als jeder andere schien er eine Vorstellung von Voldermorts Absichten zu haben. Ich würde mein Bestes geben, die mir übertragenen Aufgaben zu erfüllen – noch waren diese nicht sonderlich zahlreich. Die Rückkehr des Dunklen Lords schien so schleichend voranzukommen wie die berüchtigte Schlange, die er sich als Haustier hielt. In seinem letzten Brief hatte mir Tatze geschrieben, wie „ungeduldig" er inzwischen war und dass ihm das Versteckspiel im Haus seiner Eltern „auf die Nerven ging". Ähnlich musste es wohl dem jungen Harry gehen.
Doch was blieb uns allen übrig, als auf die Anweisungen Dumbledores zu warten? Er hatte bereits angedeutet, dass für mehrere Mitglieder des Ordens – darunter mich – bald ein größerer Auftrag anstehen würde. Ich war gespannt auf den Einsatz, den wir als große Gruppe ausführen sollten. Ein paar der alten Kämpferherzen waren dabei – Mad-Eye Moody, Elphias Doge und ich –, dazu aber auch einige Zauberer und Hexen, die erst vor kurzem für den Orden gewonnen werden konnten. Als echter Gewinn erschien mir Kingsley Shacklebolt, der das Ministerium bei der Suche nach Sirius bislang erfolgreich am Zauberstab herumführen konnte. Und dann gab es da noch eine junge Hexe, interessanterweise eine Metamorphmagi, was daran zu erkennen war, dass sie ihre Haarfarbe, als wir einander vorgestellt wurden, spontan von blond zu violett werden ließ. Als ich daraufhin ein recht dümmliches Gesicht machte, wie mir Mad-Eye später amüsiert mitteilte, grinste sie und nannte mir ihren Namen: Nymphadora Tonks.
Da Dumbledore darauf bestand, dass die Mitglieder des Ordens ehrlich zueinander waren, musste ich meinen neuen Gefährten wohl oder übel von meinem „kleinen Problem" erzählen. Zu meinem Verwundern reagierten sie größtenteils mit Toleranz. Niemand schien sich daran zu stören, dass ich einmal im Monat zu einer reißenden Bestie wurde. Vermutlich hatte Dumbledore ein gutes Wort für mich eingelegt.
Tatsächlich löcherte man mich an diesem Abend mit Fragen zum Dasein als Werwolf. Insbesondere Nymphadora Tonks zeigte lebhaftes Interesse an meinen Verwandlungen, was ich als leicht irritierend empfand.
„Und wann findet deine nächste Verwandlung statt?", hatte sie mich gefragt. Beim Gedanken an ihren wissbegierigen Blick musste ich schmunzeln. Die Schokolade hatte sich inzwischen in meinem Mund in Wohlgefallen aufgelöst; flüchtig warf ich einen Blick zur Uhr und bemerkte, dass es schon auf Mitternacht zuging. Morgen würde der 12. Juli sein – und in vier Tagen war Vollmond.
Tonks
„Miss Tonks, ich würde Ihnen raten, noch etwas an Ihrem Äußeren zu ändern, wenn Sie nicht draußen sofort verhaftet werden wollen."
Auf dem Weg zur Tür hielt ich inne. Natürlich. Mit einem Wink meines Zauberstabes verwandelte ich meine gefälschten Todesserroben in herkömmliche Schwarze, kniff kurz die Augen zu, um mich besser konzentrieren zu können, und drehte mich wieder zu meinem Ausbilder und Prüfer Kingsley Shacklebolt um. Dieser betrachtete leicht amüsiert meine nun nicht mehr langen, schwarzen, sondern bonbonrosa Haare.
„Ich weiß nicht, was Sie meinen", grinste ich, um meine leichte Verärgerung zu überdecken. Was für einen Eindruck machte es bloß, vor seinem zukünftigen Chef so schusselig zu sein und die Rückverwandlung zu vergessen?
Shacklebolt lächelte breit.
„Herzlichen Glückwunsch", sagte er, erhob sich und verließ den Prüfungsraum. Zunächst machte er Anstalten, mir die Tür aufzuhalten, doch ich schüttelte nur leicht den Kopf und trat zum Fenster.
