Das Donnern hallte von den Wänden des alten Schlosses wider, als Albus Dumbledore langsam durch die Gänge schritt.
Er hatte bis tief in die Nacht gearbeitet, so dass sein Körper anschließend förmlich nach Bewegung geschrieen hatte. Also hatte er beschlossen, einen Spaziergang durch seine Schule zu machen.
Der Regen prasselte laut gegen die Fensterscheiben und immer wieder erhellten Blitze die Gänge vor seinen Füßen. Doch Dumbledore störte dies nicht. Er genoss es immer wieder aufs Neue nachts durch die Schule zu streifen. Denn ohne die vielen Schüler schien sie immer wieder so friedlich.
Ein leichtes Flackern in seinem Augenwinkel brachte den Schulleiter zum stehen bleiben. Er richtete seinen Kopf zu einem nahe gelegenen Fenster. Das war kein Blitz gewesen, schoss es ihm durch den Kopf.
Langsam trat er ans Fenster und bewegte sein Gesicht nah an die Scheibe heran, um durch den Regen spähen zu können.
Tatsächlich. Hinter dem Zaun, der Hogwarts magisch gegen alle Eindringende schützen sollte, befand sich eine Laterne, die auf und ab hüpfte, als ob der Träger sie nicht richtig halten konnte.
Vielleicht war es Hagrid? Dumbledores Augen suchten die Hütte des Wildhüters. Doch er konnte nichts Auffälliges erkennen. Außerdem sagte ihm sein Instinkt, dass die Person am Zaun jemand Fremdes war.
Schnell zog er seinen Zauberstab und lief eilig durch die Gänge des Schlosses zum Schlossportal.
Nach einem kleinen Schlenker seiner Hand öffneten sie sich knarrend und er konnte in die stürmische Nacht treten. Ein weiterer Schwung mit dem Zauberstab und er war vor dem Regen geschützt.
Mühsam bahnte er sich seinen Weg über das schlammige Schulgelände, bis er in Sichtweite der Person kam. Dann blieb er stehen und betrachtete sie.
Anscheinend konnte sie ihn nicht erkennen, denn sie hatte das Gesicht, welches von einer Kapuze bedeckt war, nach unten gebeugt. Die Laterne, die an ihrem Handgelenk baumelte, brannte weiter, obwohl der Regen sie hätte löschen müssen. Also war es eine Hexe oder ein Zauberer.
Schlanke weiße Finger krallten sich in die Pfosten des Zaunes, doch immer wieder rutschten sie schwach ab, was das Auf- und Abhüpfen der Laterne erklärte.
Die Gestalt keuchte laut und deutlich auf. Ein kurzes Zittern lief durch den Körper, so dass die Kapuze ein wenig verrutschte. Dumbledore hielt den Atem an. Er erkannte lange schwarze Haare und ein Stück eines bleichen Gesichtes. Doch nicht das erschütterte ihn, sondern das Blut darauf.
Fieberhaft überlegte er, ob diese Person wirklich Hilfe benötigte oder ob es eine Falle war.
Doch plötzlich hob sie ihr Gesicht und blickte ihn direkt an. Es war eine Frau, eine hübsche Frau. Ihre schwarzen Haare waren nass und wellten sich um ihr blutverschmiertes Gesicht. Sie schwankte leicht und hielt sich weiter krampfhaft mit der einen Hand am Pfosten fest, während die andere etwas an ihre Brust drückte.
Doch was Dumbledore beeindruckte waren ihre Augen. Sie waren schwarz wie ihre Haare, doch ein Feuer brannte in ihnen, wie er es noch nie gesehen hatte. Kalte Entschlossenheit schien darin zu liegen. Entschlossenheit, sich nicht von den Schmerzen besiegen zu lassen. Noch nicht, da es noch etwas zu regeln gab.
„Helfen Sie mir", flüsterte sie schwach, doch Dumbledore konnte sie verstehen, da er instinktiv näher an sie heran getreten war.
Dann versagten ihre Kräfte. Die Finger verloren ihren Halt und sie sank zu Boden. Zeitgleich begann das Etwas in ihren Armen zu weinen und zu schreien.
Ohne weiter nach zu denken, öffnete Dumbledore das Tor und rannte zu der Frau, um sich neben sie zu knien.
Als er sie abtasten wollte, um die Wunde zu finden, ergriff sie erstaunlich fest sein Handgelenk.
„Kümmern Sie sich erst um meine Tochter, bitte. Sie ist wichtiger als ich", flüsterte sie schwach, doch eindringlich.
Also beugte sich der Mann vor und nahm das Bündel in seine Arme.
