About Jim and Karen - Wie Jim zu Karen kam
Es war Abend. Die untergehende Sonne tauchte den Abendhimmel und den Wald in der Nähe der Krokodilfarm in ein tiefes Rot. Die langen Schatten der Bäume zierten den Weg, auf dem ein achtjähriger, australischer Junge gerade in den Wald hinein ging. Der Junge hatte schwarzes Haar und blaue Augen, die seinen Mut und die Loyalität wieder spiegelten. Außerdem trug er einen großen, braunen Cowboyhut, welcher in den vergangenen Jahren zu seinem Markenzeichen geworden war. Man sah den Kleinen kaum noch ohne den Hut. Lediglich zum Duschen oder Schlafen setzte er ihn ab. Wobei er ihn meistens selbst bei letzterem aufbehielt.
Hin und wieder stocherte er auf seinem Weg mit einem Stock etwas im Waldboden zu seinen Füßen herum. Ihm war langweilig. Er war gerade auf dem Weg zu seinem Lieblingsplatz, doch die Strecke dorthin kannte er schon auswendig, welche darum für ihn mittlerweile langweilig geworden war. Bei seiner Lieblingsstelle handelte es sich um einen See, der von einem kleinen Wasserfall gespeist wurde. An diesem Ort konnte er sich entspannen und war nicht dazu verpflichtet seinen Eltern auf der Farm zu helfen. Nein hier konnte er sich in den Schatten eines Baumes legen und den Wolken bei ihrer Wanderung zusehen.
Der
kleine Cowboy zog sich nicht nur dann hierher zurück, wenn er nicht
auf der Ranch helfen wollte, sondern auch, wenn er seinen Träumen
nachhing. Meist träumte er davon später einmal ein großer
Archäologe zu werden, der viele wichtige Funde machte. Das war sein
großer Traum. Schon immer hatte er im Sand oder Dreck nach kleinen
Tierknochen oder Scherben irgendwelcher Vasen gebuddelt. Erfolgreich
war er jedoch nie wirklich gewesen. Wenn er einmal etwas fand,
handelte sich dies zumeist um den Müll, den Touristen unachtsam
liegen gelassen hatten.
Dennoch
gab er nicht auf. Er war fest davon überzeugt irgendwann einmal
einen bedeutenden Fund zu machen.
Wie es dazu kam, dass Jim unbedingt Archäologe werden wollte wusste er noch ganz genau. Alles hatte mit einem Bericht über eine fantastische Ausgrabung angefangen, den er vor zwei Jahren einmal im Fernsehen gesehen hatte. Sofort war er begeistert davon gewesen und wollte mehr darüber wissen. Seitdem sammelte er sämtliche Bücher über dieses Fachgebiet, die er in die Finger bekommen konnte. Immer mehr wissen hatte er sich in den vergangenen 24 Monaten angeeignet. Für sein noch junges Alter wusste er ausgesprochen viel darüber, oft sogar mehr als so manch ein Erwachsener mit dem er sich darüber unterhielt.
Nach einer kurzen Weile, kam Jim an seinem heiß geliebten See an. Sofort rannte er zum Wasser um einen Schluck zu nehmen. Nachdem er getrunken hatte, spritze er sich einen kleinen Schwall von dem kalten Nass in sein Gesicht. Er mochte das Gefühl des kühlen Wassers auf seiner Haut, nachdem er den ganzen Tag lang in der Sonne unterwegs gewesen war. Es hatte dann immer so eine beruhigende Wirkung auf seine warme Haut. Immer wieder befeuchtete er sich damit sein Gesicht.
Kurz darauf stand er auf und ging auf einen der umstehenden Bäume zu. Eigentlich hatte er vorgehabt sich in den Schatten eines Baumes zu legen und ein bisschen zu schlafen, doch das was er im nächsten Augenblick hörte, hielt ihn davon ab. Er hatte dieses Geräusch schon einmal gehört, konnte aber im Moment nicht genau sagen wo. Jim hielt inne und sah sich lauschend um, damit er die Richtung ausmachen konnte, aus welcher diese Laute kamen.
Bereits
nach wenigen Sekunden konnte er die Quelle dieser Töne ausfindig
machen. Sie schien aus dem dichten Gebüsch, nur wenige Hundert Meter
weiter Fluss abwärts, zu kommen. Er drehte sich in die Richtung und
ging langsam stromabwärts darauf zu.
Je
näher er der Geräuschequelle kam um so lauter wurden sie. Jim
erkannte nun, dass es sich um eine Mischung aus einem kleinen
hilflosen Fieben und einem bedrohlichen Knurren und Fauchen handelte.
