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Dies ist eine schwierige Geschichte, denn manche Menschen habe ich in guter Erinnerung, andere weit weniger.

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Once And For All

Kapitel 1

Wie all die anderen Schüler betrete auch ich leise tuschelnd Snapes Klassenzimmer, gehe zu meinem Platz und setze mich nieder. Ich packe meine Bücher und einen Federkiel aus, der Professor indes steht vorne am Pult und sortiert mit seinen langen dünnen Fingern einen Stapel Pergament. Diese Finger und der Teil seines Kopfes, der nicht von seinen ungepflegten schwarzen Strähnen verdeckt wird, ist alles, was man von Snape sehen kann. Das markanteste Detail seines schmalen Gesichts aber sind nicht die langen Haare, vielmehr ist es die Hakennase, die sein Erscheinungsbild in Szene setzt; Snape ist blass wie der Tod selbst und verbirgt eine Reihe unregelmäßig gelblicher Zähne unter seinem oftmals sardonischen Grinsen. Den Rest seiner Gestalt versteckt er unter einer Ladung schwarzer Klamotten, die ihm zurecht den Spitznamen der Fledermaus von Hogwarts eingeheimst haben. Sie rascheln leise, wenn er sich bewegt, insbesondere der berüchtigte schwarze Umhang.

All das habe ich jahrelang nur zu oft aus den Augenwinkeln wahrgenommen, daher schenke ich ihm keine besondere Beachtung mehr.

Als er sich dann aufrichtet und vor die Tafel schwebt, wird es mucksmäuschenstill. Erfahrungsgemäß weiß jeder Schüler, dass mit Snape nicht zu Spaßen ist. Niemand redet mehr, nicht einmal leises Gemurmel oder Flüstern ist noch zu hören.

Während Snape routiniert und mit gekonnt leiser Stimme seine Lektionen vorträgt, fällt mein Blick wie zufällig auf sein Gesicht. Ich sehe ihn an und weiß unmissverständlich, dass er Schmerzen hat; da er für den Orden arbeitet, tippe ich auf körperliche, so wie auch wir von Dumbledores Armee sie zu spüren bekommen haben, als wir im Zaubereiministerium von den Todessern überrascht wurden … Vielleicht hat er aber auch wie Harry unangenehme Erfahrungen mit der Okklumentik gemacht.

Das alleine wäre jedoch nicht weiter ungewöhnlich für ihn. Seine blässliche Haut und die schmalen Lippen haben seit jeher etwas Krankhaftes an sich, so als müsste er sich jeden Moment übergeben, sobald man ihm den Rücken zukehrt. Er wirkte schon immer befremdlich auf mich, hartgesotten und streng.

Plötzlich erwidert er meinen Blick und sieht mich auf ebenjene Art mit seinen schwarzen Augen und eng zusammengezogenen Brauen an. Eine dunkle Furche taucht in ihrer Mitte auf, die sich im Laufe der Jahre immer tiefer in seine Haut gegraben hat. Es ist eigenartig, aber irgendwie wird mir dabei ganz komisch zumute. Snape war seit jeher sonderbar, doch die Frage, was genau das ist, was er für den Orden tut, macht mich immer noch stutzig. Ich fühle mich mies und schuldig und möchte am liebsten an Ort und Stelle im Erdboden versinken, dass ich es auch nur wage, so niederträchtig über ihn zu denken, wo er doch für unsere Seite Voldemort ausspioniert.

Und hier fängt alles an. Wie ist es möglich, dass sich binnen weniger Sekunden das Abbild seines verzerrten Ausdrucks derart in mein Gedächtnis einbrennen kann? Gleich, ob er nun eines Tages durch Voldemorts Hand sterben wird oder nicht, trägt er diese starre Maske zur Schau, die es einem unmöglich macht, Sympathien für ihn zu bekunden. Ich bin sicher, dass er sein wahres Selbst mitsamt allen Gefühlen dahinter verbirgt. Kein Mensch könnte andernfalls so ein Leben führen: Snape ist ein klassischer Einsiedler, der keine Gesellschaft mag. Er wird mich und meinen mitleidsvollen Ausdruck sofort wieder vergessen haben, sobald er sich dessen bewusst geworden ist, dass wir uns länger als gebührlich ansehen. Ich sollte mir hier nichts vormachen, er ist ein abstoßender, geradezu widerwärtiger Mensch, dessen Berufung als Professor alleine daher rührt, dass irgendetwas zwischen ihm und Dumbledore am Laufen ist, das niemand so richtig nachvollziehen kann. Am Ende, sprich spätestens dann, wenn ich meine Gedanken wieder beisammen habe, sieht es wohl so aus, als wäre ich es, die sich schrecklich fühlen muss, weil es mich viel zu sehr aufwühlt, als dass ich die Tatsache, was hier in Dumbledores Namen vor sich geht, ignorieren könnte.

