TITEL: Erinnerungen sind nur eine Version der Realität
GENRE:
Romanze/Drama
CHARAKTERE:
House, Cuddy, Wilson
PAIRING:
House/Cuddy
RATING:
R
SPOILER:
Spoiler für das Ende von Staffel 5 sowie für Staffel 6
WÖRTER:
20.300
ZUSAMMENFASSUNG:
Ein Tag, 24 Stunden. Cuddy und House versuchen Verlorenes wiederzuerlangen. In vielerlei Hinsicht.
ANMERKUNG:
Die Geschichte spielt in Staffel 6 nach der Rückkehr von House aus Mayfield, jedoch löst sich die Erzählung mehr oder weniger von dem, was in den weiteren Folgen nach 'Broken' wirklich passiert.


"Memory is like poetry, just one version of reality, not accurate at all." – Viggo Mortensen

2:00 Uhr

Behutsam öffnet er die Augen.

Er versteht nicht, wie sie hier gelandet sind, einfach so, ohne jede Berührung. Ihr Hotelzimmer nebenan, das Bett darin leer und kalt, ja noch nicht einmal benutzt. Vielleicht ist die Bettdecke an irgendeiner Stelle ein wenig unordentlich, geprägt von ein paar aufgeworfenen Falten, die entstanden, als sie sich nach ihrer Ankunft hier auf die Matratze gesetzt hat. Er weiß nicht, ob es wirklich so ist, oder ob sie stattdessen den härteren Stuhl bevorzugt hat, um Papiere zu sortieren.

Er dagegen hatte sich sofort aufs Bett geworfen, kaum war die Hotelzimmertür hinter ihm zugefallen, die Beine über die ganze Weitläufigkeit der Matratze ausgebreitet, die Arme lässig unter dem Kopf verschränkt. Ein Geschenk eines vielleicht doch existierenden Gottes, dass sich die Fernseher in Hotels fast immer im verschwenderischen Standby-Modus befinden und so nicht von ihm verlangen noch einmal aufzustehen, wenn er einmal liegt und mit den Fingerspitzen gerade noch so bis zur Fernbedienung kommt.

Es hat nicht lang gedauert und er war eingedöst. Im Hintergrund dröhnten die Sirenen wilder Verfolgungsjagden, doch sie konnten ihn nicht weiter stören. Vielleicht kann er deshalb jetzt nicht schlafen, wenn es eigentlich die Zeit dafür wäre. Oder es liegt an ihr.

Auf der Seite liegend betrachtet er sie im Schlaf. Die Vorhänge sind nicht zugezogen und so fällt gerade genug Licht der Straßenlaternen, Sterne und des Halbmondes in das Zimmer, um ihre Konturen ausmachen zu können. Ihr Gesicht ist ihm zugedreht, doch er kann nicht so recht erkennen, was für ein Ausdruck darauf liegt. Dafür reicht das Licht nicht aus.

Während er sich irgendwann an diesem Abend seiner Jeans entledigt hat, ist sie immer noch vollständig angezogen, nur ihre Schuhe hat sie irgendwo abgelegt. Die Bettdecke liegt bloß zur Hälfte über ihrem Körper und die angezogene Haltung ihrer Arme lässt vermuten, dass ihr kalt ist. Er zieht stattdessen seine Decke etwas weiter nach oben und nimmt die Wärme auf, die sein eigener Körper darunter geschaffen hat.

Seine Erinnerungen schweifen zurück. Es waren nicht die schrillen Sirenen, sondern ihre energischen Fäuste an der Tür, die ihn schließlich aus dem Schlummer reißen konnten. Schlaftrunken hat er sie hineingelassen und bemerkt, wie laut sein Magen knurrte.

"Ich habe schon gegessen", sagte sie und er war ein wenig erstaunt, dass sie einfach ohne ihn gegangen war. Er kam zu dem Entschluss, dass es wahrscheinlich ihre Unabhängigkeit widerspiegeln sollte, doch de facto waren sie zusammen hier, hatten einen gemeinsamen Kampf auszufechten.

Er hat sich etwas aufs Zimmer bestellt und gegessen, während sie ihm Papiere vor die Nase hielt. Anstatt zuzuhören ermittelte er ihr Stresslevel anhand von Bewegungen und Stimme. Ergebnis: gefährlich hoch.

"Hörst du mir eigentlich zu?", hat sie irgendwann gefragt und er hat mit dem Kopf geschüttelt, unfähig etwas zu sagen, weil sein Mund voll köstlicher Frühlingsrollen war. "Es ist deine Lizenz", erwiderte sie resignierend und packte die ausgebreiteten Sachen zusammen, um zu gehen.

