Inhalt: Der Ringkrieg ist vorbei und der Frieden kehrt nach Mittelerde zurück. Doch nicht für Éowyn – für sie hat sich auch nach dem langen Krieg nichts geändert, im Gegenteil. Ihre Welt versinkt in unendlicher Dunkelheit und es ist kein Licht mehr in Sicht...
Disclaimer: Der Herr der Ringe ist nicht mein Eigentum, ich wäre nicht fähig, etwas so Geniales zu erschaffen. Demnach kriege ich auch nichts von dem ganzen Geld, was mit HdR verdient wird... ich hab nur meinen Spass an der Freude, aber eigentlich ist das mehr als genug ;)
Warnungen: Dies ist eine Darkfic. In dieser Geschichte werden Themen wie Ritzen oder Selbstmordgedanken behandelt – wenn ihr euch damit unwohl fühlt, lest sie bitte nicht.
A/N:
Hallöchen! Erinnert ihr euch noch an mich? Lang ist's her,
seit WLTB ein Ende gefunden hat... aber nun bin ich zurück, mit
einer neuen mehrteiligen Story im Gepäck. Eigentlich wollte ich
sie ja zuerst fertig schreiben, aber nun habe ich beschlossen, euch
diese Story zum Weihnachtsgeschenk zu machen.
Und bevor
ich euch jetzt lesen lasse, zwei Dinge: Zuerst ein mal ein
riesengrosses Danke an meine drei geliebten Betas, Silivren, Lhindiel
und Jin. Ohne sie wäre ich mit dieser Geschichte noch lange
nicht so weit ;)
Und
zweitens:
Dies
ist eine AU-Story. Sie spielt nach dem Ringkrieg, jedoch ist da
eine Kleinigkeit anders gelaufen: Der arme Faramir hat das „nette"
Feuerchen seines Vaters nicht überlebt, und deshalb hat er auch
Éowyn nie kennen gelernt. Ansonsten bleibt aber alles so, wie
es das grosse, geniale Buch will ;)
So. Ich
glaube, das wäre alles gewesen. Nun wünsche ich euch viel
Spass mit dem ersten Kapitel von „Weiten der Finsternis"!
Weiten der Finsternis
Kapitel 1
Minas Tirith, Jahr 3019 des dritten Zeitalters, Mai
„Ihr seid wunderschön, Herrin!", rief die junge Dienerin bewundernd aus und zupfte an Éowyns goldenem Kleid. Die Angesprochene lächelte gezwungen und betrachtete sich müde in dem hohen Spiegel, vor dem sie schon seit geraumer Zeit stand. Wunderschön... die goldene Farbe ihres Gewands war zu grell, fand Éowyn, ihr war eher danach in tiefstes Schwarz gekleidet zu sein, und ihr Haar müsste hochgesteckt sein und ihr nicht in langen Locken über den Rücken fallen. Sie sollte nicht schön sein.
Für sie gab es keinen Grund zur Freude... nur zur Trauer. Der Tod ihres Onkels war allgegenwärtig in ihren Gedanken und der Schmerz wütete in ihrem Herzen. Und schon in wenigen Tagen würde sie mit ihrem Bruder nach Edoras zurückkehren und dort ihr tristes Leben führen wie sie es schon immer getan hatte. Éomer würde König werden und sie würde an seinem Hofe verweilen bis das Alter seinen Tribut forderte und sie aus dieser Welt entlassen würde. Und die langen Jahre dazwischen würde sie vielleicht irgendeinen Mann ehelichen und ihre düsteren Tage freudlos an seiner Seite verbringen.
„Herrin? Wünscht Ihr, dass ich Euch zum Fest begleite?" Das Mädchen, das Éowyn beim Ankleiden behilflich gewesen war, sah die Schildmaid beinahe flehend an. Wieder lächelte diese gezwungen und bedeutete der Dienerin durch ein Nicken, dass sie mitkommen sollte.
