"Das macht dann genau 6 Pfund." Thomas Whitfield reichte der grauhaarigen Dame die Tüte über den Verkaufstresen hinweg und nahm das Geld entgegen. "Und denken Sie dran, Mrs Jacobs, nicht länger als fünf Minuten ziehen lassen", erklärte er. "Sonst wird der Tee zu stark und sie können wieder nicht richtig schlafen. Auch wenn Sie ganz sicher keinen Schönheitsschlaf nötig haben." Die alte Dame lächelte den Mann an und zwinkerte ihm zu. Thomas Whitfield trat hinter dem Tresen hervor. "Sie sind so charmant", flötete ihm die Dame zu und nahm den dargebotenen Arm, um sich einzuhaken. "Sie sollten wirklich nicht den ganzen Tag hier alleine zwischen Ihren Tees und Kräutern sitzen." Wieder zwinkerte sie ihm zu. "Wie wäre es, wenn Sie mich heute Abend zu der Eröffnung im Victorian Market begleiten würden." Vor der Tür blieb sie stehen und sah dem deutlich jüngeren Mann einen Moment lang in die braunen Augen. "Ich könnte Sie ein paar anderen Leuten vorstellen. Meine Nichte wird auch dort sein. Mit ein paar Freundinnen. Ich bin mir sicher …"

"Ich würde Sie sehr gerne begleiten Mrs Jacobs. Leider muss Ihre liebenswürdige Einladung dennoch ablehnen. Es gibt Dinge, die keinen Aufschub mehr dulden. Die leidige Buchhaltung. Sie verstehen es doch sicher. Es tut mir leid." Er hatte keinen Zweifel daran, dass die betuchte Dame seine Ausrede durchschaute. Doch die alte Witwe war zu höflich, um ihn darauf hinzuweisen. Und so verließ sie kurz darauf den kleinen Teeladen. Nicht jedoch, ohne ihn wenig subtil wissen zu lassen, dass man ihr nicht so leicht entkam. Mit einem leisen Seufzer schloss der Verkäufer die Tür hinter seiner Kundin und kehrte zu seinem Verkaufstresen am anderen Ende des Raumes zurück. Seit Monaten, so schien es, hatte Mrs Jacobs es sich scheinbar zum Ziel gesetzt, ihn mit einer der Damen des Ortes zu verbandeln. Ein Gedanke, der dem Verkäufer ganz und gar nicht behagte. Frauen hatten ihm in der Vergangenheit wenig Glück gebracht. Die Glocke der benachbarten Kirche schlug. Es war Mittag. Für die nächsten zwei Stunden würde sich wohl kaum noch ein Kunde in den Laden verirren. Thomas Whitfield ging in die Hocke und begann damit, die Kartons, die er Stunden zuvor einfach nur unter den Tresen geschoben hatte, zu öffnen und den Inhalt zu sortieren. Gerade als er den vorletzten Karton geöffnet hatte, hörte er die Glocke der Eingangstür.

"Einen Moment", rief er. "Ich bin sofort bei Ihnen, vielleicht sehen Sie sich einfach schon mal um", schlug er vor, verwundert darüber, dass sich doch ein Kunde zur Mittagszeit in seinen Laden verirrt hatte. Er atmete tief durch. Vielleicht einfach nur ein Tourist, wie sie im Sommer zu Tausenden nach Inverness kamen. Die meisten von ihnen auf der Suche nach einem Monster, das es angeblich nicht einmal gab.

"Ich muss mich nicht umsehen", erklärte der Neuankömmling. Eine Stimme, die Thomas Whitfield seltsam vertraut erschien, und doch wieder völlig fremd war. "Ich hätte gerne eine Portion Vielsafttrank." Thomas zuckte zusammen und schoss hoch, wobei er sich den Kopf an dem alten Holz des Tresens stieß. Die Hand auf die schmerzende Stelle haltend, richtete er sich auf und sah den vermeintlichen Kunden an. "Wenn ich es mir recht überlege, wäre etwas gegen Kopfschmerzen jetzt wohl angebrachter", sagte der Kunde und ließ die Hand mit dem Taschentuch, das er benutzt hatte, um seine Stimme zu verstellen, sinken.

