The fallen saints

Kapitel 1

Secret keeper

Hermine machte die Augen auf und blinzelte. Dann riss sie plötzlich den Oberkörper nach vorn und saß aufrecht aber auch ziemlich verloren da. Ihre ganze Haut klebte vom kalten Schweiß, ihr Puls raste förmlich.

Sofort drängten sich ihr unangenehme Fragen auf, als ihr in den Sinn kam, wie unwirklich alles um sie herum zu sein schien.

„Sie sind in Sicherheit."

Wie aus weiter Ferne hörte sie die Stimme, von der sie gedacht hätte, sie würde sie nie wieder hören.

Ihr stockte vor Schreck der Atem. Vorsichtig drehte sie den Kopf in die andere Richtung und erkannte die unverwechselbare Gestalt ihres Professors, der nachdenklich aus dem Fenster starrte, hinaus in die nächtliche Dunkelheit.

„Was ist passiert?", fragte sie beunruhigt, während sie sich fest in die Wolldecke einhülle, die ihren Körper bedeckte. „Was ist mit Harry und Ron? Geht es ihnen gut?"

Ihre Stimme zitterte so stark, dass sie einen Moment bezweifelte, ob er sie überhaupt verstanden hatte. Noch ehe sie aber ihre Worte wiederholen konnte, nahm er die Hand vom Vorhang weg und setzte sich in Bewegung.

Hermine schluckte mit trockener Kehle. Der fremdartige Raum, in dem sie sich befand, war bis auf die Kerze, die vor ihr auf dem Sofatisch flackerte, dunkel. Dennoch erkannte sie, dass es hier alles andere als einladend war. Kurz, ihr behagte die Situation gar nicht, denn immerhin war sie nicht von Dobby aus Malfoy Manor gerettet worden, um jetzt in Snapes Gegenwart zu sich zu kommen. Es gab viele Gründe, ihn nicht zu mögen, obwohl sie im Moment nicht richtig bei sich war. So wollte sie zum Beispiel wissen, warum zum Henker sie das Gefühl hatte, dass ein ganzes Dutzend Ameisen durch ihren Kopf krabbelte.

Lautlos kam er näher, angelte sich einen Stuhl herbei und setzte sich steif darauf nieder. Dann stützte er den Kopf auf die Handfläche und sah sie mit seinen unheimlichen schwarzen Augen an.

„Also?", hakte sie nach, als er nach einer Weile noch immer nichts gesagt hatte und das Starren fast schon unerträglich wurde.

Er atmete tief und langanhaltend aus. Seine Kiefermuskulatur verhärtete sich zusehends.

„Ihre Begleiter sind wohlauf, Miss Granger."

Erleichtert zog sie die Nase hoch. Der Gedanke, dass ihnen etwas zugestoßen sein könnte, war unerträglich.

„Wo sind sie?"

„In Sicherheit. Im Moment jedenfalls."

„Und das soll ich Ihnen glauben?"

Mit immer noch finsterem Blick und aufrechter Haltung funkelte er sie an. „Das bleibt ganz Ihnen überlassen. Doch bevor Sie sich den Kopf darüber zerbrechen, sollten Sie sich anhören, was ich zu sagen habe. Danach können Sie immer noch entscheiden, was zu tun ist."

In Anbetracht der Umstände musste sie ihm Recht geben, obwohl ihr die Situation gar nicht behagte. Snape aber ließ ihr ohnehin keine Zeit, weiter darüber zu grübeln, denn er fuhr schon fort.

„Dumbledore schickt mich. Es hat eine kleine Planänderung gegeben, Granger."

So plötzlich wie er begonnen hatte, verstummte er wieder.

Sie runzelte die Stirn. „Dumbledore?"

Irgendwas stimmte hier nicht.

Richtig.

„Sind Sie irre?", herrschte sie ihn mit klopfendem Herzen an. „Dumbledore ist tot! Sie haben ihn ermordet!"

Er verzog die Mundwinkel und ein fieses Grinsen legte sich über sein Gesicht. „Warum so theatralisch, Granger?"