Eifrig führte die Dienerin die Schildmaid Rohans durch die vielen langen Gänge. Éowyns Schritte waren müde und widerwillig, aber sie wusste, dass es ihre Pflicht war, bei der Krönung Aragorns anwesend zu sein. Auch wenn es ihr unendlich wehtun würde ihn zu sehen und gleichzeitig zu wissen, dass sie niemals an seiner Seite stehen dürfte.
Die Plattform vor dem Palast war gefüllt mit Leuten, es schien, als wäre das Volk von ganz Gondor zusammengekommen um zu sehen, wie Isildurs Erbe seinen Platz als König Gondors einnahm. Seufzend trat Éowyn neben Éomer, der sie mit einem wohlgefälligen Blick bedachte.
„Du siehst gut aus, Schwester", sagte er leise und lächelte sie an. Éowyn lächelte zurück, doch es war nichts Ehrliches in diesem Lächeln. Éomer schien dies jedoch nicht zu bemerken, denn er richtete seinen Blick auf den König Gondors, der nun vor sein Volk trat.
Éowyn jedoch sah Aragorn nicht an. Stattdessen musterte sie ihren Bruder. Ein leichtes Lächeln lag auf seinen Zügen, das ihn um Jahre jünger erscheinen liess. Er hatte kaum mehr gelächelt in den letzten Jahren und es erleichterte Éowyns Herz zu sehen, dass zumindest für ihn die Welt gerettet worden war.
Er würde nun König werden, wenn sie in ihre Heimat zurückkehrten. Wehmütig dachte sie an Théoden. Sie hatte ihn geliebt wie einen Vater, da sie den Ihren schon früh verloren hatte und sich kaum an ihn erinnerte. Und nun sollte ihr Bruder Théodens Platz in der goldenen Halle Meduseld einnehmen.
Ein kaum hörbarer Seufzer entkam ihren Lippen und nun richtete sie ihren Blick doch auf Aragorn. Ein scharfer Schmerz durchfuhr ihr Herz, als sie sein ebenmässiges Gesicht erblickte, auf dem nicht mehr ganz so viele Sorgenfalten lagen wie in den Tagen, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Seine Stimme war klar und stark, als er zu seinen Untertanen sprach. Gondor würde einen guten König haben. Seine Zukunft glänzte im Licht der strahlenden Sonne und versprach den Menschen ruhige Zeiten, in denen sie sich von all dem Leid erholen konnten, das ihnen in diesem Krieg widerfahren war. Minas Tirith würde bald wieder in seinem alten Glanz erstrahlen.
Verkrampft lächelnd verbeugte Éowyn sich, als Aragorn an ihr und ihrem Bruder vorbeischritt und hielt angestrengt die aufsteigenden Tränen zurück. Sein Anblick bereitete ihr einen schier unerträglichen Schmerz, der sie von innen auffrass und sie glauben liess, dem Ansturm ihrer Gefühle nicht länger standhalten zu können.
Mühsam beherrscht sah sie schliesslich wieder auf. Elben kamen Aragorn entgegen, allen voran Legolas. Und... was sie dann sah stellte Éowyns Beherrschung auf eine harte Probe. Eine wunderschöne Elbin mit langem, dunklem Haar, die in ein wertvolles Kleid aus hellgrünem Stoff gekleidet war, trat auf Aragorn zu. Éowyn musste nicht fragen, wer das war. Nur eine würde ein solches Lächeln vollkommenen Glücks auf das Gesicht Aragorns zaubern, wie es nun darauf erschien. Arwen Abendstern. Brennende Eifersucht loderte in Éowyns Herz auf, vermischte sich mit dem Schmerz und verlangte von den Tränen, dass sie flossen. Doch Éowyn hielt sie zurück. Diese Blösse wollte sie sich nicht geben... nicht, nachdem sie in den Augen der Menschen Achtung gewonnen hatte nach ihrem Sieg über den Hexenkönig von Angmar.
