„Traurig. Nicht wahr?"
„Was?"
„Das bald die Zeit des Abschieds kommt."
Light zuckte zusammen.
Was meinte L damit?
Hatte er ihn etwa immer noch nicht davon überzeugen können, dass er nicht Kira war? Aber wie konnte der Detektiv wissen, dass er jeden Moment sterben würde? Light wurde nervös. Hatte L ihn durchschaut? Nein, das konnte einfach nicht sein.
Die dunklen Augen starrten ihn noch immer an.
Light schluckte schwer.
Zum Glück klingelte genau in diesem Moment L`s Handy.
„Ja?", meldete sich der Detektiv. Dann lauschte er seinem Gesprächspartner eine Weile. „Alles klar. Komme sofort." Ohne ein Wort ließ er Light zurück.
Dieser blieb zunächst sitzen. Es war komisch für ihn L so zu sehen wie vorhin auf dem Dach. So niedergeschlagen und irgendwie hoffnungslos. Er mochte das nicht. Light bevorzugte den L, der alles unter Kontrolle hatte. Den, der ihm immer um Haaresbreite auf die Schliche kam. L, wie er jetzt war, stellte keine Herausforderung für Light dar. Was hätte er schon davon einen Gegner zu töten, der ohnehin schon aufgegeben hatte.
Entschlossen sprang Light auf und machte sich auf die Suche nach Rem. Und schon nach kurzer Zeit hatte er sie gefunden. Sie hielt ihr Death Note in der einen und einen Stift in der anderen Hand.
„Rem. Warte!", rief Light und stürmte auf den Shinigami zu. „Light Yagami. Ich bin hier um zu tun wozu du mich zwingst, um Misas Leben zu retten. Warum also hältst du mich auf?"
„Rem. Ich habe es mir anders überlegt. Ich werde L am Leben lassen und ihm eine Chance geben Kira zu fangen. In seinem derzeitigen Zustand würde es mir keine Genugtuung bringen ihn sterben zu sehen."
„In Ordnung, Light Yagami. Aber was ist mit Misa?"
Light überlegte kurz.
„Sag ihr sie soll sich vorerst bedeckt halten und keine weiteren Morde begehen. Ich werde L davon überzeugen, dass Misa niemals Kira war und auch im Moment nicht ist. Sie soll sich außerdem unter keinen Umständen bei mir melden. Ich kontaktiere sie sobald ich kann."
Rem nickte, spannte ihre Flügel aus und flog davon.
Light seufzte. Wie hatte er nur auf solch eine hirnrissige Idee kommen können. Irgendwie schien es ihm, als wäre er heute nicht ganz zurechnungsfähig.
Er steckte seine Hände in die Hosentaschen und machte sich auf den Weg zu Matsuda und den anderen.
L saß wie gewöhnlich mit angezogenen Beinen auf seinem Stuhl und verspeiste gerade ein Obsttörtchen. Light schnappte sich einen Stuhl und setzte sich neben ihn. Der Detektiv schluckte das letzte Stück hinunter und schaute dann in die Runde. „Also sind sie alle einverstanden?" Einstimmiges Nicken. „Ich denke es gibt keine andere Möglichkeit.", sagte Soichiro und stand auf.
„Wir müssen für ein zwei Tage ins Ausland, Light. Bitte sag deiner Mutter und deiner Schwester Bescheid und sag ihnen auch, dass sie sich keine Sorgen machen müssen." Er klopfte seinem Sohn noch einmal auf die Schulter und verließ dann mit den anderen Ermittlern die Zentrale.
Ohne es zuerst zu bemerken, wurde Light von den anderen mit L allein gelassen. Er fühlte sich unwohl. Plötzlich bewegte L sich. Er setzte sich normal hin und legte seine Arme auf den Schreibtisch, um dann seinen Kopf darauf zu betten. Light stutzte. Das war ja noch nie da gewesen.
„Alles in Ordnung Ryuzaki?", fragte er irritiert.
„Ja, alles in Ordnung, Light. Ich bin nur etwas müde."
Schweigen. Light wäre am liebsten einfach aufgestanden und gegangen, aber irgendwie brachte er das im Moment nicht übers Herz.
„Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne hierbleiben, um weiter zu ermitteln.", flüsterte Light fast. Er wollte L nicht stören.
„Mach nur.", antwortete der Detektiv träge. „Ich habe nichts dagegen."
Light klemmte sich einen Laptop unter den Arm und begab sich dann in die kleine Wohnung, in der Misa gewohnt hatte als sie unter Beobachtung stand.
Lustlos durchforstete er das Internet nach Hinweisen zum Fall Kira. Das war doch alles Zeitverschwendung. Schließlich wusste er genau wo sich Kira gerade aufhielt. Einige Internetseiten weckten sein Interesse. Dort stieß er auf Chats in denen heiß darüber diskutiert wurde, ob Kira gut oder böse sei. Es machte Light froh zu sehen, dass viele verstanden, was er für sie tat. Aber gleichzeitig machte es ihn auch wütend, dass solche Menschen nie selbst die Initiative ergriffen. Sie hätten sich auch selbst helfen können.
Draußen wurde es langsam dunkel und Light schaltete den Laptop aus. Er streckte sich auf dem Sofa aus und starrte an die Decke. Verrückte Welt. Nach einer Weile schlief er ein.
Blutige Hände griffen nach ihm. Eine Stimme schrie immer wieder seinen Namen. Seine Opfer deuteten mit dem Finger auf ihn und eins sagte: „Du bist nicht besser als wir." Sie bildeten einen Kreis um ihn. Kamen immer näher. Light wollte weglaufen, aber er konnte sich nicht bewegen. Näher und immer näher. Ein gellender Schrei. „MÖRDER!"
Schweißgebadet wachte Light auf. Er atmete heftig und blickte sich panisch im Zimmer um.
Nur ein Traum. Er atmete tief ein. Schon wieder. Er hatte wohl doch mehr Schuldgefühle als er sich eingestehen wollte. Und seine Opfer hatte Recht. Das wusste er. Er war auch nur ein Mörder. Er fand einfach keine Rechtfertigung mehr für seine Taten. Es war ein verdammter Teufelskreis aus Opfern und Tätern aus dem es kein Entrinnen gab.
Langsam stand Light auf. Er fuhr sich durch die Haare und seufzte. Er hatte das alles so satt. Entschlossen riss er die Tür auf und rannte in die Zentrale. Dort saß L noch immer. Den Kopf auf die Arme gelegt und leise atmend. Er schlief. L schlief? Das war äußerst ungewöhnlich. Aber Light konnte jetzt keine Rücksicht darauf nehmen.
„Ryuzaki.", rief er und tippte dem Detektiv energisch auf die Schulter. Dieser schreckte hoch und sah ihn dann verdutzt an. „Ja, Light? Was ist denn los?" Light sah im fest in die Augen, holte noch einmal tief Luft und sagte dann ganz langsam und deutlich: „Ryuzaki, ich bin Kira. Nehmt mich fest. Bitte."
L sah verwirrt aus. Dann nickte er stumm, zog sein Handy aus der Hosentasche und wählte. Light ließ sich erschöpft in einen Stuhl fallen. Jetzt war sein Leben ein für alle Mal zu Ende.
Ohne Light aus den Augen zu lassen, sprach L in sein Handy: „Wir haben ihn."