Der eisige Klang seiner Stimme ließ sie frösteln, also kauerte sie sich noch tiefer in der Ecke des Sofas zusammen, auf dem sie lag. Wäre sie nicht so schwach gewesen, hätte sie ihm schon längst einen Fluch aufgehalst. Doch nachdem sie sich kaum aufrecht halten konnte, sah sie keine andere Möglichkeit, als herauszufinden, was hier vor sich ging.

„Schön", lenkte sie schließlich ein. „Wären Sie so frei, mir zu erklären, was das soll? Was wollen Sie von mir?"

Er warf ihr einen abschätzigen Blick zu, dann faltete er seine Finger vor dem Schoß ineinander und starrte sie mit eng zusammengezogenen Brauen in Grund und Boden.

„Sie wurden inhaftiert, Miss Granger. Erinnern Sie sich daran?"

Sie schluckte. „Als ob ich das je vergessen könnte ..."

Er legte den Kopf schief. „Ist das alles?"

Irritiert klemmte sie ihre Lippe zwischen die Zähne und gab sich Mühe, sich den Vorfall vor Augen zu führen. Ihr ganzer Kopf dröhnte. Langsam machte sie das wütend. Die Umstände der Gefangennahme waren schon schlimm genug gewesen. Ganz zu schweigen davon, dass sie keine weiteren Beweise für Harrys und Rons Schicksal hatte, als die Worte eines Mörders. Und nun musste sie auch noch Snapes Gegenwart über sich ergehen lassen, sowie seine unangenehme Art. Es war alles zu viel für sie.

„Ich weiß, dass ich in Gefangenschaft war, okay?", schnaubte sie. „Aber ich weiß nicht, was passiert ist, als ich rausgekommen bin."

Seine Augen wurden zu schlitzen. „Vorsicht, Granger. Ich bin nicht hier, um mich von Ihnen blöd anreden zu lassen."

Er genoss es sichtlich, ihr das auf die Nase zu binden. Trotzdem war sie alles andere als beschwichtigt.

„Wieso sind Sie dann hier?", fragte sie spitz.

Vollkommen unerwartet rollte er die Mundwinkel zurück und entblößte seine gelblichen Zähne. „Um Ihnen den Hals zu retten. Wir mussten eingreifen, nachdem Sie versagt haben."

Ungläubig legte sie die Stirn in Falten. „Was soll das bedeuten? Wen meinen Sie damit?"

Gemächlich schüttelte er den Kopf, sodass ihm seine langen Strähnen ins Gesicht fielen. „Dazu kommen wir noch."

„Sie haben vielleicht Nerven! Wieso sollte ich Ihnen das glauben? Sie haben Dumbledore ermordet. Das erweckt nicht gerade Vertrauen, finden Sie nicht?"

Wie beiläufig zuckte er mit den Schultern. „Das hatte ich auch gar nicht erwartet, Granger. Aber wenn Sie wollen, können Sie sich selbst davon überzeugen, dass ich die Wahrheit sage. Albus … Würden Sie bitte ..."

„Was?", kreischte sie aufgebracht. „Sie sind noch viel durchgeknallter, als ich dachte, Snape! ER IST TOT!"

Kaum war sie fertig, sie stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch, riss ein strenges Räuspern sie aus ihren Gedanken.

„Beruhigen Sie sich, Miss Granger."

Ungläubig starrte sie, mit ihrem Blick der vertrauten Stimme folgend, durch eine geöffnete Tür ins Innere einer Küche, an deren Wand ein Portrait mit Dumbledores Konterfei hing. Es war nicht so prächtig wie die, die in Hogwarts hingen, doch immerhin war es groß genug, um die wichtigsten Charakterzüge ihres ehemaligen Schulleiters mitsamt seinen lilafarbenen Gewändern unverkennbar darzustellen.

Hermine blinzelte. „Wo kommen Sie denn her?"

Dumbledore nickte ihr gutmütig zu. „Guten Abend, Miss Granger."

Schnell fasste sie sich wieder und setzte ein erzwungenes Lächeln auf. „Guten Abend, Professor ..."

„Leider sitze ich hier fest, sonst würde ich Ihnen etwas aus dem Geheimvorrat meiner köstlichen Drops anbieten."

Sie schüttelte ungläubig den Kopf. Spätestens jetzt würde sie jede Wette eingehen, dass er es tatsächlich war.

„Ähm. Danke, Professor. Es – es tut gut, Sie zu sehen. Wie geht es Ihnen?"