Als er das Tuch zur Seite schlug konnte er sofort erkennen, dass es die Tochter der fremden Frau war. Sie hatte schwarzes Haar wie Ebenholz, das sich um ihren Kopf kräuselte und ihre kleinen schwarzen Augen funkelten ihm klar entgegen. Kurz untersuchte er das kleine Wesen. Es war vollkommen gesund, das Schreien kam nur durch den Schock des Aufpralls.
Er bedeckte das kleine Gesicht wieder mit dem Tuch und nahm sie unter seinen Umhang, damit der Regen sie nicht durchweichen konnte.
Dann legte er erneut seine Hand auf die Frau, die sich nur noch schwach bewegte, aber trotzdem mit diesen feurigen Augen seine suchte.
„Es ist alles in Ordnung, ihr fehlt nichts", erklärte er und richtete seinen Zauberstab auf ihren Körper, um die Blutung zu stillen. Er hatte gemerkt, dass sie ihre Hand auf die Brust gepresst hatte, wo das meiste Blut zu sein schien.
Kurz schloss die Frau die Augen und als sie sie wieder öffnete, war das Feuer erloschen. Dumpf und glasig waren sie nun, als hätte aller Lebenswille sie verlassen.
Schnell beschwor der Schulleiter eine Trage herauf, um sie ins Schloss zu bringen.
Einen Impuls folgend brachte er sie nicht zu Madam Pomfrey, sondern in sein Büro.
Dort bettete er sie sanft auf sein eigenes Bett, während er das Baby auf einen Ohrensessel legte und Fawkes darum bat, auf es Acht zu geben. Der Phönix zögerte auch nicht lange und flog hinüber zum Sessel, um sich neben das Kind zu setzten, damit es von seiner Wärme profitieren konnte.
Dann widmete sich Dumbledore der Frau.
Rasch befreite er sie von der blutigen Kleidung, um sich die Wunde in ihrer Brust an zu sehen und erschrak zutiefst. Sofort erkannte er, dass ihr nicht mehr zu helfen war. Anhand der schwarzen Ränder der klaffenden Wunde erkannte er schwarze Magie, die resistent gegen jeglichen Heilzauber war. Ein mächtiger Zauberer wollte sie also töten, um sie für immer zum Schweigen zu bringen. Also musste sie etwas getan haben, was den Zorn jener Person auf sich gezogen hatte.
War sie deshalb zu ihm gekommen? Weil er der einzige war, der ihr helfen konnte?
Dumbledore ging hinüber zu seiner Kommode aus der er eine Flasche zog. Langsam hob er dann den Kopf der immer schwächer werdenden Frau und hielt ihr die Öffnung an den Mund.
„Trinken Sie das", redete er ruhig auf sie ein.
„Es lindert die Schmerzen."
Langsam nahm sie die Flüssigkeit auf, um dann erneut in die Kissen zu sinken.
Mit schwacher Hand winkte sie ihn näher an sich ran.
Dumbledore beugte seinen Kopf zu ihrem Mund, während er nach ihrer Hand griff und sie beruhigend drückte.
„Bitte beschützen Sie meine Tochter", flüsterte sie anstrengend.
Jeder Atemzug schien ihr Schmerzen zu bereiten.
„Vor wem?" fragte er sie atemlos.
Er wusste, dass die Zeit gegen sie arbeitete. Es war nötig so schnell wie möglich Antworten zu erhalten.
„Vor ihm", brachte sie gepresst hervor, während sie keuchend ihre Hand auf die Brust presste.
Sie schien zum Sprechen keine Kraft mehr zu haben.
Nur noch unartikulierte Geräusche drangen aus ihrem Mund.
Verzweifelt versuchte Dumbledore ihr mit Zaubersprüchen Kraft zu geben, doch sie hielt ihn mit einer schwachen Bewegung ihrer Hand auf.
Kraftlos wanderte sie dann in ihre Tasche und zog ein kleines, goldenes Medaillon hervor.
Der Schulleiter entnahm es ihrer schwitzigen Hand und besah es sich genauer.
In verschnörkelter Schrift stand auf dem Deckel der Name Rose. Kurz wanderte sein Blick zu dem kleinen Mädchen, das sich an Fawkes´ Seite gekuschelt hatte und friedlich schlief.
Dann öffnete er das Medaillon.
Zwei Fotos befanden sich darin. Das eine zeigte eindeutig die Mutter der Kleinen.
Auf den anderen war der Vater abgebildet. In dem schwachen Kerzenschein musste Dumbledore sich vorbeugen, um ihn genauer zu erkennen.
Seine Augen hinter den Halbmondgläsern weiteten sich erschrocken und das Objekt entglitt seinen Fingern.
Er öffnete den Mund, um die Frau auf seinem Bett etwas zu fragen, doch dann schloss er sie wieder.
Sein Blick war auf das bleiche Gesicht gefallen.
Die schwarzen Augen waren offen und blickten, ohne etwas zu sehen, an die Decke.