Armors Erben – Liebe findet immer einen Weg
© valeta 2006
1. Das Ende eines Traums
Auckland, Neuseeland, 10.01.2007
Drei Monate. Auf den Tag genau drei Monate hatte das Glück – das vermeintliche Glück – mit David angedauert. Einsame Strände, Wochen auf See. Doch als sie wieder in der Zivilisation, die in Ihrem Fall den Namen Papeete trug, waren hatte es nicht lange gedauert, bis er...
Lisa legte den Kopf in den Nacken,…wie würde er es nennen?
„...bis er den Schönheiten der Insel für einen Moment erlag." – ja das würden wohl seine Worte sein.
„Ich bin jetzt Elisabeth Maria Seidel, das was ich immer sein wollte." – nein, dieser Selbstbetrug half jetzt auch nicht mehr.
Sie saß am Hafen von Auckland, wie seit vielen Tagen schon. Gleich nachdem sie David mit dieser Schönheit im Boot in Flagranti erwischt hatte, hatte sie Tahiti verlassen und den nächsten Flieger genommen, der sie nach Neuseeland brachte. Dort fand sie ein kleines Hotel, in der sie unter dem Namen Plenske, dem Namen, der immer noch in ihrem Pass stand, seit über 5 Wochen versteckten. Die Hotelmitarbeiter stellten keine Fragen, und das war auch gut so. „Wie hätte ich auch das Unbegreifliche erklären können?", dachte sie bei sich.
„Dass
ich, dass ich... ", ein Bild entstand vor ihrem inneren Auge.
Braune Augen, ein Schnauzer, ein schiefes Lächeln.
„Frau
Plenske, ich glaube, ich habe mich in Sie verliebt."
Gott, was
hatte sie nur getan? Geht es ihm gut? Sie schloss die Augen. Nein,
sie hatte nicht mal mehr das Recht an ihn zu denken. Und doch.
„Bitte, bitte, wenn es einen Gott gibt, dann sorge dafür, dass
er glücklich ist – oder wenigstens wieder glücklich wird.
Das ist alles, was ich mir wünsche."
Lisa sah auf ihre Hand. An ihr blinkte immer noch Davids teurer Ehering. Sie riss ihn sich vom Finger und war ihn ins Hafenbecken.
Pinneberg, Deutschland, 10.01.2007
Rokko lief in der Abenddämmerung
den kleinen Feldweg nahe seinem Elternhaus entlang.
Er genoss die würzige Winterluft und fühlte die ersten
Anzeichen von Leben wieder in sich knospen. In den letzten 4 Monaten
hatte er hier Zuflucht gesucht und war von seinen Eltern und seiner
Schwester Ella beschützt und gehegt worden. 4 Monate, 9 Tage und
7 Stunden seit dem entsetzlichsten Moment seines Lebens, der sein
schönster werden sollte.
Er war über Lisa noch längst
nicht hinweg, das war ihm klar, aber er hatte das Gefühl, als
könnte er zum ersten Mal seit langer Zeit wieder durchatmen.
Am Fenster im ersten Stock des Elternhauses stand Ella und
beobachtete ihren kleinen Bruder. Sie bemerkte, wie er jetzt kurz
anhielt und zum ersten Mal wieder seine Schultern steckte. „Komm,
Robert, es wird alles wieder gut", dachte sie.
Papa war heute
wieder zur Arbeit an die Uni gefahren und Mama zum Einkaufen.
Sie
erinnerte sich an den Tag vor 4 Monaten zurück, als sie viel zu
spät zur Trauung kamen, erfuhren was geschehen war und
schließlich Robert betrunken und apathisch in seiner Wohnung
fand. Alle vier reagierten prompt. Mama packte im Schlafzimmer einige
Kleidungsstücke zusammen und Papa ging in die Küche, kochte
einen starken Kaffee und flößte diesen seinem Sohn ein.
Ella pellte in der Zwischenzeit zusammen mit ihrem Mann Daniel ihren
Bruder aus dem Hochzeitsanzug und zog ihm T-Shirt, Strickjacke
und Jeans an. Dann setzten sie ihn gemeinsam in den Wagen der Eltern
und brachten ihn heim.
Spät in der Nacht waren Sie in
Pinneberg angekommen und hatten als erstes Rokko ins Bett verfrachtet
um danach eine kleine Familienkonferenz zu halten. Er würde
Abstand brauchen, soviel war klar – sehr viel Abstand. Es würde
das Beste sein, er würde seine Zelte in Berlin erst mal abbauen
und bei seiner Familie wieder zur Ruhe kommen.
