Das hier ist meine erste IY fanfiction und ich bin ein Späteinsteiger. Das erste Mal hab ich die Serie auf RTL2 gesehen und kenne leider nur die erste Staffel und Teile der Kinofilme. Dennoch maße ich es mir an, hier in einem ersten Versuch, eine Shortstory zu posten bestehend aus 2 Chapis. Ich rechne nicht mit großer Leserschaft, da auch nur sehr wenige Autoren in dieser Sparte schreiben. Wenn dennoch jemand reviewn würde, ich freue mich sehr und das spornt auch immer dazu an, noch mehr zu schreiben, was heißen soll: dann schreibe ich schneller das 2. Chapi zu Ende, weil ich weiß es lohnt sich. Na ja, lest erst mal und bildet euch selbst ein Urteil, ob die Story es wert ist, weiter geführt zu werden. Ich wünsche euch viel Spaß dabei und freue mich auf eure Meinung.

Warnung! Die Geschichte hat ernste Hintergründe und sollte daher nicht von Kindern gelesen werden.

Schlaflieder

Kagome streckte sich genüsslich.

„Ah! Endlich fertig!"seufzte sie und ging einen Schritt zurück, um ihr gerade vollendetes Meisterwerk zu begutachten.

Vor ihr stand eine wundervolle Nougattorte, so perfekt und verführerisch hatte sie noch keine hinbekommen. Die süße Füllung wurde von einem Schokoladenguss verborgen, der matt glänzte und schon eine kribbelnde Vorahnung auf die von ihm bedeckte Leckerei erdenken ließ. Obenauf waren acht kleine Kerzen in die Torte eingelassen und warteten nur darauf, angezündet und dann wieder ausgeblasen zu werden. Und in mitten des Kuchens stand mit wundervoll geschwungener und edler Handschrift aus mandelfarbenen Marzipan: Alles Gute zum Geburtstag, Souta!

Kagome lehnte sich zurück. Das hatte sie wirklich gut gemacht. Ihr kleiner Bruder würde ausflippen! Schnell versteckte sie den Kuchen ganz weit hinten im Kühlschrank. Hoffentlich entdeckte niemand die Torte. Es sollte ja eine Überraschung sein.

„Jetzt hab ich mir ein Bad verdient!"freute sich Kagome, als sie den Kühlschrank schloss und in die Hände klatschte.

.-.-.-.

Oh, wie war das lecker gewesen!

Inuyasha wusste ja nicht, was die Leute in diesem Zeitalter so toll an Geburtstagen fanden. Es kam ihm irgendwie absurd vor, dass man den Tag seiner Geburt feierte. Er musste Kaede unbedingt fragen, ob die Leute im Dorf auch so etwas taten. Da er ja den größten Teil seines Lebens allein und abgeschieden verbracht hatte, waren ihm einige Bräuche nicht vertraut.

Doch das Essen, so musste er zugeben, das Essen war ausgezeichnet! In seinem Bauch machte sich ein wohlig warmes Gefühl breit und zufrieden atmete der Halbdämon langsam aus.

Wo ist Kagome eigentlich?

Inuyasha sah sich im Hof um. Es kam ihm in denn Sinn, dass er sie schon seit einer ganzen Weile nicht gesehen hatte. Er sah sich im großen Hof des Tempels um und zog diese blödsinnige Kopfbedeckung, die ihm Souta geliehen hatte um seine Ohren zu verstecken, tiefer in die Augen. Niemand da.

Nicht einmal der alte Mann, der Kagomes Großvater war und ständig hier herum zu laufen pflegte.

Inuyasha zuckte mit den Schultern und beschloss, im Haus nach Gesellschaft zu suchen. Nicht, dass er welche brauchte... aber irgendwie fühlte er sich nicht allzu wohl hier, allein, inmitten einer... Stadt, wie sie es nannten.

Er ließ sein Essgeschirr einfach liegen und ging ins Haus.

Inuyasha leckte sich genüsslich die Finger ab und dachte mit Freuden zurück an dieses Essen. Er wünschte sich, dass man auch in seiner Ära so etwas kochen könnte.

Plötzlich hörte er einen schrillen und markdurchdringenden Schrei, seine sensiblen Ohren legten sich an, als er zusammenzuckte.

„Inuyasha!"

Der Halbdämon ließ davon ab, seine Finger zu säubern und schaute fragend auf.

Vor ihm stand mit hochrotem Kopf eine wütende Kagome. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt und zitterten vor Wut. Der schrille Schrei war ohne Zweifel von ihr ausgegangen.

„Was?!"

„Du bist der blödeste, verfressenste und unsensibelste Kerl, den ich kenne! Hast du denn gar nichts in deiner Birne?"

Inuyasha zuckte zurück und wusste nicht, wie ihm geschah. Nur eines war er sich gewiss... Kagomes Zorn war fürchterlich.

„Aber was hab ich denn jetzt schon wieder gemacht?"fragte er in ehrlicher Unwissenheit.

Doch die junge Schülerin wurde nur noch roter und schien fast zu explodieren. Inuyasha schloss die Augen, nahm abwehrend die Arme hoch und verkrampfte sich in der Erwartung eines „Mach Platz". Doch als die Sekunden verstrichen und nichts geschah, ließ er vorsichtig die Arme sinken und blinzelte.

Der Zorn schien plötzlich vollkommen verschwunden und durch Trauer ersetzt. Kagome stand vor ihm, die Schultern hängend und den Blick auf den Boden gerichtet. Inuyasha konnte nur erahnen, dass sich Tränen in ihren Augen sammelten.

„Kagome..." versuchte er anzusetzen, aber Kagome wandte sich ab.

„Ich hab zweieinhalb Stunden dafür gebraucht,"brachte sie unter Schluchzen hervor und rannte dann weg, hinauf in ihr Zimmer.

Allein und verwirrt blieb Inuyasha zurück, stand verblüfft und ahnungslos in der Küche. Schuldgefühle wallten in ihm auf und bemächtigten sich seiner.

„Was hab ich denn nur gemacht?"überlegte er laut und sah Kagome hinterher.

Er mochte dieses Gefühl nicht! Ganz und gar nicht! Warum war es denn überhaupt da? Schließlich hatte er doch nichts getan! Von Schuldgefühl zu Trotz war für Inuyasha nur ein kleiner Schritt und er tat ihn mit sofortiger Wirkung.

„Ach, verdammt!"rief er und schlug auf dem Tisch. „Lauf doch weg! Ist mir ganz egal!"

Inner hackte sie auf ihm herum und meistens wusste er wirklich nicht, warum. Stampfend verließ der Halbdämon das Haus und ging auf dem direkten Weg zum Brunnen.