Ich muss blinzeln und im selben Augenblick weiß ich, dass er den Blick von mir genommen hat.

Verwirrt sehe ich ihn an. Er hat es längst vergessen. Den Blick, den magischen Moment, der ihn für ein paar Sekunden weniger hart erscheinen ließ.

Das Ende der Stunde ist gekommen und alle, mich eingeschlossen, packen ihre Sachen zusammen, um schleunigst das Weite zu suchen.

Als ich mich daraufhin auf die Tür zubewege, zittern meine Knie. Ich weiß nicht einmal, warum das so ist, aber während ich mich umsehe, stelle ich fest, dass ich die letzte Schülerin bin, die aus der Klasse schleicht.

Mit meinen Gedanken noch immer bei dem seltsamen Moment von zuvor will ich die Tür hinter mir zuziehen, werde jedoch von einer Hand abgehalten, die sich mit eisernem Griff auf meine legt. Sie ist kalt und wirkt auf mich befremdlich, weil ich genau weiß, dass sie dort nichts zu suchen hat.

Ich drehe mich starr vor Schreck um und blicke in sein Gesicht. Das hämische Grinsen ist mir vertraut. Seine Mundwinkel sind sanft erhoben und entblößen einige seiner gelblichen Zähne. Ich muss zugeben, dass er mich vollkommen unvorbereitet überrascht hat.

Er tritt näher an mich heran, ich weiche zurück.

Endlich lässt er von mir ab. Mir schwant dennoch nichts Gutes.

Die Tür fällt langsam hinter mir ins Schloss und meine Befürchtungen bestätigen sich. Er will mich in die Ecke drängen oder mir irgendetwas mitteilen, das für mich sehr unangenehm werden könnte.

Als mir so richtig in den Sinn kommt, dass ich mit ihm alleine in seinem Klassenzimmer stehe, zucke ich zusammen. Zum ersten Mal regt sich die Befürchtung in mir, dass das mit dem Blick zu tun hat, den wir uns im Unterricht zugeworfen haben. Ist das denn die Möglichkeit? Er muss verrückt sein, wenn er mich deswegen belangen möchte. Außerdem, mich mit ihm anzulegen, hat mir gerade noch gefehlt. Es gibt jede Menge Hausaufgaben zu erledigen und in die Bibliothek muss ich natürlich auch...

„Sagen Sie schon, was Sie zu sagen haben", zischt er unfreundlich und mit leiser Stimme zwischen seinen nahezu unbeweglichen Lippen hervor. „Andernfalls könnte das ein sehr langer Nachmittag werden."

Es ist schon beeindruckend, wie sehr sich alles in mir dagegen wehrt, mich ihm zu beugen. Fast kommt es mir vor, als gäbe es ohnehin keine richtige Antwort auf eine derartige Forderung. Nicht bei jemandem wie ihm zumindest. Und erst recht nicht dann, wenn er so vor einem steht, dass man

das Gefühl hat, er würde einem jeden Augenblick mit bloßen Händen den Kopf vom Hals trennen.

Ein Schauder erfasst mich und Snape strafft ungeduldig seine Haltung. Vermutlich denkt er, ich möchte einfach nur Zeit schinden, doch das ist nicht richtig. Mir fehlen tatsächlich die Worte, weil ich nicht nachvollziehen kann, dass er mich deswegen zur Rede stellt, weil ich ihn angesehen habe.

Als ich noch immer nicht weiß, was ich sagen soll, macht er einen Schritt auf mich zu. Die Distanz zwischen uns schließt sich auf ein deutlich unangenehmes Maß, genau wie ich es befürchtet habe. Ich kann seinen Atem auf meine Haut auftreffen spüren und ihn deutlicher denn je riechen.