"Verdammt, Lucius", schimpfte der Verkäufer, den Blick auf den unerwarteten Besucher gerichtet. Seine Hand hielt noch immer die schmerzende Stelle bedeckt. "Was fällt dir ein, mich so zu erschrecken? Was machst du überhaupt hier?" Langsam nahm Thomas Whitfield die Hand von seinem Kopf, betrachtete sie und atmete erleichtert auf, als er kein Blut entdecken konnte.

"Das fragst du noch?" Lucius Malfoy warf mit einer vertrauten Bewegung die langen, blonden Haare zurück und zog eine zusammengerollte Zeitung aus der Tasche seines Mantels. "Schlimm genug, dass ich es rein zufällig von einer Bekannten erfahren musste." Er rollte die Zeitung auf, blätterte darin herum und hielt sie schließlich dem Verkäufer unter die Nase. "Du willst doch nicht behaupten, dass dir dies entgangen ist." Thomas Whitfield warf einen Blick auf die Zeitung. Natürlich war es ihm nicht entgangen. Der Artikel war schließlich groß genug gewesen. "Dachte ich es mir doch", stellte Lucius Malfoy fest und warf die Zeitung auf den Tresen. "Und was hast du jetzt vor?", fragte er. Der Verkäufer holte tief Luft. Diese Frage hatte er sich gestellt, seit er den Artikel vor einigen Tagen entdeckt hatte. "Packen und verschwinden", war dabei sein erster Gedanke gewesen. Eine Idee, die jedoch an möglichen Verstecken scheiterte. Inverness war der einzige Ort, den er kannte. Zumindest in dieser Welt. Und eine andere stand ihm leider nicht mehr zur Wahl.

"Was soll ich schon machen, Lucius?" Eine Frage, auf die er keine Antwort erwartete. "Hierbleiben und darauf hoffen, dass meine Verkleidung wirklich so gut ist, wie du immer behauptet hast", antwortete er sich selbst.

"Sie ist schrecklich", widersprach der schlanke Mann in dem schwarzen Mantel. "Deswegen ist sie ja so gut. Niemand, der auch nur ein wenig Geschmack hat, wird dich eines zweiten Blickes würdigen." Er musterte den Verkäufer. "Und der Mensch, dessen Haare du für deinen Trank verwendest, hat sich vermutlich ohnehin längst umgebracht. Würde ich zumindest tun, müsste ich das da jeden Morgen im Spiegel sehen." Lucius deutete auf Severus und schüttelte sich. "Ich werde nie verstehen, wie du mit diesem Gesicht durch die Gegend laufen kannst, Severus."

"Als ob mein eigenes Gesicht so viel besser ist", gab Severus Snape, der in dieser Kleinstadt als Thomas Whitfield bekannt war, zu bedenken. "Und wie du schon ganz treffend bemerkt hast, schaut niemand genauer hin." Er strich sich eine hellbraune Strähne aus der Stirn. "Aber du bist doch nicht hier, um dich mit mir über mein Gesicht zu unterhalten, Lucius." Der blonde Besucher schüttelte den Kopf.

"Ich wollte nur sichergehen, dass du nichts Unüberlegtes tust", gab Lucius Malfoy nur zögernd zu. "Ehrlich gesagt, ich hatte nicht damit gerechnet, dich noch hier anzutreffen."

"Was weniger an der Absicht, als mehr an den Möglichkeiten liegt", gestand Severus Snape nach einem Moment des Überlegens. Lucius Malfoy kannte ihn viel zu lange, und vor allem auch viel zu gut, als dass er ihm etwas vormachen konnte.

"Das ist Blödsinn, Severus, und das weißt du ganz genau. Du kannst jederzeit …" Lucius verstummte, als Severus die Hand hob.

"Fang bitte nicht wieder damit an, alter Freund", versuchte er zu verhindern, dass auch dieses Gespräch eine Richtung nahm, an die er nicht einmal denken wollte. "Wir wissen beide, dass es keine gute Idee ist", erinnerte er Lucius. "Wir wollen nicht schon wieder darüber streiten."

"Sprich nur für dich selbst, Severus. Wie ich darüber denke, habe ich dir mehrfach gesagt. Und mit meiner Meinung stehe ich nicht alleine da", hielt Lucius seinem Freund vor. Severus verdrehte die Augen. Er hätte es kommen sehen müssen, lief doch jede ihrer Unterhaltungen auf eben jenes Thema hinaus. "Dein Ruf wurde lange wiederhergestellt, jeder weiß, was unsere Welt dir zu verdanken hat."