.-.-.

Kagome lag weinend auf ihrem Bett und ihre Tränen rannen in ihr Kopfkissen.

„Oh, dieser Idiot! Er isst alles, was er in die Hände bekommt! Und weiß es nicht einmal zu schätzen!"

Als sie an den viertels angeschnittenen Kuchen im Kühlschrank dachte, übermannte sie erneut ein Schwall von Tränen. So viel Mühe! So viel Liebe! Nun hatte sie nichts für Souta und sein Geburtstag war doch schon morgen!

Warum war Inuyasha nur so verdammt unwissend! Sicher hatte er den Kuchen nicht absichtlich gegessen, es war einfach so: er wusste es eben nicht besser, dieser Dummkopf.

Kagome versuchte sich aufzurichten und sich zu beruhigen. Schnell zog sie ein weiteres Kosmetiktuch und wischte sich damit die Tränen aus dem Gesicht.

Aber neue kamen nach. Sie wollten einfach nicht verebben. Zu groß war die Enttäuschung.

Dennoch rappelte sie sich auf, langsam und unsicher verließ sie ihr Zimmer. Auf leisen Fußsohlen ging sie durchs Haus, bedacht darauf, dass niemand sie in diesem Zustand sah. Vor der Küchentüre blieb sie stehen.

Soll ich jetzt wirklich da rein gehen? überlegte sie sich.

Das hieße ja, Inuyasha, zu verzeihen. Sie schüttelte den Kopf. Warum gab sie seinem Dickkopf nur immer nach? Vorsichtig öffnete sie dir Tür und spähte hinein.

„Inuyasha?" fragte sie leise.

Aber es kam weder eine Antwort, noch konnte sie ihn sehen. Schließlich fasste sie sich ein Herz und betrat die Küche, sah sich um. Weit und breit kein Inuyasha. Aber was dort auf dem Tisch lag, ließ ihr Herz wieder sinken und erneut fing sie an zu schluchzen.

Auf dem Tisch lag Sotas rote Mütze, die Inuyasha getragen hatte. Er war einfach gegangen! Er hatte sich einfach so aus dem Staub gemacht ohne auch nur zu versuchen, sich zu entschuldigen!

„Du blöder Idiot!"rief sie und rannte wieder hinauf in ihr Zimmer, warf die Tür mit einem Knall zu und warf sich in ihr Bett.

Kagome ließ sich auf ihr weiches Trost spendendes Kissen fallen und weinte weiter. Bis tief in die Nacht.

.-.-.

Inuyasha stieg gerade aus dem Brunnen, als er zwei große smaragdgrüne Augen vor sich hatte. Sofort hallten zwei Schreie weit durch den Wald. Inuyasha fiel nach hinten, genau, wie sein Gegenüber, nur dass er zurück in den Brunnen fiel.

Shippo landete ungemütlich aber abgefedert auf dem saftigen Gras der Lichtung.

„Au," beschwerte er sich und rieb sich den Rücken, als er aufstand.

„Shippo! Verdammt!"hallte Inuyashas Stimme vom Grunde des Brunnens wieder und wenig später kam ein Kopf zum Vorschein.

„Inuyasha!" staunte der kleine Fuchsdämon. „Du bist schon wieder da?"

Grummelnd zog sich Inuyasha über den Rand des Brunnens, kam im Schneidersitz vor Shippo zu Boden und faltete seine Hände in den roten Ärmeln seiner Tunika. Dann sah er beleidigt zur Seite.

„Na und? Was dagegen?"

„Wo ist Kagome?"

Inuyasha schnaubte zur Antwort nur. Aber am Zucken von Inuyashas Ohren konnte Shippo erkennen, dass wieder etwas nicht stimmte. Er seufzte lang und tief und verdrehte dabei die Augen.

„Was ist denn jetzt schon wieder?"fragte jemand hinter Shippo und der kleine Fuchs sprang auf als er so überrascht wurde.

Doch zu seiner Erleichterung waren es nur Miroku und Sango, die durch die Schreie alarmiert worden waren. Miroku wartete noch immer auf eine Antwort von Inuyasha, stand erhaben und groß über ihm.

„Ach, was weiß ich!"gab dieser zurück und drehte den Kopf noch ein wenig weiter weg. „Sie ist mal wieder launisch!"

„Launisch?" brachte Sango überrascht heraus und bedachte den Halbdämon mit einem durchdringenden Blick.

Inuyasha sprang auf und schrie.

„Ja launisch! Ich hab keine Ahnung, was sie jetzt wieder hat! Immerzu sagt sie: Inuyasha, du bist schuld an jenem, Inuyasha, du bist schuld an diesem! Mir reichts! Warum bin ich immer der Schuldige?"

„Warum gehst du nicht zurück und fragst sie?"bot Sango an und zog dabei eine Augenbraue hoch.

„Was?! Schon wieder?! Nein, ganz ausgeschlossen!"wehrte Inuyasha ab, fand sich allerdings sofort umzingelt von einer Gruppe von Feindlichgesinnten, die ihn alle mit dem Du-bist-so-ein-Holzkopf-Blick bedachten.

Zack, ließ er sich einfach wieder auf den Boden in den Schneidersitz fallen und sah beleidigt zur Seite.

Miroku war der erste, der die Strategie, der stillen Bedrängung aufgab und zu einer anderen Taktik wechselte. Er schnaufte und ging langsam vor zu dem Halbdämon, kniete neben ihm nieder.

„Aber Inuyasha. Jetzt sei doch nicht so. Du weißt doch, morgen ist Soutas Geburtstag und Kagome hat sich so gefreut, dass du kommst. Ich wette, sie wäre unsäglich traurig, wenn du nun doch nicht auftauchst. Und denk doch mal an Souta."

Inuyasha öffnete die Augen und der Mönch wusste sofort: er hatte Zugang zu Inuyasha gefunden.

Auch Sangos Mine entspannte sich, als sie merkte, dass Miroku auf dem besten Weg war, Inuyasha dazu zu bewegen, zurück zu gehen. Ein leichtes Lächeln kam zum Vorschein. Ja, es war manchmal äußerst schwer, mit Inuyasha umzugehen. Vor allem wenn es um Kagome ging. Doch das alles zeugte nur davon, dass er tatsächlich etwas für sie empfand, was er ja heftigst zu verstecken versuchte. Zufrieden sah sie auf den Mönch, der doch trotz seiner perversen Art, oft auch Feingefühl bewies. Er würde Inuyasha tatsächlich umstimmen können.