Hier liegt ein weiteres Problem. Manche Menschen riechen so, dass man sich mit ihnen identifizieren kann. Bei Snape ist das anders. Ich weiß nicht, wo ich ihn einordnen soll. Er ist mein Professor und wirkt im Augenblick sehr bedrohlich auf mich. Er ist definitiv niemand, auf den sich ein junges Ding, wie ich es bin, näher einlassen sollte. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass hier und jetzt etwas geschehen wird, das mein ganzes Leben verändern wird. Vielleicht ist es aber auch schon zu spät und ich stecke bereits mittendrin.

„Wovon genau sprechen Sie?", bringe ich zögerlich hervor.

Das ist immerhin ein Anfang, finde ich.

Er rollt leise zischelnd die Mundwinkel zurück, sein Gesicht verzieht sich zu einer eigentümlichen Grimasse.

„Wer hätte gedacht, dass Sie so einfältig sind, Granger", sagt er in abfälligem Ton.

„Das bin ich nicht", entfährt es mir ungestüm, noch ehe ich mir auf die Zunge beißen kann.

Darauf scheint er gewartet zu haben.

„Sind Sie nicht?", wiederholt er stichelnd.

Hätte ich doch nur nichts gesagt...

Ich schüttle unbeholfen den Kopf. Plötzlich weiß ich wieder, warum ich ihn nie leiden konnte, obwohl ich mich immer bemüht habe, den allgemeinen Vorurteilen in Bezug auf ihn keine Chance zu geben.

Snape sieht mich an. Was ich früher als ausdruckslos interpretiert hätte, kommt mir jetzt anders vor. Ist er es, der sich verändert hat? Oder bin ich es?

Ich kann fühlen, dass sich seine Atmung leicht beschleunigt hat. Warum sagt er nichts weiter darauf? Warum sieht er mich immer noch an?

All meine Sinne sind inzwischen auf Fluchtbereitschaft ausgelegt. In einem Anflug der Panik möchte ich mich an ihm vorbei drücken, er jedoch stellt sich mir gekonnt in den Weg. Es ist nicht seine hagere Gestalt, die mir Angst macht. Es ist das Gesamtbild seines Gehabes, das mir zu verstehen gibt, dass ich vorsichtig sein sollte. Seine schwarzen Augen glitzern, sein Umhang bauscht sich bei jedem Schritt bedrohlich auf.

Was jetzt?

„Würden Sie mich bitte vorbeilassen?", frage ich mit so viel Höflichkeit, wie ich aufbringen kann.

Snape scheint sich dasselbe zu fragen.

„Ich weiß nicht, Granger", sagt er ganz leise und meine Nackenhaare richten sich geradewegs nach oben. „Ich würde Ihnen empfehlen, mit der Wahrheit herauszurücken."

„Der – der Wahrheit?", stammle ich unbeholfen. „Sir, worum geht es hier eigentlich?"

Er dreht sich um und beugt sich vornüber. Seine Schultern scheinen irgendwie zu vibrieren. Dann kann ich ihn mit unüberhörbarer Bitterkeit auflachen hören. Es ist ein tiefes, kehliges Lachen, das seinen ganzen schwarz gekleideten Körper rhythmisch erfasst. Böse und gefährlich.

Vollkommen unvermittelt schlägt er mit geballter Faust gegen die Tür. Mehrmals.

Ich kann seine weißen Fingerknöchel sehen, höre das dumpfe Geräusch und bin unfähig, mich zu bewegen, obwohl ich es langsam aber sicher richtig mit der Angst zu tun bekomme.

„Sie können mir nichts vormachen, Granger", sagt er, richtet sich zu voller Größe auf und sieht mich an. Seine schwarzen Augen sind nun wieder ernst und durchdringend auf meine gerichtet, als wäre nichts geschehen.

Ich bin mir nicht sicher, was das alles zu bedeuten hat. Es irritiert mich ganz einfach, dass er diesen Vorwurf gegen mich erhebt. So viel Niederträchtigkeit hätte ich ihm gar nicht zugetraut. Warum steigert er sich da nur so hinein? War der Blick, den wir miteinander geteilt haben, tatsächlich so sonderbar, dass er nicht davon ablassen kann? Oder gibt es noch einen anderen Grund, weshalb er mich hier festhält?

„Ich – ich möchte nicht ...", fange ich an.

Snape unterbricht mich barsch.

„Liege ich etwa falsch?"