Neugierig kam Jim immer näher. Als er an dem Gebüsch angekommen
war, schob er vorsichtig die Äste beiseite um sehen zu können, was
sich dort abspielte.
Was
er sah ließ ihm den Atem stocken. Vor ihm im feuchten Boden am
Flussufer lag ein kleines Krokodil. Er schätze, das es erst einige
Wochen alt sein müsste, also noch nicht recht lange alleine
unterwegs war. Die kleine Echse hatte einige klaffende Wunden an den
Hinterbeinen und am Schwanz. Noch bevor der kleine Junge sich fragen
konnte, woher diese Wunden stammen mögen, sah er den Grund bereits.
Nur wenige Meter entfernt von ihm stand ein großer, ausgewachsener
Komodowaran. Dieser blickte auf seine Beute hinab.
Jim
schlussfolgerte, dass er nur darauf wartete, dass das Krokodil an den
Bakterien, die durch den Biss in den Körper gelangt waren, zu Grunde
ging und er es endlich fressen konnte.
Inständig
hoffte der kleine Junge, dass die ausgewachsene Riesenechse ihn nicht
entdeckte. Von seinen Eltern wusste er, dass diese Art der Warane
auch vor Menschen nicht zurückschreckte.
Leicht
schluckte er und wich mit einem Fuß einige Zentimeter nach hinten.
Dies gelang ihm, obwohl er den Fuß nicht vom Erdboden abhob ganz
leicht, denn der Boden zu seinen Füßen war vom Flusswasser matschig
und rutschig.
Weiterhin
besah sich der junge Australier das verletzte Krokodiljunge. Es tat
ihm Leid. Am liebsten wäre er auf es zu gerannt, hätte es genommen
und wäre davongelaufen, um es vor dem Tod durch den Waran zu retten.
Doch das konnte er nicht, das wusste er. Wenn er nun einschreiten
würde, würde der Waran ihn entdecken und vermutlich sofort
angreifen. Immerhin würde Jim ihm damit sein Fressen vor der Nase
klauen.
Obwohl
es gefährlich war, einzugreifen, wollte Jim etwas unternehmen. Er
wusste nur noch nicht was. Viel Zeit um sich etwas zu überlegen
blieb ihm nicht mehr, das war ihm klar, denn wenn er jetzt nicht
handelte, starb das Krokodil, egal was er tat.
Während
seiner Überlegungen, die er gedanklich anstellte, wich sein Blick
zwar nicht von der verletzten Beute des Warans, jedoch vom Jäger
selbst. So merkte er nicht, dass das Tier sich längst eine neues
Opfer gesucht hatte: Jim.
Das
fast lautlose Rascheln des Grases, als der Achtjährige
zurückgewichen war, ließ die Echse aufhorchen und in die Richtung
des Kindes blicken. Nun schlich sie langsam durch das hohe Gebüsch
auf ihn zu, ohne das dieser etwas davon merkte. Erst, als das Gras
neben ihm sich anfing zu bewegen, schaute er auf.
Vor
Schreck weitete er überrascht und perplex die Augen,wich einige
Schritte weg von dem Tier, immer näher an den Fluss heran. Neben ihm
stand der ausgewachsene Komodowaran, welchen er zuvor einige Meter
entfernt von ihm gesehen hatte.
Der
kleine Cowboy schluckte, während er weiterhin angsterfüllt auf die
Riesenechse vor ihm starrte. Fieberhaft überlegte er was er nun tun
sollte. Würde er einfach so stehen bleiben wie nun, so wusste er,
würde er als Mahlzeit des Tieres enden. Doch viel weiter zurückgehen
konnte er auch nicht, denn unmittelbar hinter ihm war das Ufer des
Flusses zu Ende und das Wasser rauschte gefährlich und schnell
vorbei.
"Verdammt!",
fluchte er leise und ballte seine kleinen Hände zu Fäusten.
Nun
kam auch sein Jäger immer näher. Mit langsamen, staksigen Schritten
bewegte sich der Waran auf ihn zu. Kurz bevor er bei seiner Beute
angekommen war blieb er jedoch stehen. Er hatte etwas gehört.
Neugierig drehte er seinen Kopf in die Richtung des Waldrandes.
Jim
nutze die Chance aus, dass der Waran abgelenkt war und ergriff die
Gelegenheit zur Flucht. Er wusste, dass dies vermutlich seine einzige
Chance war zu entkommen und nicht als Abendessen eines Komodowarans
zu enden.