Und als würden sich Sangos Gedanken bewahrheiten, willigte der Halbdämon schließlich ein und stand auf.

„Also gut, jetzt hör auf, mich zu bequatschen, Miroku! Ich gehe ja schon!"

Schon wieder diese blöden Schuldgefühle! Inuyasha versuchte sie bei Seite zu schieben, aber stellte fest, dass sie schon nachließen.

Nie wäre er auf die Idee gekommen, dass es allein schon deshalb war, weil er zurückgehen würde.

.-.-.

Es war bereits dunkel. Inuyasha hing schon seit Stunden vor Kagomes Fenster und beobachtete sie, tief in Gedanken versunken war er. Sie lag dort so friedlich und ruhend, erlöst von dem Schmerz, den er ihr zugefügt haben musste. Ihr schwarzes Haar war auf dem Kissen ausgebreitet wie ein seidener Überzug und glänzte bläulich im Licht des Mondes. Ihr Atem ging langsam und tief und passierte ihre sacht geöffneten Lippen.

Inuyasha hätte sich am liebsten zu ihr gelegt, sie in den Arm genommen und gespürt, wie sich ihr Brustkorb langsam hob und senkte. Vielleicht hätte auch er einen Augenblick der Ruhe gefunden, dort mit ihr, sie schützend umgebend.

Aber er traute es sich nicht. Denn vor einigen Stunden hatte sie noch auf dem Bett gelegen und bitterlich geweint. Inuyasha war gerade wiedergekehrt, als es dunkel geworden war und hatte sie so vorgefunden. Es hatte sein Herz zusammengekrampft, sie so zu sehen und am liebsten wäre er hinein gegangen und hätte sich entschuldigt. Aber die Tatsache, dass er ja nicht einmal wusste, wofür, hätte Kagome wahrscheinlich wieder wütend gemacht.

So hatte er draußen verharrt und es vorgezogen, im Versteckten über sie zu wachen. Nun hing er dort rechts neben dem Fenster, sich an Tessaiga klammernd, welches er in die Hauswand gerammt hatte und starrte auf die Schlafende.

Doch langsam brannten seine Finger vor Anstrengung, denn selbst für einen Halbdämon war es schwierig, sich drei Stunden an einem einzigen Griff festzuhalten.

Inuyasha zog sich langsam hoch und stellte einen Fuß auf das Brett des offenen Fensters. Sofort spürte er die Entlastung in seiner Hand und als er Stand hatte, sah er sich seine kalten langen Finger an und die Klauen daran. Sie waren weiß, fast blutleer und kribbelten, da er die Hand ja die ganze Zeit weit über sich gehabt hatte. Vorsichtig bewegte er die Gelenke und sie knackten leise.

Konnte er es wagen?

Geräuschlos und langsam ließ Inuyasha sich in das Zimmer hinein und landete auf dem weichen Bettvorleger. Kagome rührte sich nicht. Dass Inuyasha auf den Tüchern stand, in die Kagome ihre Tränen geweint hatte, kümmerte ihn nicht. Er schlich zur Tür und öffnete sie langsam. Es gab ein klickendes Geräusch, aber auch dies vermochte Kagome nicht aus ihrem tiefen Schlaf zu wecken.

Fast lautlos schloss Inuyasha die Türe auch wieder hinter sich. Kurz sah er sich im Haus um, aber niemand war zu sehen. Alles ruhig. Seine goldenen scharfen Augen wanderten umher.

Schließlich ging er hinunter in die Küche, wo vor einigen Stunden alles begonnen hatte. Vielleicht fand er dort heraus, was vor sich ging?

Also schlich er hinein und sah sich um. Was sollte er denn suchen? Er hatte ja keine Ahnung.

Nach zwei Runden um den Küchentisch seufzte er und schüttelte den Kopf.

„Das kann doch alles nicht wahr sein! Was mach ich denn eigentlich hier?"

Sein Blick fiel auf die rote Baseballkappe von Souta. Der kleine Junge hatte morgen Geburtstag. Inuyasha kramte unwillkürlich in seinem Gewand und schloss seine Finger um etwas hartes Kleines. Er bezweifelte, dass sein Geschenk dem Jungen gefallen würde. Diese Welt war so seltsam... Man konnte diesen Jungen nicht mit einem Gleichaltrigen in seiner Zeit vergleichen.

Sanft strich er über den seltsamen Stoff der Kappe. Er war nicht so fein gearbeitet, wie Kagomes Kleidung. Ihre Bluse war dünn und vollkommen glatt. Dennoch war es eine Kunst wie diese Kopfbedeckung gefertigt war.

Der Halbdämon nahm sie und setzte sie sich auf. Es dauerte einen Augenblick, bis er seine Ohren richtig darunter geschoben hatte. Wenn sie erst einmal darunter waren, fühlte es sich gar nicht mehr so schlecht an. Wenn man davon absah, dass er dann wesentlich schlechter hören konnte. Dann ließ sich Inuyasha auf den Boden nieder und verschränkte seine Beine zum Schneidersitz wie er es immer tat. Er schloss die Augen und stöhnte leise.

„Du bist noch hier?"kam eine so sanfte Stimme von der Türe her.

Inuyasha hatte das total unvorbereitet getroffen und er schrak hoch, fiel hinten über, so dass ein kleiner Rumms durch das Haus ging.

„Ganz ruhig, Inuyasha. Du weißt, dass es mir nichts ausmacht, wenn du da bist."

Inuyasha erkannte die Stimme und sein Puls beruhigte sich langsam wieder. Kagomes Mutter kam leise herein und schloss die Küchentüre hinter sich. Dann hörte der Halbdämon ein Zippen und schließlich erleuchtete ein warmes Licht die Küche.

„Du musst hier doch nicht im Dunkeln sitzen, Junge,"sagte Kagomes Mutter und lächelte Inuyasha freundlich an.

Sie hatte eine Kerze angezündet und stellte sie nun auf den Tisch, setzte sich selbst zu Inuyasha.

„Ich dachte, du wärest schon längst fort. Aber anscheinend haben du und Kagome euch doch länger die Zeit vertrieben, als ich dachte,"meinte sie und versuchte, ein Gespräch in Gang zu bringen.

Inuyasha zog es vor, ihr nicht zu sagen, was vorhin vorgefallen war, zumal sie anscheinend noch nichts mitbekommen hatte. Stattdessen schwieg er und starrte auf die Kerze.

Kagomes Mutter beobachtete den Jungen sorgfältig. Wie seltsam er doch aussah, mit diesen silbernen Haaren und den gelben Augen. Sehr exotisch, wie sie fand. Sie mochte Inuyasha, hatte ihn schon vom ersten Augenblick an gemocht. Manchmal war er vielleicht etwas tollpatschig, aber eigentlich ein guter Junge.