Ein Sieg, der ihr hätte das Ende bringen können. Aber man hatte sie nicht sterben lassen... nein, man hatte sie in die Häuser der Heilung gebracht und sie unter grosser Mühe gesundgepflegt. Mühe, die man sich hätte sparen können. Mit sich kämpfend senkte sie ihren Blick, sie ertrug es nicht länger in das Gesicht jener Elbin zu sehen, der sie ihr Leid verdankte. Denn wäre Arwen Abendstern nicht gewesen, hätte Aragorn Éowyn vielleicht wahrgenommen als Frau, nicht als Schildmaid Rohans, deren Schicksal sich irgendwo weit entfernt von ihm besiegeln würde. Doch was geschehen war, war geschehen... und sie konnte es nicht ändern, so sehr ihr Herz auch danach verlangte.
xXx
Edoras, Jahr 3019 des dritten Zeitalters, September
„Éowyn? Hörst du mir überhaupt zu?"
Müde hob die blonde Frau ihren Kopf und blickte ihrem Bruder in die Augen.
„Natürlich", sagte sie leise, obwohl sie kein Wort behalten hatte von dem was Éomer ihr mitgeteilt hatte. Nur dass es um seine Heirat ging... offenbar hatte er in Gondor eine Frau kennen gelernt, die er nun an seiner Seite haben wollte.
„Du hast mir nicht zugehört. Éowyn, was ist mit dir? Du bist so stumm... warum freust du dich nicht so wie alle anderen, dass das Leid endlich ein Ende hat?"
„Ich kann mich nicht freuen, Éomer... es tut mir leid", flüsterte sie und verliess beinahe fluchtartig die goldene Halle, wo sie mit ihrem Bruder gesessen hatte. Wie so oft in letzter Zeit rannen Tränen der Verzweiflung und Einsamkeit über ihre Wangen. Wie sehr wünschte sie sich, die Welt wäre anders... wie sehr wünschte sie sich, Arwen Abendstern wäre in den Westen gesegelt und sie selbst dürfte den Platz an Aragorns Seite einnehmen. Wie sehr...
Der Wind zerrte an ihrem schwarzen Kleid, als sie vor der Halle stand und auf die Stadt herabblickte, in die langsam das Leben und die Fröhlichkeit wieder Einzug hielten. Die bedrückende Stille war verschwunden, die Herzen der Menschen wurden wieder leicht und sie konnten wieder lachen. Alle waren sie froh, den unerbittlichen Krieg, die Angst und das Leid zurücklassen zu können.
Ich möchte, dass du wieder lächelst und nicht trauerst um jene, deren Zeit gekommen ist. Ich möchte, dass du nicht mehr verzweifelst...
Der kühle Wind trug trügerische Worte an Éowyns Ohren. Sie hatte die Bitte ihres toten Onkels nicht erfüllt... für sie war die Welt nicht gerettet, war nicht anders geworden mit dem Untergang Saurons und so konnte sie auch nicht wieder froh werden. Nach wie vor sass sie in Edoras fest, eingesperrt in einen goldenen Käfig, mit den Gedanken an die Freiheit und die Liebe, die irgendwo da draussen auf sie warteten. Doch sie hatte nicht die Kraft danach zu suchen, war zu schwach um noch einmal gegen die tausend Regeln aufzubegehren, die sie gefangen hielten.
Einmal... ein einziges Mal hatte sie es gewagt, hatte all ihre Kraft gesammelt und war als Soldat nach Gondor geritten, mit in die Schlacht, und hatte gehofft, dass danach alles anders sein würde. Hatte gehofft, man würde erkennen, dass sie nicht für ein Leben als Hausfrau geschaffen war, dass man ihr Achtung entgegen bringen würde. Die Achtung war da gewesen, nachdem sie den Hexenkönig besiegt hatte... doch nun erinnerte sich kaum einer noch an ihren Triumph, er lag schon zu weit zurück.