„Ich bin mir nicht sicher, Sir", sage ich vorsichtig. „Wenn es darum geht, dass ich Sie angesehen habe, nun ja, vielleicht -"

Sein Grinsen raubt mir fast den Verstand. Warum tut er das?

Unbeholfen senke ich den Blick und sehe seine Hand. Sie zittert. Doch es ist nicht die linke, unweit derer sich das Dunkle Mal befindet, sondern die rechte, mit der er auf die Tür eingedroschen hat.

„Geht es Ihnen gut?", frage ich und es ist weniger die Sorge um ihn, als die um mich, die mich dazu bringt, irgendetwas von mir zu geben, um ihn zu beruhigen.

Seine Züge verhärten sich unmittelbar.

„Bestens", sagt er schlicht, zu meiner noch größeren Verwunderung jedoch ohne den üblichen Biss.

Ich glaube ihm keineswegs. Erstens sieht er nicht so aus. Zweitens ist es ungewöhnlich, dass er sich so verhält. Warum hat er ausgerechnet mich dazu auserkoren, um sich abzureagieren? Wenn er zornig ist, sollte er das gefälligst nicht an seinen Schülern auslassen.

Trotz allem muss ich mir eingestehen, tut es beinahe weh, ihn so zu sehen. Etwas stimmt nicht mit ihm und es fällt mir schwer, den Blick von ihm zu nehmen.

Aber sollte er sich nicht dafür schämen, dass er sich so gehen lässt?

„Was wollen Sie von mir?", frage ich schließlich mit meinem ganzen Mut. Meine Selbstbeherrschung nähert sich zielstrebig dem Ende und es kostet mich viel Überwindung, ihn dabei nicht anzubrüllen.

Er versteift sich. Scheinbar merkt er genau, was in mir vorgeht.

„Sehen Sie Ihre anderen Lehrer auf dieselbe absonderliche Art an?", fragt er mich ungeniert.

Das bringt das Fass für mich zum Überlaufen. Diese ganze Situation ist einfach absolut lächerlich und er tut glatt so, als wären wir nackt gewesen!

„Sie haben den Blick erwidert", entgegne ich kühl. „Oder wollen Sie das etwa bestreiten?"

„Beantworten Sie meine Frage, Granger", sagt er streng.

Ich muss schnauben.

„Warum sollte ich das tun?"

Ich begreife immer noch nicht, was er von mir will. Er hat noch nie so verzweifelt auf mich gewirkt und es ist verstörend, ihn so zu erleben. Snape kommt mir vor, als würde er den Verstand verlieren.

Ohne länger auf seine Antwort zu warten, will ich mich zur Tür davonstehlen, doch Snape hält mich davon ab, indem er sich mir abermals in den Weg stellt. Er ist so schnell, dass ich keine Chance habe, an ihm vorbeizukommen. An diesem Punkt bin ich mir längst nicht mehr sicher, ob er das Recht dazu hat, dieses Spiel mit mir zu spielen, nur weil er stärker oder mein Professor ist. Mir platzt der Kragen.

"Lassen Sie mich gehen!", schreie ich ihn an. "Sofort!"

Was dann passiert, macht alles nur noch schlimmer. Er greift nach meinem Arm und zieht mich zu sich heran. Drohend kauert er über mir, sodass er mit seiner gewaltigen Nase nur noch einen knappen Zentimeter von meiner entfernt ist. Sein warmer aufgewühlter Atem schlägt mir entgegen.

"Hüten Sie Ihre Zunge, Miss Granger."

Ich kann spüren, wie sich seine langen Finger fest durch meine Kleidung hindurch in meine Haut drücken.

Instinktiv hebe ich meine freie Hand und lasse sie auf seine Wange niedersausen. Der Schlag hat so eine Wucht, dass es schmerzt.

Einen Moment lang starre ich perplex auf die Stelle, die ich getroffen habe und kann erkennen, wie Snapes fahles Gesicht sich blassrosa färbt.

Er lässt von mir ab und richtet sich wieder zu seiner vollen Größe vor mir auf. In seinen ohnehin schon zornigen Augen blitzt es gefährlich.

Ich glaube, mir wird schlecht. Wieso habe ich das nur getan? Ich bin sonst überhaupt nicht die Art Mensch, die so reagiert. Jede Form von Gewalt ist verabscheuungswürdig. Außerdem, und da kann ich jede Wette eingehen, wird er mir das nie verzeihen, egal wie ich versuche, das zu rechtfertigen.