Doch heute Nacht sah er furchtbar aus. Seine Augen trüb, seine Schultern schlaff.

„Du siehst müde aus, willst du nicht schlafen? Ich kann dir die Couch zurrecht machen."

Nie hatte sie verstanden, dass Inuyasha zwar einige Tage geblieben war, aber niemals einen Schlafplatz gebraucht hatte. Öfter war sie in der ersten Zeit bei Kagomes Zimmer stehen geblieben, hatte auch einmal hinein geschaut, aber niemals hatte der Junge in ihrem Zimmer geschlafen.

„Ich kann nicht schlafen,"stöhnte Inuyasha und rieb sich mit den Händen übers Gesicht, versuchte seine Ausgebranntheit weg zu reiben.

Feine Sorgenfalten entstanden auf der Stirn der Frau, die ihm gegenüber saß und ihn ansah. Eigentlich hätte Inuyasha jeden, der ihn so ansah, angeschrien, um sich gleich darauf aus dem Staub zu machen, aber das hier schien ihm anders. Irgendwie tat ihm die Gesellschaft von Kagomes Mutter gut. Sie stand auf und ging zum Kühlschrank.

„Ich mache dir jetzt erst einmal warme Milch."

Warme Milch? Wer trank denn so was?

„Nein, danke, nicht nötig,"wehrte Inuyasha ab und schüttelte den Kopf, wobei sich seine silbernen Strähnen neu anordneten.

„Ich mache sie dennoch, du musst sie ja nicht trinken, wenn es dir nicht schmeckt, aber warme Milch wirkt manchmal Wunder."

Keine fünf Minuten später stellte sie ein hohes Glas mit dampfender Milch vor ihn und nickte ihm auffordernd zu.

„Nur zu, aber langsam, sie ist noch heiß."

Inuyasha besah sich das Glas neugierig und nahm es dann hoch, roch daran.

Auch dies war Kagomes Mutter schon oft aufgefallen. Inuyasha testete sein Essen oder seine Getränke oft zunächst mit der Nase, was sie ganz entzückend fand. Ob er wirklich den Geruch so wichtig nahm oder dies nur eine Angewohnheit war?

Inuyasha nahm einen kleinen Schluck und spürte, wie die warme Flüssigkeit seinen Hals hinunter lief, einen hauchdünnen Film auf seiner Zunge hinterließ. Es schmeckte tatsächlich, fand er. Irgendwie süßer.

Schnell nahm er noch einen Schluck und Kagomes Mutter sah mit an, wie er das halbe Glas auf einen Zug leerte und es dann vor sich abstellte.

„Schmeckt gut,"meinte er und ein Lächeln kam über seine Lippen.

Nichts erfreute eine Mutter mehr. Aber irgendwie schien er noch immer niedergeschlagen.

„Ist das öfter so?"

Inuyasha sah verwundert auf und wusste nicht worauf sie anspielte.

„Ich meine, dass du nachts nicht schlafen kannst?"

„Achso! Ja, das ist beinahe jede Nacht so,"antwortete der Halbdämon wahrheitsgetreu.

„Und hast du schon mal versucht, etwas dagegen zu machen?"

„Was? Wie meinen sie das?"Inuyasha überlegte kurz und kam aber zu dem Schluss, dass an diesem Verhalten nichts Ungewöhnliches war.

„Ich meine, hast du schon mal einen Arzt aufgesucht?"

Einen was?

Inuyasha war sich nicht sicher, was er darauf sagen sollte.

„Nein... äh... nein."

„Vielleicht solltest du das aber."

„Ich glaube nicht, dass ich das muss."

Kagomes Mutter seufzte und bedachte ihn mit einem sorgenvollen Blick. Inuyasha sah wirklich sehr mitgenommen und müde aus.

„Warte einen Augenblick."

Mit diesen Worten verließ sie die Küche und überließ Inuyasha einen Moment sich selbst. Dieser hob noch einmal das Glas an den Mund und leerte es nun. Warme Milch schmeckte wirklich nicht schlecht.

Nach wenigen Minuten kam Kagomes Mutter zurück und hielt einen kleinen silbern schimmernden Streifen in der Hand. Inuyasha streckte den Kopf danach und verengte seine Augen, dass er besser sehen konnte.

Die Frau vor ihm drückte auf den Streifen und mit einem „Klick"fiel eine kleine weiße Kugel vor ihm auf den Tisch. Dann holte sie ein neues Glas und füllte es mit Wasser, gab es ihm.

„Normalerweise finde ich ja, dass man Schlaflosigkeit auf den Grund gehen sollte, aber ich schätze eine wird dir nicht schaden. Es ist auch auf Naturbasis."

Inuyasha zog eine Augenbraue hoch und sah Kagomes Mutter verdutzt an. Mit einem imaginären Glas und einer imaginären Kugel machte sie es ihm vor.

„Zuerst Tablette,"sie steckte sich die unsichtbare Kugel in den Mund, „und dann trinken."

Sie nahm ihr „Glas"und trank.

Misstrauisch betrachtete Inuyasha das kleine Ding vor ihm auf dem Tisch. Es sah ungefährlich aus. Er nahm es in die Hand und merkte, dass es hart war, aber wahrscheinlich dennoch zerbröckelt werden konnte. Er roch daran. Dann zuckte er mit den Schultern.

Wie könnte mir so ein kleines Ding schon schaden? Außerdem war die warme Milch ja auch sehr gut, überlegte er und schob sich die Tablette in den Mund.

Schmeckte nach... nichts. Seltsam. Nicht wirklich gut. Also spülte er sie schnell hinunter und schaute dann erwartungsvoll Kagomes Mutter an.

„Es dauert eine kurze Zeit, bis du was merkst,"meinte sie und hielt sich eine Hand vor den Mund, weil sie gähnen musste. „Aber ich bin auch so schon müde und gehe jetzt ins Bett."

Inuyasha nickte und Kagomes Mutter ging zur Tür. Doch dort drehte sie sich noch einmal um.

„Weißt du, was ich Kagome früher vorgesungen habe, als sie nicht schlafen konnte?"

Kagomes Name erregte Inuyashas Aufmerksamkeit.

„Sie haben ihrer Tochter vorgesungen?"

„Aber natürlich,"sie nickte und lächelte sanft, dann begann sie mit zarter melodischer Stimme zu singen: „Funkel, funkel kleiner Stern, ach wie hab ich dich so gern..."

Kagomes Mutter sang ein paar Zeilen und musste dann wieder gähnen.

