Die
Geschichte ist in der Kay Handlung angesiedelt, zu dem Zeitpunkt, als
die Identität des Phantoms der Oper zum ersten Mal enttarnt
wird.
Viel Spaß beim Lesen, ich hoffe es gefällt euch.
Zoe
Paris 1880
Kapitel 1
Zoe
„Wer ist das, Darius?"
Fröstelnd zog ich den Wollschal enger um meine Schultern. Auch der Boden im Treppenhaus der Wohnung, hier in der Rue de Rivoli, war kalt. Doch dies war der einzige Ort, von wo aus ich wenigstens einen kleinen Blick auf den nächtlichen Ankömmling werfen konnte.
Die Tür zum Salon war nur angelehnt und ich lugte vorsichtig hinein, um die schemenhaften Umrisse der beiden Männer zu erkennen. Sie saßen sich im Schein des Kaminfeuers gegenüber. Doch während man zuvor so laut miteinander diskutiert hatte, dass ich von Neugier getrieben die Treppe herabgestiegen war, schwiegen sie nun.
„Kommen Sie, Mademoiselle..."
„Nicht bevor ich weiß, wer zu solch später Stunde noch empfangen wird", beharrte ich in festem Flüstern.
Wenngleich mein Begleiter mein derzeitiges Verhalten in keinster Weise guthieß, so hatte er sich doch ohne zu zögern meinen leisen Tonfall angepasst. „Es steht mir nicht zu, Ihnen Auskunft darüber zu geben, doch was ich mit Bestimmtheit sagen kann, ist dass Sie um diese Zeit längst schlafen sollte. Es ist Ein Uhr durch."
„Ganz genau! Eine höchst unpassende Zeit, um jemanden zu besuchen. Es sei denn, es handle sich um einen Notfall – oder um ein Geheimnis, das ich unmöglich ignorieren kann."
„Mademoiselle, bitte..." Mit höchstem Bedacht schob sich Darius zwischen mich und den Raum, dem all meine Aufmerksamkeit galt. „Ich bin sicher, dass man Sie früh genug über alles informieren wird, wenn es von Bedeutung ist."
Wütend funkelte ich den jungen Mann an, dessen schlanke, in Hosen und Tunika gewandete Gestalt mich um mindestens einen Kopf überragte. „Als ob man das je getan hätte, nicht wahr?"
Leise seufzend schüttelte er den Kopf. „Es ist nicht immer gut, alles zu wissen. Gerade für ein junge Frau, wäre es..."
Weiter kam er nicht, denn an diesem empfindlichen Punkt getroffen, verlor ich die Beherrschung und das Temperament meiner Mutter brach hervor. Ich achtete nicht länger, auf meine Lautstärke. „Soso! Tatsächlich? Ja, das scheint genau die Meinung zu sein, welche mich in all diesen Schlammassel hineingebracht hat!"
Der verzweifelte Blick seiner Augen kam zu spät, denn alarmiert vernahm ich bereits Schritte aus dem Inneren des Raumes. Mit weitem Schwung wurde die Tür aufgerissen und eine dunkle Gestalt stand im Rahmen. Erschrocken wich ich einen Schritt zurück und auch Darius senkte schuldbewusst den Kopf, als plötzlich sein Herr mit finsterer Miene vor uns erschien.
„Was geht hier vor?" Seine Stimme war immer streng und fest, doch heute Abend war ganz deutlich, wie ungehalten er sein musste. Schnell hatte er erkannt, dass nicht der schweigsame Bedienstete Ursache dieser nächtlichen Beschattung war, sondern ich.
„Darius, Sie können gehen", mit diesen Worten und einem Kopfnicken war ich meines letzten Verbündeten unter diesem Dach beraubt.
Doch ganz gewiss lag es nicht in meiner Natur, mich so einfach zu fügen, selbst wenn ich vor einem autoritären Despoten stand. Ohne seinen Augen auszuweichen, erwiderte ich das Starren des Hausherrn.
„Zoe! Gibt es einen plausiblen Grund dafür, dass du nicht nur um diese Zeit noch wach bist, sondern obendrein die Frechheit besitzt, mich und meinen Gast zu belauschen?"
„Natürlich!" Ich bot die Stirn, ohne genau zu wissen, wie ich meine Verteidigung aufbauen konnte. „Der Lärm hier unten hat mich geweckt, und da es nun einmal in meiner Natur liegt, den Dingen auf den Grund zu gehen, hielt ich es für angebracht, nach dem Rechten zu sehen."
„Du spielst dich also zur einer alles überwachenden Ordnungshüterin auf, auch wenn du dabei sämtliche Grenzen meiner Privatsphäre überschreitest? Ich habe dir befohlen, dich auf deine Aufgaben und die Führung der Hauswirtschaft zu beschränken und du trittst meine Anweisungen mit Füßen! Das ist höchstens das Verhalten einer verzogenen, undankbaren..."
Gerade als ich zu einer besonders aufmüpfigen Antwort ansetzen wollte, wurden wir plötzlich unterbrochen.
„Lassen Sie es gut sein, Daroga", drang eine Stimme aus dem Salon zu uns herüber. Der nächtliche Besucher sprach nicht laut, aber dennoch haftete seinen Worten eine Eindringlichkeit an, die unsere gerade entfachte Diskussion im Keim erstickte.
Ein großer Mann trat aus dem Dunkel des Raumes, nur um sofort mit den Schatten des kaum helleren Treppenhauses zu verschmelzen. Es war eine so elegant, fließende Bewegung, dass ich instinktiv den Eindruck hatte, ein solcher Mensch müsste es gewohnt sein, im Verborgenen zu agieren.
War diese merkwürdige Zusammenkunft, mitten in der Nacht, ein Akt von krimineller Natur?
Mein Blick flog kurz zu Nadir Khan, dem Herrn dieses Hauses, doch auch wenn er seine Aufmerksamkeit ebenfalls auf die dunkle Gestalt gerichtet hatte, sah ich nichts in seiner Mine, dass mir Aufschluss über meinen Verdacht hätte geben können.
Wurde er erpresst?
Hielt er Verbindungen zu Mitgliedern der Unterwelt?
Mein Überlegungen hetzten mich durch einen Sturm von Möglichkeiten.
„Ich werde gehen. Folgen Sie mir nicht länger. Das wäre nicht gut."
„Erik!" Nadir Kahns Stimme zitterte. Scheinbar hatte er Mühe sein Missfallen so rücksichtsvoll wie möglich zu äußern. „Jetzt, wo ich um Ihre... Position Bescheid weiß, kann ich Sie unmöglich weiter so verfahren lassen. Nach allem, was passiert ist, fühle ich mich dazu verpflichtet, diesem Spuk ein Ende zu setzen. Seihen Sie gewiss, dass ich Sie nicht aus den Augen lassen werde."
Ein schrecklicher Zauber musste mit einem Mal Besitz von diesem Raum ergriffen haben, denn was nun die Luft überall um uns herum erfüllte, war kaum noch als eine gewöhnliche, menschliche Stimme zu bezeichnen. Die Worte des mysteriösen Fremden drangen von überall her auf uns ein und besaßen eine klangliche Dichte, die sich wie eine schwere Decke um mich legten. „Haben Sie vergessen, dass es klüger ist, zu tun was ich sage, Daroga?"
Der Angesprochene sog scharf die Luft ein. „Wie könnte ich das. Aber hier und jetzt ist nicht der Ort, um darüber zu reden. Alles, was ich sage ist, dass ich Sie aufhalten muss."
Etwas funkelte in der Dunkelheit auf, und zu meinem Erstaunen erkannte ich, dass es die Augen des geheimnisvollen Mannes waren, welche sich bernsteinfarben und stechend auf meine Person richteten.
Seine Stimme hatte mich gefesselt, doch dieser Blick nahm mich vollends gefangen. Mein Herz beschleunigte seinen Schlag und gleichzeitig spürte ich, wie mir der Atem stockte. Aus einem unerfindlichen Grund fühlte ich mich hilflos, ohne bedroht zu werden und gleichzeitig überkam mich das unwiderstehliche Verlangen, diesem vollkommen Unbekannten unter allem Umständen zu gefallen – ihm nahe zu sein, im Schatten seines machtvollen Wesens zu ruhen und eine Form von Geborgenheit zu finden, nach der ich mich mein ganzes Leben lang gesehnt hatte.
