Kirk saß in seinem Sessel auf der Brücke und kaute gedankenverloren an einem Riegel Astronautennahrung. Diese Art von klassischem Raumfahrer-Fastfood war ein Kompromiss zwischen seinem engen Dienstplan und Bones' nervtötenden Drohungen, ihn mit Nährstoff-Hypos zu traktieren, wenn er nicht endlich wieder regelmäßig in die Messe ging und etwas zu sich nahm. Doch abgesehen von dem Zeitverlust, der damit verbunden gewesen wäre - was zum Teufel sollte er dort? Er hatte keine Lust auf die teils neugierigen, teils mitleidigen Blicke der anderen Besatzungsmitglieder, vor denen ihn auch die Anwesenheit von Bones oder Scotty an seinem Tisch nicht bewahren konnte. Es würde für jeden offensichtlich sein, dass sich etwas geändert hatte. Dass Spock nicht mehr neben ihm saß, in seiner unnachahmlichen Mischung aus steifer Selbstbeherrschung und Gelassenheit. Dass der Vulkanier ihm aus dem Weg ging, seinen Blick und seine Berührungen mied, die er vorher so exklusiv zugelassen hatte.

Gut, ihre Trennung war nun einige Monate her und höchstwahrscheinlich würde ihn kein Mensch mehr mitleidig anschauen. Höchstens überrascht, da er solange die Messe gemieden hatte und plötzlich wieder dort auftauchte. Doch wenn er das allein tat, was er und Spock stets gemeinsam getan hatten...wenn er ohne seinen geliebten Vulkanier an 'ihrem' Tisch gesessen hätte, gegessen, sich unterhalten, vielleicht sogar gelacht hätte... wäre das ein Eingeständnis gewesen, dass es endgültig zwischen ihnen vorbei war, dass "das Leben weiterging". Aber verdammt nochmal, so ein Leben wollte er nicht. Er würde sich nicht damit abfinden, niemals.

Plötzlich wütend warf er den Rest des Riegels in den Desintegrator. Seine blauen Augen fixierten den rotglühenden Planeten auf dem Hauptschirm, in dessen Orbit sie sich befanden. Irgendwo dort unten war Spock. Wie er ihn hasste. Wie er ihn liebte. Wie konnte dieser Mann ihm das antun? Er war sich Spocks so sicher gewesen... zu sicher. Die Trennung kam für ihn aus heiterem Himmel und eine Erklärung gab es nicht. Das war das schlimmste daran. Spock beantwortete keine seiner Fragen, er war eine Wand aus Stein, an der seine Argumente, seine Wut, ja selbst seine Tränen abzuprallen schienen, ohne auch nur einen hauchdünnen Riss zu hinterlassen. Nie zuvor hatte sich Kirk so hilflos und verlassen gefühlt, selbst als Kind nicht.

Dass es nur noch wenige Tage bis Heiligabend waren, machte die Sache nicht besser. Ganz und gar nicht. Seine Einsamkeit, die er sonst im Alltag meistens verdrängen konnte, nahm in dieser Zeit immer größere Ausmaße an. Erinnerungen an die letzten Jahre quälten ihn. Jahre, in denen er Weihnachten teilweise zu Hause in Iowa oder irgendwo auf einer Mission verbracht hatte - aber immer zusammen mit seinem Geliebten. Es hatte ihn anfangs überrascht, wie Spock die weihnachtlichen Rituale genossen und zelebriert hatte, obwohl sie doch in keinem Zusammenhang zu der Kultur und Religion seines zerstörten Heimatplaneten standen. Aber er war eben nicht nur Vulkanier, sondern zur Hälfte auch Mensch. Ein Mensch, der seine geliebte Mutter verloren hatte und die Erinnerung an sie bewusst in irdischen Traditionen bewahrte. Kirk konnte nicht verhindern, dass ihm bei dem Gedanken warm ums Herz wurde und seine Wut abflaute. Trotz allem gönnte er es Spock, dass zumindest er dieses Weihnachten in seiner Heimat verbringen konnte.

