Dies war im Dezember '13 der mehr skizzenhafte Versuch, noch schnell in nur zwei Wochen bevor S3 ausgestrahlt wird, zusammenzufassen, wie es aus Sherlocks Sicht zum „Reichenbachfall" gekommen ist.

Nicht mit allem lag ich richtig, denke ich…
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Prolog – Januar 2012

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13. Januar

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Die Reise war nur kurz. Aber sie ist mir lang vorgekommen.

Pakistan...!

Das brauche ich wirklich so bald nicht wieder!

Das erste Mal bin ich Harry dankbar.
Und den unsinnigen Silvesterbräuchen!
Dass sie da so abgestürzt ist, so dass John vor ein paar Tagen dann doch zu ihr fuhr, hat mir eine Menge Ausreden erspart...!

Aber jetzt kann sie sich gefälligst am Riemen reißen.
Ich bin wieder da.
John muss also heimkommen!
UND ZWAR GLEICH!

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29. Januar 2012

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19: 07 bei Angelo's, Tisch rechts am Fenster.
John hebt sein Weinglas...

„Auf dieses letzte Jahr, Sherlock. Und viele weitere...", sagt er inbrünstig und lächelt mich an – als habe er keinerlei Bedenken, dass man uns dann für ein Paar halten wird...
„So sentimental?" ziehe ich ihn auf.

Eigentlich hatte ich die Augen rollen wollen. Aber nun muss ich doch lächeln.

Ja, ich weiß auch nicht. Es schmeichelt mir, dass er das arrangiert hat. Es hat...irgendwie...
Stil...!

Aber das werde ich natürlich nicht zugeben!

„Warum nicht? Vor einem Jahr habe ich noch gehinkt...", bemerkt er dankbar und schaut mich mit seinen großen, ehrlichen, blauen Augen an.
„Morgen vor einem Jahr. Wenn dies wirklich eine Jahresfeier sein soll, dann müsste sie morgen Abend stattfinden. Oder heute schon zu einem verspäteten Lunch. Zusammen mit Mike..."
„Keine gute Idee, mit euch beiden zusammen auszugehen..."
„Wieso?"
„Mit dir trinke ich allerhöchstes ein zweites Glas Wein. Mit Stamford... gebe ich mir die Kante...", gibt er zu.
„Dann sollte ich dich von ihm fernhalten. Du hast zu wenig aktive Gehirnzellen, um sie zu gefährden..."
„Charmant wie immer...!" grinst John gutmütig.
"Du weißt doch, wie sehr ich jede einzelne dieser Gehirnzellen schätze...?" höre ich mich plötzlich sagen.
Was mache ich da eigentlich?!
Bin ich das?

"Okay...?" lächelt John äußerst verwundert.

Na, auch egal jetzt...!
Er ist zurück.
Obwohl Harry noch keine Fortschritte gemacht hat.
Doch er hat Wind davon bekommen, dass ich ein paar Tage unauffindbar war.
Jetzt macht er sich Sorgen.

Leider nicht ganz zu unrecht.

Ich habe da so einige Dinge über IHN erfahren.
Einen Teil davon hat übrigens SIE mir getextet.
Ich habe inzwischen ihren SMS-Signalton natürlich wieder geändert.
Denn sie ist ja angeblich tot.

Damit ist sie auch keine Informantin mehr, denn es war natürlich letzten Endes Moriarty, der sie hat ausschalten wollen.
Wieso sollte eine Frau in ein muslimisch dominiertes Land flüchten?
Noch dazu eine wie sie?

Bedauerlich.
Sie hätte wirklich noch nützlich sein können...

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1. Es muss etwas geschehen...
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10. Februar 2012

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"Hey, wie geht's dir? Du siehst immer noch völlig geschafft aus", stellt John mitleidig fest, steht auf, geht mir entgegen und schiebt mich Richtung Tisch.

Als ob das verwunderlich wäre! Nach rund 100 Stunden ohne Schlaf, in denen ich mich nur von gezuckertem Kaffee ernährt habe, gekrönt von einer Verfolgungsjagd im Hyde Park durch eisigen Regen, war ich gestern Nachmittag fast zusammengeklappt, gleich nachdem wir das Yard verlassen hatten. Und ich fürchte, ich war zuletzt nicht mehr klar.
Okay...
Ich völlig durcheinander.
Halluzinationen.

Die neue Sachbearbeiterin hatte plötzlich hellgraue Augen.

Wie die FRAU.

Ich wusste, sie sind braun – habe heftig den Kopf geschüttelt und dann ging's wieder.

Das hätte mir eine Warnung sein sollen.
Ich hab' mich später auf dem Flur vor Lestrades Büro auf einen Kerl gestürzt und ihn zu Boden gerissen.
Aber es war nicht Moriarty...
Glücklicherweise war ich nicht auch noch so dämlich gewesen zuzugeben, mit wem ich ihn verwechselt hatte! Dessen bin ich mir zumindest sicher. John hätte sonst ganz anders darauf reagiert...

Ich wäre noch längst nicht aus dem Bett gekommen, wenn ich nicht von Moriarty geträumt hätte.

Sonst träume ich fast nie.

Oder besser gesagt, mein Gehirn löscht es sofort wieder.

