Der Schutt der Vergangenheit sind deine Karten
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Prolog: 1945-Wien- 1010, Morzinplatz
Roderich trat zu den Trümmern des Hauses. Er fröstelte leicht und zog sich den Schall enger. Obwohl es Mai war, zog ein kühler Wind durch die zerstörten Straßen von Wien. Doch es waren nicht die, für den Wonnemonat zu tiefen, Temperaturen welche ihn eine Gänsehaut über den Rücken jagten. Es lag an den noch frischen Wunden der Vergangenheit, welche auf diesen Ort schwer lasteten und ihm, besonders als Personifikation Österreichs, Unbehagen bereitete. Österreich, stumm formten seine Lippen das Wort. Er hatte diese Bezeichnung nun beinahe 1000 Jahre. Als Kind war er noch in der Volkssprache Ostarichi genannt worden. Doch heute hatten die meisten seiner Kinder diesen Namen aus ihren Geschichtskenntnissen gestrichen. Er seufzte und schritt die Schuttstelle entlang. Beinahe acht Jahre lang war sein Name verboten worden. Selbst Ungarn hatte ihn in der Zeit ihres verhängnisvollen Bündnisses mit Ludwig Ostmark genannt. Er gab verdrossen einem kleinen Brocken Schutt einen Tritt und blieb erneut stehen. Das faustgroße Stück eines ehemaligen Ziegels kullerte kurz über die Straße und erfüllte die Morgenluft mit seinem leisen Gepolter. Er schloss kurz die Augen. Innerhalb kürzester Zeit drangen mehrere visuelle wie auch auditive Reize auf ihn ein, welche streng genommen nach der Wissenschaft nicht existieren sollten. Es waren Echos aus der Vergangenheit. Er konnte die Verzweiflung der Menschen innerlich spüren, die in diesem ehemaligen Höllenloch vor ihm Tage und Nächte verbracht haben. Die Schreie während den Befragungen klangen ihm in den Ohren. Die Härte der Schläge schmerzte auf seiner Haut.
„Wo bin ich bitte gewesen, als diese Gräueltaten stattfanden?", fragte sich die Personifikation Österreichs schmerzhaft.
Warum war er stumm geblieben, warum hatte er sich 1938 nicht gewehrt?
Warum hörte er erst jetzt die Stimme derer, welche für den Wunsch nach einen unabhängigen Österreich sterben mussten.
Sie waren seit 1938 da gewesen, hatten nach ihm gerufen, waren wegen ihm verfolgt und verschleppt worden.
Warum hatte er sich für sie nicht aufgerafft, gekämpft und sich gewehrt?
Nun, als ihre Lebenslichter erloschen waren, konnte er sie erstmals wahrnehmen.
Warum erst jetzt?
Sie hatten an ihn geglaubt, doch er war in Apathie versunken und hatte sich schon längst aufgegeben.
Langsam machte er die Augen wieder auf und verbannte jede Bindung zu diesem Ort aus seinem Geist. Er selbst hatte sich mehr als einmal in diesem Haus einfinden müssen. Mehrmals hatten diese Männer ihn aus seiner Wohnung hier am Rande des ersten Bezirkes eskortiert. Doch an diese Begebenheiten wollte er sich nicht jetzt erinnern. Vielleicht in näherer Zukunft, wenn die Zeit reif wurde sich mit den Fehlern der Vergangenheit zu befassen. Doch im Moment schmerzten die Wunden, welche der Krieg in ihm gerissen hatte, zu sehr. Mit einem letzten Blick auf den Schutthaufen, welcher noch vor einiger Zeit die Zentrale der Gestapo in Wien gewesen war, wandte er sich um und wollte wieder in das Innere des ersten Bezirkes verschwinden, da hörte er wie sich ein Auto hinter ihm näherte. Erstaunt drehte er sich um. Seit Beendigung des Krieges und schon davor waren Fahrzeuge auf Wiens Straßen rar geworden. Ohne nachzudenken trat er dem Automobil aus dem Weg und wurde zunehmend nervöser als dieses sein Tempo drosselte, um dann neben ihm zum Stehen zu kommen. Das Autofenster auf der Höhe der Rücksitze wurde herunter gekurbelt. Roderich wich leicht zurück als er das runde Gesicht Russlands erkannte.
"Ivan...", murmelte er verunsichert, als dieser ihn mit seinem typischen Kinderlächeln ansah. Im Gegensatz zu manchen anderen Länderpersonifikationen fürchtete er sich nicht vor dem Aschblonden, doch noch weniger vertraute er ihm. Sie waren oft in der Geschichte Verbündete gewesen, doch ihr persönliches Verhältnis zueinander war immer distanziert gewesen.
