Prolog
Was ist Zeit?
Ein Jahr hat 12 Monate.
52 Wochen.
365 Tage.
8.760 Stunden.
525.600 Minuten.
31.536.000 Sekunden.
Das alles ist messbar.
Aber, wie misst man Zeit, wenn man eigentlich keine mehr hat?
In Sonnenauf- und -untergängen? In Telefonanrufen, oder in Kaffeetassen?
In Herzschlägen?
In Momenten.
Momente, in denen du lachst. Momente, die dir den Atem rauben. Momente im Kreis deiner Lieben, die, in denen du glücklich bist. Und Momente der Schwäche und Angst. Momente, in denen du weinst, in denen dich die Schatten zu verschlingen suchen.
Das Leben besteht aus Momenten. Auch aus denen, die wir verpassen. Und, Teufel, wenn einem nur noch so wenig Zeit bleibt, dann nimmt man alles, was man kriegen kann. Auch wenn es weh tut.
Ich will leben. Und das noch so viel ich kann, bevor ich sterbe. Deshalb sind mir Grenzen egal. Für so etwas habe ich keine Zeit mehr. Ich wäge die Dinge nicht mehr ab. Ich tue sie einfach. Auch, wenn manchmal alles ohne Sinn und Verstand ist.
Dem Verstand nach, hätte ich schon vor drei Jahren sterben sollen.
Aber ich schöpfe keineswegs Hoffnung daraus, dass ich immer noch da bin. Ich weiß, dass es für mich keine Hoffnung mehr gibt.
Ich sehe es als Gelegenheit. Die Möglichkeit, noch ein wenig hier zu sein. Etwas zu erleben. Zu leben.
Denn eins habe ich auf meinem bisherigen Weg erkannt:
Leben, ist das allerseltenste in der Welt – die meisten Menschen existieren nur.
Sterben ist nichts. Aber es ist furchtbar, nicht zu leben.
So hat mein nahes Ende doch auch etwas Gutes.
Ich spüre, fühle intensiver als vorher. Die Sonne in meinem Gesicht; Wind und Regen auf meiner Haut; die Erde unter meinen Füßen.
Ich gehe nachts gern durch die Stadt. Dabei sehe ich, wenn ich durch die engen Gassen streife, immer zu den Sternen auf. Auch wenn man beim Glanz der Neonlichter nur wenige von ihnen sieht – es sind doch genug, um an die Schönheit der Welt glauben zu können.
An die Schönheit des Augenblicks.
Und manchmal – nur manchmal – kann es sein, dass eine Sternschnuppe den Nachthimmel über der Stadt kreuzt, von vielen ungesehen. Nur einen Wimpernschlag erhellt ihr heller Schweif die Dunkelheit. Dann ist sie verschwunden.
Ja, genau so will ich mein Leben leben: Wie einen einzigen, strahlenden Moment vollkommener Schönheit!
Mein Name ist Deidara Iwa. Ich bin HIV positiv.