"Und dennoch würde man mir mit Misstrauen begegnen", widersprach Severus energischer, als es seine Absicht gewesen war. "Mit gutem Grund!", fügte er hinzu. "Dann wäre da noch die kleine, unbedeutende Tatsache, dass ich seit mehr als sieben Jahren tot bin. Wie willst du das erklären?" Er blickte seinen Freund herausfordernd an. "Meinst du tatsächlich, man nimmt dir ein 'er war nur ein bisschen tot' ab? Ausgerechnet dir? Du solltest froh sein, dass du aus der ganzen Sache mit Voldemort einigermaßen heil herausgekommen bist, statt jetzt alte, tot geglaubte Kameraden zum Leben zu erwecken." Mit jedem Satz war er lauter geworden. "Severus Snape ist tot!", schrie er seinem Gegenüber zu. "Das ist gut so. Thomas Whitfield lebt. Er lebt hier in Inverness und ist zu alt, um noch ein neues Leben zu beginnen. Damit müssen wir uns abfinden." Er griff nach der Zeitung. "Wenn das hier mehr ist, als nur ein dummer Zufall, dann ist das eben so. Dann werde ich mich der Herausforderung stellen. Ich bin es leid, immer nur auf der Flucht zu sein." Er warf seinem Freund die Zeitung zu, verfehlte ihn jedoch um einen guten Meter. Dann drehte er sich herum und verließ den Verkaufsraum durch eine niedrige Tür, die sich zwischen deckenhohen Regalen befand. Es war ihm völlig egal, dass er Lucius alleine zurückließ. Malfoy Senior war alt genug, er würde schon alleine zurechtkommen und den Weg nach Hause finden.

Als die Tür hinter ihm zufiel, atmete Severus Snape tief durch und ließ sich auf eine der Holzkisten sinken, die hier wohl sortiert herumstanden. Die Ellenbogen auf die Knie gestützt, verbarg er sein Gesicht in den Händen und verfluchte den Freund, wie er es jedes Mal tat.

Lucius Malfoy war seine einzige Verbindung zu einer Vergangenheit, zu einem Leben, das er vergessen musste, wollte er nicht völlig verrückt werden. Tatsächlich war es ihm in den letzten Jahren sogar recht gut gelungen. Trotz der regelmäßigen Besuche seines Freundes und dessen ständigen Bemerkungen, wie einfach doch alles sein könnte. Thomas Whitfield hatte sich hier in Inverness ein neues Leben aufgebaut. Der Besitzer des kleinen Teeladens an der Church Street wurde von seinen Kunden geschätzt und seine neuen Bekannten ahnten nicht, dass sich hinter dem unscheinbaren Mann mehr verbarg, als ein schüchterner Mensch, der das Alleinsein großen Gesellschaften vorzog. Hin und wieder folgte er Einladungen, zeigte sich in der Öffentlichkeit und pflegte regelmäßigen Umgang mit seinen Nachbarn. Dabei vermied er es, auf persönliche Fragen zu antworten und überließ es seinen älteren Kundinnen, sich Gedanken über seine Herkunft zu machen. So war man heute davon überzeugt, dass Thomas Whitfield, dessen Akzent ihn als Engländer verriet, der viele Jahre in Schottland verbracht hatte, hierhergekommen war, um seine Vergangenheit hinter sich zu lassen. Man munkelte von enttäuschter Liebe und missbrauchter Freundschaft, ohne sich wirklich je einig zu werden, was denn nun letztendlich der wahre Grund für seine Flucht nach Inverness sein könnte. Severus sollte es recht sein. Zumal wohl keiner seiner Kunden und Bekannten den wahren Grund je glauben würde.

