FROM: miffi

DATUM: fast noch 30. Juni :D

TITEL: Chancen

VORSCHAU: Scully ist wenig angetan, als Mulder ihr verschweigt, dass Diana Fowley gemeinsam mit ihnen im Fall des verschwundenen Jeffrey Spender ermittelt. Nach einem Streit zieht er auf eigene Faust los - was naturgemäß nicht gut gehen kann. Als dann Scully verschleppt wird und Cassandra Spender plötzlich wieder auftaucht, wird es allerhöchste Zeit, sich wieder darauf zu besinnen, was wirklich zählt.

RATING: PG-13

KATEGORIE: MSR, X-File, Angst

SPOILER: Setzt unmittelbar nach Zwei Väter / Ein Sohn an.

DISCLAIMER: Mulder, Scully und alle sonstigen bekannten Charaktere gehören Chris Carter und 20th Century FOX. Mögen sie damit glücklich werden. Die Challenge-Idee gehört muup. Mir gehört nur der Schlafmangel, den mir diese Geschichte beschert hat. :)

AUTHOR'S NOTES: Mein Beitrag für die XFM-Farben-Challenge 2008. Und ich habe gewonnen! freu wie doof

Chancen

Teil 1

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We were strangers
Starting out on a journey
Never dreaming
What we'd have to go through
Now here we are
And I'm suddenly standing
At the beginning with you

- Richard Marx & Donna Lewis, At the Beginning
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„Was haben Sie vor?" Alarmiert sah Scully zu, wie ihr Partner den Knopf fürs Kellergeschoss betätigte und das vertraute, ziehende Gefühl im Magen einsetzte, als sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte.

„Es gab auch eine Massenverbrennung in New Mexico", antwortete Mulder knapp, ohne sie anzusehen.

„Das ist doch nicht Ihr Ernst! Roswell? Mulder, wir haben noch keine Bestätigung, dass wir die X-Akten wiederbekommen - faktisch sind wir noch immer arbeitslos! Wenn wir jetzt auf eigene Faust Ermittlungen anstellen, verspielen wir unsere letzte Chance!" Scully war fassungslos. Wollte oder konnte er nicht einsehen, dass er wieder einmal kurz davor stand, etwas unglaublich Dummes zu tun?

„Ich habe nicht gesagt, dass Sie mitkommen müssen." Sie unterdrückte ein Seufzen. Er konnte so frustrierend sein, dass sie ihn manchmal packen und schütteln wollte.

„Ist es wirklich so wichtig, dass Sie dafür Ihren Job aufs Spiel setzen müssen?", fragte sie leise.

„Unser Leben? Und das von Milliarden von Menschen? Ich denke, das ist es wert." Manchmal ärgerte es ihn, dass sie den Blick für das große Ganze nicht zu haben schien. Was war sein Job, sein Leben schon im Gegensatz zum Fortbestand der Menschheit? Es war nicht unbedingt darauf aus, als Märtyrer zu sterben, aber wenn es sein musste, würde er bis zum Letzten gehen.

Ein dezentes Klingeln verkündete ihre Ankunft im Keller und die silbernen Türen öffneten sich beinahe lautlos. Er verließ den Fahrstuhl und sie folgte ihm nach kurzem Zögern grimmig.

„Warum glauben Sie, dass Sie dort etwas finden werden, was es an den anderen Orten nicht gab? Nur, weil es Roswell ist?" Fast wäre sie gegen seinen Rücken geprallt, als er plötzlich mitten in der Bewegung innehielt und im Türrahmen stehen blieb.

„Mulder, was...?"

„Wollte Agent Spender nicht seine Sachen packen gehen?", fragte er tonlos.

Ungeduldig schob Scully sich an ihm vorbei und zog scharf die Luft ein, als ihr Blick auf die Blutlache inmitten des Büros fiel.

„Ich fürchte, jemand ist ihm zuvorgekommen."

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I wish that I could fly
Into the sky
So very high
Just like a dragonfly

- Lenny Kravitz, Fly Away
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„Kersh wird nicht begeistert sein." Scully verschränkte unbehaglich die Arme und richtete den Blick aus dem Fenster. Weit unter ihr zog die sonnige Landschaft Oklahomas vorbei, keine Wolke behinderte die Sicht auf die endlosen Weiten.

