FALL
[i]Oh fuck...[/i]
Das war sein erster Gedanke, als er aus dem Cockpit stieg und sich umsah. Duo konnte es nicht glauben. Diese verdammten Mobile Dolls! Sie hatten seinen geliebten Deathscythe doch tatsächlich beschädigen können, ihn dazu getrieben, nun auch noch mitten im Nirgendwo zu landen! Der Amerikaner stieß einen wütenden Schrei aus. "Das kann doch nicht wahr sein!"
Er blickte sich um. Wo war er hier überhaupt? Überall nichts weiter als Steppe. Trostlose Einöde. Und kein Mensch weit und breit in Sicht. Na toll! Sollte das hier also sein Ende sein? Sollte er, der großartige Shinigami, elendig verhungern oder verdursten auf der Suche nach Menschen, anstatt wenigstens würdevoll im Kampf zu sterben? Hätten die Mobile Dolls nicht besser zielen und ihn tödlich verletzen können? Aber diese Kampfmaschinen hatten ihm nichtmal einen Kratzer beschert, als er durch die Treffer und den Fall in seinem Cockpit immer wieder gegen den Sitz geschleudert wurde.
[i]Nicht so negativ denken[/i] redete er sich selbst ein und sprang aus dem Cockpit. [i]Wird schon wieder. Keine Ahnung wie, aber das kriegst du schon hin, Maxwell![/i] Er warf seinen Zopf über die Schulter nach hinten, als er im halb vertrockneten Gras landete und dabei zur Seite knickte. Okay, vielleicht sollte er sich nicht allzu hastig bewegen. Der Sturz hatte ihn wohl doch nicht ganz unbeschadet gelassen. Doch das unangenehme Ziehen in seinem linken Bein verschwand schnell wieder, als er ein paar Schritte gegangen war. Er blickte in den Himmel.
Sein Gesicht verfinsterte sich.
"Oh man, das wird ja immer besser", murmelte Duo missmutig, als er am Horizont den ersten roten Streifen sah, der die untergehende Sonne und somit die Nacht ankündigte. Er lief um seinen Gundam herum, begutachtete den Schaden, solange es noch halbwegs hell und das Licht gut war. Nichts, was er nicht wieder hinbekommen wäre - wenn er Ersatzteile gehabt hätte! Es war nichts Großartiges; die rechte Schulter war zwar ganz schön mitgenommen und die Triebwerke ausgefallen, mussten komplett ausgetauscht werden, aber mit ein bisschen Können und Zeit war das nichts, was er nicht schaffen konnte. Nur... "Wo zur Hölle bin ich hier?! Ich kann's nicht glauben; so'n Pech hab' immer nur ich! Scheiße!"
Mit voller Wucht trat Duo gegen das rechte Bein seines Gundams. Nur einen Moment später verzog er schmerzhaft das Gesicht, als der Schmerz nicht den Gundam sondern ihn traf.
Er hievte sich hoch, setzte sich auf seinen getreuen Kampfgefährten, und murmelte "Tut mir Leid, Deathscythe. Du kannst ja nichts dafür." Eines stand auf jeden Fall fest: heute kam er hier nicht mehr weg. Es war erstaunlich, wie schnell es in dieser Gegend der Erde dunkel wurde. Bald würde er hier nichtmal mehr die Hand vor Augen sehen können. Er hatte zwar eine Taschenlampe, aber wollte es nicht riskieren, seinen Gundam unbeaufsichtigt hier liegen zu lassen.
Selbst wenn seine Gegner ihn mit etwas Glück mitten in der Nacht übersehen würden und er auch auf dem Radar nicht angezeigt wurde, so würde er doch bleiben, um auf Nummer sicher zu gehen. Immerhin mussten alle, die einen Gundam erblickten, sterben. So war nun einmal das Gesetz. Außerdem wäre er als Shinigami eine Schande, wenn er nichtmal das fertigbringen würde.
Heero würde ihn ausschimpfen, dass er seine Mission mal wieder nicht erfüllt hatte.
Duo legte sich auf den Rücken, seinen Zopf über die Schulter nach vorn geworfen, und wartete auf die ersten Lichter am Himmel.
***
"Kommen wir heute noch rechtzeitig nach Hause?"
Sata blickte fragend zu Chinatsu, die das Steuer fest umklammert und das Fernlicht angeschaltet hatte. "Ja, ja, es ist nicht mehr weit. Zwei Meilen noch", antwortete das Mädchen und strich sich auf beiden Seiten die schwarzen Haare, die im Licht einen seltsamen Grünstich hatten, aus dem Gesicht. Ihre Augen suchten konzentriert die Straße vor sich nach irgendwelchen Hindernissen ab. Nicht, dass man sich die Mühe machen und in dieser Gegend die Straße asphaltieren würde; nein, so großzügig war ihre Regierung dann doch wieder nicht. Sie mussten schon selbst dafür sorgen, dass dieser Holperpfad befahrbar blieb. Immerhin musste ihre heiße Fracht ja rechtzeitig ankommen.