Es kostete mich alle Anstrengung, diese Gedanken beiseite zu schieben und mich kühl und nüchtern der Realität gegenüberzusehen.
Ich kniff die Augen zusammen. Erst jetzt erschien mir etwas Gravierendes merkwürdig und störend an der Erscheinung des Mannes. Eine dichte, schwarze Maske verhüllte seine Gesichtszüge beinahe gänzlich. Allein die Augen, Unterlippe und Kinn waren erkennbar.
„Gute Nacht, Daroga... Mademoiselle", eine angedeutete Verbeugung in meine Richtung, die ich wie in Trance mit leichtem Kopfnicken erwiderte. „Ich bitte mich nun zu entschuldigen. Auch wenn Sie es nicht für möglich halten... es gibt in der Tat Erbaulicheres, als mich mit alten Bekannten herumzuplagen. Erstrecht, wenn es jemand mit Ihrer Neugier ist."
Ich wandte meinen Blick nur für eine Sekunde ab, um ein Schmunzeln zu verbergen. Noch nie hatte ich erlebt, dass jemand in diesem Ton mit Nadir Khan gesprochen hätte.
„Erik!" Der empörte Ausruf riss mich zurück, und nun konnte ich nur noch verfolgen, wie der Hausherr in Richtung Tür sprintete. Ohne das geringste Geräusch zu verursachen, hatte der nächtliche Besucher uns wieder verlassen.
Wütend sauste die Faust des Daroga auf den Türrahmen nieder. „Bei Allah! Ich hätte es wissen müssen! Diesem Mann ist nicht mit vernünftigen Argumenten beizukommen!"
„Argumente sind nicht gerade deine Stärke, Nadir. Vielleicht hat er es einfach auch nur satt, jeder deiner Anordnungen sofort Folge zu leisten..."
„Wag es nicht, dich mir gegenüber derart respektlos zu verhalten, Zoe!" Er hatte vor mir Stellung bezogen, und ich musste mir eingestehen, dass seine zornig umwölkten Augen, die zitternd geballte Faust mich einzuschüchtern drohten. Doch er sollte meine Furcht nicht spüren, sollte nicht erfahren, wie sehr es mich abstieß, dass ich vor drei Monaten wie ein Gegenstand diesem Haushalt hinzugefügt worden war. Mit unverminderten Donnern fuhr der Mann vor mir fort: „Ich werde nicht dulden, dass du wirst wie... sie!"
Die Worte dröhnten in meinem Kopf.
Ich war es leid, den bevorstehenden Vorwurf wieder und wieder über mich ergehen zu lassen. Ohne Nadir die Gelegenheit zu geben, seinen Satz zu beenden, flogen meine Hände hinauf zu den Ohren. Ich würde ihm zuvorkommen.
All die Verachtung, mein Schmerz ballte sich tief in mir zusammen und brach schließlich hervor.
„Ganz wie du befiehlst... Vater!"
Am nächsten Tag erwachte ich weit nach Mittag. Kein Licht fiel durch die schweren Vorhänge, und ich seufzte angesichts der Tatsache, dass dieser Tag so regnerisch werden würde, wie die letzten zuvor. Der Herbst hielt mit unaufhaltsamen Schritten Einzug und so blieb mir nicht einmal mehr die Möglichkeit, der Enge meines sogenannten Zuhauses zu entkommen, indem ich in den Garten flüchtete.
Mit der Morgentoilette und dem Anziehen, ließ ich mir Zeit. Schließlich ahnte ich, dass eine Standpauke Nadir Khans ohnehin das Erste sein würde, was mich in Empfang nahm, wenn ich die Treppe hinabkam. Des Nachts hatte er sich lediglich darauf beschränkt, mich unverzüglich zu Bett zu schicken.
‚Ganz so, wie es sich für ein ungezogenes Kind gehört', dachte ich bitter. ‚Selbst wenn ich die letzten siebzehn Jahre ohne jede Form von väterlicher Autorität ausgekommen bin.'
Wieviel einfacher alles noch gewesen war, als ich das kleine Internat am Stadtrand besucht hatte - der festen Überzeugung eine Halbwaise zu sein, deren Mutter Tag für Tag hart arbeiten musste, um ihrer Tochter eine solch gute Schulbildung zu ermöglichen.
Nein!
Nicht schon wieder Tränen!
Wütend fuhr ich mit einer Hand über die Augen. Dieser Mann verdiente es nicht, dass ich mich von seinem Auftauchen und seinem dominanten Gehabe so durcheinander bringen ließ. Er war nie mein Vater gewesen! Warum durfte er jetzt, nach Mamas Tod einfach in mein Leben treten und behaupten, er wüsste was für mich das Beste wäre?
Während ich meine Schultern straffte, das Kinn hob und entschlossenen Schrittes mein Zimmer verließ, das Haus durchquerte und schließlich den Salon betrat, hatte ich mich in Gedanken längst gewappnet und war bereit, es mit dem Hausherrn und seinem unangenehmen Wesen aufzunehmen.
„Du wirst dir in der Küche von Darius etwas zu Essen geben lassen müssen. Da du nicht pünktlich zum Frühstück erschienen bist, ist bereits alles abgeräumt." Nadir blickte mich nicht einmal an. Offenbar war er im Begriff das Haus zu verlassen, trug Gehrock und Straßenschuhe und blickt nur noch einmal die Post durch, welche auf einem kleinen Silbertablett auf dem Kaminsims lag.
„Ich bin nicht hungrig." Misstrauisch folgte ich ihm mit meinem Blick. Auch wenn ich mir seit unserer ersten Begegnung gewünscht hatte, einem Irrtum zum Opfer gefallen zu sein, konnte ich nicht leugnen, dass etwas in Nadir Khans Aussehen mich unzweifelhaft als seine Tochter auswies. Zwar hatte ich die blauen Augen meiner Mutter geerbt, ihre zierliche Nase, die kleine Gestalt... doch das pechschwarzer Haar, meine Haut, die schon immer ein bisschen dunkler als die meiner Freundinnen gewesen war, und nicht zuletzt Kleinigkeiten - wie das Hochziehen einer einzelnen Augenbraue, das unruhige Zucken der Mundwinkel, wenn ihn etwas störte oder wütend machte... all das waren Züge, die ich an mir selbst wiedererkannte. „Wohin gehst du?"
„Ich habe zu tun." Mit dieser keinesfalls zufriedenstellenden Erklärung riss er einige Schreiben entzwei und warf sie in den Kamin und betrachtete voller Nachdenklichkeit wie sie langsam in der Glut Feuer fingen.
Beinahe wäre ich dem aberwitzigen Impuls gefolgt, ihn zu fragen, was es mit dem merkwürdigen Besucher letzte Nacht auf sich gehabt hatte, doch schon war die Gelegenheit verstrichen und er eilte an mir vorbei in den Flur.
Die Tür fiel ins Schloss und ich war allein.
„Seien Sie vernünftig, Mademoiselle!" Darius Stimme hallte mir hinterher, als ich voller Hast mein Cape über die Schultern warf und die Haustür aufriss. „Sie wissen genau, dass der gnädige Herr es nicht gutheißt, wenn Sie allein das Haus verlassen!"
„Der gnädige Herr heißt ohnehin rein gar nichts gut, was ich tue! Warum sollte ich also Rücksicht auf solch eine Kleinigkeit nehmen?"
Ehe ich mich in eine weitere Argumentation verstricken lassen musste, lief ich die letzten Stufen des Hauses hinab auf die Straße. Darius würde mir nicht folgen, da war ich sicher. Er verließ die Wohnung nur selten und ganz sicher gehörte das einfangen einer entlaufenen jungen Frau nicht zu diesen Gelegenheiten.
Etwa eine halbe Stunde lang wanderte ich ziellos durch die Straßen, betrachtete Schaufenster und genoss das Gefühl, der strengen Abgeschlossenheit meines Käfigs entkommen zu sein.
