„Die gesamten Ferien. Jeden einzelnen Tag. Jede Stunde. Ich weiß nicht, ob ihr euch vorstellen könnt, was das heißt!" Das Mädchen mit den dunklen Locken schüttelte sich in offenkundiger Abneigung. Mit einem Ruckeln fuhr der Zug, indem sie saß, an und stieß als Abfahrtssignal einen lauten Pfiff aus.
Das Mädchen, welches gerade tief geseufzt hatte, sah erwartungsvoll in die Gesichter der Mädchen, die ihr gegenüber saßen. Belustigte und mitleidige Blicke waren das Ergebnis.
Das rothaarige Mädchen verzog angewidert das Gesicht. „Mein herzliches Beileid. Potter musst du ja nun zwangsläufig als deinen Bruder aushalten, aber Black direkt dazu erscheint mir in der Tat ein wenig hart."
Das dritte Mädchen im Bunde warf theatralisch die Hände in die Luft. „Oh mein Gott, welch Übel. Einen Sommer lang mit Sirius Black und James Potter. Und das auch noch bei vierzig Grad im Schatten und einem Pool. Ich kann mir lebhaft vorstellen, welch widerwärtigen Anblick die beiden in Badehose abgeben müssen." Sie lachte, fing sich aber zwei böse Blicke ein und schmunzelte nur.
Das erste Mädchen zog die linke Augenbraue hoch. „Sehr witzig, Milli. Setz du dich doch einfach mal fünf Stunden mit den beiden auf engstem Raum zusammen und dann reden wir weiter. Du wirst ehrfürchtig vor meiner Selbstbeherrschung niederknien."
Das braunhaarige Mädchen, das auf den Namen Joanna Potter hörte, konnte sich nun auch ein Grinsen nicht verkneifen. Die Rede war von ihrem Zwillingsbruder James – und seinem besten Freund Sirius Black. Sie gingen alle in die gleiche Jahrgangsstufe und das gleiche Haus der Zauberschule Hogwarts. Demnach hatte Joanna gehofft, in den Ferien eine verdiente Auszeit von dem Gespann nehmen zu können, war aber schon in der zweiten Ferienwoche bitter enttäuscht worden.
Während sie ihren Bruder einfach in Würde ertrug, obwohl er unentwegt versuchte, ihr den letzten Nerv zu rauben, war in der zweiten Woche der black'sche Sprössling im Anwesen der Familie Potter aufgetaucht. Er war von zu Hause ausgezogen, aufgrund seiner sehr schwarzmagisch veranlagten Eltern, die… nun ja. Ihren Sohn nicht immer im Rahmen des Gesetzes bestraft hatten. Als Sirius in der ersten Ferienwoche endlich siebzehn geworden und somit volljährig war, hatte er den kürzesten Weg zu den Potters gewählt, wo er immer herzlich willkommen war.
„Und wie ist Black so, wenn er nicht von einer Horde geifernder Mädchen umzingelt ist?", wollte Milli wissen und formte einen Kussmund, „wenn er nicht damit beschäftigt ist, den kleinen geistlosen Weibchen die Köpfe zu verdrehen." Milli warf sich ihre schulterlangen dunkelblonden Haare gespielt über die Schulter und blinzelte Joanna erwartungsvoll an. Diese machte gerade den Mund auf und setzte zu einer Antwort an, als die Abteiltür aufschwang und mit einem Krachen in die Scharniere flog.
„Edwards, was erwartest du, ich bin in jeder Lebenslage gleich liebenswert."
Sirius Black. Wie er leibte und lebte. Joanna verdrehte die Augen und ihr rothaariges Gegenüber tat es ihr mit einem Blick über die Schulter des Schwarzhaarigen gleich. „Black, Potter. Was wollt ihr?"
„Lily! Hallo! Wie waren dei….", setzte der Junge hinter Sirius an und schob sich betont lässig neben diesen in den Türrahmen der Abteiltür.
„Potter. Ich würde ja sagen: Schön dich zu sehen, aber ich weiß ja du magst keine Unehrlichkeiten." Lily, das rothaarige Mädchen, sah ihn missbilligend an.
„Ich wollte dir nur einen schönen guten Morgen wünschen", lies James sich nicht entmutigen und verschränkte die Arme in einem Versuch lässig auszusehen.
„Gut war er vorhin.", erwiderte Lily schnippisch, griff nach einer Zeitschrift, die ihr gegenüber neben Joanna lag, schlug sie auf und hielt sie sich so vor das Gesicht, dass keiner der Jungen sie weiterhin sehen konnte.
