1. Elfenboten
„ksst" zischte eine Stimme durch die Dunkelheit des Raumes. Durch die hohen Fenster schimmerte kaum Licht, man sah keinen Mond und auch keine Sterne. Nur ein matter grüner Schein warf die Schatten der Fenstergitter auf den roten Teppichboden.
Nur die Umrisse waren erkennbar und so sah man eine ganz erstaunlich kleine Gestalt auf einer rechteckigen Erhebung aufgeregt auf und abspringen. Unter der Gestalt regte es sich. Und das Männchen hüfte elegant und fast lautlos zu Boden. „Mann, was soll das?", zischte eine Männerstimme von dem Ort, an dem die Figur eben noch herumgehopst war.
Ein Mensch richtete sich in eben diesem Bett auf und schlug die Decke zurück. Er drehte den Kopf zu allen Seiten, offenbar um sich zu vergewissern, dass sonst niemand geweckt worden war. Dabei flogen ihm die Haare in feinen Strähnen ins Gesicht.
Der junge Mann ließ sich leise aus dem Bett gleiten und griff nach etwas auf dem Nachttisch. Nach einer kurzen Bewegung aus dem Handgelenk erschien ein kleines Licht am Ende seines Zauberstabs und bildete einen runden Kranz um die schwarze Spitze.
Aus einem der anderen Betten konnte man ein entnervtes Knurren vernehmen.
Schnell packte die größere Gestalt die kleine am Nacken und schob sie neben sich her zu einer großen hölzernen Doppeltür mit Eisenbeschlägen. Die Tür knarrte leise, als sie geöffnet wurde und ließ ein metallischen Scheppern ertönen als sie wieder zufiel.
Der Junge raufte sich die Haare, wobei er den Zauberstab geschickt zischen Zeige- und Mittelfinger festhielt.
„Was soll das? Ich hab dir gesagt, dass du hier nicht herkommen kannst!", herrschte er die kleine Gestalt an.
In diesem Raum war es heller und man konnte nun erkennen, dass das kleine Männchen ganz offenbar weiblich war, denn es trug ein zartrosa Hemdchen, das über und über mit Flecken beschmutzt war und zwei schwarze Schleifen im Haar. Einen der Zöpfe, die über den großen Ohren nach untern hingen, drehte es ganz aufgeregt in den Fingern.
„Es, es tut mir leid, Sir. Aber Sir haben gesagt Phibie soll etwas überbringen in den Turm..." „Ich weiß!", knurrte der junge Mann und funkelte die Elfe böse an, die die Arme vors Gesicht schlug. Augenblicklich schien er es aber zu bereuen, denn er atmete mit geschlossenen Augen tief aus und erlangte seine Selbstbeherrschung wieder.
„Also,", fuhr er mit neutraler Stimme fort. „Das hier", er schwenkte seinen Zauberstab mit einer schnellen Bewegung durch die Luft und hielt den linken Arm ausgestreckt. Die große Tür hinter ihnen öffnete sich geräuschlos und ein kleines, würfelförmiges Paket schwirrte heraus. Die Tür schloss sich wieder und das Paket landete mit einem leisen Surren sachte in der blassen Hand. „bringst du in den Gryffindor Turm und legst es auf den Stapel zu den anderen Geschenken vor ihrem Bett, klar?" Seine Stimme klang ungeduldig und er blinkte sich nervös um, ob auch ja niemand in der Zwischenzeit aus dem Schlafsaal gekommen war. „Jawohl Sir, es wird Phibie eine Ehre sein.", piepste die kleine Elfe und verneigte sich.
Der Zauberer begutachtete die kleine Schachtel nochmals. Sie war in schwarzglänzendes Papier gewickelt und mit einer grünen Seidenschleife zugebunden. Wie oft er dieses Kästchen angestarrt hatte, und wie viel Mühe es ihm bereitet hatte dies herzustellen konnte er kaum mehr sagen.
Mit einem leisen Seufzer platzierte er das Paket in die Hände der Elfe, die sie schon ausgestreckt hatte und es respektvoll anschaute, als könnte es bei der ersten Berührung zerbrechen.