„Wir haben die X-Akten wieder. Das hier ist eine X-Akte", erwiderte Mulder, als ob kein Zweifel an der Schlüssigkeit dieser Argumentation bestünde. Er scrollte durch einige Dokumente auf seinem Laptop und kniff die Augen zusammen, immer auf der Suche nach Hinweisen, die sie ihrer Sache näher bringen konnten. Was andere als stur bezeichneten, hatte Scully über die Jahre gelernt als bewundernswert zielstrebig zu betrachten - meistens jedenfalls. Ihm selbst war egal, was andere von ihm dachten; er wusste, was er wollte, und wenn die Mittel unkonventionell waren, dann war das eben so.

„Wir haben den Auftrag, Agent Spenders Verschwinden nachzugehen."

„Ich bin davon überzeugt, dass das hier damit zusammenhängt."

„Wieso gerade hier?", wiederholte sie ihre unbeantwortete Frage vom Vortag.

„Roswell ist die Quelle. Seit dem Absturz 1947 geht alles von dort aus", antwortete er gedehnt, unkonzentriert, da er die Augen fest auf den Bildschirm geheftet hatte.

„Ist das nicht zu offensichtlich? Ich meine... dieser ganze UFO-Tourismus..."

„... ist die beste Tarnung, die es gibt, oder nicht?" Er sah zu ihr auf. „Kein Mensch erwartet, dass da wirklich etwas ist - und sollte jemand etwas sehen, was er nicht hätte sehen dürfen, wird es als Marketing-Gag abgetan."

Sie hasste es, wenn sie seiner Logik nichts entgegenbringen konnte.

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When you walked in, I said with a grin
That we were just talking about you
We all had to lie because you would cry
If you knew we were laughing at you

- Barenaked Ladies, The Humor of the Situation
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Es war heiß. Die Sonne brannte auf die staubigen Straßen nieder, als sie aus ihrem gemieteten Ford ausstiegen, den sie auf dem Parkplatz der Außenstelle abgestellt hatten. Scully hatte das unangenehme Gefühl, ihr Rock würde sichtbar an ihren Oberschenkeln kleben, und versuchte vergeblich, ihn unauffällig zurechtzuzupfen. Sie warf Mulder einen müden Blick zu. Falls die Hitze ihrem Partner etwas ausmachte, zeigte er es zumindest nicht. Schwungvoll schlug er die Autotür zu und ging zielstrebig auf das sandfarbene Bürogebäude zu.

Als sie das Büro betrat und feststellte, dass „Klimaanlage" hier draußen offenbar ein Fremdwort war, war Scully überzeugt, dass ihre Laune nicht mehr tiefer sinken konnte. Dann erblickte sie die brünette Agentin, die sich soeben zu ihnen umdrehte, und musste ihre Meinung revidieren. Jetzt war sie am Tiefpunkt.

„Fox, wie schön, dass du so schnell kommen konntest." Diana kam ihnen entgegen und gab ihm freudestrahlend die Hand. Er ergriff sie und schüttelte sie kurz, wagte sich dabei aber nicht, in Scullys Richtung zu sehen. Dass er ihr nichts davon erzählt hatte, dass Diana sie hier bei ihren Ermittlungen unterstützen würde, würde ihm später mit Sicherheit eine Predigt einbringen.

„Agent Scully", fügte sie hinzu und nickte süßlich lächelnd. Ihre Hand wagte sie offenbar nicht auszustrecken, und Scullys Blick nach zu urteilen tat sie gut daran. Scully ihrerseits rang sich ein gekünsteltes Lächeln ab und zog es vor zu schweigen. Das war also der wahre Grund, weswegen sie hier waren.

Ihre Worte hob sie sich für nachher auf, wenn sie Mulder zur Rede stellte. Ihr im Voraus Details zu einem Fall vorzuenthalten war eine Sache, daran hatte sie sich schon vor langer Zeit gewöhnt. Ihr die Anwesenheit dieser Person zu verschweigen war hingegen einfach nur bodenlos. Und er besaß noch nicht einmal den Anstand, schuldbewusst auszusehen.