Wer würde schon glauben, dass der zurückhaltende Verkäufer einst ein bekannter Tränkemeister gewesen war, ein Zauberer noch dazu. Obendrein wusste die Bevölkerung von Inverness nichts von einem Magier mit dem Namen Voldemort, hatte keine Ahnung von einem langen, verlustreichen Krieg, dessen Ende eben jener Tränkemeister beinahe nicht mehr überlebt hätte. Würde er ihnen von der Schlange Nagini, ihrem Gift, seinen Forschungen und einem Trank erzählen, den als Erster zu testen er das zweifelhafte Vergnügen gehabt hatte, man würde ihn vermutlich auslachen. Oder vielleicht in die Obhut eines Psychiaters übergeben. Von diesem Trank, der ihm das Leben gerettet hatte, wussten ja selbst in der Welt der Hexen und Zauberer gerade mal zwei Menschen, war er nach Naginis Tod doch längst überflüssig geworden. Jene zwei Menschen waren es auch, die wussten, dass Thomas Whitfield in Wahrheit Severus Snape hieß. Und mehr würden, wenn es nach dem einstigen Tränkemeister von Hogwarts ging, nie davon erfahren. Severus Snape war vor sieben Jahren gestorben. Und so sollte es bleiben.

Er hob den Kopf und sah auf die alte Uhr, die an der Wand neben dem kleinen Fenster hing. In wenigen Minuten war es zwei Uhr und Inverness würde aus seinem Mittagsschlaf erwachen. Was ihn anfänglich irritiert hatte, war längst zur lieben Gewohnheit geworden. In der Zeit von zwölf Uhr mittags bis zwei Uhr am frühen Nachmittag passierte in Inverness nichts. Es war beinahe, als würde die ganze Stadt Mittagsschlaf halten. Er richtete sich auf, strich sich die dünnen Haare aus dem Gesicht und atmete noch einmal tief durch. Dann verließ er den Lagerraum, der ihn immer wieder an seinen alten Vorratsraum in Hogwarts erinnerte, und betrat den Verkaufsraum.

"Ich hatte angenommen, du wärst längst verschwunden." Severus Snape war nicht sonderlich überrascht, als er seinen Freund in einer Ecke des Ladens entdeckte, die eigentlich für die Kunden des Ladens gedacht war. Nicht selten trafen sich hier Kunden auf ein Tässchen Tee und tauschten den neuesten Klatsch der Kleinstadt aus. Und auch sein Freund schien den Zweck dieser Sitzecke erkannt zu haben. Den Mantel über einen der alten Holzstühle gelegt, hatte er es sich in einem zerschlissenen Ledersessel gemütlich gemacht und blätterte in einem der Bücher herum, die Severus in den letzten Jahren hier angesammelt hatte. Neben ihm stand eine Tasse, deren brauner Inhalt ein Bergamotte Aroma verbreitete. Genau wie Severus, bevorzugte auch Lucius diese Teemischung. Es wunderte Severus nicht einmal, dass es ausgerechnet seine bevorzugte Earl Grey Sorte war, die Lucius gewählt hatte.

"Ohne mich zu verabschieden?" Lucius Malfoy hob den Kopf, die hellen Augenbrauen zusammengezogen. "Du solltest mich besser kennen, mein Freund." Er schlug das Buch zu und hielt es hoch. "Erstaunlich, was die Muggel so schreiben. Würden sie sich nur ein wenig intensiver mit Kräutern befassen, könnten einige von ihnen vermutlich Tränke brauen." Er legte das Buch auf den runden Holztisch und nahm stattdessen die Tasse hoch. "Aber vielleicht ist es ganz gut, dass sie es nicht können", fügte er hinzu, während er das Aroma des frischen Tees einatmete und schließlich einen Schluck trank. "Wer weiß schon, was sie mit diesem Wissen anstellen würden." Er erhob sich, stellte die Tasse auf den Tisch und ging mit langsamen Schritten auf Severus zu. "Was ist jetzt, Severus? Wirst du mich heute Abend begleiten oder muss ich zu alten Mitteln greifen." Mit einer schnellen Bewegung zog er seinen Zauberstab aus dem Ärmel und richtete ihn auf den alten Freund seiner Schultage. "Du bist eingerostet, mein Freund, früher hättest du ihn mir lange abgenommen."

"Früher ist lange her, Lucius, heute gibt es keinen Grund mehr, ein Stück Holz zu fürchten", stellte Severus fest, wohl wissend, dass dieses Stück Holz ihm auch heute noch gefährlich werden könnte, würde es von einer anderen Hand als der seines Freundes geführt. Dennoch zuckte er zusammen, als Lucius den Zauberstab ein Stück anhob.