„Aber das ist lange her,"sagte sie. „Gute Nacht, Inuyasha!"

„Gute... Nacht,"gab der Halbdämon zurück, aber die Frau war schon aus der Küche.

Warum hatte er ein so seltsames Gefühl in sich? Es war nicht schlimm, aber ungewohnt. Irgendwie fühlte er sich wohl und einen Augenblick hatte er sich gewünscht sie wäre nicht gegangen, hätte ihm noch etwas Gesellschaft geleistet. Jetzt war er wieder allein.

Dann seufzte er leise in sich hinein und überlegte, was diese... Tablette wohl bewirken sollte. Gelangweilt griff er nach dem Streifen und ließ ihn in seinen Fingern umherwandern.

Was für eine komische Aufbewahrungsmethode, dachte er, als er die vielen kleinen Hervorhebungen ertastet hatte.

„Was auch immer das Zeug tun soll, es tut es eben nicht!"meinte Inuyasha unzufrieden.

Aber da kam ihm ein anderer Gedanke.

„Hm... wenn ich ein Halbdämon bin, reicht so was Kleines doch gar nicht aus! Kein Wunder, dass da nichts passiert!"

Forschend hantierte er an dem Plastik herum und überlegte, wie er noch so eine kleine Perle heraus bekommen sollte. Wie hatte Kagomes Mutter das noch gleich gemacht? Er drückte auf dem Plastik herum und nach öfterem Knirschen kullerten schließlich gleich zwei dieser Tabletten durcheinander auf dem Tisch.

„Wer sagts denn?!"triumphierte er und steckte sich die Tabletten in den Mund.

Sollte das genügen? Er war ein Halbdämon und viel stärker als die anderen...

Ach was solls!

Noch einmal fummelte er an dem Stück Plastik herum, bis er schließlich an eine dritte Perle kam. Auch die nahm er wie vorgeführt ein und sah auf das Ding, das Kagome „Uhr"nannte und die Zeit angab. Es war schon halb drei. Aber das war weniger Inuyashas Interesse. Dieser große schnellere Zeiger bewegte sich in kleinen Schritten einmal um die ganze Uhr.

Inuyasha ging in sich. Nichts. Einfach nichts. Wieder sah er auf die Uhr und diesmal schien es fast eine Stunde zu dauern, bis der Zeiger einmal seinen Weg gemacht hatte.

Drei, zwei, eins... Und?

Inuyasha seufzte. Noch immer nichts. Was für ein Blödsinn!

Der Halbdämon warf das kleine weiße Päckchen auf den Tisch und stand auf. Er brauchte etwas frische Luft, außerdem war ihm zum Einschlafen langweilig. Im Laufen legte er die Hände hinter den Kopf und stützte damit seinen Nacken und als er hinaus trat, war sein Blick zu allererst auf den schönen klaren Himmel gerichtet, der mit seinen tausenden von Sternen funkelte.

Kagome mochte solche Nächte. Sie war ziemlich romantisch veranlagt. Wieder kamen ihm ihre nussbraunen Augen in den Sinn, die ihn immer so nett ansahen, wenn er sie nicht gerade wieder geärgert hatte.

Warum nur war sie so außer sich? Was hatte er denn nur getan?

Habe ich was Falsches über ihr Aussehen gesagt? Nein. Was über ihre Kochkünste? Nein. Kikyo? Nein.

Inuyasha ging innerlich die möglichen Fehler durch, die er gemacht haben könnte, aber an keinen konnte er sich erinnern.

Der Halbdämon fand sich in der Mitte des Hofes wieder und bemerkte, dass er sich gerade die ganze Zeit um sich selbst gedreht hatte. Mit einem Mal hielt er an, was jedoch zu einem Schwindel führte. Er hielt seinen Kopf fest, aber der Tempelhof drehte sich weiter.

„Ach, verdammt! Ist doch alles egal! Wer weiß, wegen welchem Kinkerlitzchen sich Kagome jetzt wieder aufgeregt hat! Soll sie doch machen, was sie will!"schnaubte er und lief in Richtung Brunnen.

Irgendwie fühlte er sich erleichtert. Ein narkotisierendes Gefühl der Gleichgültigkeit machte sich in ihm breit. Zufrieden seufzte er.

Wenn er erst mal wieder in seiner Zeit war, dann wäre alles viel besser. Plötzlich durchging ihn ein Ruck und Inuyasha verlor die Orientierung. Gerade noch rechtzeitig konnte er sich halten und fand sein Gleichgewicht wieder.

Schnell sah er zurück, aber da war niemand... nur ein kleiner Stein auf dem Boden.

„Blödes Ding!"fluchte der Halbdämon und trat den kleinen Übeltäter weg.

.-.-.-.

Er atmete tief ein, als das mystische blaue Glühen um ihn herum nachließ und er sich zwischen Bäumen wieder fand. Die Luft war klar und kühl, nur ein wenig Nebel hing zwischen den alten Baumstämmen um ihn herum.

Inuyasha zog sich über den Brunnenrand und kam mit den Füßen in der Hocke auf dem Boden auf, fiel ein wenig nach vorn, warum er seine Hand zur Hilfe nehmen musste, damit er nicht das Gleichgewicht verlor. Das Gras, in welches er also fasste, war etwas feucht.

Wie seltsam ihm doch war. Die betäubende Trunkenheit nahm alles hinfort. Schuldgefühle, Gleichgewichtssinn und auch Zurückhaltung.

Ohne zu wissen, warum, musste Inuyasha plötzlich lachen. Zuerst nur leise, nicht mehr als ein Kichern, aber bald schon wuchs die Erheiterung und er lachte, wie ihn sonst noch nie jemand lachen gehört hatte. Inuyasha lief durch den Wald. Nun schien ihm alles irgendwie erheiternd. Diese ganze blöde Situation war doch lächerlich.

Der Halbdämon musste sich den Bauch halten vor Lachen. So unbeschwert hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt... wenn er es recht bedachte: Noch nie hatte er sich so gefühlt. Nichts brauchte ihn zu kümmern, keiner hatte ihm etwas zu sagen!

.-.-.-.

Sango blinzelte den Schlaf hinfort. Gerade hatte sie etwas ganz seltsames geträumt, etwas so absurdes, dass es sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Sie sah sich in Kaedes Hütte um, nahm die um sie schlafenden Personen wahr. Ihr Gefühl sagte ihr, dass da noch jemand nicht schlief.

Sie richtete sich auf und betrachtete Miroku, der auf der anderen Seite der Hütte schlief, auf Sangos Geheiß, wohlgemerkt.