"Na, komm, setz dich. Du musst jetzt wirklich wiedermal was essen..."

Gehorsam lasse ich mich auf meinem Stuhl nieder.
Routinemäßiger Kontrollblick zum Haus gegenüber und dem Parkscheinautomaten davor.
Keine alarmierenden Graffiti.
Mein iPhone...
"Zuerst mein Telefon. Hast du es abgeschaltet?"
Meine Stimme ist rau, belegt.
"Ja. Habe ich. Du warst völlig erschöpft!" erklärt John nachdrücklich, fast kampflustig: Bereit seine Therapie zu verteidigen.
Er gibt mir widerwillig das Handy und verschwindet in der Küche.
"Ich habe keinen Hunger!" knurre ich.
"Weil dein Magen schon gar nicht mehr weiß, wie das geht! Du musst essen, Sherlock!" lässt sich John vernehmen.
"Milch oder Orangensaft?" fragt er dann.
"W-was?" gebe ich verdattert zurück.
"Koffeinentzug, Sherlock! Du hattest die letzten Tage genug Kaffee für einen ganzen Monat!"
"Großer Gott...", brumme ich augenrollend.
Aber eigentlich weiß ich, dass er recht hat. Ich bin zuletzt ziemlich zittrig gewesen gestern...

Das Display wirkt grisselig und flimmernd, wie ein alter Fernseher...genaugenommen...nicht nur das Display...
Okay. Vielleicht hat er recht.
Ich habe jetzt auch gar nicht die Energie, um mich mit ihm anzulegen...

Nichts Neues.

Ausnahmsweise ist mir das mal ganz recht. Ich brauche wirklich eine Pause. Aber das werde ich natürlich nicht zugeben. John würde sich erstens ernsthaft Sorgen machen – und dann ist er unerträglich! Zweitens ist es ein Erfolgserlebnis für ihn, wenn er denkt, dass er mich durch Nachdruck und Hartnäckigkeit zu Nahrungsaufnahme und Bettruhe überreden konnte.

Und naturgemäß hat er in meiner Gesellschaft sonst wenig Bestätigung, weil ich in allem besser bin als er.
Naja, in allem Wichtigen.

"Keine Zeitung?" frage ich.
"Ich verhänge eine zweitägige Nachrichtensperre!"
"DAS IST NICHT DEIN ERNST!"
"Und ob! Du brauchst Ruhe!"

John fährt einen riesigen Berg Rührei mit Speck und Würstchen auf, gebackene Bohnen, Tomaten und Toast.
Und Milch UND Orangensaft.

Ich glaube, mir wird schlecht...

John schnappt sich mein Smartphone und steckt es ein, damit ich nicht zu surfen anfange.

Schweigend reiße ich mich zusammen und nehme den Kampf gegen Fett, Proteine, Kohlehydrate und Vitamine auf...
John beobachtet mich. Beruhigt, ja, erleichtert.
Ja, doch, John, dein Patient wird es überleben!

Als ich brav aufgegessen habe, halte ich meine Hand hin. John legt seufzend das Smartphone hinein. Dann steht er auf, räumt den Tisch ab; prompt kommt eine SMS rein.
Lestrade.

'Geht's Ihnen besser? Danke, nochmal für Ihre Hilfe. Spannen Sie mal aus.'

"...wie ist das eigentlich...?" fragt John nachdenklich. "Textet sie dir nicht mehr – oder hast du bloß den Signalton geändert?"

"Beides. Nur zur Sicherheit. Sie hat wohl endlich eingesehen, dass es witzlos ist", gebe ich in gelangweiltem Ton Auskunft.

Doch tief in mir drin scheint sich das nervöse Zittern von Gestern wieder einzustellen.
Na, wunderbar!
Musste er jetzt davon anfangen?!
Ich lasse mir nichts anmerken.
Er würde meine Aufregung zwar ohnehin missdeuten, aber auf Mutmaßungen über alberne romantische Anwandlungen kann ich erst recht verzichten!

"So, du hast es mal wieder geschafft!" brumme ich düster. „Meine Erythrozyten sind alle im Magen und lassen mich zu einem debilen Schlafsüchtigen mit einem IQ von höchstens noch 115 mutieren. Du kannst stolz auf dich sein. Ich geh nochmal ins Bett..."

"Schlaf gut, du Genie", kichert John sanft.

Doch ich kann nicht schlafen.
Argh! Wieso hat er ausgerechnet jetzt die Frau erwähnen müssen?!

Sie hatte es beinahe geschafft...

Aber das war nicht der Grund.
Okay.
Nicht der einzige!

Nein. Es ging nicht um sie.
Es ging um Jim Moriarty.
Er hatte Mycrofts genialen Trick zunichte gemacht, ihn ein für alle Mal aufgedeckt. Ihn verbrannt. Er würde für sehr lange Zeit nicht mehr funktionieren.
Vielleicht nie wieder.
Ausgetrickst.
Mich.
MICH!

Und seither?

Natürlich hatten Mycroft und ich, das nicht auf uns sitzen lassen können.
Er hatte die besten Leute des MI5 auf seine Spur angesetzt.
Doch bis jetzt hatten wir immer nur den Schaden begutachten können, den er angerichtet hatte. Die verbrannte Erde, die er hinterließ, überall, wo er sein Unwesen trieb.

