Pures Nichts, größter Wahn. Eine Beschreibung der Liebe, die von meiner Mutter stammte.
Pures Nichts.
Genau das war es, was ich von meiner größten Liebe zurückbekam.
Größter Wahn.
Nichts konnte die Liebe besser beschreiben.
Seit Ewigkeiten liebte ich diesen Mann, diesen einen. Tag für Tag begegnete ich ihm, suchte seine Nähe, seine Gesellschaft. Doch meine Hoffnung bröckelte täglich ein wenig mehr, denn es war nicht richtig. Es war so falsch, ich war für sowas nicht gemacht.
Und mir schwante, dass ich mich über die Liebe, über den Wahn, den sie mit sich brachte, selbst verlieren würde.
„Isabella!"
Erschrocken blickte ich auf. Der erboste Blick meiner Mutter traf mich.
„Wirst du aufhören zu träumen und endlich die Kartoffeln schälen!", spie sie mir entgegen und drohte mit ihrem Löffel Schläge an.
Ich unterdrückte ein Seufzen, da mir dies auf jeden Fall blaue Flecken beschert hätte, und widmete mich den Kartoffeln.
Es war Sommer und die Sonne schien durch das kleine Fenster, direkt auf meinen Rücken. Dies und der heiße Dampf, der aus den vielen Kochtöpfen schwebte, brachten mich der Verzweiflung nahe. Immer wieder wischte ich mir beiläufig mit der Schürze die Stirn. Meine Kehle war ausgetrocknet, doch zum Trinken blieb keine Zeit. Heute Abend war ein großer Ball geplant samt Festmahl und jede Stunde kam ein Laufbursche herein, der uns mitteilte, dass noch mehr Gäste eintreffen würden, um an einem der größten gesellschaftlichen Ereignisse des Landes teilhaben zu können: der jährliche Sommernachtsball der königlichen Familie. Vor allem Familien mit Töchtern rückten an, da allgemein bekannt war, dass Prinz Edward vorhatte, bald zu heiraten. Nun entfloh mir doch ein leiser Seufzer.
Prinz Edward… seine leuchtend grünen Augen, hohe Statur und bronzefarbenen Haare, die niemand zu bändigen vermochte, brachten nicht nur die wohlhabenden Mädchen um den Verstand. Im ganzen Land wurde er von den Frauen verehrt und von vielen Männern vermutlich verabscheut. Heute Abend würde er wohl seine besten Kleider tragen. Er würde grandios aussehen. Als würde er das jemals nicht tun.
Mit den Stunden spürte ich die Sonne schwächer werden und entspannte mich ein wenig. Die Köchin, meine Mutter, hatte bereits die Fackeln an den Wänden entzündet, da es allmählich dunkel wurde. Bald würden die ersten Gäste eintreffen. Vornehme Männer und wunderschöne Frauen in noch wunderschöneren Kleidern. Wie sehr ich mir wünschte, einmal so ein Kleid tragen zu dürfen oder einmal auf einem solch prächtigen Ball zu tanzen, mit einem angesehenen Mann. Natürlich hätte ich auch gar nicht so viel dagegen, wenn dieser angesehene Mann ausgerechnet Prinz Edward sein würde.
Ein wenig missgelaunt legte ich die letzte säuberlich geschälte Kartoffel in die große Schüssel, erhob mich und brachte sie zu meiner Mutter. Wortlos nahm sie sie an sich und widmete sich wieder dem Kochen.
In diesem Moment kamen zwei Kammerzofen kichernd herein. „Das hat sie wohl verdient."
„Ich wüsste nicht, was es da zu lachen gibt, meine Damen. Habt ihr nichts zu tun?", murrte meine Mutter.
Herablassen wandten sich die beiden ihr zu. Sie waren Kammerzofen der Königin und somit höher angesehen als eine Köchin, wessen sie sich durchaus bewusst waren. „Wir sollen uns eine Weile ausruhen."
Verständnislos starrte meine Mutter die beiden an und ließ prompt die Soße anbrennen. „An einem solchen Tag? Weswegen?"
Die beiden warfen sich einen bedeutenden Blick zu, seufzten schwer. Dann begann die Blonde zu erzählen, legte einen betont gelangweilten Blick auf, der ihre eigentliche Freude jedoch nicht verbergen konnte. „Emilia wurde soeben in den Kerker geworfen. Es wird überall erzählt, dass sie gestohlen haben soll. Jedoch wissen Helene und ich, dass sie längere Zeit für Prinz Edward schwärmte und – nun ja, sagen wir einfach: letzte Nacht hat er sie erhört." Ein neuer Kicheranfall ergriff die beiden.