Als Professor Kowalski seinem Sohn am nächsten Tag die Überlegungen seiner Familie unterbreitete, nickte der nur zustimmend. Er wollte nichts denken, nichts fühlen, nichts bewegen – er fühlte sich innerlich tot.
Für einen
normalerweise absolut alltagsuntauglichen Historiker kam daraufhin
eine außergewöhnliche Lebendigkeit in Rokkos
Vater. Konrad Kowalski machte Nägel mit Köpfen – hier
ging es um den Seelenfrieden seines Sohnes. Schnell hatte er alle
notwendigen Kündigungen – Job, Wohnung, Versorger getippt,
Rokko sie unterschreiben lassen und auf den Weg gebracht. Eine Woche
später waren die Eltern noch einmal nach Berlin gefahren. Die
Wohnung auflösen. Für die nächste Zeit sollte Rokko
möglichst wenig nach Berlin ziehen und die Wunde wieder
aufreißen.
Während des Ausräumens war Rokkos
Mitbewohner aufgetaucht. Shannon und Konrad Kowalski erkannten in ihm
den verräterischen Trauzeugen ihres Sohnes und warfen ihn
kurzerhand hinaus. Als dieser auch noch empört verlangte, Rokko
zu sprechen, schnauzte Konrad Kowalski ihm nur noch ein „Der ist
zum Meditieren – in Tibet!" auf die Straße entgegen und
knallte die Tür zu.
3 Wochen zuvor in Berlin, Deutschland
Nachdem David mehrere Tage auf die Rückkehr
seiner Frau gewartet hatte, musste er gezwungenermaßen
Vermisstenanzeige bei den zuständigen Behörden stellen und
auch die deutsche Botschaft kontaktieren. Dort konnte er gerade noch
verhindern, dass auch die Plenskes zuhause
in Berlin informiert wurden. Das hätte ihm jetzt noch gefehlt.
„Verdammt, Lisa, warum machst Du einen solchen Aufstand?
Mariella war da wesentlich pflegeleichter
gewesen – jedenfalls eine ganze Zeit lang. Aber Du musst ja gleich
bei einem kleinen Seitensprung zur Drama-Queen mutieren."
Als es nach 2 Wochen der Suche immer noch kein Lebenszeichen von Lisa gab, war David gezwungen, nach Berlin zurückzufliegen und der Familie die Wahrheit zu beichten. Ein wenig Sorgen machte er sich schon um sie, doch es überwog die Wut, dass sie ihn in eine solch peinliche Situation gebracht hatte.
In Berlin gelandet führte ihn sein erster Weg zu seinem Elternhaus. Vielleicht hatten seine Eltern eine Idee, wie man den Plenskes das Verschwinden ihrer Tochter möglichst schonen beibringen konnte.
Gabriele
verließ die Villa Seidel durch den Seitenausgang und wühlte
in ihrem Einkaufskorb nach ihrer Geldbörse. Dann blickte sie
kurz hoch und sah, wie David Seidel aus einem Taxi stieg und im Haus
verschwand.
Soso, die jungen Seidels waren also zurück.
Da
zu Gabrieles Einkaufrundgang heute auch der Weg zu Kerima
gehörte machte auch dort die Rückkehr des Brautpaars bald
die Runde.
Helga freute sich über die Neuigkeit –
rechtzeitig zu Weihnachten waren die beiden also wieder zu Hause. Als
Friedrich ihr anbot, sie mit seinem Wagen mitzunehmen, um das Paar zu
begrüßen, rief sie kurz ihren Mann an und verließ
dann mit Seidel senior die Firma.
Vor dem Haus angekommen,
stiegen Helga und Friedrich aus dem Wagen. In diesem Moment kam Bernd
wutschnaubend die Auffahrt hinauf. Helga hatte ihren Mann noch nie so
wütend gesehen.
„Seidel!!!", brüllte er, „Was hat
Dein missratener Sohn jetzt schon wieder mit meinem Schnattchen
angestellt."
Bernd baute sich vor Wut zitternd vor Friedrich
auf und hielt ihm die Abendzeitung vor die Nase.
Friedrich hob
beschwichtigend die Hände, dann fiel sein Blick auf die
Schlagzeile und er begann halblaut zu lesen:
„Kerima-Chefin
verschwunden!