"Endlich haben wir dich gefunden, Roderich, steig doch bitte ein."
Russland hatte die Tür geöffnet und rückte auf die andere Seite, um dem Braunhaarigen Platz zu machen. Selbst wenn Ivan keinen drohenden Unterton in seiner Bitte angeschlagen hätte, so wusste Roderich dass es sich um keine höfliche Einladung handelte, sondern um einen Befehl. Sich seinen Schicksal ergebend setzte er sich hinter den Fahrer, welcher durch ein eingezogenes Fenster von ihnen getrennt war. Das Auto setzte sich wieder in Bewegung Richtung Innere Stadt. Die ersten Minuten der Fahrt verliefen schweigend, bis Ivan sich mit seiner kindlichen Naivität zu seinen Sitznachbarn drehte.
"Willst du denn nicht wissen wohin wir fahren?"
„Ich schätze mal, es geht um meine Zukunft.", meinte Roderich gleichmütig.
„Da!" Ivan drehte sich wieder nach vorne. „Wir haben beschlossen, dass wir dich für die nächsten Jahre aufteilen."
Die Körperhaltung von Roderich versteifte sich. Ihm waren schon Gerüchte über die Aufteilung Deutschlands zu Ohren gekommen, doch dass er das gleiche Schicksal erfahren würde, hätte er nicht gedacht.
„Drück dich klarer aus, Ivan.", knurrte er. Ivans unschuldiges Lächeln strapazierte zusätzlich seine Nerven.
„Es ist ganz einfach. Arthurs Leute bleiben in Styria, warte mal, bei euch nennt man sie Steiermark, oder? Ach ja und in Kärnten."
Roderich nickte, Katharina und Hedwig also unter englischer Besatzung. Über diese Kombination machte er sich keine Sorgen. Beide waren im Umgang mit anderen Nationen nicht die kompliziertesten.
„Wer von euch wird bei Salvatria, Agnes und Adelheid bleiben?", fragte Roderich mit trockenem Mund.
„Mhmm, Alfred hat sich breit erklärt seine Leute in Salzburg und in einem Teil Oberösterreichs zu stationieren. Francis übernimmt Tirol und Vorarlberg."
Beim letzten Satz knirschte Roderich mit den Zähnen. Adelheid war ein unkompliziertes Mädchen, doch Agnes hatte Francis die Besatzungszeit unter Napoleon persönlich nie verziehen. Sie hegte noch immer wegen der Hinrichtung ihres geliebten Andreas Hofer und anderer Geschehnisse, welche in dieser Zeit passiert waren, einen tiefen Groll gegen den Franzosen.
„Du wirst bleich, mein Freund. Ist was?" Roderich versuchte ein Lächeln auf seine Lippen zu zaubern, was ihm aber misslang.
„Nein… geht schon. Aber wenn Francis und Alfred im Westen bleiben und Arthur im Süden, dann bist … du es, welcher bei mir und Franziska bleibt."
Diese Erkenntnis zog ihm den Magen zusammen. Er und Burgenland sollten ab nun unter sowjetischer Gnade leben. Diese Aussicht gefiel ihm ganz und gar nicht.
„Da. Ich hoffe, wir werden uns gut verstehen."
Ivan lächelte breit. Roderich mochte dieses Lächeln nicht. Es steckte so viel mehr dahinter, als man auf den ersten Blick sah und das bereitete ihm nur Magenverstimmungen.
„Ach übrigens, ihr müsst mir unbedingt die kleine Franziska vorstellen. Ich habe gehört sie hat ungarisches Blut in sich."
Roderich nickte mechanisch. Sein Hirn begann die eben bekommenen Informationen zu verarbeiten.
„Wo ist denn der kleine Spatz?"
Es verstrichen einige Augenblicke, bevor der Braunhaarige sich der Frage bewusst wurde. Ihn beschäftigte eine andere Sache.
„Sie müsste bei Hedwig sein, aber Ivan, wann werdet ihr wieder abziehen? Und da meine ich euch vier!"
Angespannt wartete er auf eine Antwort. Doch der Russe sah ihn an als würde er mit einem Mann im Delirium reden und ihm gerade erklären, dass Eins plus Eins nicht Fünf ergeben kann. Mit dem gleichen falschen Lächeln blickte er seinen Sitznachbarn an.
„Gehen, Roderich? Wir sind doch gerade erst angekommen."