„Ich liebe es, wenn du so redest.", sarkastisch fasste James sich an die Brust und gab einen Seufzen von sich. „Du liebst jede, die mit dir redet, Potter.", kam es gedämpft hinter der Zeitschrift hervor.
James lachte und stieß Sirius den Ellenbogen in die Seite. „Um ehrlich zu sein bevorzuge ich die, die nicht reden."
Joanna schüttelte erneut den Kopf. Das war ja so typisch für ihren Bruder. Seit Monaten stellte er Lily nach und fragte sie bei jeder Gelegenheit nach einem Date. Andere Mädchen zu daten – und Merlin wusste was noch alles mit ihnen anzustellen – konnte er sich jedoch nicht verkneifen. Joanna fragte sich oft, ob er nicht doch eher mit Sirius verwandt war, als mit ihr. Sirius tickte in dieser Beziehung nämlich sehr ähnlich wie James.
„Was wollt ihr in unserem Abteil?"
„Oh, bitte. Wir haben keine von euch gesucht", schnaubte Sirius und schüttelte arrogant den Kopf, besah sich seinen Freund, der die Zeitschrift anstarrte, hinter der Lily sich vergraben hatte und revidierte seine Aussage etwas, „Da kann ich offensichtlich nur für mich sprechen. Wir suchen Cole. Wir müssen mit ihm ein paar Sachen für das Quidditchtraining besprechen."
Wie das Schicksal und der Gott des Klischees es wollte, spielten sowohl Sirius als auch James in der Schulmannschaft ihres Hauses, was ihnen die Mädchenherzen nur noch mehr zufliegen lies, als sie es ohnehin schon taten.
„Was sonst", murmelte Lily hinter ihrer Zeitschrift und Joanna musste ihr Gesicht nicht sehen, um zu wissen, dass sie es verzog. Sirius äffte sie geräuschlos nach.
„Na dann, viel Erfolg bei der weiteren Suche", Joanna lächelte zuckersüß und wies mit dem Kinn zur Tür. Ich freue mich schon, euch beim ersten Spiel zu sehen."
„Seit wann das?" Sowohl James als auch Sirius sahen sie misstrauisch an.
„Euch spektakulär scheitern zu sehen macht mir einfach so viel Freude." Ein diabolisches Grinsen.
Von Sirius Seite aus ein verächtliches Schnauben. „Ziege."
„Die Tür bitte von außen schließen. Vielen Dank."
Stunden später stiegen die Mädchen lachend aus dem Zug und ließen sich im Strom der Schüler den Weg zu den Kutschen treiben, die sie hinauf ins Schloss bringen würden.
Auf halben Weg wurden sie von einem Grüppchen Mädchen überholt, die kichernd tuschelnd den vier Jungen, die vor ihnen liefen, schmachtende Blicke zuwarfen. Sirius und James, beide hatten eine Art eingebauten Radar, der sie merken lies, wann ihnen Bewunderung zuteilwurde, drehten die Köpfe und grinsten charmant zurück. Sirius zwinkerte einem Mädchen zu, welches daraufhin fast über ihre eigenen Schuhe stolperte und sich an ihrer Freundin abstützen musste.
Der Junge neben Sirius, Remus Lupin, ignorierte wie üblich die Mädchen, die auch ihm immer wieder Blicke zuwarfen, und trottete in seiner Tasche kramend vor sich hin. Er fand schließlich was er suchte und erlangte somit die Aufmerksamkeit seiner Freunde wieder, nicht nur von James und Sirius, sondern auch von dem etwas kleineren Jungen neben ihm, der auf den Namen Peter Pettigrew hörte.
Tuschelnd beugte sie sich über die Karte, die Remus aus seiner Tasche gezogen hatte.
„Diese dämliche Karte", murmelte Lily. Gemeint war die Karte des Rumtreibers, wie die Jungs sie nannten. Es war eine von ihnen selbst entwickelte Karte, die sämtliche Stockwerke, Räume und Geheimgänge des Schlosses verzeichnete, ebenso wie die Menschen die es beherbergte und wohin sie sich bewegten. Die Mädchen gaben es zwar nicht gerne zu, wussten jedoch ganz genau, dass ein nicht geringes Maß an Fertigkeiten dazu gehörte, um die Karte in der Art und Weise zu erstellen, wie die Marauder es getan hatten. Marauder. So nannten die vier sich inzwischen. Joanna erinnerte das an eine schlechte Muggelboyband.
Als die Kutschen alle Schüler am Schloss abgesetzt hatten und sie in der großen Halle platzgenommen hatten, dauerte es nicht lange, bis eine ganze Schar Erstklässler zwischen den Reihen durch auf den Sprechenden Hut zumarschierten und einer nach dem anderen auf dem bereitgestellten Schemel einem Haus zugewiesen wurden.