Berlin, 20.12.06
Wie aus sicherer Quelle zu
erfahren ist, wird die 26jährige
Mehrheitseignerin des
Modehauses Kerima Moda, Elisabeth Seidel,
seit 2 Wochen vermisst. Seidel, die sich nach der überraschenden
Trauung mit Kerima-Juniorchef David Seidel auf Hochzeitsreise befand,
verschwand nach Angabe von Zeugen an Montag vor 2 Wochen am Hafen von
Papeete/Tahiti nach einem heftigen Streit
mit ihrem Ehemann. (...)"
„Was?" Friedrich griff
nach der Zeitung und blickte dann hoch. „Ich habe keine Ahnung."
Helga hatte die Hände vor dem Gesicht zusammengeschlagen. Ihr
Herz schlug rasend und sie hatte Tränen in den Augen. Ihr
Mäuschen!
„Es ist mir schnurzegal, wovon Du Ahnung hast,
ich will wissen, was mit meinem Kind ist!", polterte Bernd weiter.
In seinem Herzen wühlte nicht nur die Sorge um sein
Schnattchen. Ihm war sehr wohl bewusst, dass er nicht ganz
unbeteiligt daran war, dass Lisa David Seidel und nicht Rokko
Kowalski das Ja-Wort gegeben hatte. War das vielleicht eine falsche
Entscheidung gewesen? Hatte er diesen polnischen Boxer vielleicht
falsch eingeschätzt? Hatte er David Seidel falsch eingeschätzt?
Friedrich Seidel ließ die Zeitung sinken und lief ins Haus. Helga und Bernd folgten ihm. Als sie das Wohnzimmer betraten, kamen Laura und David die Treppe hinunter. „David, was ist los?", Friedrich stürmte durch den Raum und hielt seinem Sohn die Zeitung hin.
David las den Artikel, ließ die Zeitung
dann sinken und sagte „Vater, ich..." „Nichts, Vater ich! Ich
will sofort wissen, was passiert ist! Was ist mit Deiner Frau?"
Sein Sohn begann zu erzählen. Von der Reise, der Ankunft auf
Tahiti und der Auseinandersetzung mit Lisa – den Grund für den
Streit verschwieg er vorsichtshalber.
Als David geendet hatte,
schaute Friedrich zu den Plenskes herüber. Sie standen dicht
beieinander und hielten sich an den Händen. Die blanke Angst
stand in ihren Augen. Dann sah er zu seinem Sohn – dessen Blick
wischte unstet durch den Raum und er stand wie ein begossener Pudel
mitten im Zimmer.
„Sag´ uns die ganze Wahrheit, David.
Ich sehe Dir doch an, dass da noch was ist."
David blickte
seinen Vater erstaunt an – er kannte ihn zu gut. Also beichtete er
auch die Situation, in der Lisa ihn auf dem Boot vorgefunden hatte.
Starr vor Entsetzen lauschten Helga und Bernd Davids Bericht.
Doch als dieser nun begann, von „Überreaktion" und
„miteinander darüber sprechen" zu reden, konnte Bernd nicht
mehr an sich halten.
Er löste sich von seiner Frau und baute
sich vor Wut kochend vor seinem Schwiegersohn auf.
„Halte
den Mund!", sagte er verdächtig leise. „Halte Deinen
verdammten Mund! Du hast mein Schnattchen betrogen und ihre Gefühle
mit Füßen jetreten."
Als nächstes landete schon
Bernds Faust auf Davids Nase und der junge Seidel ging zu Boden.
„Wage es ja nicht, irjendwann nooch eenmal eenen Fuß
in mein Haus zu setzen. Und wenn Lisa irjendeen Leid jeschieht, dann
Jnade Dir Gott!"
Bernd nahm seine Frau an die Hand und verließ
die Villa Seidel. In ihm tobten Angst und Schuldgefühle. Noch
nie hatte er sich in einem Menschen so getäuscht. Er schämte
sich in Grund und Boden, dass er seiner Tochter zugeredet hatte,
diesen Mann zu heiraten.
Auch Friedrichs Welt war in den
letzten Minuten in sich zusammengefallen: Die Tochter ein
kaltherziges und berechnendes Biest, der eine Sohn ein Ehebrecher und
Frauenheld, der andere ein Schwerstkrimineller – und dazu eine
Ehefrau, die längst ihre eigenen Wege ging.
Er war
grenzenlos enttäuscht und sollte sich nie wieder ganz von den
Ereignissen dieses einen Tages erholen.
Nicht Sophie hatte den großen alten Mann von Kerima letztlich zu Fall gebracht, sondern sein eigen Fleisch und Blut!
