Eine (nicht) ganz normale Mission

Als der Alarm klingelte, hätte Cobra ihn am liebsten gegen die nächste Wand gepfeffert... wenn dieser verfluchte Apparat in seiner Reichweite gewesen wäre. Aber er war es nicht und dem jungen Mann blieb sowieso keine andere Wahl als aufzustehen und sich für ein Meeting im Versammlungszimmer von Crime Sorciere zu begeben.

Dabei hatte das Team heute schon drei kleine Jobs hinter sich gebracht und das gleich noch an einem regnerischen Tag. Zweimal hatten sie Gnome einfangen müssen, die wieder eine schöne Sauerei in einem Haushalt veranstaltet haben und ein Satyr hatte in einem edlen Restaurant den halben Vorrat an Wein leergetrunken.

Geisterjäger, Vampirjäger, Fabelwesendiplomaten... Cobra hatte selbst nach Jahren echt keine Ahnung, wie er seinen Beruf bezeichnen konnte, denn alles passte irgendwie dazu. Eigentlich hiess es "Wächter der mystischen Grenze", aber so hochgestochen sprach heute niemand mehr. Und "offiziell" existierte dieser Beruf eigentlich auch nicht. Für die normale Gesellschaft und ein Grossteil der Regierung war Crime Sorciere nur eine ganz spezielle Organisation, die für die Suchlabors bei Universitäten nach speziellen Mineralien oder was auch immer suchten und die man anrufen konnte, wenn es kleinere Probleme in Haushalten gab, für die man keine normale Erklärung finden konnte.

Was die unerklärliche Problemen in Haushalten anging, meistens handelte es sich von Streiche von Gnome, Kobolde, kleinere Trolle und Feen oder sonst irgendwelche kleine Fabelwesen, die sie nachher einfangen mussten. Den Bewohner mussten sie nachher eine mehr oder weniger logische Erklärung auftischen und bis jetzt hatte man ihnen jedes Wort geglaubt. Wenn es um Fabelwesen ging, waren die Menschen normalerweise extrem blind.

Naja, ihre speziellen Funde für Universitäten übergaben sie nur der Universität von Fairy Tail und dann auch nur dem Direktor Makarov Dreyar. Dieser alte Mann war neben seinem Beruf als Archäologe und Direktor auch mystischer Wächter gewesen und nach seiner Rente hatte er sich nur noch der Direktion seiner Universität gewidmet. Gelegentlich war er auch eine Bezugsperson für Crime Sorciere, genauso wie Belno, die im Stadtrat von Magnolia arbeitete und vor allem für den Schutz der Stadt verantwortlich war. Was auch die Branche der Fabelwesen einbezog.

Eigentlich war Crime Sorciere dafür zuständig, dass die Grenze zwischen Fabelwesen und Normalität nie überschritten wurde. Sie jagten einige dieser Wesen und mit anderen, wie Elben oder Zwerge, mussten sie Kompromisse klären, damit beide Welten mehr oder weniger problemlos koexistieren konnten. Seit er in der Branche tätig war, war allerdings keine grosse Katastrophe passiert. Ausser damals vor drei Jahren, als die damalige Chefin Ultear von einem Vampir gebissen wurde und die arme Meldy gezwungen war ihrer Adoptivmutter einen Silberkugel ins Herz zu schiessen...

Als Cobra den Versammlungsraum betrat, waren alle anderen schon anwesend. Meldy tippte etwas auf ihrem Laptop, Midnight schlief mit dem Kopf auf den runden Tisch, Angel betrachtete gelangweilt die Tropfen die gegen das Fenster schlugen, Racer beobachtete interessiert den Inhalt auf Meldys Bildschirm und Hoteye beobachtete Jellal, der Chef von Crime Sorciere, der ein Dokument studierte. Der Blauhaarige sah auf als Cobra sich hinsetzte.

„Gut, nun da wir alle beisammen sind, eröffne ich die heutige Sitzung. Unser Alarmsystem hat in den Ruinen der Fabrik von Everlue etwas Unnatürliches gesichtet."