Bisher hatte ich mich erst zweimal aus Nadirs Wohnung davon geschlichen - spät in der Nacht, wenn es ganz bestimmt nicht entdeckt werden konnte. Aber das hatte gleichzeitig bedeutet, dass ich mich ständig vor jedem gefürchtet hatte, der mir im Dunkeln begegnet war. Nur zu gut erinnerte ich mich an die Warnungen der Internatsvorsteherin, die uns immer wieder eingeschärft hatte, welches Unglück jungen Mädchen drohte, die des Nachts allein und hilflos einem Verbrecher in die Hände fielen.
Paris bei Tag betrachtet, bot jedoch einen solchen Strudel von Abwechslung, dass ich gar nicht wusste, worauf ich meinen Blick zuerst lenken sollte. Ich schlenderte vorbei an Marktständen, bestaunte hier eine Kirche, dort die wunderschönen Kleider flanierender Damen und bemerkte gar nicht, dass die Zeit wie im Flug verging.
Ich kaufte mir eine Kleinigkeit zu essen, als mein Magen zu knurren begann und zog mich sogar kurz in ein Café am Place de l'Opera zurück, um mich aufzuwärmen und etwas zu trinken.
Gerade noch lauschte ich versonnen dem Spiel eines alten Violinisten, der sich einige Sous mit der Darbietung seines Könnens verdiente und zwischen den Tischen des Restaurantsaales hin und her wanderte, als mir plötzlich erschrocken der Atem stockte.
Ich saß nahe bei einem der großen Fenster, und hatte schon eine ganze Weile die Leute beobachtet, die durch den neblig grauen Schleier eines Pariser Herbstabends eilten. Doch die Person, welche unvermittelt mein Sichtfeld in Richtung Oper kreuzte, hatte ich nicht erwartet.
Nachdem ich den ersten Impuls, mich zu ducken und so unauffällig wie möglich unter dem Tisch zu verschwinden, niedergekämpft hatte, war es abermals meine Neugier, welche die Oberhand gewann.
Was tat mein Vater hier? Und weshalb um Himmels Willen blickte er derart konzentriert auf einen Punkt in der Menschenmenge vor ihm, als würde er jemanden verfolgen?
Grimmig sprang ich auf, ließ einige Frances auf dem Tisch liegen, die meinen Cafe und das Stück Kuchen begleichen würden und stapfte in Richtung Ausgang.
Natürlich war es unvernünftig was ich tat, und ich war mir vollkommen darüber im Klaren, dass diese kleine Verfolgungsjagd mir mehr Schwierigkeiten einhandeln konnte als all die anderen kleinen Eskapaden, mit denen ich Nadir in den vergangenen Monaten wieder und wieder zur Weißglut getrieben hatte... aber gegen mein eigenes Wesen kam ich nicht an. Und irgendein Instinkt sagte mir, dass ich einem wirklich großen Abenteuer begegnen konnte, wenn ich mich nun beeilte und mit Monsieur Khan Schritt hielt.
Erik
Ich war unaufmerksam gewesen und nun sah ich mich unerwarteten Komplikationen gegenüber.
In einiger Entfernung vernahm ich gedämpft die Stimmern meiner Verfolger und wich ein Stück weiter in die Dunkelheit des Kellerganges zurück. Noch hatte man mich nicht bemerkt, doch die wenigen Meter zwischen uns, machten meine Enttarnung nur zu einer Frage der Zeit.
Ich verabscheute es, mich wie ein Tier im Verborgenen zu halten! Vom Standpunkt der Verteidigung aus, war es doch vielmehr mein Recht, diese Eindringlinge mit Nachdruck in ihre Schranken zu verweisen.
Nicht zum ersten Mal am heutigen Tag verfluchte ich die Einmischung des Persers, der sich wie ein Schatten aus der Vergangenheit über mein Opernreich gesenkt hatte. Mein Instinkt, diesen Mann im Auge zu behalten, hatte sich als vollkommen richtig erwiesen. Bereits gegen Mittag war er hinter der Bühne aufgetaucht, um herumzuschnüffeln. Er ging den Gerüchten des Corps de Ballett nach und fragte mehrere gesprächswillige Mitarbeiter des Hauses über das ominöse Phantom der Oper aus.
Ich hatte mich an seine Fersen geheftet, um frühzeitig eingreifen zu können, sollten Nadirs Nachforschungen nicht nur lästige sondern bedrohliche Ausmaße annehmen. Erst nachdem er mit einer jungen Schneiderin geredet hatte, der merkwürdige Gestalten aufgefallen waren, die sich ab und an bei einem Eisentor an der Rue Scribe zu treffen pflegten, hatte er sich eilig daran gemacht meine Domäne zu verlassen.
Aufs Höchste alarmiert war ich ihm in meiner Kühnheit ein ganzes Stück gefolgt, und hatte mich sogar mit tief ins Gesicht gezogenem Hut ein Stück in die Straßen der Stadt vorgewagt. Diesem Fehler und dem scharfen Blick des ehemaligen persischen Polizeiinspektors, hatte ich nun meine prekäre Lage zu verdanken.
„Zoe! Du kommst sofort zurück!" Ein wütender Ausruf Nadir Khans katapultierte meine Aufmerksamkeit wieder in die Gegenwart.
Offenbar kam die Aufgeforderte seinen Worten nicht nach. Ein paar Minuten konnte ich ihn noch in der Dunkelheit umherirren hören, ehe er allem Anschein nach wieder in Richtung Tageslicht zurückkehrte. So wie ich ihn jedoch in seiner Hartnäckigkeit einschätzte, würde es nicht lange dauern, ehe seine Suche hier aufs Neue begann. Zumal sich ein Gast in meinen Katakomben herumtreiben musste... und den sollte ich finden, ehe das ahnungslose junge Ding noch einen der Abwehrmechanismen in Gang setzte, die ich zu meinem eigenen Schutz hier unten errichtet hatte.
Möglichst ohne dabei ein Geräusch zu verursachen, trat ich behutsam vor und blickte mich um. In dieser Dunkelheit hätte kaum jemand deutliche Umrisse ausmachen können, doch mir waren diese Gänge wie keinem Menschen sonst bekannt und meine Augen hatten sich längst daran gewöhnt, auch ohne Licht alles zu sehen worauf es ankam.
Ich brauchte nicht lange zu warten.
Ein leises Knirschen lenkte meine Aufmerksamkeit nach links - in die Richtung, wo die Katakomben sich langsam zu einem wahren Labyrinth verschlungener Winkel und Wege zusammenfügten.
Innerlich verhärtete ich mich bereits jetzt gegen die Tatsache, in wenigen Momenten einer verängstigten jungen Frau gegenüberzustehen, die nicht nur von ihrem wütenden Liebhaber in dieser Einsamkeit zurückgelassen worden war, sondern sich zu allem Überfluss auch noch mit meiner bedrohlichen Erscheinung konfrontiert sehen musste.
„Mademoiselle?" Keine Antwort – hatte ich denn wirklich mit einer gerechnet? „Mademoiselle!"
Ihre Schritte näherten sich tatsächlich. Wenigstens floh sie nicht gleich in Panik und lief somit Gefahr, mit Gewissheit einen meiner tödlichen Mechanismen auszulösen. Wartend blieb ich stehen und musste mit Erstaunen erkennen, wie unbehaglich ich mich fühlte.
Dann stand plötzlich diese kleine Gestalt direkt vor mir und blickte mit hellen, in der Dunkelheit glänzenden Augen zu mir auf. „Erik nehme ich an." Es war tatsächlich ein Hauch von Belustigung in ihrer Stimme zu hören. „Sie haben sich wirklich den entlegensten Winkel ausgesucht, um vor Nadir Kahns Neugier zu flüchten."
Es war ein Scherz, das wusste ich natürlich, doch ungewohnt, wie solch unförmlich freundliche Konversation für mich war, konnte ich nur in aller Ernsthaftigkeit antworten. „Meine Beweggründe hier zu sein, sind wohl anderer Natur, Mademoiselle."
„Aha", sie nickte. „Gut." Mit vor sich verschränkten Armen verharrte das Mädchen nun, und ich musste gestehen, dass ihr Verhalten begann, mein Interesse zu wecken.