Chinatsu schnaubte. Sie hatte keine Lust mehr auf die lange Fahrt, und Sata zuzuhören war längst nicht mehr so amüsant wie noch vor drei Stunden. Der Junge redete wirklich ohne Punkt und Komma, wenn ihm langweilig war! Sie hörte schon gar nicht mehr hin.
Das hinderte ihn allerdings nicht, sein extremes Mitteilungsbedürfnis zu zügeln. Okay, sie musste zugeben, manchmal war es wirklich lustig, aber im Moment war sie einfach nur fertig und hundemüde. Und Sata hatte natürlich -offiziell- keinen Führerschein. Klar, er konnte fahren, aber die 80 Meilen zwischen der letzten und ihrer Stadt machten nun wirklich nichts mehr. Das konnte sie auch so, immerhin war sie diese Strecke schon oft genug gefahren. Auch im Dunkeln.
Außerdem hatten sie die Ware abgeliefert und ihr LKW war somit um ein Vielfaches leichter. Das Mädchen wunderte sich schon lange nicht mehr, was die Leute in der nächsten Stadt mit den Überresten der Mobile Suits von OZ und der Allianz wollten. Es ging sie auch nichts an. Sie war nur hier, um abzuliefern und den Widerstand aufrecht zu erhalten.
"Pass auf!", rief der Junge neben Chinatsu und riss ihr grob das Steuer aus der Hand. Aus Reflex trat sie auf die Bremse und als sie schließlich auf einem Feld rechts neben der Landstraße zum Stehen gekommen waren, atmete Sata geräuschvoll aus. "Boah, wo hast du denn hingeguckt?", fragte er und versuchte, mit langsamen Atemzügen seinen Puls zu beruhigen.
Chinatsu war wieder voll da. "Was... ist denn? Was sollte das?", fuhr sie Sata an und packte ihn am hellblauen Ärmel seiner Jacke. Verdammt, sie hatte nicht auf die Straße geachtet! Dabei dachte sie, sie wäre konzentriert genug gewesen... irgendwie mussten ihre Gedanken abgedriftet sein. Mist!
Doch ihr Partner hob beschwichtigend die Hände. "Hey, hey, ganz ruhig! Ich wollte nur nicht, dass du in dieses... Ding da reinfährst", erklärte er und zeigte nach draußen in die finstere Nacht.
Als ob es sie interessierte, was da draußen vor sich ging!
***
Duo sprang, seine Taschenlampe in der Hand, vom Bein seines Gundams und lief auf das Fahrzeug zu, welches Deathscythe und ihn eben fast gerammt hätte. Das Ziehen im Bein ignorierte er, so gut es ging. Nicht dass seinem Mobile Suit das etwas ausgemacht hätte, er hatte ja eine Gundanium-Legierung, aber er wollte wissen, wer sich um diese Uhrzeit noch in der Gegend herumtrieb. Vielleicht der Feind, vielleicht musste er wieder töten.
Für einen Feind wären diese beiden hier aber ziemlich unprofessionell, stellte Duo mit einem Blick in die Fahrerkabine des großen LKW fest. Zwei Jugendliche in seinem Alter etwa, schätzte er, und sie stritten. Er sprang die Stufen zur Fahrerkabine wieder herab. Die zwei hatten ihn nichtmal bemerkt.
[i]Memo an mich selbst: nicht so viel springen[/i] dachte er mit einem schiefen Grinsen im Gesicht und rieb sich sein offenbar doch verletztes Bein.
Ohne groß darüber nachzudenken, steckte er seine Taschenlampe weg und öffnete er die Fahrertür. Sofort erhielt er die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der beiden, die ihn vielleicht geschockt, vielleicht auch neugierig ansahen. Wie Feinde sahen die beiden auf den ersten Blick nicht aus. Duo beschloss aus seinem Bauchgefühl heraus, den beiden eine Chance zu geben. Dieses Bauchgefühl trügte ihn so gut wie nie. Mit einem gedanklichen Augenrollen und einem kurzen Kopfschütteln vertrieb er Heeros belehrende Stimme, die ihm sagte, nicht unvorsichtig zu sein. Der Kerl nervte ihn auch noch, wenn er nicht da war! Er würde mal ein ernstes Wörtchen mit seinem Kampfgefährten reden müssen, wenn er ihn mal wiedersah.