„Etwas Unnatürliches... Geht es vielleicht etwas genauer?", maulte Angel. Wenn Cobra sie nicht seit der Kindheit kenne würde, würde er meinen sie hätte ihre Tage. Aber die Weisshaarige war sowieso eine Person, die immer wieder einen Grund fand um sich zu beklagen. Obwohl, in ihrem Beruf hatte sie meistens auch sehr gute Gründe dafür.

„Das Signal ist schwach, selbst für unser System", erklärte Jellal weiter, ohne jedoch Angel einen wütenden Blick zuzuwerfen. „Wahrscheinlich handelt es sich auch um nichts Grosses, aber wir dürfen kein Risiko eingehen."

„Könnte es sein, dass es sich einfach um einen Phönix an seinem Brenntag handelt?", fragte Meldy, doch Jellal schüttelte sofort den Kopf: „Dann wäre das Signal weitaus grösser und klarer gewesen, ausserdem ist diese Fabrikruine kein Ort, an dem sich ein Phönix niederlassen würde um zu verbrennen und um dann wieder aufzuerstehen. Es muss etwas anderes sein."

„Der Alarm hat zwar geschlagen, aber die Gefahrsirene ist nicht losgegangen. Jellal, bist du wirklich sicher, dass es gefährlich sein könnte?", fragte Hoteye.

„Die Gefahrsirene schreit nur bei einer Gefahr, die unser System auch kennt. Es könnte auch sein, dass es etwas ist, was uns noch unbekannt ist. Sollte es gefährlich sein, können wir es immer noch im System eintragen", erwiderte Midnight. Nanu, er war also doch nicht am Schlafen, obwohl er immer noch danach aussah. Cobra schüttelte den Kopf, aus Midnight würde er nie klug werden.

„Das Signal ist aber schwach, also kann es nicht so gefährlich sein wie ein Vampir oder einen Werwolf", schlussfolgerte Racer. Jellal nickte: „Eigentlich ist es eine einfach Erkennungsmission, doch da wir nicht wissen was uns erwartet, sollten am besten drei hingehen. Racer, Cobra, Meldy, ihr werdet euch darum kümmern. Ruft an, sobald ihr wisst um was es sich handelt."

Xxx

„Ich verstehe immer noch nicht, warum der Boss bei Erkennungsmissionen nie mitkommt. Ultear hat es immer getan", maulte Racer, während er durch die Strassen Magnolias flitzte.

„Du weisst doch, dass er solche Missionen seit der Sache mit Simon nicht mehr tun möchte", protestierte Meldy, immer bereit ihren Fast-Bruder zu verteidigen. „Ausserdem... RACER, FAHR ANSTÄNDIG, DIE AMPEL WAR FAST ROT!"

„Eben, nur fast, bei Orange kann man es sich noch leisten zu fahren", entgegnete der Punk. Cobra seufzte. Racer war ein Flitzer, daher sein Spitzname. Immer wenn er am Lenkrad sass bestand die Gefahr, dass er an jedem Ort die Schnelligkeitsgrenze überschritt. Na gut, nach einer Standpauke von Jellal hielt er sich etwas zurück, doch schnell fuhr er trotzdem.

„Du könntest vielleicht manchmal etwas mehr vorsichtig sei... HIMMEL NOCHMAL, PASS AUF DEN ZEBRASTREIFEN AUF!"

„Also jetzt übertreibst du, der ist noch meterweit entfernt. Ich bin doch nicht Angel, DIE fährt ja wie ein blinder Troll mit Parkinson!"

„Ich will zwar diesen hochphilosophischen und anspruchsvollen Austausch nicht unterbrechen, aber sich im Auto zu streiten kann zu blöden Unfällen führen", unterbrach Cobra die beiden und rieb sich an den Schläfen. Er hatte ziemlich sensible Ohren und diese Diskussionen gaben ihm immer wieder Migräne. Wenigstens war Angel nicht dabei, sonst wäre es noch schlimmer gekommen...

