The Vampires Student Teil IV:

"Prüfungen der Finsternis"

Kapitel 1: „Whiskey"

Es war merkwürdig, zurückzukehren.

Gillian stand vor dem großen Haus, und zögerte die Stufen zum Eingang hinaufzugehen.

Im Erdgeschoss brannte Licht, er war also zuhause.

Was würde er sagen, wenn sie so unerwartet vor der Tür stand? Nachdem sie ohne eine Erklärung abgehauen, und ohne eine Nachricht monatelang verschwunden war?

Gillian fasste sich ein Herz und stieg die Stufen zur Haustür hinauf.

Sie klingelte, und bekam feuchte Hände, als sie schlurfende Schritte im Flur hörte.

Die Tür wurde geöffnet und Licht fiel auf die Stufen nach draußen, und schnitt ein Viereck in die Nacht, in dem Gillian stand und den alten Mann anlächelte, der verwundert seine späte Besucherin ansah.

„Mein Gott, Gillian!", sagte der alte Mann und fasste sich ans Herz.

„Guten Abend, Professor", murmelte Gillian verlegen.

„Herrje. Weißt du eigentlich, wie spät es ist…". Der alte Herr fuhr sich durch seinen zerzausten weißen Haarschopf und rückte den alten braunen Samtmantel zurecht, den er über karierten Pyjamas trug. Er war wohl wieder im Sessel eingeschlafen.

„Es tut mir leid", sagte Gillian. „Ich wusste einfach nicht, wohin."

Der Professor schüttelte den Kopf, und ohne ein weiteres Wort schlurfte er durch den Flur in die Küche. Die Haustür ließ er offen.

Gillian betrat das Haus, und drückte hinter sich die Tür sachte ins Schloss.

Im Flur stellte sie ihren Rucksack ab, und zog ihren Mantel aus. Als sie ihn an die Garderobe hängte, stellte sie zufrieden fest, dass außer dem Jackett des Professors, keine weiteren Mäntel dort hingen. Es war also niemand außer ihr zu Gast.

Sie schloß kurz die Augen, und atmete ein. Das Haus roch vertraut. Gillian hatte lange hier gelebt.

Sie hörte, wie der Professor sich in der Küche zu schaffen machte und folgte ihm in die große modern eingerichtete Küche, wo er gerade zwei Gläser aus dem Schrank nahm und eine Flasche Whiskey aus der gut sortierten Minibar hervorholte.

„Für mich nicht, das wissen Sie doch."

Der alte Mann sah aus grauen Augen zu der jungen Frau. "Und wie immer bitte ich dich, wenigstens so zu tun als ob. Damit ein alter Mann wie ich nicht das Gefühl haben muß, alleine zu trinken."

Gillian lächelte, und der Professor griff zur Whiskeyflasche. Er hatte Probleme, den Verschluß aufzubekommen, und Gillian trat an die Anrichte. „Lassen Sie mich das machen."

Sie nahm ihm die Flasche aus der Hand und schenkte in beide Gläser etwas von der goldgelben Flüssigkeit ein.

Dann reichte sie ihm das Glas.

Dem Professor fiel Gillians melancholischer Blick auf, als er das Glas von ihr entgegennahm, aber er fragte nicht nach. Er kannte diesen Blick von ihr. Sie dachte an etwas – oder an jemanden- aus ihrer Vergangenheit. Jemanden, dem sie auch oft eingeschenkt hatte.

Er hob das Glas und prostete ihr zu, aber er musste Husten, bevor er einen Schluck nehmen konnte.

Gillian hatte ebenfalls das Glas erhoben, und sah ihm jetzt besorgt zu, wie er sich abwandte, das Glas abstellte und keuchend hustete. Er schlurfte hinüber in die Wohnstube, und Gillian folgte ihm, mit beiden Gläsern in der Hand.

Im Wohnzimmer brannte nur eine kleine Schirmlampe neben dem Sofa, auf das der Professor sich jetzt legte, neben dem Kamin.

„Ihr Husten ist schlimmer geworden", sagte sie, als er aufgehört hatte, beim Atmen ein rasselndes Geräusch von sich zu geben.

„Ach, das ist nichts!", winkte er unwirsch ab, und hielt ihr ungeduldig die Hand hin.

Gillian drückte ihm den Whiskey in die Hand, und er nahm sofort einen Schluck.

Seufzend lehnte er sich ins Sofa zurück.

Er zog eine Decke über seine Beine, und Gillian half ihm dabei.

Dann setzte sie sich ihm gegenüber in den Sessel.

Er betrachtete seine verloren geglaubte Studentin. Auch wenn seine Augen nicht mehr die besten waren, so sah er doch, dass sie Kummer hatte.

Er seufzte. „Ich nehme an, es hat keinen Zweck, zu fragen, warum du bei Nacht und Nebel verschwunden und wo du gewesen bist."

Gillian schüttelte den Kopf.

„Und weiterhin nehme ich an, dass du mir nicht die Wahrheit sagen wirst, wenn ich dich frage, was du in den vergangenen Monaten getan hast."