Anfangs war ich von ihm fasziniert gewesen.
Er war zweifellos ein brillanter Kopf. Ein würdiger und höchst spannender Gegner.
Als er einzelne, fremde Leute in Angst und Schrecken versetzt hatte, konnte mich das noch nicht berühren.
Aber meine Begeisterung hatte einen ersten Knacks bekommen, als er die alte Lady und damit das Wohnhaus in Glasgow einfach in die Luft gesprengt hatte.
Als pure Machtdemonstration.
Das war nicht mehr elegant.
Das war nur noch brutal.
Doch das hatte ich rasch abgehakt.

Der Spaß hörte allerdings auf, als ich dann John in seiner Gewalt vorfand.
Allerdings wurmte mich weit mehr, dass unser Showdown im Sande verlief wegen eines Telefongesprächs!
Es war interessanter als ich.
Wie demütigend...!

Auch Mycroft hat etwas dazu lernen müssen.
Moriarty ist nicht bloß ein genialer Verbrecher, dem ein paar kleinere Halunken oder auch mal unbescholtene Bürger zum Opfer fallen.
Der vielleicht in gewissem Umfang die Wirtschaft schädigen kann.

Er ist weit mehr als das.
Er bedroht die nationale Sicherheit.
Und über kurz oder lang sogar die gesamte Welt.
Er hat seine Finger in chinesischen Mafiaorganisationen, in Al Qaida, in etlichen korrupten Systemen in Afrika und Südamerika und was weiß ich wo.
Er unterstützt Nordkorea, den Iran und Syrien bei der Aufrüstung.
Bond-Air war gewissermaßen nur die Spitze des Eisbergs gewesen.
Nur eine Kostprobe dessen, was er der Menschheit antun kann.

Es ist das politische Äquivalent zu seiner Machtdemonstration im großen Spiel.
Ein Vorgeschmack auf die globalen Folgen, die es haben wird, wenn er seinen Willen nicht bekommt, wenn wir ihm nicht das Handwerk legen.

Dagegen waren die Informationen auf Irene Adlers Handy nur ein harmloser Mikrokosmos gewesen.

Mycroft und ich sind uns einig.
Ausnahmsweise.
Wir müssen ihn stoppen.
Und zwar deshalb, weil – wenn nicht wir – ihn niemand stoppen kann.

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2. Entscheidungen
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11. - 23. Februar

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Dieser Fall Anfang dieses Monats ist zwar ohne Verletzungen abgegangen, hat aber jetzt doch ein äußerst unangenehmes Nachspiel für mich.
Ich hatte mir eine Erkältung eingehandelt.
Aber natürlich war es mir viel zu langweilig, sie auszukurieren, wie John das wollte, zumal Lestrade gleich wieder einen spannenden Mord für mich hatte, mit dem er völlig überfordert war. Mal wieder.
Also ein paar Pillen eingeworfen – und weiter ging's!
...bis sechs Tage später die Schmerzen in meiner Kehle sich bis in meine Brust auszudehnen begannen und ich mich innerhalb von wenigen Stunden in einen Lava auswerfenden Vulkan verwandelte.
Zumindest fühlte ich mich so.
Der Husten schmerzte unerträglich und bei jedem Atemzug schienen tausende Nadeln durch meine Brust zu schießen.
Anschließend hatte ich Schleim und Brocken im Mund und schluckte sie angewidert unter, damit es nicht so auffallen sollte.
Ich sehnte mich nach den Schmerzmitteln, die wir zuhause hatten, denn ich hatte nichts mehr dabei und wir waren noch mitten in der Beweissicherung.
'Bring was gegen Husten mit. SH' simste ich an John, obwohl der, nachdem er mich drei Tage lang vergeblich zuargumentiert hatte, eigentlich demonstrativ schmollte, also nicht mal mehr für mich zur Apotheke ging...

Lestrade hatte mir schon ein paar skeptische Blicke zugeworfen. Doch ich hatte es ignoriert und nahm wie so oft den Tatort unter die Lupe. Doch am Boden kriechend Spuren zu untersuchen und dann mit einem enthusiastischen 'Ha!' aufzuspringen, ist lediglich in dramatischer Hinsicht eine gute Idee, wenn man eigentlich krank ist...
Das Zimmer schien plötzlich heftig zu schwanken und meine Beine gaben nach...
Nur Lestrades Geistesgegenwart hatte ich es zu verdanken, dass ich nicht zu Boden ging und die Spuren verwischte!
Das wäre ein gefundenes Fressen für Anderson gewesen! Nicht auszudenken...!

Lestrade hievte mich in einen Sessel und stellte fest: "Großer Gott, Sherlock! Sie haben hohes Fieber. – Ich fahr Sie rasch nachhause. Donovan, Sie besorgen ihm ein Glas Wasser und dann übernehmen Sie einstweilen die Leitung hier!"