Neben ihr auf dem Stuhl konnte sie aus den Augenwinkeln sehen, dass Snape ungeduldig mit den Augen rollte. Doch darum würde sie sich später kümmern müssen. Zuerst musste sie wissen, was hier los war.

Ungläubig wickelte sie sich in die Decke ein, erhob sich mit wackeligen Beinen und kam näher. Erst als sie die Küche erreicht hatte, setzte sie sich auf einen Stuhl, um Dumbledore genauer betrachten zu können.

„Wie konnte das nur passieren?", fragte sie abwesend. „Ich meine, erinnern Sie sich daran, was damals los war, als Sie gestorben sind?"

Dumbledore setzte ein sanftes Lächeln auf. „Ich kann verstehen, dass Sie beunruhigt sind, Miss Granger. Aber lassen Sie mich Ihnen sagen, dass alles genau nach Plan verläuft. Oder zumindest fast alles. Sehen Sie, was Severus getan hat, geschah auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin. Ich wollte, dass er mich tötet. Es musste so echt wie möglich aussehen ..."

„Moment! Schön der Reihe nach, bitte", warf sie sich dazwischen. „Das hat es! Glauben Sie mir! Harry war außer sich. Aber – aber Sie sagten, Sie wollten das? Wozu?"

Er sah sie milde über den Rand seiner Brille hinweg an. „Damit Severus Toms Vertrauen gewinnen konnte, Miss Granger."

Plötzlich schien ihr ein Licht aufzugehen. „Dann gehörte das alles zu einem Plan?"

Dumbledore nickte. „Ja, Miss Granger. Alles gehörte zu meinem Plan. Bis zu dem Tag, an dem Sie gefangen genommen und in Malfoy Manor gesteckt wurden."

„Aber … Was?"

Leicht beunruhigt rückte er seine Brille zurecht. „Sehen Sie, das Risiko für Sie, Harry und Mr. Weasley war groß. Doch dass Sie tatsächlich in Gefangenschaft gerieten, brachte einiges ins Wanken."

„Allerdings", schnaubte sie säuerlich. „Bellatrix Lestrange hat sich einen Spaß daraus gemacht, mich zu foltern."

Er räusperte sich. „Es tut mir leid, dass das geschehen ist, Miss Granger. Doch damit konnte nun wirklich niemand rechnen, nicht wahr?"

„Pah! Eben hat das noch anders geklungen!"

„Das ist nicht so leicht zu erklären. Gewisse Details oder Umstände lassen sich nicht vorhersehen."

„Was denn für Umstände? Die ganze Welt denkt, Snape hat Sie absichtlich ermordet. Ich glaube nicht, dass ..."

„Professor Snape", unterbrach er sie energisch.

„Schön, meinetwegen."

Hinter ihr im Wohnzimmer schnaubte es bedrohlich, doch sie war ohnehin so durcheinander, dass sie es kaum wahrnahm.

„Sie wollen wissen, wie ich das rechtfertigen kann, nicht wahr?", fragte Dumbledore plötzlich.

Hermine starrte ihn mit großen Augen an. „Ja, also … eigentlich ..."

„Nun, wenn Sie gestatten, lassen Sie mich das in Kurzform erklären."

Seufzend nickte sie. „In Ordnung."

Dumbledore räusperte sich und hob die Hand vor seine Augen. „Sehen Sie das, Miss Granger?"

Einen Augenblick war sie sich nicht sicher, doch dann, als er seine Finger bewegte, erinnerte sie sich an etwas.

„Ich glaube, Sie haben es erkannt", setzte er ruhig an. „Diese Hand war es nämlich, die mir zum Verhängnis wurde. Sie war verflucht, als ich mir einen von einem Horkrux besessenen Ring an den Finger steckte. Es war ohne Zweifel meine Neugier, die mich dazu getrieben hat, so etwas Einfältiges zu tun. Ich konnte nicht widerstehen und so hat der Fluch Besitz von meinem Körper ergriffen. Eine unschöne Sache. Grausam, qualvoll … wäre da nicht Severus gewesen, der den Fluch auf meine Hand beschränken konnte. Doch langsam aber sicher wäre ich daran zugrunde gegangen."