Der junge Mann nahm dies amüsiert zur Kenntnis. „Es kann nicht kaputt gehen, dafür habe ich schon gesorgt.", sagte er, nicht ohne einen Hauch Arroganz in seine Stimme zu legen. Man konnte sehen, dass er wahnsinnig stolz auf sein Werk zu sein schien.
Phibies Augen glitzerten. „Sir, Sie sind ein begnadeter Zauberer. Phibie ist so dankbar, dass Severus Snape Phibie für diese ehrenvolle Aufgabe ausgewählt hat, Sir."
„Jaahaa, ist ja in Ordnung.", erwiderte Snape hastig. Es war nicht zu übersehen, dass ihm die Komplimente doch ein wenig peinlich waren. „Jetzt geh endlich." Er drehte sich noch mal zur Tür um, um sich zu vergewissern, dass sie alleine waren.
„Wie Sie wünschen, Sir.", fiepte die Elfe glückselig und verschwand gleich darauf.
Der Zauberer vergrub seine linke Hand in seiner Pyjamahosentasche und ballte eine Faust, als würde er etwas umschließen. Mit der rechten umklammerte er noch den Zauberstab. Er schritt zum Fenster und starrte hinaus in das gefrorenen Wasser des Sees, dass an den Scheiben Eisblumen hinterlassen hatte. Es würde sein letztes Weihnachtsfest auf Hogwarts sein. Im Sommer würde er als Absolvent der Hogwartsschule für Hexerei und Zauberei das Schloss wohl für immer verlassen. Die Vorstellung ließ ihn erschaudern.
Er ließ sich auf ein rotes Samtsofa sinken und stützte die Stirn in die Hände.
War das nun richtig gewesen? Ihr diese Geschenk zu machen? Was würde passieren, wenn sie es gar nicht wollte? Konnte er ihr je wieder in die Augen sehen? Fast bereute er seine Tat schon, doch dann rief er sich in Erinnerung, dass dies womöglich seine letzte Chance sein könnte. Womöglich war es für eine Chance jedoch schon zu spät.
Mit einem leisen Stöhnen erhob er sich, strich sich die Haare aus der Stirn und schob die Schultern zurück. Mit einem entschlossenen Kopfnicken setzte er sich in Bewegung und ging mit festem Schritt wieder auf die Tür des Schlafsaales zu. Er konnte nichts mehr ausrichten. Es lag nun nicht mehr bei ihm.
Völlig lautlos materialisierte sich die kleine Elfe nun in einem anderen Raum wieder. Der Saal war rund und hatte schmalere Fenster als der, aus dem die eben gekommen war. Der Mond war fast voll und erhellte die Betten, die alle mit roten Samtvorhängen verhangen waren.
Geräuschlos schien sie über den steinernen Fußboden zum dritten Bett zu schweben. An dessen Fußende hatte sich schon ein beachtlicher Stapel an Päckchen und Kisten angesammelt. Das Mädchen musste ganz offenbar sehr beliebt sein. Die Elfe zögerte. Sie wollte das schwarze Geschenk nicht einfach achtlos auf den Stapel legen, dazu erschien ihr dieser Auftrag zu wichtig.
Lange begutachtete sie den Haufen. Eine Schachtel stach ihr besonders ins Auge, sie lag ganz oben. Sie war unachtsam in rotgoldenes Papier gehüllt und eine Schleife fehlte gänzlich. Offenbar hatte ein Schüler den Zauber, mit dem er das Papier um das Geschenk gewunden hatte nicht korrekt ausführen können. Ganz sachte stellte sie das schwarze Paket auf den kalten Boden. Nun hob sie ihre linke Hand in die Höhe, sie war dünn und knöchrig. Das unschöne Paket schwebte empor und mit der rechten Hand wiederholte sie die Bewegung und alle anderen hoben auch vom Boden ab, blieben aber in ihrer Form als Berg zusammen, als wären sie zusammengeklebt. Das rotgoldene Paket surrte nun wieder zu Boden und der Rest der Geschenke senkte sich darauf ab. Ein Lächeln huschte über das Gesicht der Elfe, als sie ihre Schachtel wieder vom Boden aufnahm und diesmal mit eigener Hand auf die Spitze des Turmes stellte. Zufrieden begutachtete sie ihr Werk, flüsterte kaum hörbar „sie muss es lieben." und verschwand.