Ich mochte diese Fenster im Zaubereiministerium und hatte es heute als besonders angenehm empfunden, dass sie mir während meiner letzten Prüfung ein Sonnenlicht vorgegaukelt hatten, das in scharfem Gegensatz zu der nebligen Kälte draußen stand. Natürlich war gerade diese letzte Prüfung – bis auf meinen letzte kleine Unaufmerksamkeit – keine große Sache gewesen; als Metamorphmagus hatte ich nun wirklich keine Probleme damit, mich zu tarnen oder gar – wie heute – eine Todesserin wie Bellatrix Lestrange zu mimen. Dennoch freuten mich das warme Licht, in dessen Strahlen einige Staubkörner tanzten.
Das war's. Jetzt war ich Aurorin. Eigentlich unfassbar, so knapp, wie ich manche Prüfungen bestanden hatte. Doch das zählte nun nicht mehr. Glücklich schloss ich für einen Moment die Augen. Ich würde etwas Sinnvolles für die Welt tun, gegen das Böse kämpfen, mich auf die richtige Seite stellen, Menschen helfen, vielleicht nicht auf die bedachteste und organisierteste Weise, aber meine Schusseligkeit konnte ich schließlich – so hatte es mir zumindest Shacklebolt gesagt – durch eine gewisse „Kreatitvität" wieder wettmachen. Ich schmunzelte. „Kreativität" war ein freundlicher Ausdruck, meine Art zu beschreiben, die manchen Leuten vermutlich gehörig auf die Nerven ging. Nun, nicht nur vermutlich. Das Schmunzeln verschwand von meinen Lippen. Viele meines Ausbildungsjahrgangs hatten sehr … klassische Vorstellungen vom Lernen, vom Aurorsein, vom Kämpfen, vom Leben. Sie waren ehrgeizig und fleißig, ganz klar ein Vorteil für sie. Und manchmal hatte ich das Gefühl gehabt, nicht ganz in diese zukünftige Elitetruppe hineinzupassen. Umso zufriedener war ich nun, diese Prüfungen auch auf meine Art, mit einer großen Portion Glück und einigen besonderen angeborenen Voraussetzungen, bestanden zu haben.
Das Knarzen der Tür schreckte mich aus meinen Gedanken auf. Ich öffnete die Augen und sah einen großen, recht dünnen und rothaarigen Zauberer in den Raum kommen und erinnerte mich, ihn schon einmal mit Shacklebolt gesehen zu haben. Damals hatten sie scheinbar etwas Wichtiges zu besprechen gehabt und waren schnell in Shacklebolts Büro verschwunden, kurz nachdem die Gerüchte über die Ereignisse in Hogwarts sich verbreitet hatten, über den Tod Diggorys, die Rückkehr von Du-weißt-schon-wem ... Es hatte zweifelsohne Vorteile, unter Auroren zu verkehren, denn so erfuhr man Dinge, die der Tagesprophet nicht schrieb.
„Guten Tag, Mr. … äh ..."
Typisch. Ich hatte den Namen des Mannes vergessen. Vermutlich hatte ich ihn auch nie gekannt, aber voller Elan losgesprochen, ohne vorher zu überlegen. Ich lächelte freundlich, um nicht allzu unwissend und unhöflich zu wirken.
„Arthur Weasley", erwiderte der Rothaarige, streckte mir seine Hand entgegen und fügte hinzu: „Ich weiß schon, wer Sie sind, Shacklebolt sagte mir gerade, dass sie heute Ihre Aurorenprüfung bestanden haben. Ich gratuliere!"
„Danke", sagte ich und schüttelte seine Hand. Er sah mich einen Moment prüfend an und schwieg, sodass ich schließlich aus Verlegenheit fragte: „Sind Sie auch Auror?"
„Oh nein, nein! Ich arbeite im Büro gegen den Missbrauch von Muggelartefakten, also nichts auf den ersten Blick spektakuläres. Aber immerhin tue auch ich etwas gegen das Dunkel in unserem Land."
Sein Blick wurde wieder prüfend, fast fragend. Den letzten Satz hatte er auf merkwürdige Weise betont und ich überlegte, ob er mir damit irgendetwas zu verstehen geben wollte – jedenfalls hatte ich keine Ahnung, was.
Arthur Weasley sah mich weiterhin schweigend an und ich hatte das Gefühl, etwas ganz Offensichtliches übersehen. Von den Gerüchten um die Geschehnisse im Juni wusste ja wohl jeder und natürlich gab es Menschen, die ihnen Glauben schenkten und beschlossen hatten zu kämpfen, allen voran Albus Dumbledore.