"Und es ist dein blödes Krankenhaus, um dessen Ruf du dir gerade Sorgen machst. Kann ich mir das vielleicht ansehen, ohne dass du die ganze Zeit dabei quasselst?" Er hat die Hand ausgestreckt und sie gab irgendwann nach, reichte ihm seufzend den Stapel.

Während er die Zettel las und jeden einzelnen dabei mit ein paar fettigen Fingerabdrücken versah, saß sie auf dem Bett neben ihm und schaute sich einen schmalzigen Film im Fernsehen an. Als er dann fertig war, war sie bereits eingeschlafen. Und irgendwann hatte er eben einfach das Licht ausgeknipst.

Seitdem liegen sie hier in einem komfortablen King Size-Bett mit unzähligen, flauschigen Kissen. Ein wenig hat er geschlafen, doch jetzt ist er hellwach und irgendwie ruhelos. Am liebsten würde er aufstehen und ein paar Runden im Zimmer oder draußen auf dem Gang drehen, um nachdenken zu können.

Gleichzeitig weiß er, dass es nichts mehr zum Nachdenken geben wird, wenn er jetzt aufsteht. Sie wird wach werden, irgendetwas Missgelauntes von sich geben, einen Moment lang ihre Schuhe suchen und dann zurück in ihr Zimmer gehen. Also bleibt er liegen und gibt sich damit zufrieden, dass er im eingeengten Zustand des Liegens nicht denken kann, obwohl er es so dringend müsste.

Ein paar Gedankenfetzen fliegen ihm durch den Kopf. Von Selbstmord bis hin zu kalten, gefängnisartigen Krankenhausgängen ist fast alles dabei. Dazwischen ein wenig Leidenschaft, das komische Stechen in seiner Herzgegend, das er seit ein paar Wochen hatte, seine Approbation und hier und da Cuddy. Babys sind auch dabei, nur ohne Regenbögen und Sonnenschein.

Die Tatsache der fehlenden Berührungen ist und bleibt aber das Eigenartigste bei all dem und jeder wirre Gedanke bringt ihn letztendlich wieder dahin zurück. In seiner Vorstellung sahen diese Situationen immer anders aus und er muss irgendetwas tun, das fatale Missverständnis aus der Welt schaffen, damit sich die Erde wieder in ihren gewohnten Bahnen drehen kann.

Anfangs zögerlich, dann bestimmter bewegt er sich in ihre Richtung, überwindet Zentimeter um Zentimeter und das Bett scheint plötzlich immer größer. Als er ganz nah an ihrem Gesicht ist, lässt er seinen Atem ein paar Sekunden lang über ihre Haut streifen, bevor er einen ganz simplen Kuss auf ihren Lippen platziert und sich wieder davonstiehlt. Es ist ein Experiment mit unbekanntem Ausgang.


3:00 Uhr

Sie ist aufgewacht und trotzdem immer noch da. Komisch.

Seit einiger Zeit bereits liegt sie mit offenen Augen neben ihm und hat sich inzwischen auf den Rücken gedreht. "Ich muss den Babysitter anrufen", sagt sie plötzlich.

Es ist aus seiner Sicht das Eigenartigste, was sie hätte sagen können. Er sieht kurz auf den Wecker mit den rot leuchtenden Zahlen neben sich. "Es ist drei Uhr nachts."

"Eben. Ich habe gesagt, dass ich abends anrufe. Sie wird sich Sorgen machen, weil ich mich nicht gemeldet habe."

"Sie wird froh sein, dass diese paranoide Mutter sie endlich mal in Ruhe lässt und nicht jede Stunde vom Sofa aufschreckt. Sie hätte schon selbst angerufen, wenn mit dem Balg was wäre."

"Hör auf über mein Kind zu sprechen. Ich weiß, dass es dir egal ist, aber deine Worte sind verletzend."

Zurückdenkend an das letzte Mal, als er ihr Baby—das er immer noch nicht wirklich als ihres betrachtet—beleidigt hatte, sieht er von jedem weiteren Wort dazu ab. Es ist ihm unangenehm vor seinem inneren Auge wieder erleben zu müssen, wie es geendet war. Einerseits in seiner Vorstellung, andererseits in der Realität.

Dann ist es minutenlang still.

"Was ist jetzt?", fragt er irgendwann und weiß nicht, ob er vielleicht sogar will, dass sie endlich verschwindet und er der Situation nicht länger ausgeliefert ist.

