BLAU

rote Nelken.

Fleur Delacour mag keine Nelken. Bieder sind sie, langweilig, nicht wirklich elegant, aber auch nicht wirklich simpel. Außerdem mag sie den Geruch nicht. Er juckt ihr in der Nase und erinnert sie an gezwungene Momente. Um so mehr wundert sich Fleur Delacour darüber, dass auf dem kleinen hellen Holztisch in der Küche von Shell Cottage ein großer bunter Nelkenstrauß steht.

„Fleur, es ist so schön hier!", lacht Gabrielle und dreht und dreht und dreht sich mit ausgestreckten Armen um sich selbst.

Fleur sieht das Unglück schon kommen und lächelt zufrieden, als sie auf sein Eintreten wartet. Mit einem dumpfen Poltern wird die schöne Vase mit den weniger schönen Blumen von der kleinen Schwester vom Tisch gefegt, Wasser und die Blumen verteilen sich auf den Holzdielen.

Erschrocken schlägt Gabrielle sich die Hände vor den Mund, aber Fleurs Lachen lässt sie schnell die Schreckhaltung aufgeben. „Böse!", flucht Gabrielle ohne Ernst, „Du bist Böse!"

Mit einem Schwung ihres Zauberstabs lässt Fleur das Wasser verschwinden und die nun etwas zerknitterten Blumen ins Waschbecken schweben. Die Vase ist heil geblieben, Merlin sei Dank, denn diese Vase mag Fleur wirklich gern. Blaue und cremefarbige Tonstücke bilden zusammen mit goldenen Perlen das Mosaik, aus dem die Vase besteht. Liebevoll nimmt Fleur sie in ihre Hände und stellte sie in die Mitte des kleinen Holztisches. Ohne Blumen. Sie lächelt und schließt nur kurz ihre Augen. Einfach hier bleiben, in diesem Gefühl des Zuhauses, ohne sich den Fragen und Entscheidungen stellen zu müssen, ohne zu zweifeln, was Richtig und was Falsch ist, was wäre das schön...

Sie spürt den Blick ihrer kleinen Schwester auf sich und lächelt gezwungen. Gabrielle streicht sich eine Strähne ihres langen blonden Haares aus dem Gesicht und beobachtet Fleur aufmerksam.

Gerade als sie ihren Mund öffnen und wahrscheinlich eine der stechenden Fragen los werden will, unterbricht Fleur sie: „Ich suche zuerst das Band, Liebes, ja? Gleich können wir reden, aber deswegen sind wir doch hier - hauptsächlich jedenfalls. Du weißt, das Haus ist noch ungeschützt, erst nach der Hochzeit wird der Zauber ausgesprochen, diese alte Tradition, du weißt schon. Also beeilen wir uns besser."

Sie wartete keine Antwort ab, sondern nimmt schnell die Stufen der Treppe, um in ihrem zukünftigen Schlafzimmer nach dem Band zu suchen. Gabrielle hatte ihn ihr vor einigen Jahren geschenkt und seit dem war er für Fleur ein Glücksbringer. Ein blaues Seidenband. Wie hatte sie es nur vergessen können? Sie wollte es zur Hochzeit tragen.

Fleur eilt an dem großen Himmelbett mit dem selbst gebautem Rahmen vorbei und öffnet eine Schublade der alten Holzkommode, die sie auf einem Flohmarkt entdeckt hat. Wäsche liegt darin und sie kramt und kramt und findet mit einem Lächeln das Band. Sie fragt sich, wie es zum Kleid passen wird, wo sie es tragen kann, aber ihre weiteren Gedanken werden von einem spitzen Schrei und darauf folgenden Kampfgeräuschen unterbrochen.