Was um alles in der Welt hatte Nadir dazu bewogen, sich ein derart aufmüpfiges junges Ding als Mätresse in sein Bett zu holen? Sie schien so gar nicht in das Bild zu passen, das ich mir immer von der Art von Frauen gemacht hatte, welche dieser sturköpfige Perser wohl als anziehend empfand. Wahrscheinlich lagen ihre Vorzüge anderweitig als bei Sanftheit und Zurückhaltung.
Noch immer machte sie keine Anstalten, mich darum zu bitten, sie aus den Katakomben zu führen. Es kam mir beinahe wie eine Art von Herausforderung vor, mit der sie mich einfach nur ansah und darauf wartete, dass ich die Initiative ergriff.
Warum sollte ich ihr diesen kleinen Triumph verwehren? Sie war ein Kind... und mir war daran gelegen, möglichst bald in meine Wohnung und somit an meine Arbeit zurückzukehren.
Mit eine Rascheln des Mantelstoffes wandte ich mich um. „Kommen Sie, Mademoiselle, ich bringe Sie nach draußen."
Schon war ich die ersten Meter weit gegangen. Sie rührte sich nicht von der Stelle.
„Ziehen Sie es vor, die Nacht in dieser Finsternis zuzubringen, meine Liebe?"
„Nein, eigentlich nicht." Ein leises Seufzen erklang aus ihrer Richtung. „Allerdings gebe ich zu, dass mir ebenso wenig daran liegt in Nadirs Haus zurückzukommen und mir erst einmal eine gehörige Standpauke anhören zu müssen."
Ein unvertrautes Kribbeln bildete sich in meiner Kehle und erstaunt musste ich mich auflachen hören. „Und was stellen Sie sich nun vor?"
Etwas in ihrer Stimmung kippte dramatisch, und als sie nun sprach war eine tiefe Verzweiflung geradezu greifbar. „Offengestanden weiß ich das auch nicht." Etwas musste sie mit derartigem Kummer erfüllen, dass ihre nächsten Worte nur stockend und unter zurückgehaltenem Schluchzen hervorbrachen. „Aber... ich kann... ich will nicht... zurü..."
Und dann konnte ich nur noch in einem Satz vorspringen und meine Arme um ihre zitternde Gestalt schlingen, ehe sie ohnmächtig wurde.
Zoe
Irgendwann hatte ich die Stockschläge nicht mehr zählen können, die in meiner Schulzeit immer wieder die Strafe für mangelnde Aufmerksamkeit gewesen waren. Zweimal war ich sogar durch wichtige Halbjahresprüfungen gefallen, nur weil ich mich weniger auf Schulbücher, mehr auf Trivialliteratur konzentriert hatte. Als auch noch ein drittes Versagen gerade bevorstand, das ein Jahr mehr auf dieser Schule für mich bedeutet hätte, war meine letzte Rettung eine List gewesen: In der Hoffnung mir einen eigentlich recht unangenehmen Umstand zu Nutzen zu machen, hatte ich an jenem Morgen mein Korsett besonders eng geschnürt. Und als die Aufregung meinen Atem auch noch immer schneller hatte werden lassen, war mir tatsächlich eine gnädige Ohnmacht zur Rettung gekommen. An diesem somit gewonnenen Tag hatte ich genug Stoff aufholen können, um die Prüfung mit Ach und Krach zu bestehen.
Hyperventilation nannte man dieses Phänomen, das hatte ich erst vor Kurzem in dem dicken, ledereingebundenen Medizinlexikon Nadir Khans entdeckt, als ein langweiliger Nachmittag mich wie so oft in die Bibliothek getrieben hatte. Und diese Technik wandte ich auch nun an.
Natürlich war es leichtsinnig, mich derart hilflos zu geben - zumal dieser Erik etwas unleugbar Furchteinflößendes an sich trug. Doch die Aussicht wieder in das Haus in der Rue Scribe zurückzukehren, zurück zu Monotonie und leeren Stunden bei einem fremden Vater, ließ mich zu verzweifelten Mitteln greifen. Vielleicht konnte mir diese Mann irgendwie behilflich sein, aus der isolierten Enge zu fliehen, in die ich hier in Paris gezwängt worden war. Er mochte meinen Vater nicht. Wenn ich also Zeit gewann und ihm klar machte, dass er Nadir Khan eins auswischen könnte, indem er meinen Ausbruch unterstützte, wäre auch mir geholfen.
Beinahe wären meine Vorhaben jedoch gleich zu Anfang gescheitert, und das durch eigene Dummheit. Der Moment, in dem meine beschleunigte Atmung zu wirken begann, mir die Sicht vor den Augen verschwamm und ich nicht mehr in der Lage war, mich auf den Beinen zu halten, ließ Erik vorschnellen und meinen Sturz abfangen.
Die Berührung seiner Hände, jagte mir einen Schauer durch den kaum noch wachen Leib. Trotz der Handschuhe, welche er trug, konnte ich spüren wie lang und knochig seine Finger sein mussten. Und als ich auch noch die Nähe seines Körpers wahrnahm als er mich an sich drückte, um mein Gewicht aufzufangen, erkannte ich, dass auch der Rest seiner Gestalt außergewöhnlich schlank, um nicht zu sagen skelettös schien.
Einen Moment hatte ich das Gefühl, sofort aus meiner Starre erwachen zu müssen – ein törichter Reflex von Angst, dem mein geschwächter Körper glücklicherweise einen Strich durch die Rechnung machte und mich schließlich in schwindeliger Bewusstlosigkeit umfing.
Das Knistern eines Feuers und ein feuchter Lappen, der meine Stirn kühlt, waren das erste woran ich mich nach dieser langen Dunkelheit wieder erinnern konnte. Zweifelsohne befand ich mich nicht länger in jenem steinernen Gang der Katakomben, denn darin fanden sich wohl kaum gepolsterte Flächen, so wie die, auf welcher ich nun lag.
Ein langsames Blinzeln – mehr wollte ich für den Anfang nicht riskieren. Siedendheiß erwachte die Angst in mir, Erik könnte mich einfach nur zu Nadir nach Hause gebracht haben! Natürlich! Das war wohl ein Schritt, der höchst nachvollziehbar gewesen wäre, den ich allerdings bisher vollkommen außer Acht gelassen hatte!
Mutig schlug ich die Augen auf, nur um mit klopfendem Herzen und unsagbarer Erleichterung zu erkennen, dass ich mich an einem Ort befand, den ich nicht kannte. Tatsächlich lag ich auf einer niedrigen Chaiselounge direkt vor einem friedlich knisternden Kaminfeuer. Die Wand, auf welche ich blickte, war dunkel und sah so steinern und kantig aus, wie ich sie mir mehr in einem alten Schloss, weniger in der Wohnung eines Pariser Bürgers vorgesellt hatte.
Meine Augen wanderten weiter. Hier und da zierten Gemälde in prachtvollen schwarzen Rahmen die Wände, jedoch konnte ich ihre Darstellungen in diesem schummerigen Licht nicht deutlich erkennen.
Zögerlich wagte ich, mit den Fingern nach oben zu tasten und nahm das kühle Tuch beiseite, welches mir umsichtig auf die Stirn gelegt worden war. Meine Mundwinkel zuckten. Ich war mit meinem kleinen Schauspiel durchgekommen und nun befand ich mich wohl im Zuhause des Mannes, der mein Verbündeter werden sollte – auch wenn er davon noch nichts ahnte.
Vorsichtig lugte ich über die Rückwand des Postermöbels in Richtung des Raumteiles, der hinter mir lag. Eine Tür war so angelehnt worden, dass sie halb offen stand und einen weiteren, helleren Lichtschein zu mir herüber warf.
Gedämpfte Schritte waren von nebenan zu vernehmen und ich zuckte zusammen, als ein düsterer Schatten jenseits des Türspalts vorbeihuschte.
Einmal... ich hielt den Atem an.
Noch einmal... neugierig richtete ich mich auf.
Und noch einmal... jetzt konnte ich mich nicht mehr zurückhalten.
Leise, möglichst ohne jede Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen erhob ich mich und schlich vorwärts in Richtung Licht.
Der Schatten erschien und verschwand immer wieder aus meinem Blickfeld, und langsam war ich nahe genug, um zusätzlich eine leise Stimme zu hören. Offenbar führte Erik Selbstgespräche.
„Törichter, alter Mann!"