Ich fluchte innerlich, sah aber ein, dass ich diesen Kampf wohl wirklich würde im Bett fortsetzen müssen. Der Husten war quälend und ich fühlte mich jetzt richtig elend.
Doch jetzt sah ich, dass Lestrade sein Handy zückte. Zweifellos wollte er John Bescheid sagen.
„Nicht! Ich mach das...", krächzte ich und kramte mit zitternden Händen mein iPhone heraus. Johns Nummer war die erste auf meiner Kurzwahlliste. Schon seit fast einem Jahr.
Lestrade schlug die Arme ineinander und sah mich streng an, als wolle er sagen: Machen Sie jetzt keine Falschaussage! Wir wissen doch alle: Patienten lügen!
...nun, jedenfalls hatten sich er und John mal über eine US-Fernsehserie unterhalten, in der ein höchst unsozialer, genialer Arzt diese Ansicht vertrat.
...klang danach, als sei es eine wirklich interessante Figur...
Aber für so etwas habe ich keine Zeit!
„Mr Holmes?" meldete sich John spitz. Ich war schon erleichtert, dass er überhaupt ranging!
„John... Es...geht mir nicht so gut...ich fahre nachhause. Ehm. Wir sind dann hier auch fertig...so weit."
„Deshalb hast du dich heute Morgen aus dem Haus geschlichen! Nicht, damit ich ausschlafen kann – du wolltest nicht, dass ich sehe, wie krank du bist!" knurrte er. "Jedenfalls klingst du furchtbar!"
„Brillante Deduktion. Ja...", gab ich zu. "Und...deine Therapie wäre vielleicht doch besser gewesen..."
"Vielleicht?"

Okay, diesmal hatte ich ihn wirklich verärgert...!

Ich sah mich um, und da weder Anderson noch Donovan in Hörweite zu sein schienen, murmelte ich:
"Bestimmt. Du hattest recht... Tut mir Leid..."
„Okay. Bleib wo du bist, ich komm dich holen!"
„Das ist nicht nötig. Ich schaff das schon..."
„Keine Widerrede! Was ist, wenn dir unterwegs schwindlig wird, oder Schlimmeres?"
„Es – also...um genau zu sein: Lestrade fährt mich nachhause", gestand ich.
„Stimmt das?"
Ich rollte die Augen und hielt Lestrade das Handy hin.
„Sie wollen wissen, ob der Patient lügt? Ausnahmsweise nicht, nein. Ich fahre ihn wirklich nachhause. Und ich tippe auf schwere, akute Bronchitis. Er hat hohes Fieber und ist uns gerade umgekippt."
„...LESTRADE!" zischte ich leise zwischen zusammengebissenen Zähnen.
Er gab mir mit überlegen hochgezogenen Augenbrauen mein Handy zurück.
„Ach was! Ist halb so wild, John! Er übertreibt maßlos!" schimpfte ich.
„Überlässt vielleicht mal irgendwer die Diagnose mir?!" knurrte er zurück. „Ich komme so schnell wie möglich. Und du: Marsch ins Bett! – Achja, gib mir nochmal Lestrade..."
„...ja, klar. Mach ich. Keine Sorge, Doc...", erklärte dieser nach kurzem zuhören.

Er beendete das Gespräch und gab mir mein Handy zurück. Sally hatte mir inzwischen das Wasser gebracht. Ich konnte es nicht lassen. Manche Kalauer müssen einfach raus...
„Denken Sie wirklich, Sie können mir das Wasser reichen, Sall...pfrrrr!"
Sie hatte mir das Wasser ins Gesicht geschleudert.
„Danke. Das war wirklich sehr erfrischend!" konterte ich kühl.

Obwohl, das war gar nicht schlecht...!

Lestrade fragte nur genervt.
„Können wir?"

Unterwegs erklärte ich ihm, wer die Morde begangen hatte. Es war nämlich ganz offensichtlich.
Eine Viertelstunde später waren wir da.
„Danke, Lestrade, das – "
„Das war's noch nicht. Obwohl ich Sie ungern unterbreche, denn es kommt so selten vor, dass Sie sich bedanken – und es dann auch noch so meinen! ich glaube es ist erst das dritte Mal in den sechs Jahren, richtig...? Aber John wollte, dass ich sicherstelle, dass Sie wohlbehalten im ersten Stock ankommen."
„Das ist doch – ", wollte ich protestieren.
„Ich habe es versprochen!" beharrte er.

Lestrade begleitete mich also wirklich bis ins Wohnzimmer.
„Und genau da bleiben Sie sitzen bis Ihr Doktor kommt!" erklärte er energisch. „Gute Besserung, Sherlock!"
Er verschwand und als ich kurz darauf ein entferntes Klopfen hörte, wurde mir klar, dass er gerade Mrs Hudson Bescheid sagte...
Natürlich kam sie sofort die Treppe herauf..., besichtigte mich händeringend und kochte einen furchtbar, starken Kamillentee, den ich zu meiner Überraschung in einer Schüssel und mit einem Handtuch serviert bekam.
„Inhalieren, Sherlock! Sagen Sie jetzt nicht, Sie hätten das noch nie gemacht!"
Nun..., vielleicht hatte ich es gelöscht...? Gut möglich. Diese Prozedur erwies sich als sehr...unelegant und irgendwie peinlich...
Ich war froh, als John ankam, mich aus meiner misslichen Lage befreite und umgehend ins Bett verfrachtete.
Es gab mir wirklich ein Gefühl der Sicherheit, als er mich auf dem Weg in mein Zimmer behutsam, doch kraftvoll und verlässlich stützte.
...das war er mir ja überhaupt...
Eine Stütze...