"Du hast recht. Es ist mitten in der Nacht und es gibt keinen Grund jetzt noch anzurufen."

Er ist verblüfft, dass sie das so nüchtern sieht. "Wow, solche durchdachten Sätze hätte ich nicht mehr von dir erwartet um diese Zeit. Oder auch zu jeder anderen Zeit." Er spürt, wie er gerade versucht sie auf die dunkle Seite zu ziehen, um dem aus dem Weg zu gehen, was immer noch unangenehm in der Luft direkt über ihnen schwebt. Wenn er sie sauer machen kann, wird sie gehen und die unausgesprochene Sache mit sich nehmen.

Wieder Stille. Er ist versucht diesmal mitzuzählen, doch es funktioniert nicht als Ablenkung. Jede kleine Millisekunde kommt ihm dadurch nur noch länger vor, zieht sich wie zäher Kaugummi, der schon lange seinen Geschmack verloren hat.

"Was war das vorhin?", fragt sie irgendwann und da ist es wieder, dieses kleine, fiese Stechen in seiner Brust.

"Nichts."

"Nichts bestehend aus nicht deinen Lippen an nicht meinen Lippen oder was?" Sie klingt ein wenig gereizt, fast so als hätte er etwas ganz und gar Verbotenes getan, und kurz fragt er sich, ob es da vielleicht jemanden gibt, von dem er nichts weiß. So wie es jemanden gab, von dem sie nichts weiß.

"Vergiss es." Er schüttelt eines der Kissen unter sich auf, um irgendwie beschäftigt zu sein und rückt dabei noch weiter von ihr weg. Vielleicht sollte er sogar aufstehen und im Bad verschwinden.

"Klasse, das löst alle Probleme."

"Ich habe kein Problem. Du hast eines oder machst dir zumindest gerade eins. Es war nichts und ich möchte gerne schlafen, wenn das recht ist. Ich nehme an, du willst morgen keinen Zombie neben dir präsentieren." Er dreht sich trotzig um und starrt an die Wand, die nun statt ihr in seinem Blickfeld liegt.

Die Stille geht in eine quälende, vierte Runde und der rettende Knock-Out ist weiterhin nicht in Sicht. Eigentlich will er wirklich schlafen, die trockenen, gereizten Augen endlich schließen und sich etwas Erholung gönnen, doch jetzt geht es sogar noch viel weniger als zuvor. Er kann die Augen schließen, aber er wird nie und nimmer einschlafen.

Etwas später—sie hat sich hinter seinem Rücken keinen Millimeter bewegt—hievt er sich aus dem Bett und sucht in der Dunkelheit nach seinem Stock. Als er ihn gefunden hat, bemerkt er erst wieder, dass er seine Jeans nicht mehr anhat. Verdammt, jetzt muss er auch nach der noch suchen.

Es dauert wieder und jede Sekunde länger, die er hier verbringt, birgt die Gefahr, dass sie irgendetwas sagt. Er stolpert bei dem Versuch sich die Hose möglichst schnell überzuziehen, aber zumindest fällt er nicht. Auf Schuhe verzichtet er ganz und ohne ein Wort verlässt er das Zimmer, geht hinaus auf den Gang, wo das Licht in seinen Augen schmerzt.

Als er nach einer halben Stunde wiederkommt, ist sie immer noch da. Es sieht so aus, als wäre sie einfach wieder eingeschlafen und er seufzt lautlos. Wenn er wüsste, wo sie ihre Zimmerkarte hat, würde er stattdessen einfach in ihr Zimmer gehen, aber ohne harsch das Licht anzumachen und so ein Gespräch fast schon zu provozieren, sieht er keine Chance.

Was bleibt ihm also anderes übrig, als wieder in das riesige Bett zu steigen, dass plötzlich nicht mehr so unüberwindbar, sondern geradezu winzig wirkt. Erneut trennt er sich von seiner Hose, bevor er sich zurück auf die Kissen fallen lässt und die Decke wiederwillig über seinen Körper zieht.

Er lauscht ihren Atemzügen und stellt schnell fest, dass sie nicht schläft, geschlossene Augen können ihn nicht darüber hinweg täuschen. Also wartet er einfach nur darauf, dass sie wieder etwas sagt, denn dass sie nicht einfach den Mund halten kann, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. In dieser Sache glichen sie sich schon immer.

"Ich mochte Nichts", stellt sie letztlich leise klar und überrascht ihn damit.