Ich legte vorsichtig eine Hand auf den Türrahmen, um mich abzustützen und alles genauer verfolgen zu können. Mein Blick ging in eine kleine Eingangshalle, von der eine große, dunkle Holztür wohl nach draußen und einige schlichtere wohl in andere Räume dieses Hauses führten.
„Wen hätte es gestört, wenn du sie liegen gelassen hättest? Oder wenn sie hier unten verloren gegangen wäre?"
Er schien nicht wirklich überzeugt davon, mich hierher gebracht zu haben. Beide Hände zu Fäusten geballt, marschierte er auf und ab – den Blick starr vor sich hin gerichtet. Sicherlich hatte er die Stirn unter der Maske in Falten gelegt.
„Ein Mensch mehr, der alles erfahren könnte! Wie also willst du sie zum Schweigen bringen, du Narr?"
Ich musste ein Keuchen unterdrücken während mir ein Schauer über die Haut lief. Das klang überhaupt nicht so, wie es meinen Plänen entsprach!
Und dann geschah noch etwas Unvorhergesehenes, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Ein Rascheln meines Rockes und schon wand sich ein warmer Druck um mein linkes Schienenbein.
Ich schrie auf, sprang zur Seite und spürte im selben Moment einen scharfen Schmerz, als auch das wütende Fauchen einer Katze erklang.
„Ayesha!"
Ich erstarrte angesichts dieses donnernden Ausrufes.
Schon war das kleine, cremefarbene Fellbündel unter meiner Kleidung hervorgekrabbelt und sprang mit zwei gewaltigen Sätzen, auf die Gestalt uns gegenüber zu. Erik beugte sich herab und breitete zärtlich die Arme aus. Ich hätte schwören können, dass ein Ausdruck von Schadenfreude in den Augen des Tierchens blitzte. Wie eine Prinzessin auf ihrem Thron, ließ sie sich in Eriks Armen nieder und genoss dessen liebevolles Streicheln.
„Sie scheinen kein Glück darin zu haben, jemanden unauffällig zu beobachten, meine Liebe."
Ich war so erleichtert, seine Stimme ruhig und friedlich zu vernehmen, dass ich die Zähne zusammenbiss und das Brennen meiner Wade ignorierte.
„Sie haben ja scheinbar auch eine sehr effektive Alarmanlage, Erik." Ein Kopfnicken in Richtung Ayeshas und schon verzog sich ihre Schnauze zu einem an mich gerichteten Grinsen, dass die mir schmerzhaft vertrauten Zähnchen enthüllte.
„Seien Sie froh, dass meiner Freundin nichts passiert ist, Mademoiselle. Meine ohnehin nicht sonderlich ausgeprägte Geduld wäre auf einen Schlag erschöpft gewesen."
„Oh, ich hatte nicht den Eindruck, dass sich die werte Dame nicht zur Wehr setzen könnte..." Mit diesen Worten hob ich den Rock um meine Verletzung vorzuführen. Ein wunderschöner Biss zierte die Außenseite meines Beines, knapp unter dem Knie. Der weiße Strumpf war zerrissen und ein beachtlicher Blutfleck begann sich mehr und mehr auszubreiten. „Sehen Sie?"
Die Antwort war ein scharfes Einatmen und als ich aufblickte, traf mich das Glühen von Eriks Augen. In mir regte sich eine Mischung aus Furcht und Faszination. Dieser Mann, der in seinem Frack und mit der pechschwarzen Maske machtvoller wirkte als jeder andere, schien vollkommen gebannt angesichts des Anblickes meiner gehobenen Röcke.
Mein Herz raste.
Langsam trat Erik einen Schritt näher. Ich war wie gebannt, unfähig mich zu bewegen, eine Gefangene meiner Neugier, was wohl passieren würde.
Er wirkte noch immer machvoll, doch eher wie ein aufmerksames Raubtier, nicht wie der kühl distanzierte Mann, den ich bisher in ihm gesehen hatte.
Voller Missmut über Herrchens mangelnde Aufmerksamkeit sprang Ayesha von seinem Arm und löste durch diese Bewegung die Spannung auf, welche sich urplötzlich in diesem Raum entwickelt hatte.
Sofort versteifte Eriks Haltung sich wieder, unnahbar und beherrscht. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren wandte er sich von mir ab und verließ den Raum.
Wie albern ich mir mit einem Mal vorkam. Hier stand ich nun und brachte einen fremden Mann völlig aus der Fassung, indem ich denkbar schlechtes Benehmen an den Tag legte!
Beschämt sortierte ich meine Kleidung und biss die Zähne aufeinander. Vielleicht sollte ich größere diplomatische Anstrengungen unternehmen, wenn ich aus dieser Situation noch meinen Nutzen ziehen wollte.
Gerade als ich niederkniete und mit dem Gedanken spielte, noch einen versöhnlichen Annäherungsversuch an die Ayesha zu starten, die friedlich vor mir saß und sich putzte, kehrte Erik zurück.
„Hier." Mit schroffer Geste hielt er mir ein Fläschen Jod und eine Mullbinde hin. „Ich zeige Ihnen das Badezimmer, Mademoiselle."
Erik
Immer noch war ich bemüht, das Zittern meiner Hände zu verbergen und registrierte voller Wut dass mit einige Notenblätter entglitten. Eigentlich hatte ich ein wenig Ordnung in den Stoß Papiere auf meinem Schreibtisch bringen wollen, in der Hoffnung das Bild der jungen Frau aus meinem Kopf zu verbannen. Vollkommen unbedarft hatte sie mir die Verletzung an ihrem Bein gezeigt. Eine höchst kompromittierende Geste – schamlos... und doch auf ihre Art und Weise unschuldig! Es schüttelte mich bei dem Gedanken, wie stark mein Verlangen in diesem Moment gewesen war.
‚Nein!', befahl ich mich selbst zur Ruhe. Ich würde nicht so tief sinken, mich gegen den Willen einer Frau aufzudrängen... ich wäre nicht besser als ein Tier, das seinen Trieben erlag. Und diesen Triumph würde ich meinem Schicksal niemals überlassen, das mich in einen Käfig gesperrt und mir wieder und wieder deutlich vor Augen geführt hatte, dass Menschen in vor mir zurück schraken wie vor einer Bestie.
Schritte näherten sich aus dem angrenzenden Salon.
Ich atmete tief durch, straffte die Schultern und rückte in einer mechanischen Geste meine Maske zurecht.
„Besitzt eigentlich kein Zimmer Ihres Hauses ein Fenster?" Unschlüssig war mein ‚Gast' in der Tür stehen geblieben und blickte nachdenklich vor sich hin.
„Nein"; antwortete ich schlicht, ohne den Wunsch zu verspüren, mehr zu sagen.
„Hm", sie schien sich nicht aufrichtig für diesen Umstand zu interessieren.
Die Unbekümmertheit dieses Mädchens war erstaunlich! Noch konnte ich nicht sagen, ob sie ihrer gegenwärtigen Lage mit natürlich mutiger Offenheit gegenüber stand, oder schlichtweg einfältig war. Sie konnte doch nicht völlig angstfrei in der Wohnung eines anonymen Fremden herumspazieren, der sie in den Opernkatakomben aufgelesen und ohne eine Erklärung hierher gebracht hatte!
„Ich will ehrlich zu Ihnen sein, Erik", mit einem kleinen Räuspern, riss die junge Frau mich aus meinen Gedanken. „Vielleicht könnten wir uns einen Augenblick setzen... ich fürchte, mein Anliegen an Sie bedarf einer etwas umfangreicheren Ausführung."
Interessant! So hatte das gute Kind zu allem Überfluss auch noch ein Anliegen an mich? Nun gut. Da ich ohnehin noch mit mir selbst haderte, was die junge Dame anging, konnte ich mir ihre Worte auch anhören.
Sie würde mir wohl ohnehin folgen, also marschierte ich ohne Umschweife zurück in den Salon. Der Tag hatte mehr zu bieten gehabt, als mir angenehm war, und langsam aber sicher erinnerte mich ein schwaches Zittern meiner linken Hand ebenso wie der aufkeimende Kopfschmerz daran, dass es in letzter Zeit nicht unbedingt rosig um meine Gesundheit bestellt war.