Voller Erwartung auf ihre Reaktion blitzten seine Augen auf, womit Hermines Unruhe nur noch angestachelt wurde.

„Aber … das ist unmöglich!"

„Beruhigen Sie sich, Miss Granger." Er schüttelte seelenruhig den Kopf. „Sehen Sie jetzt, warum ich wollte, dass mir jemand dieses Ende erspart?"

„Und deshalb haben Sie ihn zu Ihrem Mörder auserkoren?"

Erneut räusperte er sich. „Professor Snape war immer meine rechte Hand, Miss Granger. Von Anfang an war er mir zu Diensten." Kopfschüttelnd senkte sie den Blick. Er aber redete weiter. „Es tut mir leid, dass Sie es auf diese Weise erfahren mussten, aber um den Plan nicht zu gefährden, gab es keine andere Lösung. Indem wir Sie jetzt einweihen, gehen wir ein großes Risiko ein, dessen müssen Sie sich bewusst sein. Die Suche nach den Horkruxen muss fortgesetzt und Tom besiegt werden."

In Hermine drehte sich alles. Dennoch nahm sie ihre ganze Energie zusammen und fasste ihn ins Visier. „Sie haben uns alle benutzt, Professor. Harry, Ron, mich. Sogar Snape ..."

„Professor Snape, Miss Granger."

Sie rollte mit den Augen. „Ja, ist ja schon gut. Professor Snape."

Ein weiteres Schnauben drang zu ihr durch, doch auch jetzt ignorierte sie es. Zuerst war Dumbledore dran.

„Aber wie soll das jetzt weitergehen?", fragte sie ahnungslos. „Wir haben noch längst nicht alle Horkruxe gefunden. Wir wissen ja nicht einmal, wo sie sein könnten. Und ganz ehrlich, die Informationen, die Sie Harry hinterlassen haben, waren äußerst spärlich. Außerdem habe ich keine Ahnung, wo die Jungs stecken und was mit ihnen ist."

„Ich habe Harry das hinterlassen, was ich wusste, Miss Granger", erklärte er knapp, ohne näher auf ihre anderen Anliegen einzugehen.

„Wirklich? Hätten Sie uns nicht etwas genauer erklären können, was es mit diesen Abschiedsgeschenken auf sich hatte? Ich habe ewig gebraucht, um die Botschaft mit dem Buch zu entschlüsseln."

„Es hätte den Plan gefährden können, wenn ..."

„Zum Henker mit dem dämlichen Plan! Das war ein Himmelfahrtskommando! Für jeden von uns. Sie wissen überhaupt nicht, was wir durchgemacht haben. Es ist ein Wunder, dass wir das so lange überlebt haben! Vor allem: warum jetzt, Professor? Hätten Sie uns nicht schon etwas früher unter die Arme greifen können?"

„Es war nicht möglich, Miss Granger. Ich muss zugeben, dass ich beeindruckt war, wie Sie jede Lage gemeistert haben. Es ist uns lange Zeit nicht gelungen, Ihren Standpunkt auszumachen. Selbst Severus hatte Schwierigkeiten, Sie zu finden, obwohl er einige Erfahrung darin hat, Menschen aufzuspüren. Ihre Zauber waren einfach brillant!"

Hermine konnte seine Euphorie nicht teilen und schnaubte unbeeindruckt. „Ha! Was für ein Trost! Ron ist einmal ziemlich übel zersplittert. Und Harry ist von Nagini angefallen worden. Ich denke nicht, dass ..."

„Miss Granger. Bitte verlieren Sie jetzt nicht die Nerven. Was Sie in den vergangenen Monaten geleistet haben, war außerordentlich geschickt und klug. Niemand hätte das besser machen können."

„Ersparen Sie sich das", keifte sie zurück. „Ich muss erst einmal darüber nachdenken, was Sie da getan haben. Sie haben uns alle belogen, Professor. Ist Ihnen das bewusst?"

„Verzeihung, wenn ich dieses überaus interessante Gespräch unterbreche, Albus", warf Snape gelassen hinter Hermines Rücken ein, sodass sie wütend den Kopf in seine Richtung drehte und ihn mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen stehen sah, „aber so wie ich das sehe, wird uns das nicht weiterbringen. Ich habe bereits zuvor meine Bedenken geäußert, dass meine Tarnung auffliegen könnte, indem wir weitere Mitwisser einweihen. Sollte dieser Fall eintreten … nun ja ..."