"Nun, wie lautet also deine Antwort?", wollte Lucius wissen. "Wirst du mich begleiten oder muss ich ausprobieren, ob ich meinen Imperius noch so gut beherrsche wie damals?" Severus zog die rechte Augenbraue ein Stück hoch und zwang sich, den Zauberstab zu ignorieren.

"Sollten wir beide für den heutigen Abend eine Verabredung gehabt haben, so muss es mir entfallen sein, Lucius. Ich hatte eigentlich geplant, den Abend mit einem guten Buch vor dem Kamin zu verbringen." Lucius schüttelte den Kopf, ließ die Hand mit dem Zauberstab wieder sinken und sah sich um.

"Ach, da ist sie ja." Er bückte sich und hob die Zeitung wieder auf, die Severus zuvor so unbeherrscht durch den Raum geworfen hatte. Nachdem er sie wieder geordnet und in eine handliche Form gefaltet hatte, hielt er sie Severus hin. Er zeigte mit seinem langen, schlanken Finger auf den Artikel. "Zur Eröffnung dieses …", er hielt inne und warf selbst einen Blick auf den Artikel. "Na, dieses Ladens da." Wieder tippte er auf den Artikel.

"Des Antiquariats", nahm Severus Snape das neue Geschäft unbeabsichtigt in Schutz und ignorierte das sonderbare Lächeln im Gesicht seines Freundes. "Nein, ich werde dich ganz sicher nicht dorthin begleiten." Severus sah auf den Zauberstab des anderen Mannes. "Da wird dir weder ein Imperius noch ein Cruciatus helfen", versuchte er Lucius zu überzeugen. "Ich habe zwar gesagt, dass ich die Dinge auf mich zukommen lassen werde, doch das heißt nicht, dass ich es provozieren will." Er nahm Lucius die Zeitung aus der Hand und warf sie in den Mülleimer neben dem Tresen. "Ich habe vor, ihr aus dem Weg zu gehen, solange es mir möglich ist." Er verzog sein Gesicht, als Lucius leise lachte.

"Und wie genau willst du das in Inverness anstellen? Dieser Ort ist trotz seiner 40.000 Einwohner ein Dorf. Ihr werdet euch zwangsläufig über den Weg laufen. Wenn du dich hier in deinem Laden verkriechst, dann machst du dich doch nur verdächtig", hielt Lucius ihm vor. "Was ist aus dem alten Severus geworden, der nie einem Risiko aus dem Weg gegangen ist? Lässt er sich neuerdings von jungen Frauen in die Enge treiben?"

"Ich sage es dir zum letzten Mal, Lucius: Severus Snape ist tot und wird es auch bleiben." Severus verschränkte die Arme vor der Brust. "Thomas Whitfield hat kein Interesse an jungen Frauen oder alten Büchern. Es gibt also auch keinen Grund für ihn, dieser Eröffnung beizuwohnen oder dieses neue Antiquariat zu irgendeiner Zeit zu besuchen." Er trat einen Schritt auf seinen Freund zu. "Und damit dürften sich die Gelegenheiten für eine Begegnung soeben auf ein Minimum reduziert haben." Lucius Malfoy wich nicht zurück, sondern sah seinem Freund in die Augen.

"Wen willst du mit deinen Worten eigentlich überzeugen? Gib doch zu, dass du unbedingt wissen willst, warum sie ausgerechnet hier hergekommen ist." Lucius' Worte trafen Severus wie ein Schlag. Er hätte es wissen müssen. Niemand kannte ihn besser als dieser Mann. Natürlich wusste Lucius, dass ein ehemaliger Spion wie er nicht an Zufälle glaubte. "Inverness ist für Hexen und Zauberer völlig uninteressant, um sich hier niederzulassen. Hogsmeade wäre für jede Hexe und jeden Zauberer die erste Wahl. Um sich zu verstecken jedoch, ist es wiederum viel zu nah an Hogwarts und Hogsmeade. Warum also entscheidet sie sich gerade für dieses Kaff? Obendrein noch unter ihrem richtigen Namen?", wollte Lucius wissen, was auch Severus sich selbst längst gefragt hatte. "Ich habe mich auch für Inverness entschieden", gab Severus zu bedenken, wohl wissend, dass seine Stimme wenig überzeugend klang.

