Etwas zu verlieren, was man nie richtig besessen hat, hat eine bittere Süße. Man könnte es fast eine Schwere nennen, die einem den Atem nimmt, wenn man zu lange darüber nachdenkt.
So zumindest fühlte ich mich, als mir der Mensch genommen wurde, von dem ich erst viel viel später begreifen sollte, wie wichtig er mir war.
XXX
„Mr Malfoy?"
Sie traute sich kaum, ihn richtig anzusehen und war unnatürlich blass vor Aufregung. Er seufzte leise und drehte sich in seinem Schreibtischstuhl um, die Papiere, die er gerade durchgesehen hatte, zur Seite legend.
„In ganzer Pracht. Und mit wem habe ich die Ehre?"
Sie leckte sich unruhig über die Lippen und fragte sich leicht konfus, wie dieser Mann genauso alt sein sollte wie ihre Eltern. Er wirkte kaum älter als 25, und auf eine seltsame Art anziehend auf sie, über die sie lieber nicht nachdenken wollte.
„Lilly…. Lilly Potter, Sir."
Seine sturmgrauen Augen verengten sich unmerklich, und der bisher relativ gelöste Ausdruck auf seinem Gesicht machte einer gesunden Abneigung Platz.
„Harry Potters Tochter", stellte er ruhig fest, „Harry Potter und Ginevra Weasley."
„Ja", erwiderte sie in Ermangelung einer besseren Antwort, „aber meine Mutter ist tot, Sir."
„Ich weiß", sagte er knapp und senkte kurz den Blick, ein merkwürdiger Ausdruck von makaberem Humor über seine jugendlichen Züge huschend, „mein Beileid."
Sie schluckte und holte tief Luft. „Ich… ich wollte Sie um einen Gefallen bitten", begann sie dann zögerlich, woraufhin er spöttisch eine Augenbraue lupfte und sie fast hören konnte, wie er innerlich den Gedanken formte, dass Malfoys keine Gefallen taten. „Es… es geht um Voldemort."
Nun hob sich auch seine andere Augenbraue, und der Ausdruck seiner Augen veränderte sich abermals. Sein Körper spannte sich – vermutlich unbewusst – etwas an, und er schien plötzlich wachsamer zu sein.
„Es ist ein Projekt für die Schule", redete sie hastig weiter und wischte sich ihre inzwischen schweissnassen Hände unauffällig an der Innenseite ihres Umhangs ab, „ich wollte die Geschichte nochmal aufrollen… Aus der Sicht eines Todessers. Es ist freiwillig. Ich… Ich interessiere mich für … für Geschichte", schloss sie dann lahm, und das Grau seiner Augen, das sich kurz bei dem Wort „Todesser" zu verdunkeln schien, begann nun leicht zu funkeln.
„Und Sie sind sicher, dass Sie nicht mit Granger verwandt sind?" fragte er amüsiert und lehnte sich zurück, woraufhin sie nervös und überrascht auflachte. Man hatte sie vor Draco Malfoy gewarnt, hatte von seinem unberechenbaren Temperament, seiner Kälte und seiner Arroganz gesprochen, aber niemand hatte anscheinend etwas von diesem unerwarteten Sinn für Humor gewusst. Nahm man den Kommentars ihres Vaters außen vor, der über das Ganze nur trocken zu Tante Hermine gesagt hatte, dass sie „keine Ahnung hatte, worauf sie sich da einlässt. Draco ist einzigartig." Was auch immer das bedeuten mochte.
„Meine Haarfarbe spricht doch eigentlich für sich, oder?" fragte sie lächelnd zurück, eine Haarsträhne hoch haltend, und so schnell wie es gekommen war, so schnell verschwand das Funkeln auch wieder aus seinen Augen.
„Allerdings", antwortete er, seine Tonlage plötzlich kühl, und ihre Nervosität kehrte exponentiell verstärkt zurück, „dieses Rot ist wirklich… auffällig." Seine Lippen kräuselten sich leicht, und sie kam sich auf schwer zu beschreibende Weise beleidigt vor. Sie schluckte erneut.
„Und?" fragte sie dann, durch seine Art allmählich immer gereizter werdend und auch etwas ungeduldig, da sie die unerträgliche Spannung in diesem dunklen Büro kaum länger aushalten konnte, „darf ich?"
„Was?" fragte er zurück und beugte sich in seinem Stuhl vor, woraufhin sie sich zwingen musste, nicht zurückzuweichen.
„Sie zu dem Thema interviewen?"
Seine Augen weiteten sich, ehe er laut auflachte. „Mich? Als Parade-Todesser?" Er warf den Kopf in den Nacken und lachte weiter in sich hinein, eine kleine Narbe an seinem Hals offenbarend, die sie unglaublich gerne berührt hätte. Wieder hatte er sich verwandelt, war von dieser dunklen Präsenz erneut zu diesem erotischen jungen Mann geworden, und wie schon zu Beginn dieses seltsamen Gesprächs musste sie sich daran erinnern, dass dieser Mann ihr Vater sein könnte.
„Ich wüsste nicht, was dagegen spricht", antwortete sie leicht pikiert und extra um Förmlichkeit bemüht, damit er ihr ihr durcheinandergewirbeltes Gemüt nicht anmerkte, „schließlich waren Sie doch ein Todesser, oder nicht?"
Sein Lachen verstummte, aber ungleich zum vorherigen Mal blieb ein kleines Lächeln auf seinen Zügen zurück, das fast noch anziehender wirkte als sein befreites Lachen zuvor. „Ja, da haben Sie wohl Recht", sagte er dann schließlich und räusperte sich. „Wieso ich?" fragte er dann nach einer kurzen Pause, und sie zuckte bloß mit den Schultern.