Eine leichte Drohung war aus der Stimmlage auszumachen. Wie ein Donnergrollen in der Ferne, welches ein nahendes Gewitter ankündigte. „Gut, ihr helft mir wieder auf die Beine, setzt wieder eine ordentliche Regierung ein, jagt die alten Kriegsverbrecher, …"
„Mein lieber Roderich, ich glaube du hast mich nicht ganz verstanden.", unterbrach ihn Ivan bestimmt, und auch wenn er nicht forsch geworden war, so hielt Roderich dennoch erschrocken inne. „Wir werden auf unbestimmte Zeit bleiben, bis wir entschieden haben, wie es mit deinem Land weitergeht. Also wirst du schön brav das tun was wir von dir verlangen. Hast du verstanden, da?"
Die gespielte Freundlichkeit war aus dem Gesicht und der Stimme der Sowjetunion verschwunden. Roderich versank noch tiefer in die Autopolsterung.
Ja, er hatte verstanden.
Für eine Weile herrschte ein drückendes Schweigen, welches meisterhaft von Ivan ignoriert wurde, da dieser wieder vergnügt aus dem Fenster schaute. Doch Roderich hatte die Finger ineinander verkeilt und dachte stumm über seine Lage nach. Gut, er war in den Händen der Alliierten und deren Launen ausgesetzt. Sie waren zwar als Befreier gekommen, doch der Österreicher wusste wie zerbrechlich die Kameradschaft unter den einzelnen Nationen war. Francis musste sich jetzt mit seiner eigene Regierung und deren Verantwortung für die letzten Jahre auseinander setzen. Wegen Arthur zerbrach er sich erst gar nicht den Kopf, der war nur ein weiterer variabler Faktor in seiner politischen Rechnung.
Doch die abkühlende Beziehung zwischen Alfred und Ivan machte ihm Sorgen. Noch lag nichts in der Luft, aber Roderich hatte schon zu lange im Spiel der Mächtigen mitgespielt, um die sanften Andeutungen zu übersehen. Noch waren beide zu sehr in ihrem Rausch über das Ende des Krieges gefangen, um sich damit zu befassen, doch die Zeit würde kommen, und die Auszeit würde wohl schneller vorbei sein, als es ihm lieb war. Der Österreicher seufzte leise. Ab nun musste er seine Karten so zu Recht legen, dass er die Gefahr minimierte, zwischen zwei anwachsenden Mächten als Faustpfand hin und her geschubst zu werden. Das Auto hielt unsanft vor dem Quartier der alliierten Mächte.
„Wir sind da."
Mit seinem typischen Kinderlächeln stieg Ivan aus. Roderich drückte den Hebel herunter und öffnete die Tür. Als er ausgestiegen war, richtete er sich sein altmodisches Halstuch, strich seinen blau-violetten Mantel glatt und folgte den Russen in das Gebäude.
Er fühlte wie in ihm ein altbekanntes Lebensgefühl erwachte.
Nach acht Jahren „Wachschlaf" war er auf dem politischen Parkett zurück. Vielleicht hielt er nicht das beste Blatt in der Hand, aber es war ein (Neu-) Anfang und er war ein alter Spieler.
Es war eine Herausforderung, aber seine Stärke lag nun mal in der Fähigkeit aus den Trümmern und dem Schutt seiner Fehler und Niederlagen seine Zukunft zu errichten. Er war wieder zurück und Österreich begann wieder zu existieren…
Anmerkungen: Morzinplatz: am Platz vor der Rupertskirche (älteste Kirche Wiens, erster Bezirk) stand früher das Hotel, wo die Wiener Gestapozentrale einst eingerichtet war. Heute steht dort das Denkmal für deren Opfer mit folgender Inschrift: Niemals vergessen Hier stand das Haus der Gestapo Es war für die Bekenner Österreichs die Hölle Es war für viele von ihnen der Vorhof des Todes Es ist in Trümmer gesunken wie das Tausendjährige Reich Österreich aber ist wiederauferstanden und mit ihm unsere Toten die unsterblichen Opfer
Der Name Österreich, und alles was mit ihm in Verbindung stand, sollte im Sinne der Nazis für immer verschwinden. Der Traum nach einem freien Österreich brachte viele in ein KZ oder aufs Schafott, wenn sie sich erwischen ließen. O5 war eine der bekanntesten Widerstandsgruppen für ein freies Österreich.
Besatzung: Österreich wurde unter den Alliierten, wie es Ivan beschrieben hat, aufgeteilt. Wobei Wien extra noch einmal in einzelne Sektionen, wie Berlin, eingeteilt wurde. Diese Aufteilung des Landes und der Hauptstad blieb bis 1955 (Staatsvertrag) bestehen.
Gut das war's fürs erste, habe wie es ausschaut für die Sommerferien ein volles Programm (weiterschreiben und übersetzen)^^ Über Kommis freue ich mich immer und bis der tage. lg, Sternenschwester