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It comes down to a matter of trust.

I guess it always has.

You're asking me to make a choice?

I'm asking you to trust my judgment.

To trust me.

- The Beginning
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„Würden Sie mir jetzt verraten, was ich nun wieder verbrochen habe?", fragte Mulder entnervt, als sie nach langer, schweigsamer Autofahrt ihr Motel erreicht hatten und vor Scullys Zimmertür Halt machten. Den gesamten restlichen Nachmittag hatte sie sich extrem in verbaler Zurückhaltung geübt und nur das Nötigste mit ihm gesprochen. Auch jetzt sagte sie nichts, sondern entriegelte wortlos die Tür und trat ins Zimmer. Mulder folgte ihr unaufgefordert.

„Ist es wegen Diana?" Er hob fragend die Arme, doch sein gereizter Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass er die Antwort bereits kannte. Scully baute sich vor ihm auf und kniff leicht die Augen zusammen.

„Sie wussten genau, dass ich nicht mitgekommen wäre, wenn ich gewusst hätte, dass sie auch hier ist - also tun Sie jetzt bloß nicht so, als hätten Sie es als nicht wichtig erachtet!"

„Scully, das ist einfach lächerlich! Sie ist genauso FBI-Agentin wie wir und versucht, dem Verschwinden ihres Kollegen nachzugehen - und ich werde nicht zulassen, dass Ihre persönliche Abneigung gegen sie diesen Fall gefährdet!" Verärgert ging er einige Schritte auf und ab. Er hatte vermutet, dass er sich etwas würde anhören müssen, aber dass sie so heftig reagieren würde, hatte er nicht erwartet.

Ich glaube eher, dass Ihre persönliche Zuneigung den Fall gefährdet, dachte Scully, aber sie hütete sich, diesen Gedanken auszusprechen und damit noch mehr zu klingen wie eine eifersüchtige Ehefrau.

„Ich traue ihr nicht", sagte sie daher nur knapp und verschränkte die Arme.

„Ich kenne sie. Ihr Misstrauen ist vollkommen unbegründet", erwiderte Mulder entschieden. Man konnte vieles über Diana Fowley sagen, aber beruflich hatte sie sich nie etwas zuschulden kommen lassen.

Scully musterte sein Gesicht, doch es war wie eine Maske; es war ihr unmöglich, wie üblich darin zu lesen. Was hätte sie in diesem Moment für Gibsons Fähigkeiten gegeben, um zu wissen, wie sie an ihn herankommen konnte.

„Mulder, Sie kannten sie vor zehn Jahren - in der Zwischenzeit ist viel passiert", versuchte sie es mit der Stimme der Vernunft. „Menschen entwickeln sich weiter. Sie haben keine Ahnung, was sie während dieser Zeit gemacht hat. Und..."

„Wann haben Sie eigentlich aufgehört, mir zu vertrauen?", unterbrach er sie bitter.

„Ich vertraue Ihnen. Aber was Sie hier tun geht nicht von Ihnen aus, sondern Sie glauben blindlings den Worten dieser Frau. Und das ist der Punkt, an denen ich Ihnen nicht weiter folgen kann", antwortete sie leise und wendete den Blick ab.

„Dann bleiben Sie eben hier und genießen die Minibar. Es zwingt Sie keiner, an den Ermittlungen teilzunehmen", erwiderte er spöttisch und griff nach seinem Jackett, das er achtlos über eine Stuhllehne geworfen hatte. Ohne ein weiteres Wort streifte er es über und ging zur Tür.

„Wo gehen Sie hin?", fragte Scully alarmiert und schärfer, als sie es eigentlich vorgehabt hatte.

„Meine Arbeit machen", entgegnete er knapp und verschwand in die Dämmerung.

Frustriert starrte Scully noch einige Sekunden lang die Tür an, nachdem diese unbefriedigend leise ins Schloss gefallen war. Warum machte sie das eigentlich jedes Mal wieder mit?

Schließlich ließ sie sich erschöpft aufs Bett sinken und schaltete den Fernseher an. Sinnlose Berieselung schien in diesem Moment genau das Richtige zu sein.