Da machte es Klick. Natürlich wusste das nicht jeder. Ich hatte es schließlich auch nur beiläufig – und wahrscheinlich auch eher unbeabsichtigt - von meinen Ausbildern erfahren.
„Sie gehören zu Dumbledore?", fragte ich überrascht.
Mein Gegenüber lächelte zufrieden und nickte kaum merklich.
„Wie ich sehe, halten Sie Ihre Augen und Ohren offen. Eine sehr gute Eigenschaft für eine Aurorin. Eine Eigenschaft, die auch Dumbledore sicher zu schätzen wüsste."
Seine Direktheit überraschte mich, unsicher schaute ich mich um. War es sicher, hier mitten im Ministerium so direkt zu reden? Die Position des Ministeriums zu diesen Dingen war schließlich hinlänglich bekannt und ich wusste nicht, ob ich mit derlei Leuten in Verbindung gebracht werden wollte.
„Keine Sorge, Miss Tonks", beantwortete mein Gegenüber meine Gedanken. „Kingsley wartet draußen und würde uns warnen, wenn ein übereifriger Angestellter auf die Idee käme, hier herein zu spazieren."
„Mr Shacklebolt gehört auch dazu?!"
Langsam verflogen meine Bedenken. Shacklebolt war für mich immer eine Vertrauensperson gewesen, ein Ausbilder, der eigene Gedanken und neue Ideen schätze, meine täglich wechselnde Haarfarbe nicht immer mit einem genervten Blick quittiert und außerdem mein Lieblingsfach unterrichtet hatte. Auch darin hatte er meinen Respekt gewonnen, da er als gewöhnlicher Zauberer kaum länger brauchte als ich, um sein Äußeres zu ändern.
„Er ist noch neu dabei, letztes Mal gehörte er noch nicht dazu", erklärte Arthur Weasley. „Er könnte Ihnen alles wichtige erklären, sodass Sie es sich noch einmal in Ruhe überlegen können."
Ich nickte. Arthur Weasley gab mir noch einmal die Hand und verließ den Raum, den an seiner Stelle nun wieder Shacklebolt betrat.
„Lassen Sie uns hier rausgehen", sagte er. „Arthur hat mir soeben ein gutes Muggelcafé in den Nähe empfohlen."
„Ein Muggelcafé? Ist das alles so geheim, dass wir uns unter Muggeln bewegen müssen?" Ich hatte vom Lernen noch gut im Kopf, das dies eine der effektivsten Techniken für Auroren war, die untertauchen wollten oder mussten.
Shacklebolt lachte leise.
„Nein, keine Sorge. Es soll wirklich einfach nur guten Kaffee und Kuchen dort geben, und so gut wie Molly Weasley kocht, wird Arthur das sicher beurteilen können."
Leicht irritiert und auch ein wenig gespannt folgte ich Shacklebolt. Eigentlich bewegte ich mich nur selten in der Muggelwelt, obwohl mein Vater muggelstämmig war.
Eine große Tasse Milchkaffee und ein Stück Schokoladenkuchen später apparierten Shacklebolt und ich auf einen … nun ja, gelinde gesagt, schäbigen Platz.
„Ich habe es Ihnen ja erklärt", sagte er. „Hier ist der Zettel."
Ich las die Aufschrift Grimmauldplatz Nr. 12 und blickte auf. Langsam sah ich, wie sich vor mir ein sehr gut in die Umgebung passendes – also schäbiges und wenig einladendes – Haus materialisierte, doch die Fassade verriet, dass es einmal herrschaftlich und reich ausgesehen haben musste.
Wir traten ein und gingen ein paar Schritte in die Eingangshalle, jedoch nicht bevor ich meine Haarfarbe in ein etwas weniger ungewöhnliches Blond verändert hatte – schließlich wollte ich erst einmal niemanden schockieren. Es war stockdunkel und ich konnte nichts erkennen. Dann ging mit einem mal das Licht an.
Und plötzlich beschlich mich das ungute Gefühl, dass ich in genau dem Verein gelandet war, den ich eigentlich hatte bekämpfen wollen.
Alles war voller unheimlicher Gegenstände, schwarzmagischer Artefakte, vertrocknete Hauselfenköpfe zierten das Treppengeländer zu meiner Rechten und ein Gefühl der Verlassenheit lag über dem Ganzen.