Als McGonnagall - endlich - mit dem Verlesen fertig war und alle untergebracht worden waren erhob sich Dumbledore.
"Liebe Schülerinnen, liebe Schüler!", er lächelte über seine Halbmondbrille, "Wieder einmal ein neues Jahr! Und ich hoffe, dieses wird genauso schön wie das Letzte! Wieder stehen eine Reihe grandioser Bälle, Feste und Feiern an, und natürlich eine Menge Teste, Hausaufgaben und Prüfungen!", Gemurmel unter den Schülern, "Aber das soll unsere Stimmung jetzt nicht trüben! Ich möchte auf ein paar Sicherheitsregeln hinweisen, der Wald ist für alle - ich betone es noch einmal: für alle! - Schüler verboten!", dabei sah er an den Gryffindortisch rüber zu James, Sirius, Remus und Peter, die ihn nur unschuldig anlächelten.
„Weiterhin hat mich Mr. Filch darum gebeten, euch noch einmal daran zu erinnern, dass das Zaubern auf den Gängen untersagt ist. Ebenso wie fangzähnige Frisbees, bissige Bumerangs und jaulende Jo-Jos. Wer sich über den Inhalt seines Koffers nicht ganz sicher ist, der kann sich sehr gerne bei Mr. Filch darüber informieren, welche Gegenstände verboten sind und welche nicht. Eine Liste hängt außerdem an den Tür seines Büros aus."
Dumbledore zwinkerte, wahrscheinlich in der Gewissheit, dass nicht auch nur ein einziger Schüler sich die Mühe machen und seinen Kofferinhalt mit der Liste abgleichen würde.
Sirius, James, Remus und Peter starrten gelangweilt Löcher in die Luft. James tippte ungeduldig mit dem Finger auf den Tisch, während er darauf wartete, dass Dumbledore seine Rede beendete und endlich das Essen auf den Tischen erschien. „Ich verhungere", beschwerte er sich gerade das dritte Mal in einer Minute und fing sich einen genervten Blick von Lily ein, die ungewollt neben ihm hatte Platz nehmen müssen. „Halt den Rand, Potter", flüsterte sie und versuchte ihm mit einer rüden Geste den Mund zu verbieten, während sie weiterhin dem Schulleiter lauschte.
„Halt den Rand, Potter", äffte James sie nach, „Wie waren die Ferien in deinem Heimatland Passiv-Aggressivistan? Hast dich wieder ganz wie zu Hause gefühlt, was?"
Sirius klopfte ihm anerkennend auf die Schulte. Es kam nicht besonders oft vor, dass James sich gegen Lily wehrte. In der Regel versuchte er ihr nach dem Mund zu reden oder erzählte Unsinn beim Versuch sie zu beeindrucken.
„Ich hasse dich", zischte Lily, was Sirius dazu veranlasste, sich vorzubeugen. „Na dann teilen wir ja wenigstens ein Gefühl, was auf Gegenseitigkeit beruht, Evans. Halt den Rand und lass James in Ruhe."
Lily wollte gerade zu einem Konter ansetzen, da erklang tobender Applaus und das Essen erschien vor ihnen auf den Tischen. James schien endlich wieder fröhlich zu sein. Er lud sich unermüdlich Yorkshirepudding auf seinen Teller. „Wie wird man eigentlich so ein arrogantes Arschloch?", Lily konnte und wollte es einfach nicht gut sein lassen. Milli legte ihr beschwichtigend die Hand auf den Oberschenkel, doch sie wischte ihn achtlos fort. Lily war unter normalen Umständen eine sehr angenehme Person, die nicht oft laut wurde und half, wo sie nur konnte. James Potter jedoch brachte sie regelmäßig dazu, in ausgewachsene Wutanfälle auszubrechen. „Viel Übung.", konterte Sirius. „Vielleicht schickst du mir deinen Trainingsplan rüber. Könnte die Lösung für mich sein. Dann würde ich endlich mal verstehen, was in eurem winzig kleinen Gehirn…"
„Schluss jetzt", schnitt Joanna ihr den Satz ab, „Esst lieber was. Lass Lily in Ruhe, Black."
„Was, ich? Sie hat doch angefangen!", entrüstete Sirius sich und ließ seine Gabel sinken. „Wir sind hier doch nicht im Kindergarten."
„Warum bin ich immer alles schuld?"
Joanna zog die Augenbrauen hoch. „Ging meine Stimme am Ende des Satzes etwa hoch? Das war keine Frage."