Er
lief eilig zu dem kleinen Krokodil, welches immer noch mit den
schweren Wunden und leicht fiepend auf dem Boden lag, hob es so
schnell es ging hoch und rannte dann in den Wald hinein.
Zwischendurch blickte er immer wieder über die Schulter nach hinten,
aus Angst die Echse könnte sie vielleicht verfolgen. Da er sie
jedoch nirgends sah und er außer Gefahr zu sein schien, blieb er
einen kurzen Moment stehen, damit er etwas verschnaufen konnte. Dabei
sah er besorgt auf das kleine Reptil in seinen Armen. Es atmete nur
noch langsam, das spürte er. Durch seine Wunden waren die Ärmel von
Jims sonst so weißem Hemd blutdurchtränkt.
"Hab
keine Angst...", flüsterte er beruhigend und strich dabei mit
einer Hand über den Kopf des Krokodils.
Dann
rannte er eilig auf dem Weg, auf welchem er zu der Lichtung gekommen
war immer weiter, bis er den Wald schließlich verlassen hatte.
Außerhalb des Waldes angekommen, machte er sich so schnell es ging auf dem Weg zu seinem Onkel. Der ältere Herr besaß eine Krokodilfarm, auf welcher er auch ab und zu mal wilde Krokodile versorgte, wenn er sie auf seinen Spaziergängen durch den nahe gelegenen Wald verletzt vorfand. Sicherlich konnte er auch diesem kleinen Krokodil helfen, so hoffte Jim.
Wenige
Minuten später kam der kleine Australier an der Farm seines Onkels
an. Da er um diese Zeit immer die Krokodile fütterte, wusste er
gleich wo er ihn finden konnte. So schnell es ging lief er zu den
Freigehegen. Schon von weitem konnte er den Bruder seines Vaters
erkennen.
"Onkel
John!", rief der kleine Jim aufgebracht und blieb völlig außer
Atem bei dem Älteren stehen.
Der
ältere Herr, der auf den Namen John hörte drehte sich besorgt zu
seinem Neffen um.
"Was
ist denn los, Jim? Ist etwas passiert?", fragte er noch in der
Drehung. Als er seinen Neffen dann ansah, wusste er sofort warum
dieser hier war. Sein Blick ruhte auf dem kleinen Reptil in Jims
Armen. "Ach du meine Güte! Was ist denn da passiert?"
Überrascht sah er den kleinen Cowboy an, bevor er ihm das Krokodil
aus den Armen nahm. "Komm mit! Wir müssen sofort etwas tun."
Zustimmend
nickte Jim und rannte mit seinem Onkel zu einer Art Krankenzimmer für
Krokodile, welches sein Onkel benutzte um verletze zu behandeln.
Dort
angekommen fragte er seinen Neffen: "Was ist passiert, Jim?
Schnell, du musst mir alles erklären!"
Jim
nickte und sein Onkel legte das kleine Krokodil auf den Tisch.
"Als
ich im Wald war, am Wasserfall, hörte ich im Gebüsch plötzlich ein
Fiepen und Fauchen. Ich ging also hin um nachzusehen, was dort los
war. Als ich ankam sah ich das verletzte Krokodil. Es hatte diese
Wunden bereits und sie bluteten noch stärker als jetzt. Einige Meter
entfernt von ihm stand ein Komodowaran.", antwortete der
Achtjährige.
Der
Ältere nickte wissend. "Verstehe..."
Im
nächsten Moment ging er zu einem der Medizinschränke und kramte
zwei kleine Fläschchen samt Verbandszeug heraus. Dann lief er zurück
zum Tisch. Die eine Flasche öffnete er sofort und ließ etwas von
der Flüssigkeit darin auf ein Tuch tropfen. Mit diesem Stück Stoff
tupfte er die Wunden des Krokodiljungen ab. Das Reptil zuckte
merklich dabei zusammen und Fauchte und Fiepte dabei. Mit dem Schwanz
schlug es dabei ein wenig aus. John ließ sich davon jedoch nicht
ablenken. Unbeirrt machte er mit seiner Arbeit weiter.
Jim
sah dem kleinen Reptil in die Augen und lächelte. "Bald bist du
wieder ganz fit.", flüsterte er und sah es weiterhin an.
Bereits
nach wenigen weiteren Minuten hatte der Besitzer der Farm die Wunden
seines Patienten versorgt.
"Nun
fehlt nur noch eine Sache.", meinte er und sah seinen kleinen
Neffen lächelnd an.
Dieser
blickte fragend zurück. "Und was wäre das?"