Die Tränen in ihren Augen waren getrocknet, brannten jedoch noch immer in ihrer Seele, als Éowyn zurück in die Halle ging. Éomer, der sich mit einem seiner Marschalle unterhielt, warf ihr einen fragenden Blick zu, als sie den Raum durchquerte um zu ihrem Gemach zu gelangen. Éowyn setzte ein falsches Lächeln auf, das ihren Bruder täuschen sollte, und verschwand dann aus der Halle.
xXx
Kopfschüttelnd sah Éomer seiner Schwester nach und fragte sich zum wohl tausendsten Mal, was nur mit ihr geschehen war. Sie mochte nie besonders fröhlich und lebhaft gewesen sein, höchstens in den Jahren ihrer Kindheit, aber seitdem sie nach Edoras zurückgekehrt war schien jegliches Leben aus ihr gewichen zu sein. Sie sprach nicht mehr, sass niemals mehr neben ihm in der goldenen Halle, auch wenn er ihre Gesellschaft schmerzlich vermisste, und verbrachte ihre Tage alleine in ihrer Kammer.
Selbst jetzt, da er gehofft hatte, sie ein wenig aufzuheitern mit der Nachricht von seiner baldigen Hochzeit, schien sie völlig abwesend gewesen zu sein, und als sie beinahe fluchtartig die Halle verlassen hatte, schimmerten Tränen in ihren Augen. Und dabei hatte sie ihm vor weniger als einem Jahr noch ständig im Scherz vorgehalten, er solle sich endlich eine Frau suchen.
Resigniert schickte Éomer den Marschall, mit dem er eben noch ein Gespräch über die Grenzwachen gehalten hatte, weg und zog sich in seine eigenen Gemächer zurück. Stumm starrte er auf die Bilder längst verstorbener Könige, die an den Wänden aufgehängt waren, und wünschte sich zurück in seine Kindheit, als seine Schwester noch richtig gelebt hatte...
xXx
Edoras, Jahr 3002 des dritten Zeitalters
Zögernd wurde die Tür zu seiner Kammer ein kleines Stückchen geöffnet und Éomer sah von der Karte Rohans hoch, über der er gerade gebrütet hatte.
„Was?", fragte er ungehalten, jedoch erhellte sofort ein Lächeln sein Gesicht, als er seine kleine Schwester erkannte, die nun leise hinter sich die Tür schloss. In diesen Tagen wagte es niemand im Haus, auch nur ein lautes Geräusch zu machen. „Was ist los?", wiederholte er deutlich freundlicher und sah Éowyn erwartungsvoll an.
„Kannst du mir das Kämpfen beibringen?", nuschelte sie so leise, dass Éomer zuerst glaubte, er hätte sich verhört.
„Wie bitte?", entfuhr es ihm und er starrte sie überrascht an.
„Bringst du mir das Kämpfen bei?", fragte Éowyn wieder und dieses Mal durchlöcherte sie nicht den Boden mit ihren Blicken, sondern sah direkt ins Gesicht ihres Bruders.
„Wozu das? Du bist ein Mädchen", erwiderte Éomer leicht verächtlich, nachdem er sich etwas gefasst hatte, und schüttelte den Kopf. Siebenjährigen Mädchen brachte niemand das Kämpfen bei...
„Bitte", flehte sie und sah ihren Bruder mit grossen, blauen Augen an. Éomer kannte diesen Gesichtsausdruck und seine Wirkung nur zu gut und so sah er ärgerlich weg.
„Hör auf mich so anzusehen, Éowyn!", forderte er und stand von seinem Stuhl auf. „Ich kann und werde dir das kämpfen nicht beibringen."
Die blauen Augen füllten sich mit Tränen und das kleine Mädchen liess ein leises Schluchzen hören.
„Aber ich will nicht, dass mir dasselbe passiert wie Papa...", schniefte sie. Éomer trat einen Schritt auf sie zu und zog sie in seine Arme.
„Dir wird so etwas nicht passieren, weil ich nie zulassen werde, dass dir diese grässlichen Orks zu nahe kommen! Das verspreche ich dir. Du brauchst keine Angst vor diesen Bestien zu haben. Ich werde dich beschützen", tröstete er sie. „Und wenn ich dich beschütze, dann musst du auch das kämpfen nicht lernen."
„Aber..."
„Ich verspreche es dir, Éowyn! Und nun geh und lies Mutter etwas vor, damit sie nicht zu sehr über Vaters Tod nachgrübelt... das bekommt ihr nicht." Éomer liess seine Schwester los und schob sie zur Tür.
„Éomer!", quengelte sie noch, bevor er nachdrücklich die Tür hinter ihr schloss.