"Mit einem neuen Namen und genug Vielsafttrank für die nächsten Jahrzehnte. Es ist nicht so, als würde dich irgendwer erkennen", hielt Lucius seinem Freund vor. "Zumal du, wie du ja so gerne betonst, tot bist. Selbst wenn jemand dich in einem ungünstigen Augenblick zu sehen bekäme, es stände kaum zu befürchten, dass er auch nur einer Person davon erzählen würde. Er wäre schneller in St. Mungos, als ihm lieb wäre. Und man würde ihn wohl kaum in nächster Zukunft wieder herauslassen."

"Sie versteckt sich aber auch nicht. Zumindest hast du das immer behauptet", versuchte Severus seinem Freund den Unterschied klar zu machen. "Vielleicht ist es gerade die Nähe zu Hogwarts, die sie reizt." Lucius Malfoy hob verzweifelt beide Arme in die Luft.

"Sie hat sich nur die letzten Jahre von allem, was mit Magie zu tun hat, ferngehalten. Die meiste Zeit war sie ja nicht einmal in diesem Land. Das klingt für mich nicht gerade nach einem Menschen, der an alte Bande anknüpfen möchte." Lucius ließ seinen Zauberstab wieder in dem Ärmel seines dunkelblauen Hemdes verschwinden.

"Weil du also neugierig bist, soll ich mich dem Risiko der Entdeckung aussetzen und mit dir auf diese Eröffnung gehen?", brachte Severus das Gespräch zurück zu seinem Ausgangspunkt. "Du könntest auch einfach alleine dort hingehen." Lucius schüttelte den Kopf.

"Du weißt genau, dass ich das nicht kann", widersprach Lucius. "Wenn es um die Muggelwelt geht, bin ich ein wenig …" Er hielt inne und Severus konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

"In dieser Welt bist du ein völliger Versager", stimmte Severus seinem Freund zu. Selbst Lucius' zahlreiche Besuche bei ihm hatten daran nichts geändert. Lucius Malfoy war der Abkömmling einer sehr alten Familie, die nie die Welt der Hexen und Zauberer verlassen hatte. Gab es kaum einen Fluch, den Lucius Malfoy nicht kannte, keinen Trank, dessen Zusammensetzung ihm nicht vertraut war, so reichte doch ein simpler Lichtschalter aus, um den Mann in die Flucht zu schlagen. Lucius Malfoy unter Muggeln, inmitten einer Welt der modernen Technik. Der Gedanke an diese Vorstellung zauberte beinahe ein Lächeln auf das sonst so emotionslose Gesicht von Severus Snape. Mit einem Male schien die Gefahr erkannt zu werden ein geringer Preis für einen Abend, der zumindest ein hohes Maß an Unterhaltung versprach. Severus Snape lächelte. "Einverstanden", antwortete er auf eine lange zuvor gestellte Frage. Lucius Malfoy sah ihn fragend an. "Ich werde dich begleiten", fügte Severus hinzu und der fragende Ausdruck verschwand aus dem Gesicht des Freundes. "Komme um halb sieben zu mir", forderte Severus sein Gegenüber auf. "Wir müssen schließlich dafür sorgen, dass sie dich nicht erkennt. Ein paar Haare wären angebracht. Es sei denn, du möchtest als mein Zwillingsbruder die Gesellschaft von Inverness in Verwirrung stürzen." Lucius Malfoy verzog das Gesicht und musterte den untersetzen Mann mit dem schütteren Haar.

"Ganz sicher nicht, Severus. Wir Malfoys hatten schon immer einen Sinn für Schönheit und Eleganz. Ich werde ganz sicher nicht so herumlaufen." Mit einer hektischen Bewegung deutete er auf die Gestalt, hinter der sich sein Freund seit Jahren verbarg. "Sorge bitte nur dafür, dass ich nicht deine Spezialmischung bekomme." Lucius Malfoy strich sich mit dem Zeigefinger über die Wange. "Zwei bis drei Stunden sollten genügen. Ich will ja schließlich meine Frau nicht erschrecken."

"Vielleicht solltest du einfach ein paar Haare von der jüngsten Eroberung deines Sohnes verwenden", schlug Severus vor. "Wie du ja so treffend anmerktest, habt ihr Malfoys ein Auge für Schönheit, wenngleich ich nie verstehen werde, wo sein Auge für Muggel herkommt."