„Ausserdem sind wir schon angekommen. Wenn Midnight gefahren hätte, wären wir noch am nächsten Morgen am Fahren", sagte Racer und parkte den Wagen, allerdings nicht ohne vorher quietschend zu bremsen. Meldy murrte etwas unverständliches, doch behielt ihren Protest für sich. Stattdessen holte sie den Detektor heraus um jeglichen mystische Anomalien zu finden. Das Ding sah zwar eher aus wie eine Glaskugel mit einer Antenne, doch es funktionierte bis jetzt einwandfrei.

Das Signal war ziemlich schwach. So schwach, dass Racer argwöhnte: „Bist du sicher, dass das alte Ding funktioniert? Unser System hätte sicher nicht ein so schwaches Signal aufgenommen."

„Aber hör jetzt Mal, dieser Detektor hat Ultear... selber entworfen!", protestierte Meldy, wobei sie beim Klang ihrer Adoptivmutter kurz inne hielt. „Ausserdem ist das Ding, das vom System aufgenommen wurde, vielleicht schon verschwunden, aber unser Detektor spürt trotzdem noch die Spuren, die halt ein schwächeres Signal hinterlassen. Wir werden also wahrscheinlich nicht viel finden, aber jedes kleine Staubkörnchen ist wichtig für die Analyse."

„Warum stehen wir also noch hier?", rief Cobra und lief schon zu den Ruinen der Fabrik. Zwar hatte es aufgehört zu regnen, endlich, doch es wehte noch ein kalter Wind und er wollte so schnell wie möglich zurück ins Warme.

Racer und Meldy folgten ihm, wobei der Punk bemerkte: „Das noch niemand vom Rat daran gedacht hat diese Trümmern ein für alle Mal zu entfernen. An dieser Stelle hätte man ein toller Parkplatz erbauen können oder eine Motorradrennbahn."

„Pah, ein neues Spital oder endlich ein funktionierendes Waisenhaus wäre eindeutig besser", brummte Meldy und Cobra entfernte sich rasch, um keine weitere unnötige Diskussion aushalten zu müssen. Ohne den Detektor würde es schwieriger sein hier irgendwelche Anomalien zu finden, doch Cobra vertraute einfach mal seinen fünf Sinnen.

Allerdings hörte noch sah er irgendwelche Dinge, die direkt aus einem Fantasy-Film entsprungen sein könnten. Hier sah es eher aus wie in einem Horror-Film. Der Wind wehte pfeifend durch die Ruinen, die Mauerresten waren dunkel und manchmal hörte er ein metallisches Geräusch. Aber Cobra blieb gefühllos vor der gruseligen Atmosphäre, er hatte nur selten Angst. Selbst bei Saw hatte er nicht das Bedürfnis gehabt sich in die Hose zu machen.

Langsam ging er weiter. Was auch immer für ein Wesen vorhin hier gewesen war, allem Anschein nach war es jetzt verschwunden. Und Spuren konnte er auch nicht erkennen, obwohl er hörte wie der Detektor weiterhin vor sich hinsummte. Vielleicht hatte Racer Recht und der nicht mehr so junge Apparat würde wohl früher oder später seinen Geist aufgeben.

Aber es könnte auch möglich, dass ein Sylphe hier gewesen war. Diese luftigen Wesen lassen doch keine Spuren hinter sich. Allerdings war Cobra sich nicht so sicher mit dieser Hypothese, schliesslich kamen die Sylphen selten auf die Erde und wenn, dann nur in Gruppen.

Es hätte auch ein Geist sein können, aber auch da hatte er Zweifel. Das Alarmsystem von Crime Sorciere hätte sonst schon lange etwas aufgenommen.

„Ich kontrolliere die westliche Seite, vielleicht finde ich etwas", rief er Racer und Meldy zu. Zwar zweifelte er wirklich irgendetwas zu finden, aber so würde niemand behaupten können, dass er seinen Job nicht gemacht hat. Jellal warf den anderen, sogar Meldy, immer wieder vor nicht ernst genug in ihrer Arbeit zu sein. Der Chef allerdings war viel zu ernst darin. Er nahm das sogar so zu Herzen, dass er deswegen mit Erza Scarlett aus der Uni von Fairy Tail Schluss gemacht hatte. Wobei, der Unfall mit Simon hatte damals wohl auch seine Rolle gespielt...