Fleur Delacour mag keine Nelken. Traurig sind sie, mit ihren zerfransten Blütenblättern und den Rottönen, die sie nur an das eine Erinnern: rotbraune Haare, die sich mit Blut vermischen. So schnell kann es gehen, so schnell wird Fleur ihre nagenden, spitzen, bitteren Fragen los, weil es nichts mehr zu entscheiden gibt. Kein Ja, kein Nein existiert mehr und als Fleur mit gezogenem Zauberstab nach draußen rennt, ist es schon zu spät. Sechs Todesser stehen vor Shell Cottage, stehen vor einem zusammengesacktem Körper. Sofort erkennt Fleur, dass es nicht Gabrielle ist und Fleur hasst sich dafür, dass die Erleichterung, die sie deswegen spürt, grenzenlos ist.

„Bill, er hat sich um uns gesorgt", flüstert später ihre kleine Schwester zwischen Schluchzern. „Er hat vor dem Haus gewartet, dass wir wieder gehen und als sie kamen, hat er mich gerettet. Er hat mich gerettet."

Fleur Delacour hasst Nelken, weil sie für immer für Bill Weasley stehen werden. Bill Weasley, der die Nelken dort hin gestellt hat, den sie hat heiraten wollen, irgendwann mal. Bill Weasley, der ihre kleine Schwester gerettet, sich geopfert hat, obwohl sie beide doch schon gar nicht mehr glücklich waren, gar nicht mehr heiraten wollten und trotzdem war er da. Fleur Delacour hasst Nelken, weil sie sie so traurig machen und sie sich selbst verachten lassen, da dort, wo dieses Loch ist, doch eigentlich die brennende Liebe für Bill Weasley sein sollte.

gelbe Nelken.

V'là l'bon vent, v'là l'joli vent,

v'là l'bon vent ma mie m'appelle,

v'là l'bon vent, v'là l'joli vent,

v'là l'bon vent ma mie m'attend."

Gabrielle dreht sich im Schlaf. Sie hat ihre Augen angestrengt zusammengepresst, als würde sie mit Geistern kämpfen. Fleur streichelt über ihre Stirn und singt mit leiser Stimme das Kinderlied weiter:

Par dessous l'aile il perd son sang,

et par les yeux les diamants.

V'là l'bon vent, v'là l'joli vent,

v'là l'bon vent ma mie m'appelle,

v'là l'bon vent, v'là l'joli vent,

v'là l'bon vent ma mie m'attend."

„Biste endlich fertig?", zischt Dung aus der anderen Ecke des Kerkers. Er kann es nicht ertragen, nicht zu sprechen, sich nicht mit Worten die Gedanken zu verscheuchen.

Mundungus Fletcher. Allein um sich davon abzuhalten ihn mit bloßen Händen zu erwürgen, ignoriert Fleur ihn und singt die letzten zwei Strophen des vertrauten Lieds.

Auch sie versucht, die Gedanken zu vertreiben, versucht alles außer dem Lied und dem zierlichen Körper der Schwester zu ignorieren. Stark sein, sie muss stark sein, stark sein seit Tagen in diesem dunklen Kerker, in dem nur ab und zu vermummte Gestalten durch die Luke in der Türe starren. Stark sein, ohne zu sein. Nicht denken an rote Haare und Nelkenduft, nur stark sein. Sie weiß nicht mehr, wie viele Tage vergangen sind, weiß noch nicht mal, welche Tageszeit gerade ist. Vielleicht ist es gerade Nacht, vielleicht nicht. Dunkel ist es immer, aber für Gabrielle, für ihre Schwester versucht Fleur die Dunkelheit aus ihren Köpfen zu vertreiben.

Solange, bis sie es nicht mehr kann.

Die Dunkelheit kommt. Sie kommt sie holen. Kommt einem Luftzug gleich, gleicht dem Wind, umhüllt sie, umschlingt sie, nimmt sie mit sich.

Fleur und Gabrielle werden aus dem Keller gebracht, Treppenstufen hoch gezogen. Es ist dunkel draußen, die Dunkelheit wird durch nicht verhangene Fenster in den großen Saal eingeladen, in dem an den Wänden flackernde Kerzen für unruhiges Licht zwischen all dem Dunkel sorgen.