Hermine ignorierte die Tatsache, dass er zu Dumbledore gesprochen hatte schlichtweg, denn schon sperrte sie entrüstet den Mund auf und fiel ihm ins Wort. „Sie haben leicht reden! Es ist an der Zeit, dass wir endlich eingeweiht werden, bevor es zu spät ist. Meine Freunde und ich, wir haben nämlich bereits alles menschenmögliche getan, um diese wahnsinnige Aufgabe zu erfüllen!"

Snapes Augen verengten sich zu Schlitzen. „Das mag sein, Miss Granger. Dennoch hat Ihre Mission nicht das Ziel erreicht, das wir uns alle gewünscht hätten, nicht wahr? Und aus diesem Grund muss ich meine Vorbehalte zum Ausdruck bringen. Jeder, der eingeweiht ist, könnte eine undichte Stelle werden, durch die Informationen nach außen dringen könnten, womit am Ende alles zum Scheitern verurteilt wäre. Genau das aber muss ich verhindern."

„Pah! Wieso denken Sie, dass Sie sich den Erfolg dieser Mission mehr wünschen als wir?"

Für einen Moment wurde es still in der Küche. Snapes Nasenflügel bebten. Dann machte er einen Schritt auf Hermine zu und baute sich bedrohlich über ihr auf.

„Severus, bitte!", warnte Dumbledore hinter ihr, doch Snape überhörte es einfach.

Es war schon in Hogwarts schlimm genug gewesen, wenn er so etwas getan hatte, doch dass er es jetzt wieder tat, wo sie doch seit Dumbledores Ermordung schon längst mit ihm abgeschlossen hatte, traf sie noch härter als je zuvor.

Mit klopfendem Herzen grub sie ihre Fingernägel in die Oberschenkel und drückte sich so fest sie konnte an die Lehne ihres Stuhls.

„Denken Sie, ich muss mich in meiner Position vor Ihnen rechtfertigen, Granger?", zischte er hart. „Sie wissen, was ich bin. Welchen Grund brauchen Sie noch? Das Dunkle Mal ist, als würde es leben."

Eine kurze Pause gab ihr Zeit, das Gesagte erst so richtig sacken zu lassen. Je länger sie so in seiner Nähe zubrachte, umso mehr wurde ihr wieder bewusst, dass sie ihn nie hatte leiden können.

„Wollen Sie es sehen? Wollen Sie es fühlen? Ich kann es Ihnen zeigen."

Eingeschüchtert schüttelte sie den Kopf. Am liebsten wäre sie an Ort und Stelle in einem Loch im Erdboden verschwunden, um ihm nicht länger in seine zornigen Augen sehen zu müssen.

„Gut. Dann wagen Sie es ja nicht, mir noch einmal so frech zu kommen, verstanden? Nachdem ich monatelang Hasspredigten über meine Person ergehen lassen musste, sollten Sie wenigstens jetzt begreifen, dass wir auf derselben Seite stehen."

Hermine schluckte. Es war ein seltsames Gefühl, ihn so zu hören. Jedenfalls konnte sie sich nicht daran erinnern, dass er sich zuvor selbst einmal verbal verteidigt hätte, womit klar war, dass er langsam aber sicher genug von diesem eigenartigen Versteckspiel hatte, das ihn immerwährend in den Schatten Dumbledores drängte.

Kaum hatte er ausgesprochen, kehrte er der Küche den Rücken zu und verschwand ins Wohnzimmer.

Verängstigt und mit den Nerven am Ende sackte sie in ihrem Stuhl zusammen, bis Dumbledores Räuspern sie aus ihrer Lethargie riss.

„Nun denn, Miss Granger, ich kann verstehen, dass Sie sich ungerecht behandelt fühlen. Aber lassen Sie mich Ihnen versichern, dass wir getan haben, was wir in Anbetracht der Umstände für das Beste hielten."

Sie schüttelte den Kopf und lugte zu ihm hinüber. „Sie haben ja keine Ahnung", knurrte sie dann hervor. „Wir alle haben unser Leben riskiert. Doch wofür? Wir sind fast noch genauso weit wie zuvor!"