"Es
muss nur noch die Medizin trinken. Dies ist wichtig, damit die
Bakterien, welche durch den Biss des Warans in seinen Körper gelangt
sind, bekämpft werden und absterben, damit sie überlebt.
"Sie?",
stirnrunzelnd sah der kleine Jim seinen Onkel an.
Er
lachte. "Ja, sie! Dieses Krokodil ist ein Weibchen. Und ein noch
recht junges dazu."
"Ahh..
verstehe.", nickte Jim.
Sein
Onkel lächelte. "So.. dann wollen wir mal weiter machen."
Er
schraubte den Deckel des zweiten Fläschchens auf und kippte ein
wenig des Inhaltes auf seine Handfläche. Zum Vorschein kamen einige
weiße Tabletten. Anschließend verschraubte er das Fläschchen
wieder fest.
"Das
ist die Medizin gegen die Blutvergiftung die sie vermutlich erlitten
hat.", erklärte er, "Sie ist schnell wirksam und hat schon
vielen wilden Krokodilen, die ich hier behandelt habe, das Leben
gerettet."
Aufmerksam
sah der Neffe des Farmbesitzers zu, wie dieser versuchte das Maul des
Tieres zu öffnen um ihm die Medizin zu verabreichen. Das kleine
Reptil jedoch weigerte sich es zu öffnen. Stattdessen drangen durch
seine geschlossenen Zähne immer wieder bedrohlich klingende
Fauchgeräusche.
John
seufzte. "Wenn sie das Maul nicht öffnet und die Tabletten
schluckt, wird sie streben...", murmelte er.
Besorgt
nach den Worten seines Verwandten sah Jim der kleinen Krokodilsdame
in die schwarzen Augen. "Bitte...", flüsterte er ihr
flehend zu und tätschelte dabei über ihren Kopf. "Schluck die
Medizin… dann wirst du bald wieder gesund sein."
Kurz
nach dem Jim diese Worte ausgesprochen hatte öffnete das Krokodil
tatsächlich sein Maul. Überrascht blickte der Ältere abwechselnd
das Tier und seinen Neffen an. Letzterer lächelte seinen Onkel
siegessicher an. Doch als der Farmbesitzer dem Tier die Medizin
verabreichen wollte, schloss es das Maul wieder und starrte ihn
grimmig an.
"Darf
ich mal?", fragte der kleine Cowboy und nahm dem Bruder seines
Vaters die Tabletten aus der Hand, ohne abzuwarten, was dieser
antwortete. Erneut redete er auf das Tier ein, wie beim ersten Mal.
Und wieder öffnete sie ihr Maul. Vorsichtig legte Jim die Tabletten
auf die Zunge des Krokodils. Schnell reagierte sein Onkel und drückte
ihm ein Glas Wasser in die Hand. "Das muss es trinken, damit die
Tabletten in ihrem Körper anfangen zu wirken.", sagte er.
Behutsam kippte Jim den Inhalt des Glases über den Rachen des
Reptils aus. Zuvor hob sein Onkel es jedoch ein bisschen an, damit er
sich sicher sein konnte, dass die Medizin samt Wasser auch im
Patienten gelandet seien.
Danach
legte er ihn wieder richtig auf den Tisch. "Nun müsste die
Medizin innerhalb weniger Minuten zu wirken beginnen. Wenn sie
anschlägt, wird die Kleine gleich in einen tiefen Schlaf fallen,
indem sie wieder ganz zu Kräften kommt." Er legte eine Hand auf
die Schulter seines Neffen. "Das hast du wirklich gut gemacht,
Jim. Ohne deine schnelle Reaktion wäre sie vermutlich schon längst
als Waranmahlzeit geendet."
Leicht
lächelte Jim während er zusah, wie die kleine Krokodilsdame
einschlief. Um sicher zu gehen, dass sie nicht doch gestorben war,
fühlte er noch mal nach ihrem Puls und überprüfte ihren Atem. Als
er sich sicher war, dass sie noch lebte, sah er seinen Neffen
zufrieden an. "Wenn sie jetzt die ganze Nacht durchschläft und
morgen früh wieder aufwacht, ist sie über den Berg."
Der
kleine Australier lächelte und sah dabei das schlafende Reptil an.
"Dann hoffen wir mal, dass sie wieder zu Kräften kommt."
John
nickte. "Ich bin mir sicher, das wird sie. Aber du solltest nun
nach Hause gehen. Deine Eltern machen sich sicher schon Sorgen um
dich. Wegen dem Krokodil kannst du ja morgen früh wiederkommen und
wir schauen dann gemeinsam wie es ihr geht, einverstanden?"