Zu gut, dass die Kammerzofen sich nie für mich interessierten, sonst hätten sie mein fassungsloses Gesicht erblickt. Mein Magen wurde ganz flau.
Prinz Edward und Emilia? Er liebte eine Kammerzofe seiner Mutter?
Zutiefst erschüttert reagierte ich nicht auf meine Mutter, die wollte, dass ich einen wohl besonders hartnäckigen Fleck bei den königlichen Gemächern entfernte. Somit traf mich der nasse Schwamm mitten im Gesicht. Johanna und Helene prusteten, verließen dann mit einem letzten spöttischen Blick die Küche.
„Also, langsam treibst du mich in den Wahnsinn, Isabella!", fluchte meine Mutter und begann, verschiedene edle Gefäße mit den kostbarsten Speisen zu füllen. „Nun beeil dich! Kaum eine Stunde bleibt uns und wenn der Fleck bis dahin nicht verschwunden ist, darfst du im Stall bei den Pferden schlafen!"
Da ich aus Erfahrung wusste, dass meine Mutter ihre Drohungen wahr machte, und nicht grade scharf darauf war, eine Nacht im Mist zu verbringen, hob ich schnell den Schwamm vom Boden und griff nach dem Eimer voll Wasser, stiefelte dann vorsichtig aus der Küche und die Treppe in den ersten Stock hinauf.
Der Fleck im Westflügel war nicht schwer zu übersehen – er befand sich genau vor den Gemächern der Königin. So kniete ich mich hin und begann zu schrubben. Wie ich es immer tat, Tag für Tag für Tag. Diese Eintönigkeit belastete mich, brachte eine Art Taubheit über meinen Verstand. Ich sehnte mich nach Abenteuern, nach Aufregung. Nach Liebe. Doch was war einem einfachen Küchenmädchen schon vergönnt?
Immer näher kommende Schritte ließen mich aufhorchen. Leise Stimmen ließen sich vernehmen. Panik ergriff von mir Besitz, als ich feststellte, dass eine der Stimmen zur Königin selbst gehörte. Wenn sie mich hier sehen würde, konnte ich froh sein, wenn ich bei den Pferden schlafen durfte. Eine der obersten Prioritäten des einfachen Personals gehörte dazu, unsichtbar zu bleiben und die königliche Familie nicht mit unserem verschmutzten und elenden Anblick zu beleidigen.
Sofort erhob ich mich wieder, schnappte meine Putzutensilien und hechtete den Flur entlang, darauf bedacht, keine Wasserspur zu hinterlassen.
Plötzlich kamen auch aus der Richtung in die ich mich grade bewegte Stimmen. Hilflos blieb ich stehen und sah mich um, hechtete dann kurzentschlossen durch die nächstbeste Tür und verschloss sie hinter mir. Ich setzte erst einmal den Eimer ab und atmete tief durch, bevor ich mich umdrehte und verwirrt blinzelte. Meine Flucht hatte mich allen Anschein nach in königliche Baderäume geführt. Die Schritte auf dem Flur stoppten nicht weit meiner Tür entfernt. Rasch versteckte ich mich hinter einer Säule.
„Prinz Edward!", drang eine Stimme stumpf zu mir durch und brachte mein Herz fast zum Stillstand. „Eure Mutter besteht darauf, dass Sie sich endlich baden und ankleiden lassen und Euer Vater möchte euch nahe legen, dass Euer Ansehen bereits genug beschmutzt wurde, als dass ein Zuspätkommen oder Nichterscheinen beim Ball angebracht wäre!"
Im Nebenzimmer traf etwas klirrend auf den Boden. Ein lautes, genervtes Stöhnen folgte. „Nun gut! Schickt Jemanden, der mich einkleidet!", ertönte Edwards melodische, wenn auch erzürnte Stimme. „Baden werde ich wohl noch selbst schaffen.", fügte er murmelnd hinzu und mir war bewusst, dass sein Kammerdiener dies nicht hatte hören können.