In seiner neuen Heimat. Erneut glitt Kirks Blick über Vulkan II, als würde er unter der feuerroten Atmosphäre, auf den gewaltigen Kontinentalplatten ernsthaft nach dem einen Ort suchen, wo sich Spock gerade aufhielt. Ja, trotz allem war es gut, hier zu sein. Nicht nur für den einen, sondern für alle Vulkanier. Die Enterprise hatte dringend benötigte Hilfsgüter hierher transportiert. Als Flaggschiff der Sternenflotte wurde sie zwar normalerweise nicht als Frachter eingesetzt, aber was war in diesen Zeiten schon normal? Ein ganzes Volk der Föderation war nahezu ausgelöscht, ihr Planet vernichtet worden. Die Aufgabe, die vulkanische Gesellschaft - bzw. das, was von ihr übrig war - zu retten, hatte höchste Priorität. Dass die meisten Besatzungsmitglieder der Enterprise deswegen Weihnachten nicht mit ihren Familien verbringen konnten, war ein geringer Preis dafür. Erst recht, wenn man bedachte, wie viele Vulkanier ihre gesamte Familie durch Nero verloren hatten.

Aber diesen Gedanken schob Kirk lieber fort. Es hatte lange gedauert, bis er die Erinnerungen an die Zerstörung Vulkans verarbeitet hatte und bis er an dieses schreckliche Ereignis denken konnte, ohne dabei in einen Strudel aus Schock, Trauer und diffusen Schuldgefühlen zu geraten. In diesem Moment fühlte er sich dem nicht gewachsen. Er wollte nicht in eine Depression rutschen. Bones, der als sein engster Freund noch am ehesten wusste, wie es in ihm aussah, hatte ohnehin schon ständig ein besorgtes Auge auf ihn. Was Kirk seltsamerweise nicht nervte, wie es das früher getan hatte, sondern ihm ein Gefühl des Umsorgtseins gab, das er nahezu genoss. Was war nur mit ihm los? Er hatte sich immer etwas auf seine Unabhängigkeit, seine Coolness eingebildet und nun hing er am Rockzipfel seines CMO...

"Sir?" Uhuras melodische Stimme holte ihn sanft aus seinen Überlegungen zurück auf die Brücke. "Ja, Leutnant?" Er musterte die Offizierin nachdenklich. Das Rot der Uniform stand ihr gut, der knappe Rock brachte ihre langen schwarzen Beine ideal zur Geltung. Aber die Zeiten waren vorbei, lange vorbei, wo er in ihr mehr gesehen hatte als nur eine fähige Kommunikations-Wissenschaftlerin. Ein flüchtiges Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie seinen Blick auffing. "Captain, eben ist eine persönliche Nachricht von Vulkan II für Sie eingegangen. Soll ich sie in Ihr Quartier durchstellen?"

Kirk nickte nur und stand auf, um zum Lift zu gehen. Er mochte es nicht, wie Uhura ihn ansah. Nicht mehr wütend, eifersüchtig wie früher, sondern auf eine seltsame Art verständnisvoll. Als wären sie Komplizen. Oder Opfer des gleichen Verbrechens. Aber Kirk wollte sich nicht als Opfer fühlen. Und er wollte mit dieser Frau nicht befreundet sein, auch wenn er ihre persönlichen Qualitäten durchaus zur Kenntnis nahm. Die Vorstellung, dass sie vor ihm einige Zeit mit Spock zusammengewesen war, hatte ihm noch nie behagt, aber nun, wo er den Vulkanier verloren hatte, gönnte er ihr keinen verdammten Kuss, den die beiden je ausgetauscht hatten, von mehr ganz zu schweigen. Seine Eifersucht war lächerlich, angesichts all der Jahre, die dazwischen lagen, aber er kam nicht gegen dieses Gefühl an.

Kirk betrat den Turbolift, drehte sich um und sah, dass Uhura ihn anstarrte, bevor die Türen des Lifts sich zischend vor ihm schlossen. Erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass es nur wenige Personen auf Vulkan II gab, die Interesse an einem persönlichen Gespräch mit ihm haben konnten. Neugierde machte sich in ihm breit, garniert mit Besorgnis und einem Hauch Hoffnung. Entschlossen straffte er sich und gab den Befehl, zu Deck D zu fahren, wo sich sein Quartier befand. Keine sinnlosen Grübeleien mehr, nahm er sich vor. Es ist, wie es ist. Er dachte lieber nicht daran, von wem er diesen Grundsatz übernommen hatte.