Eifrig
nickte der kleine Cowboy, damit war er mehr als einverstanden.
"Duuu..? Onkel John? Darf ich ihr einen Namen geben?" Mit
einem Hundeblick in den Augen sah er seinen Onkel fragend an. Dieser
begann zu lachen.
"Natürlich
darfst du! Ohne dich wäre sie doch gar nicht mehr am Leben. Aber
denk dir was Schönes aus, ja?"
Der
Achtjährige nickte. "Mach ich!", sagte er und machte sich
auch sogleich auf den Heimweg. "Bis Morgen dann!"
Als Jim die Farm seines Onkels John verließ war es schon spät. Die Sonne war bereits vollends untergegangen. Statt ihr erhellten nun der Mond und Milliarden von Sternen seinen Rückweg über die Felder, die zu der Farm seiner Eltern gehörten. Das zirpen einiger Grillen und das dauerhafte Summen der Mücken begleiteten den kleinen Jungen nach Hause. Etwa eine halbe Stunde später kam er endlich dort an.
Leise schlich er sich durch die Hintertür in das Haus hinein. Noch an der Tür zog er sich die schwarzen Schuhe aus und stellte sie zu denen seiner Eltern und seiner beiden Geschwister, die ebenfalls dort standen. Nachdem er die Schuhe abgestellt hatte, fiel sein Blick auf die Ärmel seines Hemdes, welche durch das Blut des verletzen Krokodils nun blutrot gefärbt waren. Leicht strich er mit den Fingern über den roten, angetrockneten Lebenssaft. Obwohl er wusste, dass er nun kein Blut an den Fingern kleben hatte, rieb er sie aneinander. Dabei dachte er daran, was seine Eltern wohl dazu sagen würden, wenn sie erfahren würden was vorhin passiert war. Es würde nichts Gutes sein, das wusste er, denn seine Eltern waren eigentlich dagegen, dass er alleine in den Wald ging, oder zu viel Zeit auf der Krokodilfarm verbrachte. Sie hatten Angst, dass ihm irgendetwas passieren konnte. Doch ihr Sohn missachtete das Verbot über das Betreten des Waldes und dem zu nahe kommen der Krokodile auf der Farm gerne mal, denn er liebte diese Tiere einfach oder wollte im Wald einfach seine Ruhe haben. Erneut strich er mit den Fingerspitzen über den blutgetränkten, roten Stoff. Nachdenklich sah er diesen an. Einerseits überlegte er sich, was er seinen Eltern sagen könnte, wenn diese sahen was mit seinem Hemd passiert war, andererseits überlegte er, wie er nach oben kommen und sich umziehen konnte, ohne das sie vorher entdeckten, was er ihnen noch vorläufig verheimlichen wollte.
Um
zu seinem Zimmer zu kommen, musste er durch die Küche, jedoch hörte
er aus der dieser schon die Stimme seiner Mutter Sarah, welche dabei
war das Abendessen vorzubereiten. Ein kurzer Blick auf die Uhr an der
Wand verriet ihm, dass er etwa noch eine halbe Stunde Zeit hatte, um
sich ein frisches Hemd anzuziehen.
Auf
Zehenspitzen schlich er sich in Richtung Küche. Im Türrahmen blieb
er stehen und späte nach seiner Mutter. Diese drehte dem Weg, den er
gehen musste, um ungesehen durch die Küche zu kommen, den Rücken
zu. Jim schlich sich leise durch den Raum, um dabei so wenige
Geräusche wie nur irgend möglich zu machen, hielt er sogar den Atem
an. Er hatte Glück, seine Mutter bemerkte nicht, dass er da war.
Nachdem er die Küche durchquert hatte, atmete der kleine Australier
tief durch. Die erste und schwerste Hürde war geschafft. Nun blieb
für den Rest des Weges zu seinem Zimmer nur noch zu hoffen, dass er
weder seinem Vater, noch seinen Geschwistern begegnete.
Beinahe
lautlos stieg der Achtjährige die Treppe zu den Schlafzimmern empor.
Oben angekommen sah er sich prüfend um, ob jemand in der Nähe war.
Als er sich vergewissert hatte, dass er alleine war, lief er so
schnell er konnte zu seinem Zimmer. Hektisch schloss er hinter sich
die Tür ab und lies sich erleichtert zu Boden sinken. Er hatte es
geschafft. Er war in seinem Zimmer angekommen, ohne das auch nur eine
Person ihn und sein blutverschmiertes Hemd gesehen hatte. Heilfroh
stand der kleine Cowboy wieder auf und überwand die wenigen Schritte
zu seinem Schrank. Dort suchte er sich ein Hemd heraus, welches dem,
was er gerade trug sehr ähnelte.