Seine Studentin verzog gequält das Gesicht. „Es tut mir leid, Professor, das kann ich nicht."

Er nickte nur. „Das habe ich mir gedacht."

Er nahm einen Schluck Whiskey, der ihm feurig die Kehle herunterrann.

„Nun, wirst du mir dann wenigstens erzählen, warum du wieder hier bist?" Er betrachtete die goldgelbe Flüssigkeit in seinem Glas.

Amüsiert stellte er fest, dass er die junge Frau in Verlegenheit gebracht hatte. „Gillian. Ich bin nicht so dumm zu glauben, du wärest hier, weil du Sehnsucht nach mir hattest. Also. Heraus damit. Was kann ich für dich tun?"

Gillian kaute auf ihrer Unterlippe. Dann grinste sie. Sie konnte ihm eh nichts vormachen.

Mit klopfenden Herzen griff sie unter ihren Pullover und zog eine Pergamentrolle hervor, die sie einen weiten Weg bis hierher bei sich getragen hatte.

Sie beugte sich vor und reichte dem Professor das brüchige Pergament, wobei ihr Haar ihr wie ein Vorhang vors Gesicht fiel.

Der Professor streckte überrascht die Hand aus, und nahm die Schriftrolle entgegen.

Er wendete sie hin und her, und Gillian wurde erst jetzt bewusst, dass die Rolle sich in einem schlechten Zustand befand, und dass es kein geeigneter Aufbewahrungsort gewesen war, sie sich unter die Kleidung zu stopfen.

Aber sie hatte sie immer bei sich spüren wollen. Sie hatte es nicht riskieren können, die Schriftrolle in irgendeiner Tasche aufzubewahren. Sie war viel zu kostbar.

Und sie hatte einen viel zu hohen Preis dafür bezahlt.

„Gillian?", fragte der Professor verblüfft. „Was ist das?"

Mit Stolz und Aufregung in der Stimme, sagte Gillian: "Deswegen war ich weg. Ich habe von der Existenz dieses Dokuments erfahren. Ich hoffe, es enthält etwas, was mich weiterbringt."

„Die Königin?", fragte er jetzt ebenfalls aufgeregt.

Gillian nickte: "Ja."

Der Professor besah sich das Papier. "Ist das echt?"

„Ja, es ist authentisch."

„Gillian", keuchte der Professor. „Ich weiß nicht, wo du das herhast, und ich will es auch gar nicht wissen. Aber dieses Schriftstück ist viel zu wertvoll, um durch die Gegend getragen zu werden!"

Gillian winkte ungeduldig ab. „Lesen sie es!"

Der Professor weigerte sich. Mit spitzen Fingern gab er ihr das Schriftstück zurück. „Erst machst du eine Kopie", forderte er. "Und das Original legst du in den Safe."

Grummelnd schnappte sie sich das Pergament und tat wie geheißen.

Als sie in die Wohnstube zurückkam, war der Professor eingeschlummert.

Sie konnte es ihm nicht verübeln, es war fünf Uhr morgens.

Sanft rüttelte sie ihn an der Schulter und verschlafen öffnete er die wässrigen Augen.

„Bitte, Professor. Lesen Sie", sagte Gillian sanft und reichte ihm die Kopie.

Der Professor griff nach seiner Lesebrille, die auf einem Tisch unter der Lampe neben einem Stapel Bücher lag. Umständlich setzte er sie auf und entrollte dann das Pergament.

Seine grauen Augen huschten über die Schrift in schwarzer Tinte und Gillian zappelte auf ihrem Sessel. Sie beobachtete jede Regung in dem alten von feinen Falten durchzogenen Gesicht. Dann sah er über den Rand seiner Brille zu ihr.

„Und ?!", rief Gillian aufgebracht. „Was steht da?"

„Es ist Latein, Gillian." Der Professor lächelte.

„Na und? Das ist doch kein Problem für Sie!", rief Gillian ungeduldig.

„Nein, für mich nicht", sagte der Professor und schmunzelte. „Aber ich frage mich, warum es für dich eines ist."

Gillian kniff die Augen zusammen. „Sie wissen doch, ich habs nicht so mit Latein."

„Nicht so mit Latein!", schnaubte der Professor. „Das solltest du aber!"

„Ach kommen sie!", rief Gillian.

Der alte Mann griff nach einem Buch vom Stapel unter der Lampe und warf es ihr zu.

Gillian starrte auf den abgegriffenen Band in ihrem Schoß.

Es war ein Lateinwörterbuch.

„Aber", protestierte Gillian, "dafür werde ich Wochen brauchen!"

Der Professor grinste.

Schnaufend erhob er sich vom Sofa.

„Dein Zimmer ist noch immer unberührt", sagte er. „Du weißt ja, wo du alles findest."

Er zwinkerte ihr zu, und stieg die Treppe hinauf ins obere Stockwerk.

Gillian starrte auf das Blatt Papier in ihrer Hand.

Dieser schlaue Fuchs, dachte sie.

Nun werde ich eine Weile bei ihm bleiben müssen.

******