"Wo kommst du denn her?" Der braunhaarige Junge, der das Mädchen fast schon grob an den Schultern gepackt hatte, hatte ein ziemlich schnelles Mundwerk, stellte Duo fest und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Er mochte ihn auf Anhieb, obwohl der andere ihn sehr skeptisch musterte.
Er stieg die Stufen zur Fahrerkabine empor und stellte fest, dass das Steuer sich auf der rechten Seite befand. War er hier in Japan? Sah es dort überhaupt so aus? Er jedenfalls war auf der linken Seite eingestiegen.
"Von dort drüben." Mit einem Kopfnicken deutete Duo in die Richtung, aus der er gekommen war. "Ihr könnt mir nicht zufällig helfen, oder? Mein Mobile Suit ist abge-"
Duo hatte nicht einmal die Chance, seinen Satz zu beenden, da hatte das Mädchen sich aus dem Griff des Jungen befreit und richtete nun eine Pistole, die sie weiß Gott woher gezogen hatte, auf ihn. "Gehörst du zur Allianz? Oder zu OZ?" Sie fackelte anscheinend nicht lange, wenn sie etwas wissen wollte. "Hände hoch!" Scharf blickte sie ihn an und ihre Stimme duldete so wenig Widerspruch wie die von Heero, wenn er einen Befehl gab.
Gedankenlos wie er war, hob Duo die Hände, musste aber seine Stütze in Form des Sitzes aufgeben und verlor sein Gleichgewicht. Man sollte meinen, ein Gundam Pilot wäre geschickter. Den anderen wäre das wohl nicht passiert.
Schneller, als er sich dessen bewusst wurde, lag er auf dem Feld, das längst brach lag. Er konnte einen Schmerzenslaut nicht unterdrücken, als er mit seinem linken Bein unglücklich aufkam. Er lag auf dem Rücken, die Hände noch immer neben seinem Kopf, und starrte die wenig freundlichen Gesichter der Jugendlichen an, die ihn unverhohlen anstarrten. Ihr Mienenspiel war überwältigend; es wechselte zwischen Feindseligkeit und schieren Unglauben über sein Ungeschick in nichtmal zwei Herzschlägen.
Vielleicht dachten sie auch, er wäre nicht mehr ganz dicht. Verübeln konnte Duo es ihnen nicht. "Kannst du die Pistole vielleicht wegstecken? Ich gehöre weder zu OZ noch zur Allianz, ja?", erklärte er und sah das Mädchen an. Widerwillig, aber ihm nun anscheinend freundlicher gesonnen, steckte sie die Pistole weg. Wohin, war ihm ein Rätsel. Ebenso wie die Tatsache, dass sie ihm anscheinend zu trauen schien. Was vielleicht an seinem Sturz lag, oder aber auch daran, dass er keine Waffe auf sie gerichtet hatte. Wer weiß...
Der Junge mit den schulterlangen, braunen Haaren sprang aus dem LKW und half Duo hoch. "Sorry, so ist sie nunmal", erklärte er mit einem schiefen Grinsen, "aber sag mal... woher hast du den M.S., wenn du nicht zu unsren Feinden gehörst? Ich meine, eigentlich geht's uns ja nichts an, aber du hast uns ja schon um Hilfe gefragt... naja. Also?" Neugierig sah er Duo an.
Dieser zuckte mit den Schultern, ein stolzes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. "Ich bin ein Gundam Pilot", eigentlich eine Tatsache, mit der man in dieser Welt heutzutage nicht unbedingt hausieren gehen sollte, "diese dämlichen Mobile Dolls haben mich erwischt. Mein Guter und ich sind abgestürzt. Könnt ihr ihn vielleicht irgendwie transportieren? Oder wisst ihr, wo ich Ersatzteile herkrieg?"
Während die Jungs sich unterhielten, sah der andere so neugierig aus, dass er mit Duo, der seine Taschenlampe wieder angeschaltet hatte, die paar Meter zum Gundam lief.
"Boah, is das geil! Das hab' ich ja noch nie gesehen! Naja, schon, das Fernsehen ist voll davon, aber in echt... boah!" Er kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, als die beiden Deathscythe umrundeten. "Ach ja, ich hab' noch noch gar nicht vorgestellt", fiel es ihm ein, "ich heiße Sata." Duo wiederum nannte seinen Namen. "Und der ist echt dir?", fragte Sata weiter.
"Mir und nur mir allein", ein bisschen Stolz konnte er ja wohl darauf sein, auch wenn er als Rebelle geächtet wurde und hingerichtet werden sollte. "Wie weit ist's bis zur nächsten Stadt?"
Das Mädchen war hinter ihnen hergelaufen. "Sata, komm jetzt! Wir sind spät dran", erinnerte sie ihn daran, dass die beiden offenbar erwartet wurden. Sie blickte zu Duo. "Du kannst mitkommen", bot sie ihm großzügig an, "es sind noch zwei Meilen. Morgen früh können wir seinen Mobile Suit abschleppen. Jetzt ist's zu dunkel."