„Ach, Éowyn", seufzte er, musste dann aber doch grinsen, als er sich seine kleine Schwester schwertschwingend vorstellte. Oder eher wie sie versuchte, die schwere Waffe überhaupt hochzuheben...
xXx
Edoras, Jahr 3019 des dritten Zeitalters, September
Éomer lächelte leicht, als er daran dachte, wie seine kleine Schwester damals vor ihm gestanden hatte. Damals war sie noch nicht so schwermütig gewesen, auch wenn der nur kurz zurückliegende Tod ihres Vaters sie doch bedrückt hatte. Aber ihre kindliche Fröhlichkeit hatte sie nicht verloren... und das Band zwischen den Geschwistern war noch unzerbrochen gewesen.
xXx
Edoras, Jahr 3021 des dritten Zeitalters, November
Resigniert betrachtete Éowyn die blanke Klinge ihres Schwertes. Noch immer fühlte sich das kühle Heft gut an in ihrer Hand, noch immer wusste sie mit der tödlichen Waffe umzugehen. Doch seit ihrem Triumph auf dem Pelennor hatte ihre Klinge kein Blut mehr geschmeckt. Ihr Bruder untersagte ihr den Kampf, noch nicht einmal die Übungsplätze durfte sie aufsuchen. Es gehöre sich nicht für eine Frau, solchen Beschäftigungen nachzugehen... lieber solle sie sich nach einem Mann umsehen.
Ein bitteres Lachen verliess Éowyns Lippen und verhallte ungehört in ihrem Zimmer. Ihr war nur allzu klar, dass ihr Bruder sie nicht mehr in Edoras haben wollte. Er hatte geheiratet, hatte mit seiner Frau Lothíriel einen Sohn und war glücklicher König über ein Land, das in seiner vollen Blüte stand. Dem Volk ging es gut und die Pferdezucht brachte schöne und stolze Rösser hervor.
Nur sie, Éowyn, vegetierte in Edoras vor sich hin, verlor sich in düsteren Gedanken und schmerzenden Träumen. Seit Jahren hatte sie in keinen Spiegel mehr geblickt, doch ihr war klar, dass es nicht mehr als ein Schatten ihres alten Selbst sein würde, das ihr entgegensähe. Eine hagere Gestalt mit dunklen, von Trauer und Sehnsucht verhangenen Augen, blasser Haut und einem bitter verzogenen Mund. Dahingegangen war ihre einstige Schönheit, die strahlende, melancholische Schildmaid von Rohan, nur Bitterkeit war geblieben.
Selten sprach sie, noch seltener liess sie sich in der goldenen Halle blicken. Empfing ihr Bruder Gäste, so blieb sie für wenige Augenblicke im Schatten stehen um zu sehen, wer gekommen war, auch wenn es sie nicht kümmerte, und verschwand dann wieder in ihrem kleinen Zimmer. Betrachtete wieder stundenlang die braunen Wände, die hölzerne, mit edlen Schnitzereien verzierte Kleidertruhe, den kleinen Schreibtisch, auf dem nur einige unbeschriebene Bogen Pergament und eine zerfranste Feder lagen, hing düsteren Gedanken nach und wartete auf den Wahnsinn und den Tod.
Doch der Wahnsinn war vielleicht längst gekommen und sie hatte ihn nicht bemerkt, auch wenn sie sich unter Verrücktheit etwas anderes vorstellte als die ohnmächtige Verzweiflung, die sie fühlte. Wahnsinn müsste ihre Gefühle auslöschen, alles mit einem seligen Gefühl des Vergessens bedecken und die grausame Welt um sie herum hinter einem Schleier von Unkenntnis verbergen. Wahnsinn sollte nicht die Konturen eines verlorenen Lebens noch stärker hervorheben, sollte nicht Schmerz und Kummer steigern.