Danach
zog er das, mit welchem er gerade bekleidet war aus und das frische
an. Das mit den Blutflecken faltete er zusammen und stopfte es ganz
unten in den Wäschekorb hinein. Damit er sich sicher sein konnte,
das seine Mutter es nicht sofort sah, räumte er zuerst alles was
sich darin befand heraus, bevor er es ganz nach unten warf.
Anschließend legte er den Rest der getragenen Kleidung wieder
hinauf. Die Weste, die er zuvor getragen hatte, zog er diesmal nicht
wieder über das Hemd, sondern legte sie, ebenfalls zusammengefaltet
unter sein Bett.
Im
nächsten Moment hörte Jim schon seine Mutter rufen, dass es nun
Abendessen gäbe. Schnell schloss Jim die Tür auf und machte sich
auf den Weg nach unten in die Küche. Seine Mutter lächelte und sah
ihn an, als er diese betrat.
"Setz
dich schon mal.", meinte sie freundlich, "Jackie und Alex
müssten auch gleich kommen."
Wie
Sarah gesagt hatte, kamen die beiden Geschwister des kleinen
Australiers auch schon im nächsten Moment zur Türe hinein. Alex,
sein sechs Jahre älterer Bruder, hatte die jüngste der Familie, die
kleine dreijährige Jackie auf dem Arm. Beide lächelten den Rest,
der nun fast vollständig versammelten Familie Cook an.
"Da
sind wir auch schon.", lachte Alex und setzte seine kleine
Schwester in ihr Stühlchen, bevor er an seine Mutter gerichtet
fragte: "Was gibt es denn heute Abend Gutes?"
"Ei
mit Speck und selbstgebackenes Brot.", antwortete seine Mutter.
Dabei stellte sie die letzten Teller auf den Esstisch. "Soo...",
murmelte sie anschließend, "Jetzt müssen wir nur noch auf
euren Vater warten. Setzt euch doch schon mal." Gemeinsam mit
ihren drei Kindern setzte sie sich an den Tisch um auf den
Familienvater zu warten.
Wenige
Sekunden später betrat dieser auch schon die Küche. Er begrüßte
seine Familie und gesellte sich dann zu dieser an den Tisch.
Während
des Essens unterhielt sich die Familie über die Ereignisse des
vergangenen Tages. Die Begegnung mit dem Waran und die Rettung des
Krokodils verschwieg Jim seinen Angehörigen lieber. Er wusste, dass
keiner von ihnen so Recht begeistert davon sein würde. Vor allem
nicht, da sein Leben selbst in Gefahr gewesen war. Stattdessen sagte
er, dass sein Tag wie alle anderen verlaufen wäre und es keine
besonderen Vorkommnisse zu berichten gäbe.
Die
weitere gemeinsame Mahlzeit verlief wie alle anderen auch. Es wurde
sich über alltägliche Dinge unterhalten. Jack und Sarah redeten
über das was sie hochgerechnet mit der Schafzucht verdienen könnten,
wenn das Wetter weiterhin so stabil bliebe. Alex und Jim rauften ein
bisschen miteinander, was sehr schnell von der Mutter der Beiden
unterbrochen wurde. Jackie fing in regelmäßigen Abständen an, ihr
Essen auf alle Anwesenden zu werfen.
Nach dem Essen ging Jim, wie sein Bruder nach oben, auf sein Zimmer. Als er alleine war, schloss er die Türe hinter sich und legte sich auf das bequeme Bett. Aus dem Nachtischschränkchen neben diesem kramte er ein paar Blätter und einen Stift heraus. Auf das Blatt schrieb er viele verschiedene Mädchennamen die ihm gerade einfielen. Aus diesen wollte er einen passenden Namen für die junge Krokodilsdame auswählen. Doch alle Namen, die er zu Papier brachte gefielen ihm nicht wirklich. So strich er sie alle wieder durch. Seufzend legte er den Kopf auf den Arm und krickelte ein wenig auf dem Blatt herum. Ihm wollte einfach kein passender Name einfallen, den er der Kleinen geben könnte und auch ihm gefiel.
Als
er so da lag fielen ihm immer wieder die Augen zu. Er war todmüde
von den Strapazen der letzten Stunden. Die Aufregung über das
Geschehene zehrte an seiner Kraft und ließ ihn schläfrig werden.
