Schon gehört? Er ist jetzt doch gegangen..."

Wirklich? Jetzt schon? Ich hätte ja gedacht, dass er wenigstens noch wartet, bis es nicht mehr ganz so offensichtlich ist."

Ein Schnauben erklang.

Es wäre so oder so offensichtlich. Es war schon seit seinem ersten Tag hier klar. Und alles, was kürzlich passiert ist, hat ihn wohl nur zum Handeln gezwungen."

Harry blendete das Gespräch aus und sah angestrengt auf den Boden. Ihm war ziemlich genau klar, wovon – oder besser: von wem – die Anderen sprachen, und noch genauer war er sich der stechenden Blicke in seinem Rücken bewusst. Die Gerüchte um ihr Verhältnis hatten sich seit Dracos Verschwinden exponentiell gesteigert, noch dazu, da er sich hartnäckig in Schweigen hüllte. Es ging alle einen feuchten Dreck an, was oder was nicht zwischen ihm und dem Blonden vorgefallen war, und er würde bestimmt niemandem den Gefallen tun, sich über den Verbleib des Slytherin öffentlich auszulassen.

Potter."

Er hob langsam den Blick und sah in ein paar schwarzer, überaus missmutig gestimmter Augen, die ihn aus einem noch missmutigeren Gesicht anstarrten.

Mitkommen."

Er nickte schwach und folgte Snape aus dem Speisesaal heraus in die Halle, wo ihn der Professor zur Seite zog und eindringlich musterte.

Wissen Sie, wo er ist?"

Die Panik, die er die letzten Tage mühsam nieder gedrückt hatte und die sich in den vergangenen Stunden, seit er in einem verwaisten Bett aufgewacht war und nirgends eine Spur seines Freundes erblickt hatte, nur noch verschlimmert hatte, explodierte schier und raubte ihm für einen Augenblick den Atem.

Soll das heißen, Sie wissen es auch nicht?!" krächzte er hervor, vor Aufregung zu keinen vollständigeren Tönen fähig. Die Miene seines Gegenübers verdüsterte sich noch.

Nein, Potter. Ich habe keine Ahnung."

Er fuhr schwer atmend in seinem Bett hoch und fasste sich benommen an seine Stirn. Fünf Jahre und ein paar Monate war es nun her, seit Draco spurlos aus seinem Leben verschwunden war, und noch immer fühlte er Nacht für Nacht wieder die entsetzliche Leere des Verlustes und die quälende Ungewissheit, was aus ihm wohl geworden sein mochte.

Das Untertauchen des Malfoy-Erben hatte Staub aufgewirbelt, sogar enorm viel Staub. Umso mehr, da alle Sachen, die irgendwie an ihn erinnert hätten oder mit ihm in Verbindung gebracht werden konnten, mit ihm zusammen verschwanden und nie wieder auftauchten. Nichts blieb von ihm bis auf die Erinnerung.

Zunächst hatte man ausgeharrt und vor allem Malfoy Manor sowie die gut gefüllten Konten seiner Eltern im Auge behalten. Es ging hier schließlich nicht nur um den Verbleib eines Magiers, es ging vor allem um die Beantwortung so einiger Fragen. Fragen, die Harry völlig aus dem Gleichgewicht gebracht hatten und sein ohnehin schon reichlich durchgewirbeltes Weltbild erneut völlig auf den Kopf stellten. Draco jedoch war und blieb verschollen, als hätte die Erde ihn geschluckt und sämtliche Anhaltspunkte, die etwas zu seinem Aufenthaltsort sagen könnten, wohlweislich vernichtet.

Die allgemeine Annahme war gewesen, dass er zu Voldemort übergelaufen war. Dieser Verdacht bestätigte sich in der Hinsicht, dass die Todesser-Angriffe plötzlich viel gezielter waren und deutlich mehr Opfer forderten. Harry wurde für seine Gutgläubigkeit verhöhnt und verachtet, auch wenn er immer wieder beteuerte, dem Blonden nie etwas über die Pläne des Ordens gesagt zu haben. Diese Beschuldigungen und Anfeindungen stoppten, nachdem Severus Snape ebenso wie der Blonde ohne jede Vorwarnung aus ihren Reihen verschwand und alsbald auf der Seite des Dunklen Lords wieder auftauchte. Harrys Vermutung, dass der Lehrer nur bei ihnen geblieben war um Draco beizustehen, bekräftigte sich so auf äußerst unschöne Weise.

Es war, als hätte Draco Malfoy niemals existiert. Die Suche nach ihm wurde eingestellt, die Fragen verklungen und der Krieg tobte ungehemmt weiter. Zwischen Tod und Kampf lag so wenig Zeit, dass die meisten Angehörigen kaum einen Augenblick der Besinnung fanden, um ihren Verstorbenen zu gedenken.