Die Nähe des Feuers versprach angenehme Wärme, und mit verschränkten Armen wartete ich darauf, dass Mademoiselle zu mir stieß, um mich in ihre Pläne einzuweihen.
„Sie bitten mich also um Folgendes, Zoe", begann ich etwa zehn Minuten später ihre Erklärung noch einmal zu resümieren. „Ich soll Ihnen die Mittel zur Verfügung stellen, diese Stadt zu verlassen. Sie beabsichtigen nach London zu reisen, und dort um eine Anstellung als Hauslehrerin anzutreten. Zu der Überzeugung, dass ich Ihre Pläne unterstützen würde, kommen Sie durch den Umstand, dass Monsieur Khan und ich unsere Meinungsverschiedenheiten haben. Ihm wäre Ihr Fortgehen in höchstem Maße unrecht, und ich soll Ihrer Meinung nach diese Gelegenheit nutzen, ihm einen kleinen Seitenhieb zu verpassen."
Ihre blauen Augen strahlten und ein breite Lächeln krönte das anmutige Gesicht. „Ganz genau, Erik!"
Die Situation war absurd, ja geradezu grotesk! Und doch kam ich nicht umhin, aus vollem Herzen zu lachen, so laut, dass Ayesha in meinem Schoß kurz zusammenzuckte. Der Klang musste ungewohnt sein für ihre Ohren. „Köstlich, liebes Kind", keuchte ich schließlich, und kümmerte mich nur wenig um den verdutzten Gesichtsausdruck, welcher mir entgegentraf. „Ich muss Sie leider enttäuschen. Selbst wenn ich Ihnen derartig viel Geld zur Verfügung stellen könnte, wäre mir das nicht wert, an einem Versteckspiel zwischen diesem persischen Sturkopf und seiner durchtriebenen kleinen Gespielin teilzuhaben, nur weil sie ihm böse ist, dass er sie von ihrem behüteten Leben direkt in sein Bett gelotst hat."
Zoe hob eine Hand, öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen, doch ich schüttelte abwehrend den Kopf. „Seien Sie nicht albern. Nadir mag ein verstockter, schwieriger Zeitgenosse zu sein, doch trotz allem scheint er Sie nicht schlecht zu behandeln. Ich sehe keinen Grund mich weiterhin in derartige Privatdinge einzumischen." Zärtlich strich ich über Ayeshas kleinen warmen Katzenkörper, spürte die Weichheit des Fells unter meinen Fingern, und ertappte mich selbst bei der Frage, ob die Haut dieses Mädchens sich ähnlich angenehm anfühlen würde.
Mit einem wütenden Schnauben funkelte ich Zoe an. Ihre Gegenwart war nicht gut für uns beide. Sie riss Gefühle auf, die ich vor Langem resigniert zu Grabe getragen hatte. Wenn die junge Frau nun noch weitere Zeit meine Geduld genießen würde, wäre das nur ein Voraugenhalten aller Sehnsüchte, die mir vom Schicksal versagt waren. „Ich werde Ihnen sagen, wie wir nun weiter verfahren, meine Liebe. Sie werden nun kurz hier warten, und wenn ich zurückkehre, wird Ihnen eine Augenbinde angelegt. Es ist nicht nötig, dass Sie erfahren, wie man mein Zuhause betritt und verlässt. Meine Ruhe und Privatsphäre werde ich unter allen Umständen zu verteidigen wissen. Ich bringe Sie zurück nach Hause und hoffe nur, dass Ihr Liebhaber noch nicht die Sûtere alarmiert und einen Suchtrupp zusammengestellt hat, um Sie zu finden. Das nämlich könnte höchst unangenehme Konsequenzen für alle Beteiligten haben."
„Nein", mit flehentlichem Blick war Zoe aufgesprungen. „Bitte! Nicht zurück dorthin!"
„Nun ich sehe nicht, dass Ihnen viele andere Möglichkeiten bleiben", entgegnete ich trocken. „Wie Sie schon bemerkten, kennen Sie kaum jemanden in dieser Stadt. Niemand kann Ihnen also Unterkunft bieten."
„Doch! Sie könnten das tun, Erik..."
Ayesha sprang fauchend auf den Boden und bezog zwischen mir und Zoe Stellung, gerade so als wolle sie mich verteidigen. Auch ich stand auf und trat vor das Mädchen hin. Mir wurde die Unruhe langsam zu anstrengend, welche jener ungebetene Gast verbreitete. „Seien Sie nicht albern, Mademoiselle", herrschte ich sie an. „Stehen Sie auf!"
Ohne zu zögern kam sie meinen Worten nach. Doch etwas in ihrem Blick ließ mich ahnen, dass sie noch immer nicht bereit war, aufzugeben.
„Es könnte natürlich sein, dass ich mich unter gewissen Bedingungen anders entscheide." Ich hörte mich selbst diese heiseren Worte sagen, und war fassungslos angesichts des Verlangens, welches sich über all die Jahre in mir aufgestaut hatte. Wenn sie ablehnte... würde ich sterben. „Bleiben Sie heute Nacht bei mir. Ganz. Ein kleiner Preis für eine Flucht, die Ihnen so wichtig zu sein scheint."
Sie schwieg lange. Beinahe eine Minute wagte ich kaum zu atmen, fiel es mir schwer ihrem Blick Stand zu halten, der mich so intensiv maß, als betrachtete sie mich zum ersten Mal. Innerlich verfluchte ich mich für mein Benehmen.
War ich wirklich meinem Begehren nach Nähe in all diesen Jahren der Einsamkeit noch immer nicht Herr geworden? Sank ich nun wirklich derart tief, eine an Erpressung grenzende Forderung zu stellen?
Und alles, was mir mein innerstes Wesen als Antwort entgegen schrie war: Ja!
„Ich bin einverstanden." Zoes Worte hallten durch meinen Kopf, und sickerten nur langsam in mein Bewusstsein hinunter. „Unter einer Bedingung: Wenn ich fort bin, werden Sie Nadir Khan von dieser Nacht berichten. Er soll wissen, dass wir miteinander geteilt haben."
„Sie müssen ihn hassen", stellte ich nüchtern fest, und konzentrierte mich darauf, das Weichwerden meiner Knie zu ignorieren.
„Ich würde nicht direkt von Hass sprechen, aber ich bin durchaus daran interessiert ihm eine Lektion für Dinge zu erteilen, auf die ich jetzt nicht näher eingehen möchte, Erik."
Mir stockte der Atem, als das Mädchen nun Schritt für Schritt näher kam, und mich völlig offenen Blickes in die azurblauen Seen ihrer Augen eintauchen ließ. Sie mochte es gewohnt sein, auf derart kokette Weise einen Mann zu umgarnen, doch mir erschien jede kleinste Bewegung, jede Sekunde wie ein Zauber, von dessen Fortverlauf ich nicht zu träumen wagte.
Der Wunsch, ihr entgegen zu kommen, wurde übermenschlich. Ich ergab mich ihm nur allzu bereitwillig.
„Berühre mich ruhig", wie gerne nahm ich diese Einladung an.
„Darf ich?"
Ein Nicken gab mir die Erlaubnis, mit bebender Hand über ihre Wange zu streichen. Mochte ich mich selbst bei einer so unbedeutsam kleinen Geste anstellen wie der blutige Anfänger, der ich in dieser Erfahrungswelt war, Zoe ließ mich meine Unsicherheit schnell vergessen, als sie plötzlich beide Arme um mich schlang, und sich fest an meinen Körper schmiegte.
Auf einmal waren da derart viele Eindrücke, dass ich von einer Welle purer Überwältigung hinfort gespült wurde. Vorsichtig, schob ich sie ein Stückchen von mir. Zwar verlangte es mich nach Nähe, doch ich wollte diesen Moment, der so köstlich und einzigartig war vollkommen in mich aufnehmen können. Dazu musste ich sie ansehen und wissen, was ich fühlen und auf meiner Haut spüren würde.
Der Duft ihres Parfums und frisch gewaschenes Haar, das Geräusch ihrer leisen Atemzüge...
Zoes Haut schimmerte im Schein des Kaminfeuers, und ließ sie weich und anziehend wirken. Ich wollte diese Frau... ich wollte ihre pure Schönheit erkennen, und im Schatten dieser strahlenden Sonne eine Zeitlang ruhen. Mein abstoßendes Selbst sehnte sich nach etwas, das nur ihre Anmut einzuhalten versprach... vielleicht eine Form von Vollkommenheit, vielleicht nur etwas, das ich nie besitzen würde.