Noch im Halbschlaf dachte er über einen passenden Namen für das
Krokodil nach. Plötzlich kam ihm ein Geistesblitz. Der Achtjährige
richtete sich ruckartig auf und setzt sich in eine halbwegs angenehme
Position.
"Ich
habs!", sagte er laut und klatschte mit seiner Faust in die
leere Handfläche der zweiten Hand, "Ich nenne sie Karen!"
Der
Name Karen gefiel dem kleinen Jungen wirklich gut. Er beschloss
diesen Namen seinem Onkel vorzutragen und das Krokodil so zu nennen.
Da Jim wirklich sehr müde war, beschloss er nun endlich schlafen zu gehen. Schnell zog er sich um und verschwand im Bad zum Zähneputzen. Danach huschte er ins Bett. Bereits ein paar Minuten später schlief der kleine Australier tief und fest.
Am
nächsten Morgen wachte Jim schon sehr früh auf. Da es Samstag war
und er nicht zur Schule musste, beschloss er so früh wie möglich zu
seinem Onkel auf die Farm zu gehen und sich nach seiner kleinen
Krokodilfreundin zu erkundigen.
Nachdem
er aus dem Bett gekrochen war, sah er auf die Uhr. Diese zeigte ihm
an, dass es gerade mal sieben Uhr war. Langsam trottete der kleine
Junge ins Badezimmer. Dort wusch er sich erst mal gründlich und
putze sich die Zähne, bevor er sich, zurück in seinem Zimmer,
richtig anzog. Unten in der Küche traf er auf seine Mutter. Diese
sah ihn erstaunt darüber, dass ihr Sohn schon wach war, an.
"Guten
Morgen, Mum!", begrüßte er seine Mutter fröhlich und machte
sich etwas zu trinken.
"Oh..
Morgen Jim!", meinte diese etwas perplex. Dass Jim so früh war
kannte sie gar nicht von ihm. Am Wochenende schlief er meist bis zehn
oder elf Uhr, nur selten war er früher aus dem Bett zu bekommen. Oft
nur dann, wenn sein Onkel mal vorbeikam oder die ganze Familie in die
Stadt fahren wollte. Da aber keines dieser Ereignisse anstand,
wunderte sich Sarah ein wenig über ihren Sohn. "Was machst du
denn schon auf?"
Lächelnd
sah der kleine Cowboy seine Mutter an. "Ich wollte zu Onkel John
auf die Farm.", antwortete er und biss in die Hälfte des
Brötchens, das er sich in der Zwischenzeit gemacht hatte.
"Zu
John?", fragend sah die Frau ihren Sohn an, bis sich ihre
Gesichtszüge zu einem freundlichen Lächeln änderten. "Ist
gut. Sei aber spätestens zum Abendessen zurück, ja?"
Jim
nickte, aß das Brötchen fertig und trank aus. "Bis später
dann!", rief er seiner Mutter noch zu, bevor er das Haus verließ
und sich auf dem Weg zur Krokodilfarm machte.
Nach
etwa einer halben Stunde, kam er dort auch an. Seine ältere Cousine
konnte er schon von weitem sehen. Sie stand auf dem großen Hof der
Farm und kehrte.
"Guten
Morgen, Emilie!", rief er ihr zu und kam auch nur wenige Meter
später bei ihr an.
"Morgen,
Jim!", lächelte das Mädchen. "Möchtest du zu meinem
Vater?" Als Jim auf diese Frage hin nickte, sagte Emilie, dass
er wie immer um diese Zeit hinten bei den Krokodilen sei. Der
Achtjährige bedankte sich höflich und ging nach hinten, dorthin wo
sein Onkel laut seiner Tochter nun war.
"Guten
Morgen.", begrüßte Jim den Älteren freundlich,
Dieser
drehte sich zu ihm um und lächelte seinen Neffen an. "Ahh..
Morgen Jim. Wie geht es dir heute? Hast du dich nach gestern auch gut
erholt?"
Der
Kleinere nickte. "Ja, hab ich. Mir geht es wirklich gut. Aber
wie geht es dem kleinen Krokodil?" Erwartungsvoll sah Jim seinen
Onkel an.
John
lachte. "Komm mit und ich zeig es dir." Er winkte den
kleinen Cowboy hinter sich her und ging vor zu einem kleinen Gehege
etwas Abseits von denen, wo die anderen Krokodile untergebracht
waren. Aufgeregt beobachtete Jim, wie sein Onkel in das abgetrennte
kleine Gebiet hineinging. Er selber blieb lieber davor stehen, so wie
er es schon oft angeordnet bekam. Nach wenigen Sekunden kam sein
Onkel mit einem kleinen Krokodil auf den Armen zurück. Der
Achtjährige erkannte es sofort. Es war das, was er gestern im Wald
vor dem Waran gerettet hatte.