„Was soll das?!", rief ich mit dünner Stimme. „Warum haben Sie mich hierher gebracht?"
Ich trat einen Schritt von meinem Begleiter weg und stolperte. Etwas fiel mit einem lauten Knall um. Ich verfluchte meine Schusseligkeit und wollte gerade herausfinden, was genau ich soeben umgeworfen hatte – in dieser Umgebung schien mir allerlei Gefährliches möglich –, da ging ein ohrenbetäubendes Gekreische los. Dunkle Vorhänge, die ich vorher nicht gesehen hatte, wurden aufgerissen und eine alte, fette und furchtbar hässliche Dame begann, wüste Beschimpfungen auszustoßen:
„Verräter, Schlammblüter, Blutsverräter, Tiere! Wie könnt ihr es wagen, das Haus meiner Vorfahren zu besudeln?"
Ich wich vor dieser Dame zurück und stand nun wieder dicht bei Shacklebolt. Was sollte das alles? Ich musste ganz dringend weg hier …
„Es reicht", vernahm ich eine gelangweilte Stimme. Mit einem Ruck schlossen sich die Vorhänge wieder und ich begriff, dass es sich bei der kreischenden Frau um ein Porträt gehandelt haben musste.
Ich blickte in Richtung Treppe und sah darauf einige mir unbekannte Personen stehen – aber auch ein paar bekannte: einen weiteren Auror und Ausbilder, Moody, sowie Arthur Weasley. Der Mann, zu dem die gelangweilte Stimme scheinbar gehörte – sein Zauberstab war noch erhoben - , stand ganz vorne und sah … einfach gut aus.
Die Anwesenheit Moodys hatte mich etwas beruhigt. Ich drehte mich erbost zu Shacklebolt um:
„Ach, und Sie hätten mich nicht ein bisschen vorwarnen können?! Eine ganz tolle Strategie, Sie verstecken sich genau da, wo jeder vernünftige Mensch auf Anhieb nur Todesser erwarten würde, und bugsieren mich dann völlig unvorbereitet hierher? Sind Sie wahnsinnig?"
Es war mir in dem Moment egal, dass Shacklebolt mein Lehrer und zukünftiger Chef war.
„Nimm's nicht so tragisch, Cousine", lächelte der gut aussehende Mann, ehe Shacklebolt mir antworten konnte. „Willkommen im Hauptquartier des Phönixordens."
Er winkte mich zu sich.
„Arthur Weasley und Mad-Eye kennst du ja schon, aber das hier sind außerdem Molly Weasley, die beste Köchin auf Erden," - er deutete auf eine rundliche Frau mit roten Haaren, deren freundliches Lächeln mich willkommen zu heißen schien - „Mundungus Fletcher, äh, du siehst ja, wie er ist" - ein kleiner Mann in dreckiger, schäbiger Kleidung und einer Pfeife in der Hand, von der ein undefinierbarer Geruch ausging, warf dem Sprecher einen erbosten Blick zu - „und Remus Lupin, mein allerbester Freund mit dem kleinen pelzigen Problem."
Remus Lupin sah müde aus. Auch seine Kleidung war schäbig, aber sauber. Sein Haar war dünn. Auf den ersten Blick war ich überrascht, dass zwei so unterschiedliche Männer beste Freunde sein sollten, doch schnell kam mir dieser Gedanke albern vor. Lupin schien nicht sicher zu sein, ob er lächeln oder die Augen verdrehen sollte.
„Tja, und ich bin dein Cousin, Sirius Black." Glücklicherweise hatte Shacklebolt mich wenigstens darüber aufgeklärt, dass Sirius Black kein gefährlicher Massenmörder war, denn sonst hätte ich bei seinem Anblick wohl einen weiteren Schock bekommen. Ich fragte mich allerdings, ob ich ihn überhaupt erkannt hätte, denn er sah zwar leicht gelangweilt, aber doch gepflegter und menschlicher aus als auf den Fahndungsfotos im Tagespropheten und im Ministerium.
Dass es sich dabei um meinen Cousin handelte, hatte Shacklebolt mir nicht gesagt, aber eigentlich war das ja vollkommen logisch, wenn ich an die Familie meiner Mutter dachte.
Um die Vorstellungsrunde abzuschließen, beschloss nun auch ich, einen bezeichnenden Teil von mir preiszugeben – und vielleicht auch ein paar der Anwesenden zu beeindrucken – und gab meinen Haaren einen violetten Farbton.