„Kannst du nicht schlafen?"fragte der Mönch mit gesenkter Stimme und stämmte sich auf seinen Armen hoch.

Sango sah zur Türe.

„Ich habe gerade etwas ganz unheimliches Geträumt,"sagte sie ruhig und spürte plötzlich eine Hand an ihrer Brust.

Miroku saß hinter ihr und hatte seine Arme um sie geschlungen.

„Keine Sorge, es war nur ein Traum. In meinen Armen bist du sicher und kannst ruhig schlafen."

Da veränderte sich Sagos Gesichtsausdruck und Miroku wusste schon, was diese Ruhe zu bedeuten hatte.

THUMB!

Der Mönch fiel hintenüber, sich den Kopf haltend.

Au! Das gibt wieder eine Beule!

„Du bist unmöglich,"warf die Dämonenjägerin ihm vor und stand auf und nahm ihren Boomerang.

Sie ging zur Tür, zog die Bastmatte bei Seite und trat hinaus. Die Nacht war klar und Sterne standen am Himmel. Doch sofort hörte sie hinter sich ein Rascheln und das sanfte Klimpern, der Ringe am Stab des Mönches. Es war klar, dass Miroku ihr gefolgt war.

„Sango, was ist denn?"fragte er besorgt und folgte ihrem Blick hinüber zum Wald.

Die Bäume waren Nebelverhangen, auch wenn der Himmel klar war.

Da war es und Mirokus Körper verkrampfte sich unwillkürlich. Seine dunkelblauen Augen waren weit geöffnet vor Schreck und er hielt seinen Stab fester.

Sango war selbst überrascht. Ihr Mund stand weit offen vor Erstaunen und ihre Hände waren zu Fäusten geballt.

„Es war kein Traum? Ich habe nicht geträumt?"zischte sie hinter zusammengebissenen Zähnen.

„Traum?"

„Ich träumte, ich hörte Inuyasha lachen. Ich sah keine Bilder, aber ich hörte ihn. Das war mir so unheimlich, dass ich sofort erwachte. Doch nun weiß ich, es war kein Traum. Das war Wirklichkeit."

„Verdammt," kalter Schweiß trat auf Mirokus Stirn.

Beide, Mönch und Dämonenjägerin, hatten Inuyasha nur bei einer Gelegenheit lachen gehört und das war damals gewesen, als er gegen den Dämon Gatenmare gekämpft hatte, seine menschliche gegen eine dämonische Gestalt getauscht hatte. Wenn dieses Gelächter, das zu ihnen aus dem Wald herüberhallte tatsächlich von Inuyasha kam, dann würde es übel werden.

„Und Kagome ist nicht hier,"flüsterte Sango, doch sogleich kam ihr etwas anderes in den Sinn. „Oh, nein! Was, wenn er sich schon in Kagomes Zeit in einen Dämon verwandelt hat?"

In Mirokus Innerstem bäumte sich ein unerträgliches Gefühl auf.

„Nein, ich glaube das nicht! Das darf nicht geschehen sein!"

Ohne zu warten und völlig aufgelöst rannte der Mönch los, in Richtung Wald.

„Miroku! Warte!"schrie Sango und wollte ihm gerade nach, doch da blieb sie stehen und entschied sich um.

Sie musste Kaede holen. Allein hatten sie keine Chance ohne dass Miroku sein schwarzes Loch benutzen musste.

.-.

Miroku lief so schnell ihn seine Beine trugen. Etwas sagte ihm, dass er sich beeilen musste, doch irgendwie hatte er auch das Gefühl, dass etwas anders war. Im Lauf ging er in sich und überlegte, was diese Ahnung wohl ausmachte. Er fürchtete sich nicht vor Inuyasha, er hatte ja schließlich das Kazaana. Jedoch war es noch anders. Inuyashas Lachen... es war anders. Auch wenn er den Halbdämon nur bei dieser einen Gelegenheit lachen gehört hatte, so verrückt und ohne Verstand, das hier schien gänzlich verschieden.

Sein langes Gewand verfing sich im Lauf in einem Gebüsch und bevor Miroku noch reagieren konnte, lag er schon auf dem Boden lang gestreckt, schmeckte Erde.

Ein stechender Schmerz durchzog plötzlich sein Knie und brannte bis hinunter in seinen linken Fuß. Der Mönch führte seine Hand vorsichtig an sein Bein und sofort zuckte er zusammen, als ein neuerlicher Stich ihn durchzog.

Verdammt! Es ist ziemlich stark geprellt!

Unter Schmerzen und Stöhnen stämmte er sich auf die Hände und versuchte sich aufzurichten. Nun bereute er, dass er nicht auf Sango gewartet hatte, denn mit diesem Bein hatte er viel von seiner Beweglichkeit eingebüßt. Er sah zu seinem Stab, der an seiner Seite lag und golden im Mondschein glänzte.

„Inuyasha," flüsterte er, als er endlich die Schmerzestränen fortgeblinzelt hatte und nun langsam wieder sehen konnte.

„Ja, Miroku?"antwortete eine bekannte, aber erheiterte Stimme und der Mönch drehte sich ruckartig wieder um, sein Puls bis zum Halse schlagend.

Direkt vor ihm, in Augenhöhe, sah er zwei nackte Füße, deren Knöchel in feuerrote Hosenbeine endeten. Der Mönch sah langsam und ungewiss hinauf.

„Inuyasha?"

Der Halbdämon stand vor ihm, seine silbernen Haare wehten im sachten Nachtwind und seine Augen... noch immer die goldenen Augen eines Halbdämons, die Augen seines Freundes. Aber etwas kam ihm ganz und gar seltsam vor.

„Miroku, du wirst immer sonderlicher!"lachte Inuyasha und ging an ihm vorüber. „Nicht nur, dass du andauernd den Frauen nachstellst, sondern nun liegst du auch noch bei Nacht allein im Dunkeln und tust, was weiß ich. Und wenn dich wer anspricht, nach dem du gefragt hast, schaust du ihn an, wie einen Fremden."

Inuyasha wurde von einem Kicheranfall übermannt und er musste sich an einem Baum abstützen, damit er nicht in sich hinein knickte.

„Hihihi, was soll man nur von solch einem Mönch halten?"

Vielleicht hatte der Hundedämon seinen Verstand verloren? Miroku betrachtete Inuyasha mit Staunen. So hatte er ihn noch nie gesehen.

„Hast du etwa getrunken?"brachte der Mönch heraus, was Inuyashas Kichern nur in ein lautes Gelächter verwandelte.

„Ich? Getrunken? Wie lächerlich!"prustete er.