Das
Krokodiljunge war wach. Es richtete seine Pupillen direkt auf Jim und
die beiden sahen sich gegenseitig in die Augen. Vorsichtig streckte
der kleine Australier eine Hand nach dem Reptil aus. Während sein
Onkel schon die Luft anhielt, mit der Befürchtung das Tier könnte
jeden Moment nach der Hand seines Neffen schnappen, ging es der Junge
ruhig an. Die junge Krokodilsdame würde nicht nach ihm schnappen,
das hatte er im Gefühl. Statt nach ihm zu beißen legte sie ihren
Kopf in seine Hand und rieb ihn an dieser. Leicht tätschelte Jim
über den Kopf der Kleinen, bevor er sie seinem verblüfften Onkel
aus den Armen nahm und sie in seinen hielt.
"Wow...",
staunte John und besah sich seinen kleinen Neffen und das Reptil an.
Sein erst so verwunderter Blick wich bereits nach wenigen Sekunden
einem Lächeln. "Sie scheint dich wirklich gern zu haben."
Ein wenig ging der in die Hocke, um auf der Augenhöhe des
Achtjährigen zu sein. "Nach mir hat sie eben noch ein wenig
geschnappt, aber dich lässt sie problemlos an sich heran. Sieht auch
ganz so aus, als ob es ihr wieder ganz gut ginge."
"Das
ist doch großartig!", meinte der Jüngere und hob das kleine
Tier, in seinen Armen, auf die Höhe seiner Augen, um sie zu
betrachten. "Sie ist nun außer Lebensgefahr, oder?"
"Ja.",
antwortete der Farmbesitzer mit einem Lächeln auf den Lippen, "Sie
ist wieder fit, was die Bakterien durch den Biss in ihren Blut
betreffen. Aber alles was sie von diesen Verletzungen zurück
behalten wird, werden einige Narben sein."
Er
machte eine kurze Pause und sah den zufrieden schauenden, kleinen
Jungen vor ihm an. Als er ihn so mit dem Krokodiljungen sah, kam ihm
eine Idee. Warum sollte Jim es nicht aufziehen? Schließlich liebte
er diese Tiere. Einen sehr guten Draht zu ihr hatte er schließlich
auch, das sah man beiden, dem Reptil und dem kleinen Cowboy, sofort
an.
"Sag
mal Jim...", fragte sein Onkel, nachdem er noch einmal kurz über
alle Gefahren die, die Aufzucht eines Reptils mit sich brachten, vor
allem da Jim noch ein kleiner Junge war, nachgedacht hatte. Auch
überlegte er kurz, wie er es seinem Bruder Jack und dessen Frau
Sarah erklären sollte, aber dafür würde ihm schon was einfallen,
denn er glaubte, dass es das Beste für die Beiden war, wenn sie
zusammen heranwuchsen. Auch würde er seinem Neffen helfen, wenn er
mal Hilfe bei irgendetwas brauchte und die Verantwortung übernehmen
wenn etwas passieren sollte. "Hättest du vielleicht Lust die
Kleine hier aufzuziehen? Ich bin mir sicher, dass es das Beste für
sie wäre, wenn du das übernimmst. Immerhin hast du einen guten
Draht zu ihr, ihr versteht euch ja prima."
Überglücklich
sah der Junge abwechselnd John und das Krokodiljunge an. Mit einem
heftigen Nicken bejahte er die Frage, die ihm eben gestellt worden
war. Natürlich würde er sie gerne aufziehen. Neben seinem Traum von
der Archäologie hatte er noch den Wunsch einmal ein Krokodil zu
haben. Dieser ging nun in Erfüllung.
"Das
heißt du tust es? Das ist wunderbar! Hast du dir auch schon einen
Namen überlegt?"
Erneut
nickte der Kleine mit dem Kopf. "Ich werde sie Karen nennen,
denn ich finde der Name passt irgendwie zu ihr."
Der
Farmleiter stimmte ihm zu. "Du hast den Namen wirklich gut
gewählt.", meinte er. "Aber nun werde ich dir erst mal
alles über die Aufzucht von Krokodilen beibringen, damit sie es auch
gut bei dir hat."
Langsam nahm er Jim, nach dessen Zustimmung Karen aus den Armen und brachte sie zurück in das Gehege. Anschließend gingen beide nach drinnen in das Haus. Dort erklärte John seinem kleinen Neffen alles, was dieser bei der Aufzucht beachten musste.