„Mein Vater hat Sie empfohlen."
Er blinzelte, regte sich sonst jedoch nicht. Sie biss sich auf die Unterlippe und wartete ab, innerlich vor Spannung fast platzend, äußerlich jedoch weiter um Geduld bemüht. „Scorpius!" rief er dann auf einmal, und sie zuckte erschrocken zusammen, einen Moment lang nicht wissend, ob er damit sie angesprochen hatte oder nach jemandem rief. Wobei ihr „Scorpius" nicht unbedingt wie ein sonderlich normaler Name schien.
„Wa…", setzte sie daher verwirrt an, als hinter ihr die Tür aufflog und ein junger, blonder Mann hereinstürmte, der Draco bis aufs Haar ähnelte. Nur der Kleidungsstil – schwere Lederboots, eine verwaschene, an strategischen Stellen aufgerissene Jeans und ein dunkles T-Shirt im Gegensatz zu dem reinweißen Hemd und der schwarzen Stoffhose des Älteren – und die Frisur – das Silberblond des Sohnes stand verwuschelt vom Kopf ab, während Draco sorgfältig frisiert war – ließen darauf schließen, dass sie Vater und Sohn und nicht etwa Brüder waren. „Was' los, Dad?" fragte der Jüngere dann und schnitt ihren Gedankengang damit effektiv ab, während er ihr einen leicht schrägen Blick zuwarf.
„Das ist Lilly Potter", stellte Draco kühl vor, und Scorpius seufzte kurz.
„Ich weiß. Sie ist die kleine Schwester von Al. Du erinnerst dich, wer Al ist? Mein…"
„Jaja", winkte sein Vater entnervt ab, und Lilly warf irritierte Blicke hin und her. Dieser Scorpius kannte also ihren Bruder?
„Führ sie bitte hinaus", sagte er dann, und Lillys Kinnlade fiel schockiert herunter. Mehr nicht? Deswegen war sie den ganzen Weg nach Malfoy Manor gekommen, hatte sich durch diesen Dschungel von Zaubern geschlagen, bis sie schließlich an das Tor klopfen konnte um dann Ewigkeiten mit Hauselfen zu diskutieren, bis sie schließlich diesen wirklich seltsamen Mann traf, der ihr Gefühlsleben völlig auf den Kopf stellte und dann mir nichts, dir nichts wieder aus ihrer Welt verschwinden wollte?
„Nein!" sagte sie empört, und Draco sah sie kurz auf so tadelnde Weise an, dass sie äußerst unangenehm daran erinnert wurde, dass er tatsächlich schon deutlich älter war als sie und nicht etwa eine nette Barbekanntschaft war.
„Wir sehen uns nächsten Montag, Miss Potter. Punkt 9 Uhr 30. Sollten Sie auch nur eine Minute zu spät kommen, dürfen Sie für Ihr Projekt meinen Vater bemühen." Damit stand er auf und hielt ihr kurz die Hand hin, woraufhin ihr siedend heiß einfiel, dass sie zu Beginn des Gespräches auf diese simple Höflichkeit verzichtet hatte. Sie ergriff seine Rechte, stellte mit einem leisen Schauern fest, wie gut sich seine Haut anfühlte, und ließ dann hastig los.
Scorpius seufzte erneut, packte sie dann an der Schulter und steuerte sie zur Tür.
„Ich hoffe, du weißt, was du dir da vorgenommen hast?" fragte er dann, während sie noch immer wie in Trance auf ihre Hand gestarrt hatte, die so eben die Draco Malfoys berührt hatte.
„Hmm?" machte sie konfus, und er warf ihr einen mitleidigen Blick zu.
„Mein Vater ist… Nun, sagen wir so: Er ist ein Slytherin."
Sie runzelte die Stirn und sah ihn von der Seite an, zum ersten Mal die Unterschiede und nicht nur die Ähnlichkeiten zu seinem Vater registrierend – den etwas weicheren Schwung seines Mundes, die ausgeprägtere Muskulatur, den mehr ins Blau hineinspielende Grauton seiner Augen…
„Du doch sicherlich auch, oder nicht?"
Er lächelte und erinnerte sie so unbewusst wieder stärker an Draco. „Klar. Ich bin ein Malfoy, das ist Tradition." Sein Gesicht wurde ernster und er fuhr sich kurz durch sein ohnehin unordentliches Haar. „Das Symboltier der Slytherins ist die Schlange, richtig? Und es gibt verschiedene Arten. Sagen wir es so – ich bin eine Viper. Gefährlich, aber nicht tödlich. Mein Vater aber ist eine Mischung aus Kobra und Python. Egal, was du tust – du kannst nicht entkommen." Er grinste schief. „Es sei denn, du sprichst Parsel."
Er öffnete die Tür und deutete auf den Vorgarten, während er aus der Hintertasche seiner Jeans seinen Zauberstab zu Tage förderte und diesen kurz in einer komplizierten Bewegung durch die Luft schwang. „Du kannst dich nun rein- und rausapparieren", erklärte er dann.
Sie nickte dankbar und trat heraus, drehte sich dann jedoch kurz entschlossen noch einmal um, bevor er die Tür hinter ihr schließen konnte.
„Weißt du, ich spreche Parsel", sagte sie dann mit einem kleinen, siegessicheren Lächeln, „alle Kinder meines Vaters tun das."
Er blinzelte verblüfft, und sie apparierte sich nach Hause.