Dumbledore nickte bedächtig. „Das bezweifle ich nicht. Aber Severus hat Recht, die Mission muss Erfolg haben, damit Tom endlich zerstört werden kann."

„Bitte ...", murmelte sie betreten. „Bitte lassen Sie mich allein. Ich muss das alles erst mal verarbeiten." Seufzend rieb sie sich die müden Augen. „Ich brauche wirklich etwas Zeit zum Nachdenken, Professor. Das alles überfordert mich gerade ziemlich."

Dumbledore schielte sie eindringlich an. Dann nickte er. „Gut. Sie haben Zeit bis morgen Früh. Dann werde ich wieder hier sein. Derweil sollten Sie mit Professor Snape reden. So leid es mir tut, Miss Granger, er ist unsere einzige Verbindung zwischen den verschiedenen Lagern, womit Sie sich mit ihm arrangieren müssen."

Sie biss sich auf die Zunge. Am liebsten hätte sie ihm an den Kopf geworfen, dass das ein glatter Witz war. Mehrmals hatte sie mit den Jungs nutzlos ihre Zeit vergeudet, weil sie nicht weitergewusst hatten. Und jetzt das!

Mühevoll presste sie ein „Gute Nacht, Professor" hervor und beobachtete ihn dabei, wie er sich aus seinem Portrait zurückzog.

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Hermine war so aufgewühlt, dass sie geradewegs zurück ins Wohnzimmer ging und sich aufs Sofa fallen ließ. Dort wandte sie sich an Snape, wo sie einfach drauflos plapperte, was ihr gerade einfiel. Es war immer noch besser, als die Auseinandersetzung von vorhin wieder aufzugreifen.

„Er ist tatsächlich hier?", fragte sie mit unschuldigem Blick. „Wie ist das möglich? Ich glaube kaum, dass das Ministerium so ein Portrait genehmigen würde ..."

„Natürlich nicht", entgegnete Snape steif und verschränkte wieder seine Hände vor der Brust. „Es ist illegal entstanden. Mit etwas Hilfe von Kingsley."

„Verstehe …" Schnell senkte sie die Stimme. So ganz traute sie dem Frieden nicht. „Und warum hängt er in der Küche?"

Snape hob eine seiner Brauen und lehnte sich zu ihr vor, sodass er ihr direkt in die Augen starren konnte. „Damit ich die Tür zumachen und meine Ruhe haben kann."

Beinahe wäre ihr ein Lachen ausgekommen, sein intensiver Blick aber hielt sie davon ab.

„Vor allem, Miss Granger", setzte er mit vorgetäuschter Ruhe nach, „nächtige ich manchmal hier auf der Couch. Und da ich ihn wenigstens dabei nicht in meiner Nähe haben will, dachte ich mir, die Küche ist der beste Ort, um ihn in Schach zu halten."

Jetzt konnte sie sich nur mit Mühe ein böses Grinsen verkneifen. Alleine die Vorstellung, wie er Dumbledore die Tür vor der Nase zuknallte, war zu unwirklich. Doch im Grunde genommen war die ganze Situation eigenartig, denn für jemanden, der es auf sich genommen hatte, dass die ganze Welt auf ihn wütend war, klang er nicht gerade so, als hätte er eine besonders hohe Meinung von seinem ehemaligen Vorgesetzten. Plötzlich aber fiel ihr wieder ein, was er noch gesagt hatte.

„Sie schlafen hier auf dem Sofa?"

Er nickte und straffte seine Haltung, bis sie ebenso steif war, wie die Rückenlehne seines Stuhls. „In der Tat."

„Was ist mit Hogwarts? Werden Sie dort nicht vermisst?"

Belustigt schnaubte er sie an. „Ich bitte Sie, Granger, wir wissen beide, dass das nicht der Fall ist."

„Okay. Aber was sagt Du-weißt-schon-wer dazu, wenn Sie nicht dort sind?"

„Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Ich habe alles im Griff."

„Ach ja?", fragte sie spöttisch. „Genauso wie Dumbledore?"

Seine schwarzen Augen blitzen auf, doch Hermine ging nicht näher darauf ein.

„Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, auf wen von Ihnen beiden ich mehr wütend bin, Professor. Sie haben uns allen etwas vorgemacht."