Cobra schüttelte den Kopf. Er wollte sich nicht an diesen Unfall erinnern, wie so manch anderes aus seiner Vergangenheit. Ausserdem ging ihm das Liebesleben von Jellal nichts an, obwohl es sowieso nicht viel zu sagen gab.

Der Rothaarige beobachtete jeden Winkel der Westseite, doch er konnte nichts erkennen. Hier gab es nichts, nur alte Mauerreste, Staub und wahrscheinlich Mäuse und Ratten, die unter dem Boden hausten. Am besten ging er zu den beiden anderen zurück, mit dem Detektor würden sie wahrscheinlich schneller etwas entdecken. Zwar verliess er sich lieber auf seinen Instinkt und seine Sinne, allerdings musste auch er ab und zu mit Apparate klarkommen.

Doch kaum als er zu den anderen beiden zurückgehen wollte, entdeckte er aus den Augenwinkel etwas Lilafarbiges hinter einem Rest von Mauer. Nun, das war womöglich etwas Unnatürliches in einer Fabrikruine, die nur verschiede Grautöne aufweisen konnte. Vielleicht war es eine Spur von der Präsenz, die das System aufgenommen hatte.

Neugierig, aber dennoch misstrauisch näherte sich Cobra langsam dem lilafarbigen Ding, das anscheinend zum Grossteil hinter dem Mauerrest lag. Als der junge Mann es schliesslich vorsichtig anfasste, fühlte es sich merkwürdigerweise wie Menschenhaar an.

Cobra spähte nun hinter dem Mauerrest und sprang erschrocken auf, als er ein lilahaariges junges Mädchen entdeckte, welches auf dem staubigen Boden lag und nur von einem kurzen, nachthemdähnlichem Kleid verdeckt wurde.

„Racer, Meldy, kommt schnell her, ich habe jemanden gefunden!", rief er seinen Kameraden zu, bevor er sich neben dem unbewussten Mädchen hinkniete. Auf dem ersten Blick sah sie aus wie ein normaler Mensch, doch wenn Hoteye sie untersuchen würde, würde man mit Sicherheit rausbekommen, wer sie war. Jedenfalls war sie keine Elbin oder Vampirin, ihr fehlten die spitzigen Ohren und die spitzigen Zähne dafür. Und für eine Zwergenfrau war sie nicht haarig genug.

Das Mädchen schien gleich alt wie er zu sein, vielleicht sogar etwas jünger. Ihr lilafarbenes Haar war kurz, jedoch nicht gleichmässig geschnitten. Das kurze Kleid war aus einem groben, hässlichen Stoff genäht worden und ihr Körper wies überraschenderweise keine Verletzungen auf, nicht einmal blaue Flecken. Als er ihren Puls fühlte, war er regelmässig, als ob sie nur schlafen würde. Fast hatte er das Gefühl, dass das junge Mädchen einfach schlafend hier hingelegt wurde und das war an sich schon komisch genug. Wenn sie Verletzungen und keinen Puls gehabt hätte, wäre es klar gewesen, dass sie ermordet und in diesem verlassenen Ort versteckt wurde. Doch das war nicht der Fall.

Während er die junge Frau in seinen Armen hochhob, hörte er wie Racer und Meldy sich näherten. Allerdings überraschte ihn das Summen des Detektors. Es wurde regelmässig laut und leise, als ob das Gerät sich nicht entscheiden konnte ob die Anomalie nah oder fern war. Cobra hatte den Detektor noch nie so summen hören. So viel zu einer normalen Erkennungsmission. Er fand in den verlassenen Fabrikruinen eine unbekannte junge Frau, die weder ermordet noch verprügelt wurde und der von Ultear entworfenen Detektor war verrückt geworden.

Plötzlich spürte er wie die Frau in seinen Armen sich etwas bewegte. Er sah sie an und tatsächlich öffnete sie leicht ihre Augen. Smaragdgrün. Doch bevor er die wunderschöne Farbe bewundern konnte, flüsterte sie: „Hilf mir... ich will keine Missgeburt sein..."

Dann fiel sie wieder ohnmächtig in seinen Armen.