Mehr als dankbar nahm Duo die Einladung an, folgte Sata und dem Mädchen gerne wieder zurück zum LKW. Sata saß die Fahrt über am Steuer, während Chinatsu, die sich mit einer Entschuldigung vorgestellt hatte, vor sich hindöste. Sata war ein guter Fahrer, stellte Duo fest. Eigentlich mochte er es nicht, wenn jemand anderes außer ihm ein Fahrzeug lenkte und er nur der Beifahrer war. Aber der andere schien sich gut hier auszukennen und so musste Duo ihm vertrauen.
Sata parkte am Stadtrand und die drei Jugendlichen stiegen aus. Es schien nicht das einzige größere Transportfahrzeug zu sein, wie Duo mit einem Blick über das beachtliche Gelände feststellte. Auch wenn es nur spärlich beleuchtet war, konnte er erkennen, dass es groß genug war, um zehn dieser LKW, die einen kompletten Mobile Suit problemlos transportieren konnten, zu beherbergen. Sata und Chinatsu führten ihn zu einem an den Parkplatz angrenzenden Haus. Der Junge öffnete die Tür. "Wir sind wieder da", rief er gut gelaunt und ließ die beiden eintreten, bevor er folgte und die Tür sorgsam abriegelte.
Sie waren offensichtlich durch die Hintertür hineingekommen, denn die drei befanden sich in einer kleinen Küche, in die nun ein erwachsener Mann mit kurzen, schwarzen Haaren stürmte. "Wo wart ihr denn so lange?! - Oh, ihr habt einen Gast?" Unverhohlen neugierig und misstrauisch blickte der Mann, Duo schätzte ihn auf Mitte dreißig, zu dem langhaarigen Amerikaner. "Wo kommst du denn her?"
Bereitwillig erzählte Duo, wie er die beiden anderen getroffen hatte. Auch dass er Gundam Pilot war, ließ er nicht aus.
Der Mann sah ihn an. Nach einigen schweigsamen Momenten nickte er schließlich. "Gut, ich glaube dir", erklärte er, "du kannst deinen Gundam hier reparieren." Duo wollte schon aufspringen und sich überschwänglich bedanken, doch der Mann gebot ihm mit erhobener Hand Einhalt. "Unter einer Bedingung: du hilfst uns ebenfalls."
Mit großen Augen blickte der Amerikaner den Mann ihm gegenüber an. "Klar, was soll ich tun?", fragte er ohne zu zögern. Es war doch selbstverständlich, dass er auch was für ihn tat, immerhin hatte der Mann ihm gerade seine Existenz gesichert.
"Am anderen Ende der Stadt ist ein Fluss", erklärte der Mann und stützte sich mit einem Ellenbogen auf den Tisch, "dahinter halten sich Streitkräfte von OZ versteckt und greifen von Zeit zu Zeit wieder wollen uns langsam aber sicher fertigmachen. Du besiegst sie." Mit festem Blick sah er Duo an. "Wir haben gehört, was ein Gundam alles kann. Wie gefährlich er ist. Ich weiß, dass du es schaffen kannst, G-Boy."
Zuerst etwas verwundert, dann aber leicht belustigt bei dem Spitznamen, den der Mann ihm gegeben hatte, lachte Duo auf. Er streckte dem Mann die Hand hin. "Alles klar, abgemacht!"
Der Mann schlug ein. "Sehr gut."
Dann schickte er Chinatsu und Sata ohne viel Federlesen ins Bett. Es war schon weit nach Mitternacht, stellte Duo mit einem verwunderten Blick auf die Wanduhr, die hinter ihm hing, fest. Auch für ihn eigentlich Zeit, so langsam mal schlafen zu gehen. Ein Gähnen konnte er nicht unterdrücken.
"Wir haben doch aber gar kein Bett für Duo!" Sata wollte sich einfach nicht wegschicken lassen, während Chinatsu schon längst den Weg in ihr Zimmer gefunden zu haben schien. "Er muss dann ja auf der Couch schlafen", gab der Junge zu bedenken, "ich hole ihm eine Decke!" Und schon war er verschwunden.
Der Rest des Hauses war dunkel, so konnte Duo nicht sehen, wo Sata hinging. Während er weg war, löschte der Mann, der sich Duo schließlich als Roman Lyall vorgestellt hatte, das Licht und schaltete eine Taschenlampe an. "Komm mit", sagte er und führte Duo aus der Küche in einen angrenzenden Raum. Wahrscheinlich das Wohnzimmer, wie Duo im fahlen Licht der Lampe erkennen konnte.