„Ist euch eigentlich klar, dass wir im letzten Jahr sind?", lenkte Milli das Gespräch auf ein anderes Thema und die Umsitzenden nickten traurig. Hogwarts war für sie alle zu einer Heimat geworden, an die sich gewohnt hatten und die sie nicht unbedingt verlassen wollten. Für manche, wie zum Beispiel Sirius oder Lily, war es das einzige einladende zu Hause, was sie lange gekannt hatten. Lily hatte zwar sehr nette Eltern gehabt, ihre Schwester jedoch hatte ihre Ferien immer zur Hölle gemacht. Sie hatte ein ausgesprochen großes Problem damit, dass Lily eine Hexe war und war es niemals müde geworden, sie gehässig aufzuziehen. Als Lily fünfzehn Jahre alt war, waren ihre Eltern beide bei einem Autounfall gestorben. Was Lily zuerst völlig aus ihrer Realität gerissen hatte, hatte sie nun langsam realisiert. An der Verarbeitung arbeitete sie noch immer. In den Ferien blieb sie daher meist im Schloss, in den Sommerferien war sie dieses Jahr bei Milli gewesen.
Sirius hingegen hatte noch beide Elternteile. Seiner Meinung nach hätte er jedoch lieber keine mehr, als seine eigenen. Er war neun Jahre alt gewesen, als seine Mutter das erste Mal den Cruciatusfluch als Bestrafung für seinen Ungehorsam an ihm angewendet hatte.
Ihnen würde Hogwarts wohl am meisten fehlen.
Sirius, der jedoch schon immer gut darin gewesen war, seine wahren Gefühle zu verbergen grinste und zuckte mit den Schultern. „Ich werd's vermissen, das alte Haus. Aber auf zu neuen Abenteuern. Am besten wir suchen uns alle eine nette Frau, die für uns kocht und die Wäsche macht.", er runzelte die Stirn, „ich hab echt noch nie was gekocht. Keine meiner Stärken." Er lachte.
„Mir scheint als hätte jemand die Emanzipation verpasst.", Joanna begutachtete ihn über den Rand ihres Löffels hinweg. Sie kannte Sirius inzwischen relativ gut und hatte ihn noch besser in den Ferien kennengelernt. Dass er solchen Unsinn von sich gab, wunderte Joanna zwar nicht, enttäuschte sie aber zu ihrer eigenen Verwunderung. Sie wusste, dass Sirius auch ein verhältnismäßig weniger großes Arschloch sein konnte, wenn er denn wollte.
Sirius ließ sich nicht zu einem weiteren Spruch hinreißen, sondern sah sie nur belustigt an. Dass er sich ein liebes Frauchen suchen würde, dass ihn bekochen und bemuttern würde, lagen bei weniger als null Prozent. Wenn er solch eine Freundin haben wollte, brauchte er nur mit Nanette, einer weiteren Freundin der Mädchen auszugehen. Sie war ein unfassbar mütterlicher Typ, klein und rundlich, und wuselte ständig um alle herum um sich um alles zu kümmern. Sirius mochte Nanette. Sie hatte immer ein lustiges Funkeln in den Augen und konnte sich besonders Gut Sorgen von ihren Freunden anhören, ohne sie der ganzen Schülerschaft preiszugeben.
Das Essen neigte sich dem Ende zu und die große Halle leerte sich. Die Vertrauensschüler hatten die Erstklässler bereits in die Gemeinschaftsräume der jeweiligen Häuser geführt und auch die Marauder machten sich auf den Weg in ihre Schlafsäle. Dort angekommen ließ Sirius sich sofort auf sein Bett fallen und schloss genießerisch die Augen.
„Ich hab dich so vermisst. Komm zu Papa!"
Er ließ sich darauf fallen und umarmte sein Kissen. Auch wenn er es nur ungern zugab und auch ausschließlich seinen Freunden gegenüber erwähnen würde, hing er doch sehr an seinem Bett, seinem Schlafsaal, seinem Gemeinschaftsraum, seiner Schule.
Er streifte sich die Schuhe und Socken von den Füßen und vergrub die Zehen in dem flauschigen roten Teppich, bevor er im Badezimmer verschwand, um sich die Zähne zu putzen. Er freute sich auf seine erste Nacht in seinem richtigen zu Hause.
Der Wecker klingelte, als Sirius Vorhänge im Schlafsaal der Jungen zugezogen waren.
Ein missmutiges Murren erklang aus einem der anderen Betten.
Dann hörte man, wie jemand die Vorhänge zurückzog, stolperte und fluchte.
„Prongs!", benutzte Sirius James Spitznamen, „der Wecker klingelt doch eigentlich immer erst um halb acht."
„Pad. Es ist halb zehn."
Sirius saß innerhalb einer Sekunde kerzengrade im Bett. „Scheiße."