Anders als die Anderen ist die Person, die dort auf die Schwestern wartet.

Dunkler als die Anderen ist die Person, die dort auf die Schwestern wartet.

Eine Frau mit verfilzten langen Haaren und einem irren Blick wartet auf sie, und als sie in ihre Köpfe eindringt, kann Fleur weder sich noch ihre Schwester mehr vor der Dunklen schützen. Und da ist schnell nichts mehr, vor dem Fleur sich versteckt, keine Gedanken, keine Trauer, da ist schnell nur noch Schmerz und Dunkelheit. Die Dunkle nimmt ihr jede Kraft.

Und weil die Dunkle die Worte 'Ich weiß doch nichts!' nicht versteht, singt Fleur.

V'là l'bon vent, v'là l'joli vent,

v'là l'bon vent ma mie m'appelle,

v'là l'bon vent, v'là l'joli vent,

v'là l'bon vent ma mie m'attend", singt sie immer und immer wieder in ihrem Kopf.

weiße Nelken.

Die Dunkle ist wieder da. Seit Fleur und Gabrielle in dieses andere Haus gebracht wurden, stattet die Dunkle ihnen regelmäßige Besuche ab, manchmal begleitet von verschiedenen Männer. Vielleicht ist es auch nur immer der gleiche, Fleur weiß es nicht. Sie sieht nur die Dunkle, Bellatrix Lestrange ist ihr Name, und immer ist da dieser Blick, der Gabrielle zum Zittern bringt und Fleur Angst davor macht, sie würde alles Gute in ihrem Leben vergessen.

Fleur weiß nicht mehr, wie sie Gabrielle beschützen kann. Jeden weiteren Moment verachtet Fleur sich selbst mehr dafür, dass sie es nicht weiß, nicht kann, dass sie ihre kleine Schwester nicht so retten kann, wie Bill es konnte. Oh Bill, guter treuer starker Bill. Oh Bill, roter toter Bill... Sie presst ihre Augen zusammen und versucht den Schmerz und das Salz zurück zu halten. Gerade ist nicht die Zeit für Trauer.

Diesmal betritt ein schwarz gekleideter Mann alleine das Zimmer, in dem die Beiden eingesperrt sind. Fleur weiß nicht, ob sie ihn schon mal gesehen hat.

„Du da, aufstehen", sagt er und deutet auf Gabrielle.

Fleur springt sogleich auf und stellt sich schützend vor ihre kleine Schwester. „Was wollt Ihr von ihr?", fragt sie mit zitternder aber lauter Stimme.

„Ich will gar nichts von ihr", antwortet er unbeeindruckt und versucht Fleur weg zu schieben.

„Das lasse ich nicht zu. Ich verbiete euch, sie mitzunehmen." Fleur hat sich entschieden. Sie wird nicht weichen. Solange sie lebt wird sie niemanden zu ihrer Schwester lassen.

„Das wird der Herrin nicht gefallen, das weißt du, oder?", fragt der Mann und schätzt Fleur mit einem Blick. Seine Augen sind blau, tiefblau und Fleur blickt fest zurück, ohne zu antworten. Sie presst ihre Zähne zusammen.

„Na gut, dann komm", sagt er und Fleur wirft einen letzten beruhigenden Blick zu ihrer Schwester, die von all dem nichts mitbekommen zu haben scheint. Gabrielle ist gar nicht mehr da, merkt Fleur. Die Angst hat sie gefressen und Fleur kann nichts anderes tun, als dafür zu beten, dass Gabrielles Geist irgendwann wieder zurück kommen wird.

Die langen Gänge sind dunkel und rechts und links von wenigen Gemälden gesäumt. Auf einem Gemälde erkennt sie den Todesser Rodolphus Lestrange von einem der Steckbriefe wieder, was allerdings das schlechte Gefühl in ihr nicht mehr verstärken kann. Sie gehen an unzähligen geschlossenen Türen vorbei und Fleur bemerkt, dass das Haus trotz seines protzigen Eindrucks von außen ziemlich vernachlässigt ist.