Es war auch in Ordnung, dass er mir aus den völlig durchgeschwitzten Sachen half. Doch ich begann nun immer heftiger zu zittern. Irgendwer schien meinem Körper Bescheid gegeben zu haben: Okay, du bist zuhause, du kannst also jetzt völlig zusammenbrechen!
Das Fieber raubte mir fast den Verstand.

„...John..., was gegen die Schmerzen...", murmelte ich mühsam...
"Aber nur, wenn du mir versprichst, dann nicht wieder aus dem Bett zu springen!" mahnte er misstrauisch.
"Versprochen...", krächzte ich schwach.

Das letzte, was ich spürte, war seine Hand auf meiner Stirn.
Beruhigend und kühl...

Drei Tage lang ging es mir richtig dreckig. So dreckig, dass mir sogar Johns Fürsorge willkommen war. John sagte, er befürchte, die Bronchitis könne sich noch zur Lungenentzündung auswachsen.

Was denn? Es könnte NOCH schlimmer werden? dachte ich entsetzt. Dabei ist mir gestern schon der Gedanke gekommen, dich zu bitten, mit den Gnadenschuss zu geben...

Aber natürlich sagte ich das nicht. Da versteht John überhaupt keinen Spaß. Und natürlich wäre es nur das gewesen. Ich musste dringend wieder auf die Beine kommen. Es konnte jeden Tag so weit sein, dass sich in Bezug auf Moriarty etwas tat...

"Es hätte dich natürlich weit weniger schlimm erwischt, wenn du nicht so viel geraucht hättest, die letzten Wochen", erklärte mein Arzt bekümmert. "Ernsthaft, Sherlock, das reißt immer mehr ein. Du bist schon bei über vier Päckchen die Woche."
"Ja, ich weiß...", gab ich zu.
"Was ist mit dir los? Es ist aber doch nicht wegen...Miss Adler?" fragte er vorsichtig.
"Natürlich nicht!" erwiderte ich so entrüstet, dass ich gleich wieder husten musste.
"Schon gut. Aber irgendetwas ist doch!"

Vielleicht war ich zu schlapp, um mir rasch eine schlüssige Ausrede auszudenken.

"Ach, die letzten Fälle waren alle so primitiv!" jammerte ich.
"Primitiv? Ach, komm schon, Sherlock! Das ist ein verdammt schlechter Grund für Selbstmord auf Raten! Du musst damit aufhören! Bei den letzten zwei Verfolgungsjagden hab ich dich glatt abgehängt."

Touché. Dieses Argument überzeugte mich. Ich musste fit sein, für das, was vor mir lag. So fit wie irgend möglich!

"Okay. Du hast recht. Keine Zigaretten mehr. Und auch keine Nikotinpflaster. Kalter Entzug", beschloss ich grimmig.
"Ja. Gut! Du hast meine volle Unterstützung!" versicherte mir John überflüssigerweise – erfreut über meine plötzliche Einsicht.

Körperlich geht es mir inzwischen wieder besser. Aber vor Langeweile schweifen meine Gedanken immer wieder zu Moriarty ab und jedes Mal macht es mich noch etwas nervöser. Ich drehe noch durch, wenn ich nicht bald etwas unternehmen kann.
Die Vorbereitungen für die olympischen Sommerspiele laufen auf Hochtouren. Was, wenn er da einen Anschlag plant...?
Während des Frühstücks hat mir Mycroft gesimst.

'Habe seit Neujahr drei Pfund abgenommen. M.'

Das ist der Code, den wir vereinbart haben, wenn ich ihn möglichst bald zurückrufen soll.
Seither sitze ich wie auf glühenden Kohlen und kann es gar nicht erwarten, dass Joh endlich einkaufen geht!
Erst als ich schon fast das Gefühl habe gleich zu platzen, macht er sich dann doch auf den Weg. Ich stürze mich auf mein iPhone...

„Hallo, musste erst John abschütteln. Nur wenig Zeit. Was gibt es?"

„Allerdings: Wenig Zeit, Sherlock. Angeblich hat er so etwas wie einen Universalcode!"

„Universal? Wie universal?"

„Um alle elektronischen Schlösser und Passwörter zu knacken!"

„Was soll das sein? Ein Algorithmusgenerator, oder so? Hältst du das für möglich?"

„Können wir uns leisten, das für einen Mythos zu halten, wenn es doch keiner ist?! Bei IHM?"

„Das ist ein Argument. Was willst du also machen?"

„Alte Schule. Festsetzen und verhören."

„Du enttäuschst mich. Ich bezweifle, dass das bei ihm Wirkung zeigt!"

„Du hast ja keine Ahnung von unseren Methoden, kleiner Bruder!"

„Nun...es würde mich ausnahmsweise freuen, wenn du Recht behieltest. Du weißt welche Strategie ich für die einzig erfolgversprechende halte..."

„Ja. Kommt nicht in Frage. Du wirst nicht den Köder spielen. Im Übrigen glaube ich nicht mal, dass ihn das reizen würde. Du überschätzt dich."

„Sicher nicht. Ich kenne ihn besser als du."

„Touché. Aber das werde ich jetzt ändern. Ich melde mich, sobald es etwas Neues gibt. Wenn du etwas hast, dann hinterlass' nur die übliche Nachricht, dass du 10.000 Pfund benötigst."