"Ich wollte nicht ...", würge ich betroffen hervor, komme aber nicht weit, denn Snape unterbricht mich prompt.

"Vierzig Punkte Abzug für Gryffindor würde ich sagen", knurrt er mich an.

Fassungslos schlucke ich eine geballte Ladung Wut und die sich in meinen Augen ansammelnden Tränen hinunter. Das habe ich wohl verdient. Ich rechne schon fast damit, dass er mich für unbestimmte Zeit dafür nachsitzen lässt und werde wieder eines Besseren belehrt.

"Gehen Sie, Granger", sagt er ruhig. "Wenn es das ist, was Sie wollten."

Als ich ein paar Sekunden später auf wackligen Beinen sein Klassenzimmer verlasse, bin ich mir nicht sicher, wer hier wen mehr missverstanden hat.

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Ich bringe es nicht über mich, Harry und Ron irgendetwas von dem, was sich zwischen Snape und mir ereignet hat, zu erzählen. Stattdessen ziehe ich mich in meinen Schlafsaal zurück, werfe mich aufs Bett und ziehe die Vorhänge zu, damit ich meinen Tränen freien Lauf lassen kann. Sie sind nicht mehr aufzuhalten. Dieser Mann ist absolut durchgeknallt. Wie kann Dumbledore nur zulassen, dass er hier unterrichtet?

Ich muss es jemandem sagen. Aber wie? Und wem? Würde McGonagall meine Lage verstehen?

Gott! Ich fühle mich hundeelend, weil ich mich dazu herabgelassen habe, meinen Lehrer zu schlagen. Snape. Ausgerechnet!

Meinen Eltern kann ich das nicht sagen. Sie haben es schon schwer genug, damit klarzukommen, dass ich eine Hexe bin. Harry und Ron würden austicken. Was ist also mit jemandem vom Orden? Molly ist mir zu impulsiv. Aber vielleicht Lupin? Er schien immer so verständnisvoll. Schade, dass er nicht mehr hier ist. Mit ihm als Professor für Verteidigung gegen die dunklen Künste wäre mir das nicht passiert.

Verzweifelt setze ich einen Brief an ihn auf und schildere ihm meine Sorgen. Ich weiß, Harry würde mir Hedwig leihen, um den Brief zu verschicken, aber das ist zu riskant. Sie ist zu leicht zu erkennen, also gehe ich in die Eulerei und wähle mir eine von den Schuleulen aus. Dann kann ich nur noch warten.

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Meine Ungewissheit dauert an. Zwei Tage sind schon verstrichen und noch immer habe ich keine Antwort erhalten. Ob Lupin wieder unterwegs ist? Genau wie Hagrid versucht hat, Kontakte zu den Riesen herzustellen, probiert er es bei den Werwölfen. Hoffentlich geht es ihm gut.

Gegen Ende der Woche bin ich gezwungen, Snape gegenüberzutreten; in seinem Klassenzimmer versteht sich. Er ist der Lehrer, ich bin seine Schülerin. Schon alleine wenn ich daran denke, dreht sich mir der Magen um. Die vergangenen Tage waren hart, was vor mir liegt, könnte aber noch viel schlimmer werden.

Diesmal bleibe ich für mich, als ich das Klassenzimmer betrete. Ich schiele zu ihm hinüber und setze mich auf meinen Platz. Er beachtet mich nicht, obwohl ich mich natürlich auch täuschen kann, schließlich ist er ein Spion.

Mit fahrigen Bewegungen fische ich meine Sachen aus der Schultasche und lege sie auf meinen Tisch. Ich wage kaum, ihn aus den Augen zu lassen. Ich traue dem Kerl nicht.

Hibbelig sitze ich auf meinem Stuhl und sehe dabei zu, wie er vor die Tafel schwebt und gemächlich seine langen Finger vor dem Körper ineinander faltet. Finger, die auf meiner Haut brennen, wenn ich daran denke, wie er mich angefasst hat...

Meine Nerven liegen blank. Ich werde noch ganz paranoid.

Auf Snape ist wie immer Verlass, so unberechenbar ist er. Es hat den Anschein, als würde er geradewegs an mir vorbei schauen und mich rigoros ignorieren. Mehrmals blinzle ich, nur um daraufhin festzustellen, dass er mich keines Blickes würdigt.