„Aber was ist mit dir, Inuyasha? Merkst du denn nicht, dass du dich total absonderlich verhälst? Ist das ein Zauber? Oder bist du nicht du?"

Inuyasha lief halb, stolperte halb zurück zu Miroku und ließ sich neben ihn fallen, noch immer nicht in der Lage, an sich zu halten.

„Ein Zauber? Weißt du was? Vielleicht hast du Recht! Ich verhalte mich absolut falsch! Aber weißt du was noch? Mir ist das absolut egal! Mir ist alles so egal!"

Inuyasha ließ sich hintenüber fallen und lag nun lachend auf dem Rücken. Miroku schien das gar nicht koscher. Es besorgte ihn viel mehr, Inuyasha so zu sehen.

„Wo ist Kagome?"fragte er in ernstem und bestimmendem Ton.

Der Halbdämon richtete sich auf, stützte sich auf die Ellenbogen und sah ihn plötzlich genauso ernst an. Stille herrschte zwischen ihnen und blaue Augen hielten goldenen stand, forschten in ihnen. Plötzlich, ohne Vorwanrung gab der Halbdämon nach und Miroku konnte sehen, wie die Fassade bröckelte.

Inuyashas Gesichtsausdruck wandelte sich innerhalb von drei Sekunden von völliger Ahnungslosigkeit zur Geistesgegenwärtigkeit und endete schließlich in etwas, das Miroku noch unheimlicher erschien, als ein Lachen.

Tränen sammelten sich in den goldenen Augen und machten sie glasig. Inuyasha senkte das Gesicht und seine Augen verschwanden unter dem üppigen silbernen Haar. Doch das konnte die Tränen nicht verstecken, denn schon rannen sie an seinen Wangen herab und verrieten ihn.

„Um Himmels Willen! Inuyasha!"Miroku war beides, fassungslos und sprachlos.

Er hob seine Hand nur, um in der Bewegung inne zu halten. Nie war er mit so etwas konfrontiert worden. Sicher hatte er schon oft Männer und Frauen weinen gesehen, doch aber nicht Inuyasha. Dass er weinte, löste etwas in Miroku aus. Ein furchtbares Gefühl der Hoffnungslosigkeit und der Verzweiflung. Was konnte den Halbdämon so bewegen, dass er Tränen vergoss? Der Mönch versuchte gegen die innere Leere und die Enge in der Brust anzukämpfen, aber mit jeder Träne, die von Inuyashas Kinn herab auf sein Gewand tropfte und es weinrot färbte, wurde dieses Gefühl stärker und übermannender.

Er zog die Hand zurück und presste sie hart gegen seine Brust. Sein Atem ging schwer und tief. Auch Inuyasha atmete hart, aber versuchte es noch immer unter Kontrolle zu halten, es nicht zu einem Schluchzen kommen zu lassen.

„Wirke ich so beängstigend auf dich, dass du vor mir zurück weichst?"

Miroku erschrak etwas und schaute den Halbdämon vor sich fassungslos an.

„Nein, aber..."

„Du hast Angst, ich könnte unbedacht handeln,"schloss Inuyasha und sprach tatsächlich das aus, was der Mönch gefühlt hatte.

Noch immer versuchte der Halbdämon gleichmäßig zu atmen und sich wieder zu fassen. Jedoch gelang es ihm einfach nicht.

Verdammt! Was ist das? Warum stelle ich mich nur so bloß?

Da fühlte er eine Hand auf seiner Schulter. Er sah auf und blickte in Mirokus sanftes Gesicht, wie er ihn ansah, vertraut und auf eine Weise, wie es nur Kagome einst gewagt hatte... mitleidig.

Sieh mich nicht so an! Inuyashas Innerstes wehrte sich dagegen, so durchdrungen zu werden, als schwach angesehen zu werden.

Doch irgendwie tat es ihm auch unsäglich gut und Mirokus Vertrautheit und Selbstverständnis tröstete ihn.

Miroku sah Inuyasha vor sich sitzen, aufgelöst in ein Meer von Emotionen, die sich alle gleichzeitig seiner bemächtigten. Es kam ihm vor, als spiegelten sich Jahrzehnte aufgestauter Gefühle in seinen Augen wieder. Gefühle, die so lange Zeit unter Inuyashas harter Schale versteckt und nie verarbeitet worden waren. Der Mönch spürte die Aura seines Freundes, plötzlich war sie voller Leid und Schmerz.

„Ich fürchte dich nicht Inuyasha. So vielen anderen habe ich beigestanden in Zeiten der Trauer und des Schmerzes. So oft hast du mir beigestanden, wenn ich in Not war. Nun werde ich nicht aus irgendeiner kindischen Angst davonlaufen und dich dir selbst überlassen."

Da brach der Widerstand völlig zusammen und der Halbdämon warf sich seinem Freund entgegen. Miroku zuckte nicht, zögerte nicht, aber breitete seine Arme sofort aus, um Inuyasha darin aufzunehmen. Sein Bein schmerzte etwas, als Inuyasha in seine Arme sank und ihn ein wenig nieder drückte, doch Miroku verbannte das Stechen aus seinem Bewusstsein und schloss seine Arme auf Inuyashas Rücken. Er fühlte, wie seine Kleidung allmählich durchnässt wurde und die warmen Tränen sich schließlich bis auf seine Schulter durchrangen.

Wieviel Kraft musste das Inuyasha kosten, sich so zu öffnen? Was hatte wohl den Anstoß gegeben? Miroku hoffte nur, dass nichts mit Kagome geschehen war. Aber Inuyasha hätte doch auf sie aufgepasst. Der Mönch senkte seinen Kopf und lehnte ihn sacht an Inuyashas, spürte das kaum merkliche Rucken, welches davon zeugte, dass der Halbdämon tatsächlich richtig weinte. Inuyashas Haar roch wie der Wald, erdig und frisch. Die kühle Morgenluft setzte sich darin nieder und machte es etwas klamm.

Warum weigerte sich Inuyasha nur stets, seine Erfahrungen und Gefühle zu verarbeiten? Eigentlich hätte sich Miroku denken können, dass es irgendwann zu einem Ausbruch kommen würde. Und nun auch noch der Streit mit Kagome. Das war wahrscheinlich zu viel für den Halbdämon gewesen.

Da hörte er etwas aus der Richtung, aus der auch er gekommen war. Nicht mehr als ein kleines Rascheln, das auch vom Wind hätte sein können. Wieder spähte der Mönch zu seinem Stab. Er war in Reichweite.

Miroku atmete langsamer. Er erfasste, was sich dort verbarg und bemerkte etwas Vertrautes. Nach wenigen Minuten löste sich ein Schatten von den dunkeln Bäumen, dann noch einer und dann noch zwei weitere.