Plötzlich runzelte das Mädchen die Stirn und ihre Augen blickten mich kritisch an. Gleich würde sie vor mir zurückweichen...
„Ich glaube nicht, dass ich dich mit dieser da küssen kann..." Einer ihrer elfenbeinfarbenen Finger tippte spielerisch auf Stirn meiner Maske.
„Dann müssen wir darauf eben verzichten", mit dieser geknurrten Antwort, packte ich ihre Hand und riss Zoe noch ein Stück näher an mich heran. Das Blut rauschte in meinen Ohren, als ich die Wärme ihres Körpers schweratmend und lebendig an meiner Gestalt spürte.
„Nicht so hastig!" Sie keuchte, wirkte nervös. Aber sie lächelte und so sah ich mich nicht dazu gedrängt, mich zurückzuziehen. „Es wäre mir doch wesentlich lieber, das an einem Ort fortzusetzen, an dem wir weniger... der wohl ein wenig angemessener ist, als dein Salon."
‚Das Schlafzimmer - unmöglich!'
Meine Gedanken rasten. Der Sarg – Zoe wäre wohl kaum dazu in der Lage, ihre Bereitschaft aufrecht zu halten, wenn sie dabei ständig ein Artefakt vor Augen hätte, welches mein ironischer Erinnerungsanker an die Vergänglichkeit des Lebens war. Ganz abgesehen von der praktischen Seite, dass es unmöglich wäre, sich in meiner üblichen Schlafstätte der körperlichen Vereinigung hinzugeben.
Plötzlich überkam mich jedoch die beruhigende Erkenntnis.
„Ganz wie du wünschst, meine Liebe." In diesem Moment dankte ich meiner Verschrobenheit, damals beim Bau meiner Behausung ein Gästezimmer eingerichtet zu haben. Ich war stets der Überzeugung gewesen, niemals jemanden zu empfangen, doch nun sollte mir der Raum, in dem ich noch immer die Möbel meiner Mutter bewahrte, endlich von Nutzen sein.
Vielleicht war es gut, dieses kleine, nüchterne Intermezzo, denn ich fühlte meine immer noch brennende Begierde ein wenig abkühlen. Trotz der Gewissheit, dass Zoe als Nadir Khans Konkubine wohl wusste, was sie tat, und sie keinerlei Widerwillen dagegen zeigt, sich mir in dieser Nacht hinzugeben, missfiel es mir durch meine Erhitztheit vielleicht einen Fehler zu machen.
In all ihrer Unerwartetheit bot sich mir die einmalige Gelegenheit, eine Frau so nahe zu spüren, als wäre ich ein gewöhnlicher Mann. Überstürzte ich die Dinge nun, konnte mein Pulver verschossen sein, ehe ich dazu in der Lage war, den Moment auszukosten... einen Moment, von dem ich immer geglaubt hatte, er läge für mich in unerreichbarer Ferne.
Es lag ein Hauch des Zögerns in der Luft, als wir kurz darauf im Gästezimmer vor dem großen Mahagonibett meines Elternhauses standen.
Mit einem leisen Geräusch, platzierte ich den mehrarmigen Leuchter, den ich bisher in der Hand getragen hatte, auf einer kleinen Kommode neben dem Bett. Das Licht würde ausreichen. Meine Augen fanden sich ohnehin im Halbdunkel zurecht und für Zoe konnte es nur zum Besten sein, wenn sie sowenig wie möglich von mir erblickte.
Ihre Augen weiteten sich, als sie über die weißen Laken glitten. Ob sie die gegebene Zusage bereits bereute?
Ihre Lippen waren leicht geöffnet und ich fragte mich, ob sie sich so weich anfühlen mochten, wie ihr samtig schimmernder Anblick versprach.
‚Zügelung', ermahnte ich mich selbst. Die Maske war ein unabwendbares Hindernis, von diesem Mund zu kosten. Ich hätte riskieren müssen, dass sie verrutschte – unmöglich.
„Nun..." sie begann zu sprechen, doch ihre Stimme wirkte brüchig. Zoes Blick war noch immer gefangen von der wuchtigen Erscheinung des Bettes.
Dennoch wandte sie sich schließlich um und blickte mir in die Augen.
Wie schön sie war... wie erregend es sich angefühlt hatte, ihre Wärme in meinen Armen zu spüren.
Ein Ziehen des Verlangens durchschoss meinen Unterleib, doch noch war ich nicht bereit, ihm nachzukommen.
Innerlich verfluchte ich es, doch mein Anstandsgefühl verlangte, diesem kleinen Geschöpf die Gelegenheit zu geben, ihre Entscheidung rückgängig zu machen.
„Ich werde dich noch einen Augenblick allein lassen. Nutze diese Zeit, um dich bereit zu machen."
Zehn Minuten waren alles, was ich an Beherrschung aufbringen konnte. Inzwischen hatte ich die Kleidung abgelegt und trug nun meinen Morgenrock. Er schien mir für beide Möglichkeiten am besten geeignet: entweder dezent genug, um respektvoll Zoes Ablehnung entgegenzunehmen, oder schlicht genug um ihn abzulegen, sollte sie bei ihrer Einverständnis bleiben.
Noch zögerte ich einen Moment lang, ließ meine Hand ruhig über der Klinke zum Gästezimmer schweben. Was konnte mir eine Zurückweisung schon bedeuten? Es wäre das Ausschlagen eines Geschäfts, nicht eines Gefühls der Liebe. Ich würde Zoe einfach wieder ihrem Gönner überantworten - nicht ihre überstürzt wirkenden Fluchtpläne unterstützen.
Eine Hand wusch die andere.
Ich atmete durch und trat ein.
„Du hast dir Zeit gelassen", empfingen mich ihre Worte.
„Wie ich sehen kann, hast du sie wohl genutzt, meine Liebe."
Ihr Anblick fesselte mich derart, so dass ich zweimal ins Leere fasste, ehe ich die Tür wieder zuziehen konnte.
„Was hast du erwartet? Ich dachte mir, dies entspräche deinen Wünschen." Einladend klopfte ihre freie Hand auf das weiche Kissen neben ihr.
Mit der anderen hielt sie den Rand des Lakens fest, unter dem sich deutlich die Schemen ihres unbekleideten Körpers abzeichneten.
Ich folgte mit meinem Blick den Verlauf ihrer Beine, den Wölbungen, wo sich Bauch und Oberkörper befanden, hinauf zu einem warmen Lächeln, dass mich schwankend näherkommen ließ.
Zoe hatte die Haare gelöst und nun flossen sie weich und seidig über das weiße Leinen, schwarz und glänzend.
Ich blieb dicht vorm Bett stehen, wagte nicht noch näher zu treten, wagte nicht die Schönheit dieses Anblickes zu stören, indem sich ein Monster neben dieser zauberhaften Göttin niederließ.
„Komm her, Erik."
Ohne mir länger meiner Selbst bewusst zu sein verfolgte ich, wie sie in einem kleinen Schwung das Laken beiseite schlug, einen Arm nach mir ausstreckte und mich widerstandslos neben sich zog.
Alle Fäden waren mir nun aus der Hand genommen.
„Ich überlasse mich ganz deinen kundigen Händen", versuchte ich mich selbst mit meinen gemurmelten Worten zu beruhigen. Nur allzu deutlich wurde ich mir bewusst, dass mein Körper auf ihre Nähe zu reagieren begann.
Sie atmete tief durch, wirkte einen Moment, als wolle sie etwas sagen. Doch alles, was sie tat, war schweigend das Laken über uns zu decken.
Vorsichtig rückte sie näher und klopfenden Herzens rang ich mich dazu durch, einen Arm um ihre Schultern zu legen.
Überwältigung durchflutete mich in jeder Faser meines Wesens.
Doch es war der Moment, als sich ihre kleine Hand langsam zwischen die Stoffschicht meines Mantels und meiner Haut schob, der mich regelrecht schwindelig werden ließ.
Sie fasste mich an, ohne vor mir zurückzuschrecken! Sie berührte mich – vorsichtig und liebevoll!