Zeit war nicht das Problem, dass Harry vom Trauern abhielt. Er weigerte sich ganz einfach, Dracos Tod hinzunehmen und klammerte sich verbissen weiter an den dünnen, unwirklichen Faden der Hoffnung, dass der Blonde irgendwo noch existierte und auf ihn wartete. Wie schon als unerfahrener Zauberschüler blieb er stur und suchte weiter, folgte jeder noch so kleinen Spur und zwang sich, weiter an das Überleben des Slytherin zu glauben, da dies der einzige Gedanke war, der ihn noch aufrecht hielt.

Seufzend schlug er die Decke weg und trat ans Fenster, durch das fahles Mondlicht in das Zimmer schien und silberne Kringel auf den Teppich malte. Er mochte Schottland nicht sonderlich, vor allem nicht im Frühling – es hatte etwas geisterhaftes und ihn hätte es nicht sonderlich schockiert, wenn ein Trupp kopfloser Reiter auf dem Feld vor seinem Fenster auf und ab galoppiert wären. Ein Tip seines Chefs hatte ihn hierhin geführt, der in etwa besagte, dass Voldemort in diesem Ort vermutet wurde.

Seit Jahren schon jagte Harry nun den Mörder seiner Eltern und noch immer hatte er den Mann nicht stellen können. Wie ein schlüpfriger Fisch, so entglitt ihm der meistgefürchtete Magier seiner Zeit jedes Mal bevor es zu einer Konfrontation kommen konnte. Seit ihrer Begegnung im Ministerium hatte er Voldemort nicht mehr gesehen, und das war nun immerhin fast 7 Jahre her.

Aber er war es eigentlich nicht, hinter dem Harry wirklich her war. Es ging viel mehr um das Gerücht, dass ein silberblonder Zauberer immer an dessen Seite war – und auch wenn es sich dabei höchstvermutlich viel eher um Lucius denn um Draco Malfoy handelte, so ließ eine kleine Stimme in seinem Inneren es doch nicht zu, dass er diesen Hinweis unbeachtet ließ.

Und so fand er sich mitten in einer kühlen Märznacht allein in einem ungemütlichen Zimmer wieder, als hinter ihm laut krachend die Tür aufflog und er sich urplötzlich in einem Ganzkörperklammerfluch gefangen auf dem Boden liegend wiederfand. Über ihm tauchten die Gesichter Crabbes und Goyles auf, die stumpfsinnig auf ihn herunter starrten, ehe eine dritte Gestalt in sein Blickfeld gelangte.

Snape.

„So sieht man sich wieder, Potter", schnarrte er spöttisch und hielt weiter seinen Zauberstab auf ihn gerichtet, „wie unvorsichtig, den Raum nicht zu versiegeln."

Harry knurrte unterdrückt und konzentrierte sich darauf, den Fluch zu sprengen – nicht umsonst war er der einzige Auror ganz Englands, der keinen Partner hatte und trotzdem die meisten Todesser dingfest machte – als Snapes Zauberstab sowie die seiner beiden Komplizen ihren Griffen entwischten und irgendwo in den Schatten hinter der Tür von einer behandschuhten Hand aufgefangen wurden. Der Gryffindor war von dem Wandel der Ereignisse zu verwirrt um seine Versuche fortzusetzen und starrte stattdessen auf die schemenhaft erkennbare Gestalt im Türrahmen.

„Wer bist du?" fragte Snape ärgerlich, woraufhin der Fremde eine ungeduldige Geste mit seiner Hand machte und die drei Angreifer wie leblose Puppen zusammenbrachen. Die Gestalt näherte sich Harry mit langsamen Schritten, die seinen schwarzen Umhang leicht schwingen ließen, und beugte sich dann über ihn. Ein vertrauter Geruch von Zedern stieg umwehte den Unbekannten, gepaart mit einer angenehmen Mischung aus Rauch und etwas, was Harry nicht einzuordnen wusste. Fast animalisch, wild. Sein Herz schlug schneller und jede Erinnerung daran, wie er jemals ohne Zauberstab hatte zaubern können, versank im Strudel der auf ihn einschwappenden Welle von unterschiedlichsten Gefühlen.

Die Hand mit den Zauberstäben schob langsam die Kapuze zurück, und blasser Mondschein ließ silbernes Haar einen Moment lang aufleuchten wie die überirdische Aura eines höheren Wesens. Ein Lächeln überzog lange nicht mehr gesehene Züge. „Ich bin zurück, Harry."

Die Ohnmacht kam schneller als er es für möglich gehalten hätte.