Aber wie kam man um Wahnsinn herum, wenn man Tag für Tag die selben Wände anstarrte, Stunde um Stunde immer wieder die selben Gedanken dachte? Wie konnte man seinen Verstand bewahren, wenn man dem Schmerz und der Verzweiflung seines Herzens nicht mehr gewachsen war? Wie konnte man noch wissen, wer man war, wenn das Leben in unerreichbare Ferne gerückt und der Tod ebenso weit entfernt war? Wenn man in einer Zwischenwelt schwebte, in der alle Gefühle ausser Leid ausgelöscht waren?
Ihr Bruder mochte sich vor Jahren noch um sie, Éowyn, gesorgt haben, doch irgendwann hatte selbst er sich von ihr distanziert. Er hatte nicht mehr versucht ihre Masken zu durchdringen, war scheinbar zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Und sie konnte es ihm noch nicht einmal verübeln. Er hatte sein Glück gefunden, warum also sollte er sich mit seiner verbitterten Schwester quälen? Stattdessen hielt er lieber nach einem Mann Ausschau, der sich mit einer Frau wie ihr vermählen würde. Nur schien er keinen zu finden.
Langsam liess Éowyn ihr Schwert zurück in die Scheide gleiten. Die Zeiten waren endgültig vorbei, da sie es noch hatte benutzen können. Was war es nun noch wert, hier in ihrem düsteren Raum, wo freundlose Gedanken sich die Klinke in die Hand drückten und keinen Platz für etwas anderes liessen. Es war nur noch ein Ausweg, ein Weg, der ihr immer schöner zu begehen schien. Nicht zuletzt darum lag der schmale, silberne Dolch neben einem Stapel weissen Verbänden auf dem kleinen Tischchen neben ihrem Bett. Nicht zuletzt darum zeichneten sich dünne, blutrote Linien auf ihren einstmals makellosen Unterarmen ab, die einen verheilt, die anderen frisch. Nicht zuletzt darum keimte in Éowyn die Hoffnung, einmal möge aus Versehen ein Schnitt tief genug sein, ehe sie nicht selbst den letzten Schritt wagte...
Das leise Quietschen ihrer Zimmertür liess sie aufsehen. Eine alte Dienerin trat ein und neigte respektvoll den Kopf.
„Herrin, es sind Besucher aus Gondor eingetroffen. Euer Bruder wünscht, dass Ihr Euch in die Halle begebt sie zu begrüssen. Soll ich Euch zurechtmachen?"
Éowyn nickte kraftlos und liess mit ausdrucksloser Miene die Prozedur des Waschens und Ankleidens über sich ergehen. Auch als die Alte die Arme der Schildmaid verband und die weissen Bandagen dann durch die langen Glockenärmel des dunkelblauen Kleids verbarg sagte sie nichts. Sie verzog noch nicht einmal ihr Gesicht, als ein Kamm sich daran machte, die Knoten in ihrem Haar zu lösen und ein schmerzhaftes Ziepen hie und da ihre Kopfhaut durchfuhr.
„Möchtet Ihr, dass ich Euch begleite, meine Herrin?"
Éowyn erhob sich langsam und starrte hilflos auf ihre blassen, zitternden Hände.
„Wer ist gekommen, Addraen?", fragte sie leise, wobei ihre Stimme in ihren Ohren dünn und falsch klang.
„Ein Elb und ein Zwerg, meine Herrin, jene, die damals während des Ringkriegs zusammen mit König Aragorn hier ankamen", antwortete Addraen ruhig und beobachtete das Gesicht ihrer Herrin aufmerksam. Diese hob kurz den Kopf und sah ihr Gegenüber mit einem Ausdruck äusserster Verzweiflung an.
„Er... ist nicht da?"
„Nein, meine Herrin." Die Alte legte sanft eine Hand auf die Schulter Éowyns. „Kommt. Sie warten."
xXx
A/N: So,
das wäre das erste Kapitel gewesen. Und ihr hört jetzt ganz
sicher auch das jämmerliche Winseln des Review-Buttons, oder?
(Beziehungsweise ihr seht die grossen Hundeaugen der Autorin, die zu
gerne wissen würde, was ihr von ihrem neusten Werk haltet :g:)
Euch allen noch frohe Weihnachten und einen unfallfreien Rutsch ins neue Jahr! ;)