Während der gesamten Stunde hebe ich nicht ein einziges Mal die Hand. Ich kann es nicht. Ständig muss ich daran denken, wie er seine Macht gegen mich ausgespielt hat, denn genau das war es: Ein fieses Spiel.

Ich bin nicht blöd. Ich weiß, dass ich hier irgendetwas zum Opfer gefallen bin. Nur was? Er hat mich schon früher fertiggemacht und mich aufgezogen, das hier übersteigt jedoch alles. Es geht nicht darum, dass es ihm offensichtlich Vergnügen bereitet, mich auflaufen zu lassen, sobald ich wiedergebe, was ich in den Lehrbüchern gelesen habe. Es geht auch nicht um mein Aussehen, insbesondere um meine Zähne. Es geht darum, dass er mich einschüchtern möchte, weil ich es gewagt habe, ihm zu nahe zu treten, indem ich ihn in einem Moment der Schwäche angesehen habe.

Nachdem die Stunde endlich vorbei ist und er uns entlässt, kommt es mir wie die längste Unterrichtsstunde meines Lebens vor. Und das will schon was heißen, wenn man immer gerne zur Schule gegangen ist und unzählige Kurse belegt hat. Wieso habe ich überhaupt jemals versucht, Snapes Verhalten vor Harry und Ron zu rechtfertigen? Die beiden waren von Anfang an der Meinung, dass er ein abscheulicher Lehrer ist und ich bereue zutiefst, dass ich mich dagegen gewehrt habe, das zu erkennen.

Unkonzentriert und achtlos schmeiße ich mein Zeug in meine Tasche und werfe sie über die Schulter. Harry und Ron scheinen es heute besonders eilig zu haben, denn sie rennen einfach davon und lassen mich zurück.

Als ich mich aufrichte, ragt vor mir ein schwarzer Wall empor. Mich trifft fast der Schlag. Wo kommt der denn her?

Snape steht mit hinter dem Rücken verschränkten Händen vor mir und sieht verächtlich von oben auf mich herab.

"Ich würde gern noch ein wenig mit Ihnen plaudern, Miss Granger."

Ist das denn wirklich nötig?

Hilflos blicke ich um mich, doch niemand ist mehr hier. Wie von Zauberhand fällt die Tür ins Schloss.

Ich wirble herum und sehe nur noch, wie Snape seinen Zauberstab im Inneren seines Umhangs verschwinden lässt.

"Ich glaube nicht, dass ich mit Ihnen plaudern möchte", sage ich leise, ehe ich mir auf die Zunge beißen kann. Erneut hat mein Mundwerk gesiegt.

Mein Herz hämmert wild gegen meinen Brustkorb. Wie wird er darauf wohl reagieren?

Mit einem schiefen Grinsen natürlich, das ihm alle Ehre macht.

"Für jemanden, der so weit geht, mich ins Gesicht zu schlagen, machen Sie heute einen ziemlich zimperlichen Eindruck auf mich", sagt er süffisant.

"Da haben Sie ganz Recht", entgegne ich frei heraus. "Es entspricht für gewöhnlich nicht meiner Natur, jemanden zu schlagen."

"Wollen Sie damit andeuten, dass es meine Schuld war?"

Ich muss angestrengt überlegen. Der Vorfall hat mich total fertig gemacht.

"Hätten Sie mich durchgelassen und mich nicht festgehalten -"

"Das kann schon sein", sagt er ungerührt. "Doch wie dem auch sei, ich werde nicht zulassen, dass mich jemand schlägt."

Mit offenem Mund starre ich ihn an. Mir fehlen die Worte. So wie er das sagt, fällt es mir schwer, die Frage der Schuld zu klären. Ich hoffe doch sehr, dass er das so persönlich nimmt, hat nichts mit dem zu tun, was ich von Harry über Snapes Kindheit erfahren habe. Die Auseinandersetzungen mit den Rumtreibern, die Demütigungen, die dem jungen Snape widerfahren sind...

Mir blutet das Herz. Nein, es sind meine Augen. Alles dreht sich, mein Verstand rebelliert. Habe ich ihn dadurch, dass ich die Hand gegen ihn erhoben habe, verletzt? Er hat mir zum Teufel nochmal höllische Angst gemacht! Außerdem schien die Vorstellung, Snape könnte überhaupt Gefühle besitzen, geradezu abstrus.