Sango kam als erste näher und trat in das Mondlicht. Sofort erkannte Miroku die Besorgnis auf ihrem Gesicht. Eine Hand ruhte über ihrem Kopf am Boomerang, doch nun kam sie herab und streckte sich ihm entgegen. Aber Miroku hob seinerseits eine Hand von Inuyashas Rücken und bedeutete der Dämonenjägerin, stehen zu bleiben. Er wollte den Halbdämon nun nicht stören. Durch diesen Gefühlsausbruch würde er seine Gefühle nicht verarbeiten können, aber zumindest konnte er seine Last einen Augenblick lang mit jemandem teilen.

Sango blieb stehen. Nicht nur Mirokus Geste brachte sie dazu, sondern auch seine Augen, die eine stumme Bitte ausstrahlten. Was war denn hier nur vorgefallen? Es schien fast, als würde...

„Sango," Shippo zog an ihrem Hosenbein und schaute fragend zu ihr hinauf. „Was ist denn mit Inuyasha? Weint er etwa?"

Genauso kam es ihr auch vor. Sie legte sich einen Finger auf die Lippen, als Zeichen für den kleinen Fuchs, sich ruhig zu verhalten. Seltsamerweise willigte dieser sofort, ohne Widerwort ein und setzte sich auf den Boden, wartete.

Hatten Inuyasha und Kagome sich so heftig gestritten? Wie hatte Kagome es nur hinbekommen, den Halbdämon in solch eine Verfassung zu versetzen? Sie seufzte und sah zur Seite. Kiara sprang ihr in die Arme und Sango fing sie sanft auf.

„Das ist ja wirklich ein furchtbarer Anblick,"flüsterte Kaede und Shippo und Sango sahen sie an.

Die Dämonenjägerin nickte sachte und richtete dann den Blick wieder auf den Halbdämon.

„Seine Aura ist durchzogen von etlichen roten und schwarzen Streifen. Es ist furchtbar."

Sango konnte nichts mit Kaedes Worten anfangen, aber der Ausdruck auf ihrem Gesicht reichte aus, um nicht weiter nachfragen zu müssen. Auch Shippo schaute nur schweigend auf die beiden Männer, welche dort kaum zehn Meter vor ihnen an einen Baum gelehnt saßen. Miroku sah sie nicht mehr an und hatte sein Gesicht in Inuyashas Schulter vergraben, dieser wandte ihnen den Rücken zu und schien ganz ruhig an Mirokus Brust zu liegen. Der Mönch hatte seine Arme schützend um ihn gelegt und wartete geduldig.

Geduld, die Shippo aufzubringen sehr schwer erschien. Aber schließlich sah Miroku doch auf. Nur Shippo war noch wach. Kaede und Sango waren eingeschlafen, während sie darauf gewartet hatten, dass der Mönch ihnen endlich ein Zeichen gab dass alles in Ordnung war. Nur er kleine Fuchsdämon hatte nicht schlafen können, vor Aufregung und Sorge. Zwar machte Inuyasha ihm das Leben oft genug zur Hölle, aber wenn es hart auf hart kam, war er immer da gewesen, um ihn zu beschützen.

Jetzt sah Miroku auf und seine dunkelblauen Augen schienen müde und ausgelaugt. Er sah Shippo an und nickte kurz. Der kleine Fuchs rannte zu Sango und Kaede und zupfte sacht an ihrer Kleidung.

„Kaede! Sango! Wacht auf!"

Es dauerte keine Minute, dass die beiden Frauen wieder hellwach waren und die Verwirrung des Schlafes abgeschüttelt hatten. Sango blinzelte etwas angesichts der schwachen Dämmerung, die das baldige Nahen des Morgens verhieß. Dann gingen sie langsam und leise hinüber zu Miroku.

„Alles in Ordnung bei dir?"fragte Kaede den Mönch und kniete neben ihm.

Miroku nickte sanft, aber schwach.

„Ja, ich denke schon. Er ist wahrscheinlich schlechter dran,"Miroku betrachtete sich Inuyasha, der ruhig und fest zu schlafen schien, noch immer in seinen Armen.

„Seltsam. Er schläft ja wirklich tief,"meinte Shippo. „Normalerweise wacht er doch bei jedem kleinen Geräusch auf."

„Du hast Recht, aber ich schätze, es hat ihn ziemlich viel Kraft gekostet, sich zu öffnen. Kein Wunder also,"meinte Miroku und spürte, wie steif sein Körper war.

Vor allem sein Rücken schmerzte entsetzlich. Aber auch sein Geist schien schwach und erschöpft. Irgendwie hatte das alles ihm ziemlich zu schaffen gemacht.

„Denkst du, ich kann ihn von dir wegnehmen?"fragte Sango und kniete ebenfalls neben dem Mönch.

„Ich weiß nicht genau. Naja, er scheint ziemlich tief zu schlafen. Versuchen wir es, mein Rücken bringt mich sonst noch um."

Sango ergriff vorsichtig Inuyashas Schultern und zog ihn nach hinten. Sein Körper war schlaff und kraftlos. Ohne weitere löste er sich von Miroku, wachte allerdings nicht auf.

Miroku fühlte, wie Inuyashas Hände von seinem Rücken abließen. Jedoch schmerzte nicht sein Rücken, wie er angenommen hatte, sondern sein beinahe schon vergessenes Bein.

„Ah!" presste er hervor und legte die Hände auf sein Knie.

Blutete er etwa? Es roch ganz seltsam hier. Kaede kam näher und hob Mirokus Tunika an, knapp übers Knie. Es war geschwollen und rot, die Priesterin legte ihre kühlen Hände darauf.

Sofort stellte sich Linderung bei dem Mönch ein und er atmete erleichtert auf.

„Danke Kaede. Ich bin hingefallen, als ich Inuyasha gesucht habe. Sehr unglücklich."

„Ja, so sieht es aus. Du musst direkt drauf gefallen sein. So kannst du nicht ins Dorf laufen. Und Sango, Shippo und ich können euch nicht beide tragen. Sango, geh ins Dorf und hole ein paar Männer, die uns helfen."

Die Dämonenjägerin nickte und legte den Halbdämon sanft nieder auf den Boden, bettete seinen Kopf auf dem weichen Laub und sah sich Inuyasha einen Moment lange an.

Er sieht blass aus, überlegte sie und seufzte.

Kagome hatte sicher einiges zu erzählen, wenn sie wieder kam, was hoffentlich nicht allzu lange dauerte.

Dann machte sie sich auf Kiara davon.