Es war reine Routine. Mehr als das. Es war die Definition von Routine. Darüber hinaus war der wirklich anspruchsvolle Teil der Mission schon vorüber. Es war sogar so weit Routine, dass sich Mira erlaubte, auf die Flirtversuche des jungen Leutnants einzugehen, der sie auf dieser Mission begleitet hatte.
Leutnant Hen Flintan war gerade einmal dreiundzwanzig, hatte aber Charme für mindestens fünf Personen, und er wusste ihn nahezu schamlos einzusetzen. Dazu mochte auch seine erfrischende Unbefangenheit in ihrer Gegenwart beitragen. Natürlich war er am Anfang der Mission noch etwas zurückhaltender gewesen, doch als sie sich auf Eldius VI mit Gucky und ein paar USO-Agenten getroffen und schließlich den Springer hochgenommen hatten, der sich erdreistete im Einflussgebiet der Hanse mit Arkonbomben zu handeln, war er immer mehr aufgetaut. Was bei weitem nicht selbstverständlich war, war sie doch nicht nur eine Mutantin, sondern darüber hinaus Perry Rhodans Tochter, Zellaktivatorträgerin und über tausend Jahre alt. Jedenfalls so etwas in dem Dreh, sie hatte schon lange aufgehört zu zählen, doch zu ihrem tausendstem Geburtstag hatte sie tatsächlich nachgerechnet. Nur um zu merken, dass sie ihn um acht Jahre verpasst hatte.
Alles in allem war es eine – bisher – absolut erfolgreiche Mission gewesen mit einem soweit entspanntem Ende. Wer hätte auch ahnen können, was dieser unschuldige 27. März des Jahres 610 NGZ oder auch 4197 AD brachte. Nicht einmal ihre mehr oder weniger latente präkognitive Begabung hatte etwas von sich hören lassen.
„...einen Cocktail trinken?"
„Hm? Entschuldige, was sagtest du?", antwortete sie und schenkte dem Leutnant schuldbewusst ihr schönstes Lächeln. Sie hatte gerade tatsächlich für einen Moment nicht aufgepasst, als Hen sie angesprochen hatte.
„Ich fragte, ob wir morgen in Terrania vielleicht einen Cocktail trinken..."
Weiter kam Hen nicht, auf einmal ging ein Schlag durch die Liga-Spacejet, der das kleine Schiff in seinen innersten Verstrebungen krachen ließ. Funken sprühten aus – glücklicherweise unwichtigeren – Konsolen und das Grau des Linearraums, welches man durch die Panzerplastkuppel sehen konnte, wich einem wirren Wirbeln aus Farben.
Mira nahm es aus dem Augenwinkel war, ihre volle Aufmerksamkeit aber galt den Instrumenten. Was war das? Waren sie mit etwas kollidiert? Sie befanden sich im Linearflug, unmöglich war es nicht, wie sie aus leidvoller Erfahrung wusste. Auch wenn diese Route frei sein sollte...
Gerade als sie einen groben Überblick über die Leistung der Aggregate hatte – die Kalupkonverter liefen am Anschlag, aber das hatten ihr die Arbeitsgeräusche der Triebwerke schon verraten; die Schwarzschildgeneratoren erzeugten unglaubliche Energiemengen, die offenbar im Nichts verschwanden, und die Modulation des Linearfeldes glich nichts, was sie schon einmal gesehen hatte - ging der nächste Schlag durch das Schiff, nur dieses Mal blieb es nicht bei diesem einen. Die kleine Spacejet wurde wie ein Ruderboot auf offenem Meer herumgeschleudert, und wären sie beide nicht in den Kontursesseln angeschnallt gewesen, so wären sie hilflos durch die Zentrale geflogen.
Der Zeiger, der die Leistung der Schwarzschildgeneratoren anzeigte, befand sich inzwischen im roten Bereich, und an sich hätte die automatische Notabschaltung schon längst greifen müssen.
„Hen, Notabschaltung aller Systeme, JETZT!"
Sie selbst streckte den Arm aus, um auf den roten Knopf für die Linearkonverter zu schlagen, im Hinterkopf die Hoffnung, dass was immer gerade geschah, ein Nebeneffekt des Linearflugs war, aus welchen Gründen auch immer, und im Normalraum aufhören würde.
Sie hatte den Schalter fast erreicht, als aus der Konsole, vor der Hen saß, ein Überspannungsblitz schlug und den Leutnant voll traf. Er sackte leblos in seinem Sessel zusammen, und Mira wusste sofort, dass für ihn jeden Hilfe zu spät kam. Manchmal hasste sie es, eine Empathin zu sein, ganz besonders in Momenten wie diesem.
Nicht jetzt, ermahnte sie sich in Gedanken, als sie auf den Notschalter schlug. Aber es tat sich nichts. Vermutlich war die Konsole von der Überspannung in Mitleidenschaft gezogen worden.
Sie hieb auf die Verriegelung der Gurte, die sogleich aufsprang. Drei Meter weiter befand sich eine manuelle Notschaltung, die sich von Hens Platz aus bedienen ließ.
Nur drei Meter.
Gerade als sie sich aus dem Sitz erhob und sich dabei an der Konsole festklammerte, erhielt das Schiff noch einen letzten Schlag, und mehrere Dinge geschahen fast gleichzeitig. Zum einen verschwand das Farbenwirrwarr und der offene Weltraum wurde wieder sichtbar, zum anderen heulte der Strahlungsalarm durch das Schiff, da die Abschirmung der Reaktoren endgültig versagt hatte, und Mira selbst wurde durch den Schlag durch die Zentrale geschleudert, verfehlte das Geländer um den zentralen Antigravschacht knapp und kollidierte unsanft mit der gegenüberliegenden Konsole.
Aus.
Selbst wenn die Spacejet nicht sofort explodierte, würde die harte Strahlung der Reaktoren, die nun das Schiff überflutete, sie binnen Minuten umbringen.
Die Geräusche der Umgebung vermischten sich zu einem gedämpften Rauschen, das nur von einem hochfrequentem Pfeifen in ihren Ohren überlagert wurde, und ihr verschwamm die Sicht. Sie blinzelte hektisch und realisierte, dass ihr Blut aus einer Wunde an der Schläfe ins Auge und über das Gesicht lief. Das Knacken in ihren Rippen dass sie beim Aufprall gehört hatte, machte sich nun als unangenehmes Stechen bei jedem Atemzug bemerkbar.
Hätte sie noch eine zusätzliche Bestätigung gebraucht, dass es sie ziemlich schlimm erwischt hatte, bekam sie diese in Form des jetzt fast schmerzhaft starken Pochens der Impulse des Zellaktivators, der an einer feinen Kette um ihren Hals hing.
Sie versuchte noch einmal sich hochzustemmen um doch noch die Notschaltung zu erreichen, aber ihre Arme gehorchten ihr schon nicht mehr.
Plötzlich verschwand das Bild der Zentrale. Doch statt gnädiger Schwärze, wie Mira es erwartet hatte, wich es einem unbekanntem Raum. Die Wände waren gelblich mit runden.. Dingern?, und alles wurde dominiert von einer grünlich leuchtenden Säule. Bevor sie noch mehr Details wahrnehmen oder sich auch nur wirklich darüber wundern konnte, verlor sie das Bewusstsein.