Als sie an eine große schwarze Eichentür kommen, klopft ihr Begleiter fest und wartet, bis die Tür von selbst aufschwingt.

Drinnen erwartet die Dunkle sie.

Ihre Augen sind schwarz und feucht. Sie huschen Fleurs Begleiter zu Fleur und wieder zurück. Im einem Moment sieht sie ruhig aus, im nächsten springt sie plötzlich blitzschnell auf und geht, die schwarze Schleppe ihres Kleides hinter sich her ziehend, auf Fleur zu. Grob packt sie Fleurs Kiefer und zieht ihn nach oben. Die Dunkle ist genauso groß wie Fleur und so kann Fleur in der erniedrigenden Pose nur an die Decke blicken.

„Was soll das?", zischt die Dunkle giftig. „Ich wollte das Mädchen, nicht die Frau."

Der Diener weicht einen Schritt zurück. „Ich weiß, Madame, aber sie hat sich geweigert dies zuzulassen. Ich wollte Euch die Entscheidung ihre Bestrafung betreffend lassen."

Bellatrix lässt Fleurs Kiefer los und geht gackernd zu ihrem thronartigen Lehnstuhl zurück. „Wolltest du dich opfern?", fragt sie, ohne auf eine Antwort zu warten. „Weißt du denn nicht, dass du so deinem Mädchen nur noch mehr schadest?"

„Bitte", krächzt Fleur und räuspert sich. „Bitte, was auch immer Ihr von ihr wolltet, nehmt mich dafür. Bitte."

Bellatrix erwiderte ihren Blick offen und ihre Lippen biegen sich zu einem Lächeln. Wäre da nicht der Wahnsinn in ihren Augen, sie könnte glatt für schön gehalten werden.

„Du flehst", flüstert sie und sieht so aus, als hätte sie selten Süßeres gesehen. „Mach weiter. Flehe. Überzeuge mich. Warum sollte ich dich nehmen, wenn ich ein unschuldiges Kind haben kann?"

Fleur schluckt und ihr wird heiß und ihr wird kalt.

„Für was wollt Ihr ein Kind, wenn Ihr eine Frau haben könnt?", fragt sie, weil ihr nichts Besseres einfällt und hofft so sehr, dass es stimmt, dass der Dunklen eine Frau besser dienen kann, als ein Kind. Ihr wird schlecht beim Gedanken an die Gelüste dieser Frau.

Bellatrix sieht sie aus tiefen dunklen Augen an und leckt sich über die Lippen.

„Schwöre es", murmelt sie letztendlich.

Sie blickt und blickt und steht auf, ist wieder bei Fleur, berührt sie fast, aber nicht ganz. Sie streckt erwartungsvoll ihre Hand aus und erst nach ewigen Sekunden versteht Fleur, was sie von ihr will: Sie will einen Schwur. Fleurs Hand zittert, als sie sie erhebt. Fleurs Herz zittert, als sie begreift, dass sie der Dunklen vollkommen ausgeliefert ist, schwören werden muss, was auch immer sie von ihr will. Für Gabrielle.

Fleurs Hand zittert, als sie sie über Bellatrixs hält. Die Dunkle hebt ihren Zauberstab und lässt daraus Bänder wachsen, die so dunkel sind wir ihr Blick.

„Frau", sagt sie und Fleur merkt, wie ihre Worte sich um ihr Sein schlingen. „Frau, schwöre bei mir zu bleiben, was auch geschieht."

Fleur schluckt und blinzelt und weiß nicht, ob sie Schlimmeres oder Besseres erwartet hat.

„Frau, schwöre!", befielt die Dunkle.

„Ich schwöre es", antwortet Fleur und als die Bänder sich um ihre Hände schlingen, ihre Hände sich unter dem Druck berühren, da ist alles, was Fleur spürt, Einsamkeit.