Für den Bruchteil einer Sekunde schoss mir das Bild der kleinen, persischen Odaliske durch den Kopf. Damals war sie gestorben, nur weil mein Verlangen, mein Anblick eine unerträgliche Zumutung bedeutet hätte. Obwohl das Mädchen im Harem dazu ausgebildet worden war, einem Mann gefügig zu sein, war ich derart abstoßend und furchteinflößend, dass sie ihre ‚Aufgabe' nicht hatte erfüllen können.
Meine größte Dummheit war damals mein Stolz und grenzenloser Selbsthass gewesen. So hatte ich dem Mädchen auch noch das Hindernis in den Weg gestellt, mir die Maske abzunehmen - der letzte Beweis, für meine Hässlichkeit, für die Unmöglichkeit mich anzusehen, mich als Mann und Liebhaber anzunehmen.
Heute war es anders. Zoe schien nicht interessiert daran, hinter meine Maske zu blicken – und ich war mir nur zu deutlich bewusst, dass dies die einzige Chance war, die sich in meinem Leben noch auftun würde. Ich gab meinen Stolz auf, um meiner Lust und einer unbestimmten Sehnsucht nach Nähe wegen. Sollten wir uns doch der gemeinsamen Illusion ergeben, dieses wäre nichts anderes als eine unverfängliche Nacht körperlichen Verlangens.
„Was ist das?" Ein leises Flüstern durchbrach meine Gedanken.
Mittlerweile hatte Zoe Laken und Morgenmantel beiseite geschoben und meinen Oberkörper enthüllt.
„Unwichtig." Ich zog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein und ergriff fest die neugierigen Finger, welche über das Muster aus Narben tanzten, das mir das Leben als sichtbare Spuren in meine Haut gegraben hatte.
„Aber..."
„Ignorier sie!" Meine Stimme musste schärfer geklungen haben, als es in meiner Absicht lag.
Zoe verharrte regungslos, den Blick nachdenklich direkt auf meine Augen gerichtet. Als sie sprach wurde mir fasziniert bewusst, dass sie darum bemüht war, mich zu beruhigen. „Ich denke ich habe da auch etwas entdeckt, das meine Neugier viel mehr anstachelt..."
Ich stöhnte auf, als Zoe ihrem Wissenshunger nachkam. Durch den Mantelstoff hindurch hatte sie die Schwellung zwischen meinen Schenkeln gefunden und begonnen sie zärtlich zu massieren.
Ich starrte verzweifelt angespannt auf das Flackern des Kerzenleuchters neben uns. Ohne die Fähigkeit, mich zu rühren lauschte ich meinen eigenen gehetzten Atemzügen und fragte mich, wie lange es dauern würde, ehe der Feuerball platzte, der sich mit rasender Geschwindigkeit irgendwo im Zentrum meines Körpers zusammenballte.
Zoes Griff löste sich, doch ehe ich Gelegenheit hatte diesen Moment zu nutzen, um meine Gedanken in geordnetere Bahnen zu lenken, wurde mir klar, dass alles noch intensiver zu werden drohte.
„Das hier ist wohl wirklich überflüssig für unser Vorhaben, Erik."
Schneller, als ich denken konnte hatte sie mich vollständig meiner Kleidung beraubt, und unter der Maske spürte ich Hitze. Ich schämte mich, jedoch auf eine andere Weise, als das Unbehagen und die Wut über das Gaffen der Menschen auf mein unbedecktes Gesicht.
Zoes Augen auf meiner Haut hinterließen eine Spur von glühender Wärme, die mein Herz schneller schlagen und das Blut kochend durch meine Adern schießen ließ.
„Oh, mon dieu..." Ihre großen blauen Augen weiteten sich, das war das letzte, was ich sehen konnte, ehe meine Lider zuflogen.
Ihre Hand! Ihre Hand strich vorsichtig über das empfindliche Zentrum meines Verlangens.
Mein eigenes Keuchen so laut zu vernehmen, wie ich es jetzt tat, jagte einen Schauer über meine Haut.
Zoe sog scharf die Luft ein und plötzlich schlossen sich ihre Finger mit solch verlockend sanftem Druck um mich, dass ich fühlte, wie das jähe Ende dieser Erfahrung bedrohlich vor mir stand.
„Halt!" Meine Augen flogen auf und ich packte ihr Handgelenk mit festem Griff.
„Magst du es nicht?" Ein paar lose Strähnen ihres Haares, mussten in nervöser Geste hier die Ohren gestrichen werden. „Wenn du alles mir überlässt, dann kannst du dich auch nicht beschweren, wenn..."
„Es lag mir fern, dich zu kritisieren, meine Liebe." Ein amüsiertes Schmunzeln huschte mir über die Lippen. „Doch fände ich es schade, wenn deine Berührungen mir die Gelegenheit nähmen, dir noch näher zu sein..."
Misstrauisch zog sie die Augenbrauen zusammen. Ihr Anblick war entzückend! Mit einer Hand hielt sie noch immer das Laken schützend vor sich und ihre Augen funkelten mich an. Sie war unbekleidet, aber etwas in ihrer Haltung verriet, dass sie mit zu den wehrhaftesten, energischsten Geschöpfen gehörte, die mir je begegnet waren.
„Darf ich dich berühren?"
Sie blinzelte und ich erkannte, dass diese Frage höchst merkwürdig anmuten musste. Sicher war es bisher anders für sie gewesen, bei einem Mann zu liegen. Doch für mich stand nicht die ausschließlich Befriedigung eines tierischen Triebes im Zentrum.
Es ging mir mehr darum in allem Umfang zu erfahren, wie es war einer Frau derart nahe zu sein. Ich wollte sie sehen, fühlen, schmecken und jeden Schleier beiseite ziehen, der für mich in all den Jahren über dem Wunder des weiblichen Körpers ausgebreitet gewesen war.
Ihr Blick warf mir Verwunderung entgegen. „Hmm... natürlich."
Zögerlich rückte sie ein Stück fort und ließ sich dicht neben mir flach auf dem Rücken nieder.
Ich atmete tief durch und in steigendem Zutrauen, streckte meine Hand sich nach dem Laken aus und strich es sanft von Zoes Gestalt ab. Ihre Haut schimmerte golden im Kerzenlicht und die tanzenden Schatten schienen meine Finger zu rufen, ebenso liebevoll meine Wanderung zu beginnen. Ich folgte der Verlockung und erschauerste angesichts der sanften Weichheit, die sich mir bot.
„Erik", Zoes Augen schlossen sich, als ich spielerisch eine Linie auf ihren Körper zeichnete, dessen Verlauf sich vom Hals bis hinab zu den empfindsamen Wölbungen ihrer Brust zog.
„Ruhig, ma petite", murmelte ich, als ich das Zittern spürte, den wilden Schlag ihres Herzens, der sich meiner flachen Hand entgegendrängte, mit der ich zaghaft ihren Hals liebkoste.
Wie gerne hätte ich mir die Maske vom Gesicht gerissen, meine Wange auf ihre Haut gesenkt, den Duft eingesogen, den ich als schwaches Versprechen erahnen konnte. Trotz der Nähe war ich noch immer ein Gefangener meiner unlösbaren Ketten, meiner abstoßenden Gestalt.
Endlich fanden meine Berührungen den Weg an der Oberseite ihres Schenkels und vorsichtig begann ich, diese auseinander zu drücken. Die Belohnung, dafür, dass ich schließlich zwischen ihnen zum Liegen kam, mich an sie schmiegte, mein Becken sanft kreisen ließ, war ein tiefes Stöhnen des Verlangens, das sich aus Zoes Kehle löste.
Ohne mich länger meiner Beherrschung unterwerfen zu können, stieß ich meine Hüften vorwärts, spürte gleichzeitig die erfüllende Wärme... und kaltes Entsetzen.
Mon Dieu! Dieses Mädchen war bis zu diesem Moment unberührt gewesen!
Ich war wie versteinert.
„Du bist nicht Nadir Khans Mätresse..."
„Nein", sie seufzte und sank so tief in die Kissen, dass sie mir erbarmenswert und unendlich klein vorkam. „Das war die Position meiner Mutter."
Mir stockte der Atem. Was hatte ich getan?