„Diesen Code hast du dir nur ausgedacht, um mich zu demütigen!"

„Du weißt sehr wohl, dass es danach aussehen muss, als herrsche zwischen uns eisiges Schweigen."

„−273,15 °C, teurer Bruder", spöttele ich.

„Was?! Du kennst den absoluten Nullpunkt? Fällt das nicht unter 'sinnloses Wissen'?"

„Natürlich tut es das. John meinte neulich, er müsse mir die Drei-Grad-Kelvin-Strahlung erklären. Absolut überflüssig. Solange ich nicht wenigstens eine im All treibende Leiche untersuche...

Hast du übrigens etwas von TheWiphand gehört?" frage ich beiläufig.

„Gott sei Dank nicht!"

„Ich glaube, der hat damit nichts zu tun... A bientôt...!

Ich glaub' ihm kein Wort...
Er denkt, dass sie am 12. Januar hingerichtet wurde. Aber ich weiß es besser...

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4. Die Reichenbachfälle
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10. März

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Mit dem Rauchen aufzuhören, war hart. Noch härter, weil Mycroft anscheinend mit seiner Strategie nicht weiter kam. Doch wenn ich ein weiteres und letztes Mal gegen Jim Moriarty antreten und ihn überlisten und sein gesamtes Netz ausrotten wollte, dann war diese Selbstdisziplin eine gute Vorübung.
Bald nachdem mich John wieder auf die Menschheit losließ, wie er sich ausdrückte, kam ich an einem Tabakladen vorbei und wurde gleich ganz kribbelig!

Bestens! Ich bin ein Suchtkrüppel! schimpfte ich innerlich.

Es war beschämend!
Dagegen musste ich etwas unternehmen.

Zum Beispiel sämtliche Tabakläden im Umkreis von zwei Meilen bestechen, damit sie mir nichts mehr verkauften...
Wieder zuhause startete ich sofort eine Suche auf Google-Maps.
Ich kam auf 27 Läden!

Oh, nein! So viele? Ich will es gar nicht wissen! dachte ich.

Aber da ich gerade sowieso keinen Fall hatte, machte ich mich auf den Weg.

"Hi, Mr Mortimer!"
"Ah, Mr Holmes! Sie haben sicher von den neuen Zigarrenmarken gehört, ich - "
"Nein, stopp. Lassen Sie bloß den Humidor zu. Ich muss mir die Zigaretten abgewöhnen. Da sind Zigarren auch für eine Weile tabu."
"Ich führe aus Prinzip keine elektrischen Zigaretten!"
"Ich weiß und das ist sehr löblich. Man kann leicht tödliches Gift aus den Liquids extrahieren. Viel eleganter als aus richtigen Zigaretten."
"Ein fachlicher Rat also?"
"Nein. Bestechung."
"Bestechung?!" echote er entsetzt.
"Wenn ich das nächste Mal Zigaretten kaufen will, weigern sie sich einfach. Dafür überlasse ich Ihnen jetzt Zwanzig Pfund."
"Oh..., na, wenn Sie meinen, dass das hilft...", seufzte er.
"Kopf hoch, Mr Mortimer! Irgendwann werde ich auch mal wieder die eine oder andere Zigarre rauchen."
"Pfeife. Sie sollten sich das wirklich überlegen. Am besten eine Calabash mit Meerschaumeinsatz. Sie brauchen sie nicht einzurauchen und sie ist so – schön exzentrisch."
"In zwanzig Jahren vielleicht, wenn ich mich zur Ruhe setze und Bienen züchte."
"Wenn man dann überhaupt noch rauchen darf...", unkte mein favorisierter Tabakhändler.

Siebeneinhalb Stunden später hatte ich alle durch und einen langsamen aber kompletten Marathon hinter mir.
In einem kleinen Kaffee hatte ich Mycroft angerufen.
Immer noch kein Erfolg zu verzeichnen.

"Du kennst meinen Standpunkt", sagte ich genervt.
"Ja, seufzte er. Miss Adlers Akte wird das Signal sein. Ruf besser nicht mehr an..."

Ich soll mich raushalten, damit kein Verdacht aufkommt, ich sei mit von der Partie auf dieser Jagd, denn unter Umständen wird es sich nicht vermeiden lassen, dass ich weder Jäger noch Treiber sein werde.
Sondern der Köder.
Mycroft ist dafür noch nicht zu gewinnen.
Er denkt, das wird nicht nötig sein.
Wenn er sich da mal nicht täuscht!
Ich kenne Jim Moriarty besser.
Kann eher beurteilen, was ihn antreibt, was ihn reizt...

"Du hast WAS?" fragte mich John perplex, als ich wieder zuhause ankam. Er starrte mich an, als hätte ich den Verstand verloren.

"Ja, ich weiß, dass es im Supermarkt auch Zigaretten gibt. Aber da gehe ich ja nicht hin!"

"Vor allem hast du jetzt eine Superausrede, um nicht einkaufen zu gehen!" kapierte er es. "Wie elegant!
Du wurdest übrigens gesucht vom Kurator irgendeines Museums. Äh, die Nummer liegt auf dem Schreibtisch. Wird dich sicher nicht so interessieren. Ein gestohlenes Bild. Ein Turner, glaub ich. Irgendwelche komischen Wasserfälle..."