„Ich bin Nymphadora Tonks", lächelte ich in die leicht verblüfften Gesichter von Lupin, Mrs Weasley und ja (!) auch Sirius, „aber bitte nennt mich einfach Tonks. Ich mag meinen Vornamen nicht so wirklich."
Das war also das Hauptquartier des Phönixordens. Ich hatte etwas Anderes erwartet. Irgendetwas Strahlenderes. Ein gemütlicheres Haus. Eine Elitetruppe und keine normalen Menschen. Aber ich fühlte, dass das alles richtig war – eine improvisierte Gruppe aus normalen Menschen, die unterschiedlich waren und gemeinsam für eine Sache kämpften, sich dabei gegenseitig durch ihre Eigenheiten unterstützten. So hatte ich erfahren, dass viele Ordensmitglieder nach einem schwierigen Einsatz erst einmal ein gutes Essen und freundliche Worte von Molly brauchten. Sirius konnte das Haus natürlich nicht verlassen, teilte es sich dafür mit einem vor dem Ministerium geretteten Hippogreif namens Seidenschnabel, eine eher ungewöhnliche WG. Arthur – sie alle hatten darauf bestanden, dass ich sie beim Vornamen nannte – hatte scheinbar ein Faible für alles, was Muggel betraf. Für fast eine Stunde hatte er mich in ein Gespräch übers Haarefärben verwickelt und ich hatte ihm erklärt, wie meine Muggelgroßmutter sich einmal im Monat blonde Strähnchen färben und Locken machen ließ. Und natürlich Sirius! Was für eine Ironie des Schicksals, dass ein so netter Mensch, in einem lebhaften Gespräch fröhlich wie ein Kind, für einen gefährlichen Mörder gehalten wurde. Ich hatte ihn sofort ins Herz geschlossen … und ich konnte nicht umhin, während dieses ersten Abends beim Phönixorden bei jedem Blick festzustellen, dass er wirklich gut aussah.
„Willst du noch ein Butterbier?", unterbrach er nun meine Gedanken.
„Ja, gerne."
Er erhob sich und plötzlich viel mir auf, dass auf seiner anderen Seite die ganze Zeit schweigend Remus Lupin gesessen hatte. Jetzt lächelte ich ihn an.
„Und, wie sind die Aurorenprüfungen gelaufen?", fragte er mich freundlich.
„Oh äh na ja …"
Ich schaute zu Kingsley hinüber, der sich zum Glück gerade mit Mundungus unterhielt.
„Ehrlich gesagt", fügte ich leiser hinzu und beugte mich über Sirius' leeren Stuhl hinweg ein wenig näher zu ihm, „es war eine reine Glückssache."
„Das macht doch nichts", überlegte er, „wenn du auch sonst immer Glück hast, können wir dich wirklich gut gebrauchen."
In der Tat sah er nicht gerade glücklich aus. Da fiel mir etwas ein.
„Was meinte Sirius vorhin eigentlich mit dem 'pelzigen Problem'?"
Remus' Lächeln verschwand. Er schien einen Moment mit sich zu ringen, dann antwortete er leise und ohne mir in die Augen zu blicken.
„Ich bin ein Werwolf."
Mir blieb der Mund offen stehen. Ich wusste nicht, ob ich erschreckt sein sollte – wahrscheinlich wäre das die natürlichste Reaktion gewesen - , aber ich konnte nicht umhin, diese Tatsache furchtbar interessant zu finden. Naheliegenderweise hatten mich verschiedene Arten von Verwandlungen immer schon fasziniert, und während man Animagi oder sogar Metamorphmagi doch ab uns zu traf, war es wirklich selten, sich einmal mit einem ungefährlichen Werwolf unterhalten zu können.
„Und wann findet deine nächste Verwandlung statt?", fragte ich aufgeregt. Remus lächelte überrascht.
„Bist du nicht schockiert?", wollte er wissen.
Ehe ich den Kopf schütteln konnte, war Sirius mit drei Butterbier zurückgekehrt und begann ein Gespräch über Harry Potter, seinen Patensohn. Meine Fragen zu Remus' Verwandlung waren vergessen. Und die Fragen, die Sirius ihm über sein Jahr als Lehrer in Hogwarts stellte, beantwortete er eher einsilbig.