Blitzschnell lehnte er sich nach vorn und entblößte seine Zähne. „Denken Sie, dass mich das interessiert?", fragte er mit altbewährter, öliger Stimme. „Denken Sie, dass ich auf Ihre Meinung scharf bin, Granger?"

Bedröppelt und mit trockenem Mund schluckte sie. „Schön. Dann lassen Sie uns gleich zur Sache kommen", entgegnete sie gereizt. Jetzt war sie wirklich geladen. „Wieso wurde ich hier hergebracht? Und wo sind Harry und Ron?"

„Oben. In sicherer Obhut von Professor McGonagall."

„Sie sind hier?"

„Minerva wird Ihnen alles erklären, was Sie wissen müssen."

„McGonagall … ich habe sie seit unserer Abreise aus Hogwarts nicht mehr gesehen", murmelte sie in Gedanken vor sich hin. „Wie – wie geht es ihr?"

„Es war ein noch größerer Schock für sie, zu erfahren, dass ich ihren Schulleiter nicht ermordet, sondern ihm lediglich einen Gefallen getan habe", antwortete er trocken.

Zum ersten Mal überhaupt kamen Hermine seine Worte wie bitterböser Humor vor. Sie war so überrascht, dass sie ihn mit offenem Mund anstarrte.

„Sonst noch was?", fragte er kühl.

„Wann werde ich meine Freunde wiedersehen?"

„Das liegt beim Schulleiter."

„Ich glaube, ich habe mich da soeben verhört, Professor. Haben Sie nicht neuerdings in Hogwarts das Sagen?"

„Das ist korrekt", entgegnete er steif. „Da ich aber nach wie vor unter der Anleitung von Albus Dumbledore stehe … Ähm, nun, Miss Granger, wenn Sie keine weiteren überlebenswichtigen Fragen haben, würde ich es begrüßen, das Gespräch hiermit zu beenden. Es ist spät."

Allem Anschein nach legte er großen Wert auf seinen Schönheitsschlaf, denn so eilig wie er sich erhob, wurde sie den Gedanken nicht los, dass er ihn bitter nötig hatte.

„Warten Sie!", stieß sie schnell aus, ehe er verschwinden konnte.

Snape hielt inne und starrte unliebsam auf sie hinunter, das Gesicht zu einem eigenartigen Grinsen verzogen.

„Ja, Miss Granger?"

„Wer hat Dobby angewiesen, mich hierher zu bringen?"

„Aberforth."

„Der Bruder von Albus Dumbledore?"

Er nickte knapp.

„Und wieso bin ich nicht bei den Jungs? Wieso hat man uns voneinander getrennt?"

Er schnaubte bitter. „Denken Sie, Potter würde es akzeptieren, ebenfalls hier mit mir in einem Raum zu sein? Wo ich doch seinen geliebten Mentor getötet habe?"

Das klang einleuchtend.

„Wie geht es jetzt weiter?"

„Sie werden vorerst hier bleiben. Der Rest ergibt sich."

„Hmm. So wie immer, ja?"

Er legte den Kopf schief. „Miss Granger, ich bin mir nicht sicher, ob Ihnen der Ernst der Lage bewusst ist, aber denken Sie nicht, dass wir alles in unserer Macht stehende getan haben? Oder glauben Sie, es war mir ein Vergnügen, vor aller Augen zum Mörder des großen Albus Dumbledore zu werden?"

Dass etwas Beleidigtes in seiner Stimme mitschwang, entging Hermine nicht.

„Also gut", lenkte sie ein. „Aber ist es hier wirklich sicher? Woher soll ich wissen, dass nicht plötzlich eine Handvoll Todesser hereingeplatzt kommt und mir in der Nacht die Kehle aufschlitzt?"

Sichtlich genervt rollte er mit den Augen. „Sollte das wirklich der Fall sein, hätten Sie Glück, wenn sie sich damit begnügen würden, das zu tun, Miss Granger. Abgesehen davon habe ich alle nur erdenklichen Schutzzauber eingerichtet, die uns davor bewahren sollten."

„Wenn Sie es sagen", murmelte sie bedrückt. Sein Kommentar trug nicht gerade dazu bei, dass sie sich besser fühlte.

„In der Tat. Nach dem desaströsen Zwischenfall im Grimmauldplatz war es nötig, einen neuen Ort zu finden, der dem Orden dienen kann."