4:00 Uhr

Alles dauert nur wenige Sekunden. Seine Hände sind warm, aber nicht schwitzig, sie wissen, was sie tun, was sie zu tun haben.

Er ist bemüht danach Abstand zwischen ihnen zu schaffen, ihn aber gleichzeitig nicht so groß werden zu lassen, als dass er losgelöst erscheint. Das ist es nicht, was er will. Ein paar Zentimeter reichen ihm schließlich.

"Du wusstest genau, wo der richtige Punkt ist. Immer noch", murmelt sie und muss sich bemühen, dass die Wörter nicht wie ein einziger, undeutlicher Schwall aus ihrem Mund kriechen. Artikulation ist keine Selbstverständlichkeit in dem Stadion von Seligkeit, in dem sie sich gerade befindet.

"Wie könnte ich vergessen?" Die Frage ist rhetorisch, aber gleich nachdem er sie ausgesprochen hat, fängt er an, sie sich wirklich zu stellen. Hat es einfach nur etwas mit dem zu tun, wer er ist, wie sein Verstand funktioniert, oder liegt es an ihr?

Seine Überlegungen führen ihn in andere Betten, zu anderen Frauen, zu anderen Körperteilen. In Gedanken spielt er durch, was bei diesen Gelegenheiten passiert ist, doch vieles bleibt verschwommen.

"Ich hasse es zu vergessen", gibt sie zu und dreht sich langsam auf die Seite. "Und damit meine ich nicht den Haustürschlüssel auf dem kleinen Tisch im Flur oder diese eine wichtige Akte in der Cafeteria. Ich hasse es, dass Erinnerungen verblassen, dass man die besten Momente nicht immer in ihren wahren, strahlenden Farben behalten kann. Sie werden grau und gleichen plötzlich anderen, sind nichts Besonderes mehr."

"Es ist eine besondere Gabe, vergessen zu können", kontert er und ist sich bewusst, dass es irgendwie traurig klingen muss.

"Das kannst auch nur du sagen."

"Gute Erinnerungen verblassen, schlechte auch. Glaub mir, es ist besser so."

"Nur, wenn man mehr schlechte als gute hat."

"Niemand hat mehr gute Erfahrungen als schlechte. Alles hat seine Schattenseiten und der Schatten ist meist größer als das, was ihn verursacht." Es ist ein Gespräch, das er jetzt eigentlich ganz und gar nicht führen will. Schon gar nicht, wenn seine Hände gerade an intimen Stellen waren und seine Haut noch leicht gerötet ist. Es zerstört alles, aber so ist es wohl zwischen ihnen.

Vielleicht denkt sie genauso, denn sie geht nicht weiter direkt auf ihn ein und verliert sich stattdessen in der eigenen Vergangenheit. "Ich hatte als Kind diese Vorstellung. Diese Vorstellung, dass ich alle besonders schönen Erinnerungen in ein Regal setze, sie aufbewahre in einer Art Bibliothek. Und dann kann ich sie herausnehmen, wann immer ich will. Sie werden genauso sein wie damals, als ich sie abgelegt habe."

"Auch Bücher vergilben in ihren Regalen." Er tut es schon wieder.

"Ich halte die Klappe, bevor du noch mehr nüchterne, rationale Dinge sagen kannst."

"Erinnerungen sind nur eine Version der Realität. So sehr du auch versuchst, sie in ihren für dich wahren Farben zu erhalten, sie werden nie eine akkurate Wiedergabe der Wirklichkeit sein." Und er tut es noch einmal. "Sorry, ich muss das letzte Wort haben."

"Gut, dass du das noch einmal klar gestellt hast." Ein recht lautes Gähnen entweicht ihr. "Ich bin wirklich müde."

Er kann sich vorstellen, wie müde sie ist, wie schlaff und kraftlos, schwer und träge ihre Glieder jetzt auf der Matratze ruhen, um das wohlige Gefühl noch ein wenig länger durch den Körper strömen zu lassen, es noch ein paar Minuten halten zu können und vielleicht sogar in den Schlaf hinüber zu retten. Nach der Phase der Erregung folgt die Entspannung. Es ist okay, dass sie die Losgelöstheit jetzt allein genießt, sie schuldet ihm nichts und er erwartet nicht, dass noch etwas folgt. Auch er sollte endlich schlafen, aber nun ist er sogar noch weiter davon entfernt.

"Was hast du für Erinnerungen an damals?", fragt sie plötzlich nach ein paar Minuten, obwohl er sie schon im Reich der Träume wähnte.