"Was wollen Sie von mir?", will ich wissen und es kommt mir dabei so vor, als würde ich immerzu nach derselben Antwort forschen, sie jedoch nie erhalten.

Snape fährt mit der Hand in seinen Umhang hinein und zieht einen Brief daraus hervor. Langsam faltet er ihn auseinander und beginnt, daraus vorzulesen.

Verängstigt kann ich durch meinen verschwommenen Tränenschleier hindurch nur auf seine langen Finger sehen und seiner eindrucksvollen Stimme lauschen. Sie ist es, die mich am meisten peinigt, denn er spricht so ruhig und leise, dass ich den Eindruck bekomme, er hätte ihn hundertmal gelesen, um ihn mir unter großen Qualen direkt unter die Nase zu reiben.

Am Ende blickt er auf und seine schwarzen Pupillen bohren sich erbarmungslos in meine.

Ich hätte es wissen müssen. Am liebsten wäre mir, ich würde auf der Stelle tot umfallen. Leider werden meine Gebete nicht erhört und ich bin gezwungen, ihn anzusehen.

"Nun, das war sehr aufschlussreich", sagt er sanft. "Am besten hat mir die Stelle gefallen, in der Sie Remus schildern, wie ich meine Nase fast bis auf Ihre drücke."

Zu allem Überfluss zitiert er auch noch, dass ich seine Finger als Schraubstöcke beschreibe, die sich um meinen Arm schließen, sowie den Absatz in dem ich seinen Atem erwähne.

"Das war beeindruckend, Granger. Man könnte beinahe meinen, Sie würden mir etwas unterstellen, finden Sie nicht?"

Er lächelt verschlagen, mir hingegen ist nicht nach Lachen zumute. Ich ringe nach Luft. Ich hyperventiliere.

"Wo haben Sie den her? Sie hatten kein Recht dazu, ihn zu lesen!", schrillt es aus mir hervor. Eine Alarmglocke ist nichts dagegen.

"Sie können von Glück reden, dass das Ministerium ihn nicht abgefangen hat, sonst säßen wir beide jetzt in einer Zelle in Untersuchungshaft", belehrt er mich mit einem Dröhnen. "Wegen sexueller Belästigung oder auch der Preisgabe wichtiger Informationen, die nur den Orden etwas angehen."

Seine sprühende Spucke benetzt meine Wange und ich muss ungewollt würgen. Snape besitzt doch tatsächlich die Frechheit, unsere Post zu kontrollieren ... Wenn das die Schüler wüssten. Und was sollte das mit dieser Drohung eben? Redet er etwa von Askaban? Kaum zu glauben, was da alles wegen eines Blickes ins Rollen kommt.

Als er sieht, wie ich mich von ihm abwende, um mich nicht versehentlich in einem Schwall auf ihm zu übergeben, verzieht er die Mundwinkel.

"Haben Sie heute Morgen irgendetwas gegessen?"

Fragend runzle ich die Stirn. Was kümmert ihn das denn?

"Sie haben beim Frühstück keinen Bissen angerührt, stimmt's?"

"Woher ..."

Ich unterbreche mich selbst. So genau will ich das gar nicht wissen. Es ist mir gleich, wenn er mich beobachtet. Ich habe ihm nichts mehr zu sagen, was genau genommen der Grund war, weshalb ich mich bemüht habe, ihn die ganze Woche, seitdem sich der Vorfall ereignet hat, nicht beachtet habe. Nicht auf den Gängen, nicht bei den Mahlzeiten in der Großen Halle. Snape war wie Luft für mich, bis kurz zu Beginn der Stunde zumindest.

"Scheren Sie sich zum Teufel!", sage ich stattdessen.

"Keine Sorge, das werde ich", entgegnet er scheinbar gelangweilt.

Er streckt den Arm aus und deutet damit unmissverständlich zur Tür.

"Nach Ihnen, Granger."

Ich hoffe doch sehr, dass das alles war, denn ich stürze einfach davon, ohne ihn weiter zu beachten. Mir ist gleich, was er dazu sagen wird und ob er mich für einen Feigling hält. Ich muss weg, bevor seine Gegenwart mich noch um den Verstand bringt.