Er hatte recht – und er hatte auch wieder unrecht.
Der Fall war langweilig.
Aber ich hatte beschlossen, Moriarty aus der Reserve zu locken und dazu musste ich auf mich aufmerksam machen.
Das Gemälde eines gefeierten, britischen Malers war hierfür ideal...!

Es ist wenig Arbeit gewesen, und doch war der Trick der Diebe von der dreisten gewaltlosen Sorte, die die kleinen Idioten so begeistert. Am Samstag, den 17. wird die glanzvolle Vernissage zur Heimkehr von William Turners Reichenbachfällen stattfinden. John holt gerade unser Honorar ab. Natürlich tue ich, als fände ich es grässlich, auf diese Vernissage zu gehen – und das tue ich ja auch. Aber ich brauche Publicity!

Ich überlegte einen Moment.
Dann machte ich die Schublade wieder auf und holte Miss' Adlers Handy wieder hervor, das ich John vorhin abgeschwatzt habe.

Oh, er ist so ein miserabler Lügner! Wie er versucht hat, mir weiszumachen, dass sie in ein US-Zeugenschutzprogramm gekommen ist! Mycroft hätte ihm nicht sagen dürfen, was er für die Wahrheit hält! Aber dass mein Bruder wirklich denkt, er müsse mich mit dieser Trauerbotschaft verschonen?! Als ob ich so sentimental wäre!
Gut, ja, ich habe sie gerettet, was er wohl wirklich nicht herausbekommen hat – doch in diese missliche Lage ist sie ja nur geraten, weil ich sie um ihren Schutz gebracht hatte.
...und um einige verschlüsselte Informationen über Moriarty, die sie auf ihrem Handy gespeichert hatte...

In meinem Zimmer angekommen, ließ ich das Handy zwischen den Socken verschwinden.
Bisher hatte ich es nie wirklich nötig gehabt, Erinnerungsstücke aufzubewahren. Wozu hatte ich schließlich meinen Gedächtnispalast?
Und doch hatte sich vieles angesammelt.
Bücher, die präparierte Fledermaus, das Union Jack-Kissen, der kleine schwarze Globus...
Der Schädel...
Und nun dieses Handy...
Erinnerung nicht nur an den glorreichen Kampf mit ihr; der Frau.
Auch Erinnerung an die vielleicht peinlichste Niederlage meiner Karriere.
Manipuliert und benutzt, um für Moriarty herauszufinden, um welche Maschine, welchen Flug es sich handelte...

Dieses überflüssige Manöver mit der Akte heute, ist das Signal:
'Ich muss wohl doch zu Plan B übergehen.'

Hier also beginnt unser letzter Kampf, Moriarty!

tbc

Henry kommt laut Film an einem Montag (Bemerkung über Mrs Hudsons Parfum!)
Das müsste 2012, dann der 12. 3. gewesen sein.
An diesem Datum postet John aber über Irene Adler. und am 16. ist THoB abgeschlossen.
Am selben Tag hat Moriarty Johns Blog gehackt.
Das scheint ausnahmsweise mal zu viel Zeit für einen verfilmten Fall zu sein. Aber an diesem Tag wird noch bis halb zwei viel auf dem Blog kommentiert, Die Fahrt nach Grimpen/Dartmoor
dauert über drei Stunden: Ich denke also, sie folgen Henry erst am Tag drauf.

Startsignal - 11. März 2012

Vielen lieben Dank an Roggenpfirsich, John Snape, RocknRoll, Heartofblood und Anna91!

Startsignal

11. März 2012

'Peng!'

'Peng!'

'Peng!...Peng!..Peng!'

'Sherlock?!"

John kann ganz schön brüllen, wenn er sauer ist.

"SHERLOCK!?"

Ich höre ihn die Treppen herauftrampeln. Gleich wird er in der Tür erscheinen wie ein kleiner Racheengel, wird sich empört auf mich stürzen und mir die Waffe entwinden, sie entladen...
Wie vor fast einem Jahr schon einmal...

Ich genieße es – er ist dann so herrlich energiegeladen, aber wenn sein Kampfmodus berechtigt ist, habe ich nicht die Möglichkeit, ihm wirklich Beachtung zu schenken, so wie jetzt. Dabei schaue ich ihn aber nur scheinbar gelangweilt und herablassend an, meinen zornigen, kleinen Captain.

Seit gut einem Jahr ist er jetzt in meinem Leben.
Und nicht mehr daraus wegzudenken.
Das gefährlichste Jahr meines Lebens.
Gut, wenn man von den Risiken des Drogenmissbrauchs absieht...

"Das...ist nicht...", stammelt er jetzt. Er starrt die Waffe in seiner Hand an – dann mich.

"Seit wann hast du einen Revolver?!" fragt er alarmiert.

"Ich habe genau noch einmal die Löcher in der Wand getroffen. Es ist kein weiterer Schaden entstanden – also beruhige dich", sage ich mit einem Augenrollen.

"Ernsthaft, Sherlock! Wieso hast du eine Schusswaffe? Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?"