Als Lucius Malfoy ihm eines Tages offenbart hatte, dass die neueste Eroberung seines Sohnes nicht ganz den Vorstellungen seines Vaters entsprach, war Severus nicht sonderlich überrascht gewesen. Immerhin hatte Draco schon zu seinen Schulzeiten nie wirklich Interesse für seine Mitschülerinnen gezeigt. Da war es nicht weiter verwunderlich, dass Dracos Interesse sich auf das eigene Geschlecht konzentrierte. Für Lucius Malfoy war damals eine Welt zusammengebrochen, bedeutete dies doch, dass der Name Malfoy nun wohl endgültig dem Untergang geweiht war. Mit einem Erben war jetzt nicht mehr zu rechnen. Severus machte etwas ganz anderes Sorgen. Es schien, als würde der Junge sich seine Freunde ausschließlich außerhalb der eigenen Welt suchen. Nicht ein Zauberer machte je einen Schritt über die Türschwelle von Draco Malfoys Schlafzimmer, durfte Severus den Erzählungen seines Freundes glauben. Somit war jede dieser Beziehungen von Anfang an zum Scheitern verurteilt, würde Draco Malfoy doch nie die Welt der Hexen und Zauberer verlassen. Aber vielleicht lag ganz genau da der Grund für sein sonderbares Verhalten. In solchen Momenten wünschte Severus sich, er hätte diese Welt, seine Welt, nie verlassen. Denn dann könnte er sich den Jungen einmal vorknöpfen. So jedoch blieb ihm nichts anderes übrig, als sich darauf zu verlassen, dass Lucius die Dinge in die Hand nehmen würde. Nur leider sah es bisher nicht danach aus, versuchte der Vater diesem Thema doch aus dem Weg zu gehen, soweit es ihm möglich war.

"Das werde ich ganz sicher nicht tun, Severus", holte Lucius den einstigen Tränkemeister in diese Welt zurück. "Und es wäre ganz sicher nicht sonderlich hilfreich", fügte der schlanke Magier noch hinzu. Severus war einen Moment lang irritiert, dachte jedoch nicht weiter über die sonderbaren Worte seines Freundes nach.

"Vielleicht hast du recht, jemand in unserem Alter wäre durchaus angebrachter", gab er schließlich zu. "Wir wollen ja nicht, dass die Damen von Inverness mir noch einen unehelichen Sohn andichten." Was eben jene Damen ihm andichten würden, tauchte er mit einem attraktiven, gleichaltrigen Mann auf dieser Veranstaltung auf, darüber wollte Severus lieber nicht nachdenken. Vermutlich würde er die nächsten Wochen, wenn nicht sogar Monate, mit seinen ältlichen Kundinnen flirten müssen, um die Sache wieder geradezubiegen. Doch das war das Vergnügen, einen Lucius Malfoy unter zahllosen Muggeln beobachten zu dürfen, einfach wert.

"Dann bin ich um halb sieben bei dir, Severus. Und versuche gar nicht erst, dich davor zu drücken. Du weißt genau, dass ich dich überall finde." Er ging zu der kleinen Sitzgruppe, nahm seinen Mantel von dem Stuhl und sah sich um. "Halb sieben", wiederholte er, zog seinen Zauberstab hervor und sah seinen Freund an. Severus nickte schließlich und vernahm einen Moment später ein leises, vertrautes Geräusch. Lucius Malfoy war verschwunden. Disappariert, wie Zauberer es nun mal taten.

Er wartete noch einen Moment, doch Lucius tauchte nicht wieder auf. Dann beugte er sich hinunter und nahm die Zeitung aus dem Mülleimer, strich sie glatt und legte sie auf den Tresen. "Sie mögen eine brillante Schülerin gewesen sein, doch ich war ein noch besserer Spion." Er wusste nicht, woher der plötzliche Ehrgeiz gekommen war, doch es juckte ihm in den Fingern, auch diesen Kampf zu gewinnen. Er würde ihr schon zeigen, dass es mehr brauchte, als ein paar alte Bücher, um einen Severus Snape in die Knie zu zwingen. Es schien beinahe, als sei seine alte Kampfeslust wieder erwacht. "Diese Stadt ist zu klein für uns beide und ich werde es nicht sein, der am Ende geht, Miss Granger."