Tapsend näherten sich seine Schritte und zwangen mich dazu, mich näher an die Säule zu pressen, doch sie hielten mich nicht davon ab, neugierig Richtung Tür zu schielen. In selbiger tauchte Prinz Edward wenig später auf. Ich hielt den Atem an. Seine Haare standen wirr ab. Gähnend trat er an den Badezuber, der bereits randvoll mit dampfendem Wasser war. Kurz streckte seinen Körper. Dann griff er den Saum seines einfachen Leinenhemdes, welches den Verdacht bestätigte, dass er bis grade geschlafen hatte, und zog es sich einfach über den Kopf.
Scharf zog ich die Luft ein. Seine blasse, aristokratische Haut spannte sich über seinen Muskeln. Ich wollte mehr von seiner Schönheit erhaschen, trat einen Schritt zur Seite und übersah den kleinen Tisch, auf welchem eine edle Vase stand. Laut zerschellte sie auf dem Boden. Ein Geräusch, das verblüffende Ähnlichkeit mit dem eben gehörten aus Edwards Schlafgemach hatte. Verwirrt, aus meinen Tagträumen gerissen worden zu sein, starrte ich einige Augenblicke auf die Scherben. Dann wurde mir bewusst, was ich getan hatte. Mein Kopf schnellte hoch, mein Blick erfasste den verblüfften Edward, meine Augen weiteten sich angsterfüllt.
Einige ewig erscheinende Minuten starrten wir uns an, wohl das erste Mal, dass er mich überhaupt ansah. Doch dann näherten sich erneut Schritte. „Königliche Hoheit? Stimmt etwas nicht?", fragte der Kammerdiener gegen die Tür. Kurz darauf bewegte sich der Türknauf. Einer inneren Stimme folgend hechtete ich durch die Tür zu Edwards Schlafgemach und ließ selbigen verdutzt stehen. Mit der Tatsache, dass ich mich in Edwards Gemach befand, konnte ich mich nicht lange anfreunden, da der Kammerdiener und einige weitere Gefolgsleute bereits bei Edward standen.
Schnell raste ich durch die Tür, welche zum Flur führte, schloss leise die Tür hinter mir.
„Verflucht nochmal, wie lange dauert das eigentlich, bis dieses faule Pack es schafft den Flecken hier zu beseitigen?!"
Oh, nein! Ich hatte den Eimer in Prinz Edwards Baderäumen vergessen!
Zu einem unglaublichen Glück befand sich auf diesem Flur ein weiteres Mädchen mit einem Putzeimer, welches grade fertig wurde. Ich eilte zu ihr hin. „Wenn du mir deinen Putzeimer überlässt, säubere ich die nächste Woche deinen gesamten Bereich für dich!", sprudelte es aus mir heraus. Ein wenig verwirrt, jedoch sehr zufrieden nickte sie mir zu und überreichte mir den Schwamm. Ich schnappte mir den Eimer und lief den Flur hinunter, Richtung Fleck, wo glücklicher Weise niemand mehr war. Alle beschäftigten sich mit der zerbrochenen Vase. Hoffentlich hatte sich Prinz Edward nicht gemerkt, wie ich aussah.
Tief durchatmend ließ ich mich nieder und begann, den Fleck zu erneut zu bearbeiten, als die fluchende Stimme meiner Mutter näher kam. Ich blickte auf und sah eine Wache folgen. Mir wurde heiß und kalt. Wussten sie es schon?
„Isabella!", keuchte meine Mutter, als sie vor mir stand. „Stimmt das? Du warst in Prinz Edwards Zimmer und hast ihn angestarrt?"
Geschockt starrte ich sie an. „I-Ich?", brachte ich schwach hervor.
„Dein Putzeimer wurde gefunden!"
Ich schluckte hart, erhob mich dann jedoch und sah ihr und der Wache abwechselnd fest in die Augen. „Wie deutlich zu sehen ist, besitze ich meinen Wassereimer noch." Um dies zu bekräftigen, deutete ich auf meinen geliehenen Eimer.
Sofort entspannte sich das Gesicht meiner Mutter und die Wache schnaubte genervt, da die Arbeit, einen Schuldigen zu finden, noch nicht getan war.
„Dann mach bitte endlich sauber.", seufzte meine Mutter und wandte sich dem gehen zu. Die Wache musterte mich misstrauisch, trottete dann jedoch ebenfalls von Dannen.
Zum bestimmt nicht letzten Mal für heute atmete ich tief durch und beeilte mich, den Boden zu reinigen, denn von Fern drangen die Stimmen der ersten Gäste zu mir durch.