„Sie meinen als Hauptquartier? Aber ich dachte, der Orden existiert nicht mehr!"

Snape zog angespannt die Stirn kraus und so überdachte sie ihre Worte noch einmal.

„Das haben sie im Radio gesagt. Aber wenn … Wie viele gibt es noch?"

„Zu wenige."

Nicht einmal ihm konnte ihre Besorgnis entgangen sein, doch offensichtlich scherte es ihn nicht, denn seine Stimme klang so kalt wie immer.

Hermine schluckte.

„Was ist das eigentlich für ein Haus?"

„Das Haus meines Vaters."

„Was?"

„Ersparen Sie mir diesen mitleidigen Blick."

„Ich – ich wollte nicht ...", stammelte sie unbeholfen.

„Sie wollten nicht WAS?", knurrte er zurück.

Sie seufzte. „Nichts. Vergessen Sie es. „Was glauben Sie selbst, wie es jetzt weitergehen wird?"

Er nahm die Hände hoch und fuhr sich damit durch die Haare.

Erst jetzt fiel ihr auf, wie müde er aussah. Snape war immer schon ein komischer Kauz gewesen, doch nach allem, was sie heute erfahren hatte, gab es durchaus die ein oder andere plausible Erklärung für seine eigenartigen Verhaltensmuster und seine Verschlossenheit. Bestimmt war es ihm seit der Übernahme von Hogwarts durch die Todesser nicht sonderlich gut ergangen. Dumbledores Tod hatte für alle Beteiligten ein großes Loch hinterlassen, denn solange er am Leben gewesen war, hatte Voldemort einen mächtigen Widersacher gehabt.

„Ich muss Sie jetzt bitten, zu Bett zu gehen, Miss Granger. Es war ein harter Tag."

Bedröppelt nickte sie.

Snape holte Luft. „Gut. Wenn Sie mir folgen würden, dann kann ich Ihnen Ihr Zimmer zeigen."

Ohne ein weiteres Wort machte er kehrt und durchquerte mit seinen langen Schritten das Wohnzimmer, um zu einer Treppe zu gelangen, die in den ersten Stock führte.

Hermine beeilte sich, ihm nachzukommen.

Das seltsame Haus erinnerte sie tatsächlich in einigen Punkten an den Grimmauldplatz. Kaum zu glauben, dass Snape hier seine Kindheit verbracht hatte. Da war es kein Wunder, dass er so versessen darauf gewesen war, in Hogwarts Eindruck zu schinden. Zumindest waren das Harrys Worte gewesen, als er in seinem Zorn über die Erlebnisse aus dem Denkarium berichtet hatte, nachdem er unerlaubterweise darin Snapes Gedanken ausspionieren wollte.

Oben angelangt ging er schnurstracks auf eine Tür am Ende des Gangs zu und öffnete sie.

„Da dies mein Haus ist, darf ich Sie daran erinnern, dass ich keine nächtlichen Besuche Ihrer Freunde hier dulden werde", sagte er schneidig.

Hermine starrte ihn an. „Wie bitte? Sie reden von Harry und Ron? Das meinen Sie nicht ernst!"

Er setzte ein schiefes Grinsen auf. „Ah, Verzeihung, Miss Granger. Dachten Sie wirklich, ich bin so einfältig, zu glauben, dass Sie mit Potter oder Weasley rumknutschen würden? Das wäre weit unter Ihrem Niveau, habe ich Recht?"

Hermine wusste nicht, welche seiner Anschuldigungen schlimmer war. Am liebsten hätte sie ihm dafür eine gescheuert, doch da sie hier nur Gast war, musste sie sich wohl oder übel zusammennehmen und an ihre Manieren denken. Außerdem sehnte sie sich wirklich langsam mal wieder nach einem richtigen Bett.

Als würden sie seine Worte nicht kümmern, reckte sie die Nase in die Höhe. „Wo ist das Bad, Professor?"

Er streckte den Arm aus und deutete auf eine Tür. „Gleich schräg gegenüber."

Damit drehte er sich um und ließ sie stehen.

Erschöpft schlüpfte Hermine ins Innere ihres Zimmers und machte das Licht an, ehe sie die Tür hinter sich zuzog.