"An was?"

"Du weißt, was ich meine." Oh ja, das tut er.

"Müssen wir jetzt darüber sprechen?", fragt er und versucht müde zu klingen, um der drohenden Aufbereitung von Vergangenem aus dem Weg zu gehen.

"Nein, aber wir können."

"In diesem Fall entscheide ich mich für die Variante, in der wir nicht darüber sprechen."

"Warum? Etwa eine deiner schlechten Erinnerungen? Eine deiner so zahlreichen?" Jetzt macht sie sich lustig über ihn.

"An mich habe ich nur beste Erinnerungen. An dich dagegen…" Verächtlich presst er ein wenig Luft durch seine geschlossenen Lippen und dreht sich auf den Rücken, entkommt ihr noch ein kleines Stückchen mehr, jetzt wo er doch über vergangene Nähe nachdenken muss.

Sie lacht, auch wenn sie sich wahrscheinlich nie sicher ist, ob er es vielleicht doch ernst meint. Ihr Kichern verebbt in den flaumweichen Kissen, als sie sich auf die Seite dreht und die Hände unter dem Gesicht vergräbt.

Er schaut kurz prüfend zu ihr hinüber, doch sie hat die Augen bereits geschlossen und sieht nicht so aus, als wolle sie weiter in Erinnerungen schwelgen. Es ist ihm recht, aber jetzt, wo sie den Stein angestoßen hat, rollt er in seinem Kopf unaufhaltbar weiter. "Ist die Erinnerung verblasst oder noch frisch?", will er wissen.

"Müsste die Frage nicht sein, ob ich denke, die Erinnerung daran ist besser oder schlechter, als die Realität es war?"

"Ich denke kurz nach deiner Logik. Mühsam, aber zumindest möglich."

"Nicht mehr frisch, aber auch nicht verblasst. In Farbe auf jeden Fall, für schwarz-weiß ist es dann doch nicht lang genug her."

"Was war die Farbe deiner Dessous?"

"Flieder."

"Flieder? Hm." Er hätte es nicht sagen können.


5:00 Uhr

Er hat es geschafft eine halbe Stunde zu schlafen, aber sein Stolz hält sich in Grenzen. Sie schlummert selig neben ihm und scheint kein derartiges Problem mit der Welt, mit sich, mit eingeschränktem Medikamentenkonsum oder der anderen Person im Bett zu haben.

Nach ein paar Minuten schwingt er sich wieder aus dem Bett, überwindet den Schwindel, der kurz seinen Kopf durchflutet und überlegt, ob er die Hose wieder anzieht. Letztendlich erscheint es ihm zwar unendlich mühsam, aber er tut es und nimmt dann den kleinen Papierstapel vom Nachttisch, mit dem er zur Tür humpelt. Ein kurzer Blick zu ihr, aber sie schläft weiterhin tief und fest, die letzten Reste ihres Make-ups ein wenig verschmiert, was ihm auffällt, als das Licht draußen vom Gang durch den Türspalt hindurch direkt auf sie fällt. Er ist nicht unschuldig daran.

Draußen blinzelt er ein paar Sekunden gegen die rüde Helligkeit an, sieht sich um und lässt sich dann langsam auf dem Boden nieder. Mit dem Rücken an die Wand des langen Ganges gelehnt, schließt er die Augen und bleibt einen Moment lang einfach nur sitzen. Der Schlaf will trotzdem nicht kommen, aber er hat auch nicht damit gerechnet.

Etwas entfernt ertönt das Geräusch des ankommenden Fahrstuhls. Kurz darauf läuft ein junger Mann den Gang entlang, der blondgefärbte Irokesen-Schnitt mitgenommen von den letzten Partystunden in einem mehr oder weniger schäbigen Club irgendwo Downtown.

Mit einer Mischung aus Verwunderung und Neugier sieht er im Vorbeigehen auf House hinunter und muss aufpassen, dass er nicht über dessen ausgestreckte Beine stolpert, die den halben Gang blockieren.

"Sie schnarcht", sagt er und deutet mit dem Kopf auf die Tür.

Der Typ grinst nur kurz und schüttelt mit dem Kopf. Als er in seinem eigenen Zimmer verschwunden ist, durchforstet House den Papierstapel auf seinem Schoß, bis er den Briefumschlag findet. Er ist nicht zugeklebt, die Lasche ist lediglich eingesteckt und lässt sich ohne jeden Aufwand öffnen. Er zieht den Zettel heraus und faltet ihn langsam auseinander.

Seine Augen fliegen drei, vier, fünf Mal über die Anrede und schaffen es einfach nicht über das Komma dahinter hinaus. Er senkt das Stück Papier und nimmt sich ein paar Minuten Zeit, von denen er hier und jetzt ohnehin zu viele übrig hat.

Beim nächsten Mal bewältigt er den ganzen ersten Satz. Dr. Gregory House befand sich vom 11. Mai bis zum 1. August 2009 zur Behandlung im Mayfield Psychatric Hospital.

Ein kurzer, abgehackter Atemzug entweicht ihm überraschend und macht es schwer, sich sofort auf den nächsten Satz zu konzentrieren. Beherzt nimmt er die folgenden Wörter in Angriff, doch da ist es wieder, das Geräusch des ankommenden Fahrstuhls.

Er wartet, das Blatt Papier wieder sicher auf seinem Schoß abgelegt, bis der Mann in Anzug und Krawatte an ihm vorüber gegangen ist und holt dann tief Luft, um sich nach oben zu hieven.

Die Türen des Fahrstuhls sind noch geöffnet, als er dort ankommt. Die verspiegelten Wände im Inneren zeigen ihm die kleinen Furchen seines Gesichts, die das Licht so unbarmherzig betont. Sie sind mehr geworden, die Haare dagegen kürzer, der Bart etwas voller. Grau, gelebt, unattraktiv. Regungslos starrt er sich an und versucht zu entdecken, was andere entdecken könnten. Für ihn gibt es da nichts.

Er starrt noch, als sich die Türen im Erdgeschoss schon wieder geöffnet haben. Nur schwer kann er sich von dem Wrack lösen, das er sieht. Er hat sich schon lange nicht mehr intensiv angesehen und er weiß warum.

Die ersten Frühaufsteher—meist Geschäftsmänner, in geschniegelte Anzüge und den männlichen Hauch von Aftershave gehüllt—gehen zum Frühstück und betrachten fallende Börsenkurse, von denen sie gleich lesen werden, als ihr größtes Problem.

Das Münztelefon befindet sich in einer ungestörten Ecke. Er findet eine Handvoll Dollar in seinen Taschen und wirft sie nach und nach ein, denkt an sein Handy, das irgendwo im Zimmer liegt, aber er kennt die Nummer ohnehin auswendig.

"Wilson." Schläfrig. Sehr, sehr schläfrig.

"Upps, hab ich dich etwa geweckt?"

"Ich hoffe, es ist sehr, sehr wichtig, House."

Alles eine Definitionssache. "Hast du ihn gelesen?"

"Von was sprichst du?", will Wilson wissen.

"Dem Brief von Nolan."

Es dauert einen Moment, bevor er antwortet. "Kurz, ja. Überflogen." Klingt so als wolle er sich jetzt schon alle Türen für eine mögliche Ausrede offen lassen.

"Was steht drin?"

"Hat Cuddy ihn nicht dabei? Frag sie doch danach."

"Sie will ihn mir nicht geben."

"Warum?"

"Ist doch egal. Was steht drin?"

"Ich verstehe nicht…", gibt Wilson verwirrt von sich. "Es ist nur eine medizinische Beurteilung. Ein paar aneinandergereihte Fachausdrücke, alles recht positiv, mit der Empfehlung am Ende, dir deine Lizenz zurückzugeben."

"Einzelheiten?"

"Was für Einzelheiten?"

"Das frage ich dich." Er wartet einen Moment, bevor er ihm konkretere Hinweise mit auf den Weg gibt. "Details zu bestimmten Therapiesitzungen, irgendwelche Vorfälle, der Umgang mit anderen Patienten", er räuspert sich unmerklich, "Personen."

"Nein, nichts dazu. Was könnte da deiner Meinung nach drin stehen?"

"Nichts. Ich will nur sicher gehen, dass er auch keine Sachen erfunden hat."

"Okay. Warum hast du nicht Cuddy gefragt? Sie hätte dir das sicher auch gesagt."

"Vielleicht, weil sie um diese Uhrzeit schläft?"

"Klar. Gut, dass ich dagegen noch mit meiner Pornosammlung beschäftigt war."

"Siehst du."

"Ich sehe dich, wenn du wieder da bist."

"Wird sich nicht vermeiden lassen."

"Gute Nacht, House."

Ohne Verabschiedung legt er auf und sieht auf den Brief in seiner Hand hinunter. Vielleicht wird es ihm ja jetzt gelingen noch ein wenig zu schlafen.