"Es gibt definitiv eine Menge, was du nicht weißt, aber vor allem, was du niemals zu erkennen und zu deduzieren lernen wirst..."

"Hör auf, mich mit Beleidigungen vergraulen zu wollen!" schimpft er. „Rede mit mir! Rechnest du mit einer bestimmten Bedrohung?"

"Ach, Unsinn..."

"Dir ist doch klar, dass du mit dem Ding nicht durch London rennen kannst?
Ich meine, wenn ich mit meinem erwischt werde, kann ich mich immer noch auf einen Flashback rausreden, aber – "

"Tze...!" mache ich spöttelnd. „Als ob du zu solchen Tricks greifen würdest! Und als ob du das irgendjemandem glaubhaft vormachen könntest. Du bist ein miserabler Schauspieler."

„Wenn es sein muss, kann ich sehr wohl gut Theater spielen!" trumpft er auf.

„In betrügerischer Absicht simulieren? Du!? Dazu bist du viel zu skrupulös!"

Er sieht ein, dass ich recht habe. Na, komm! Nun gib's schon zu...!

„Lenk' jetzt nicht ab. Es geht hier nicht um mich!" faucht John.

„Wann tut es das jemals, John?" stichle ich sanft. Er ist sehr hartnäckig heute.

"Raus damit, Sherlock. Was ist hier los?
Es ist wegen des Turners, nicht. Weil du sicher bist, dass die Hintermänner selbst noch einen Drahtzieher hatten.
Einen ganz bestimmten, uns wohl bekannten Drahtzieher!

Es ist fast wie damals. Nur diesmal ist das Bild echt. Doch niemand nennt den Namen, den du hören möchtest, denn nun wissen alle: Das ist tödlich."

SMS-Signal. Ich grinse nur kopfschüttelnd und sehe nach.

'Nochmal zwei Pfund abgenommen. Na, was sagst du nun? M.'

Ich seufze enttäuscht, als sei das total langweilig. Und natürlich zeige ich John nicht im Geringsten, dass er richtig liegt!

„Ach, nun sei doch nicht wieder so verbissen!" sage ich in beschwichtigendem Ton. „Dieses Mal geht eben wieder eine Runde an mich, das ist alles. Er liebt es viel zu sehr, mit mir zu spielen, als dass er die Regeln ändern würde! -
Dinner?"

Er seufzt besänftigt.

„Bin am Verhungern."

„Schön. Zieh dich um. So lassen sie dich da nicht rein."

„Okay..."

Er geht nach oben.

Gelegenheit, Mycroft zurückzurufen.

"Du hast dein Präsent abgeholt?" fragt er gleich angespannt.
"Ja, danke." Dass ich es bereits eingeweiht hatte, verschweige ich natürlich.
"Sherlock..., noch können wir die ganze Sache abblasen...aber du hattest recht... leider..."

Ich nehme ein leichtes Zittern in seiner Stimme wahr. Irgendetwas hat ihn aus der Fassung gebracht.

"Was ist vorgefallen?"
"Nun..., nicht ich habe den Anfang gemacht. Sondern er. Gestern Abend hat er deinen Vornamen in die Wand seiner Zelle geritzt.
Ich...habe ihn darauf angesprochen..."
"Ha! Er hat dir also einen Deal angeboten! Er geht uns auf den Leim!"
"Dieser ...Leim könnte für dich ebenso vernichtend sein, wie wir es für ihn geplant haben! - Sherlock! Er hat deinen Namen inzwischen noch dreizehn weitere Male in seiner Zelle verewigt! Dieser Irre ist besessen von dir!"
"Eben. Deshalb findest du auch keinen anderen Köder."

Er seufzte.

"Und du willst John wirklich nicht einweihen?"
"Du weißt, wie miserabel er lügt."
"Ja, ich erinnere mich, wie er herumgedruckst hat, als du ihn wegen der Bruce-Partington-Pläne zu mir geschickt hast... Es ist wohl seither nicht besser geworden..."
"Leider nicht. Erst recht nicht, wenn er befürchtet, dass ihn sein Gegenüber lesen kann. Wie ich oder du. Oder Moriarty..."
"Ja, ich fürchte, du hast recht. Dann...ziehen wir es also durch... Lass dich nicht mit dem Revolver erwischen - ab jetzt kann ich offiziell nichts mehr für dich tun."
"Ich weiß."
"Pass auf dich auf. Viel Glück..."

So etwas würde er normalerweise aus Prinzip nicht sagen. Glück. So ein Vorhaben kann nur mit Cleverness gelingen und die hat nichts mit Zufall zu tun.

"Ich muss schlussmachen."

Da kommt John.
Hat sich mächtig beeilt.
Er muss wirklich hungrig sein...

An diesem Abend schaffen wir es gerade noch so, unser Dinner zu beenden, als ich eine SMS erhalte. Da ist doch tatsächlich jemand mit einer Harpune getötet worden! Sie haben zwar einen Einbrecher verhaftet, aber weil er gar so sehr beteuert, dass er für den Mord nicht verantwortlich ist, sind Dimmock nun doch Zweifel gekommen.
Ha! Genau das, was ich jetzt brauche...!

tbc

Intermezzo mit Harpune - 12. März 2012 (1)

Vielen lieben Dank an Roggenpfirsich, John Snape, RocknRoll, Heartofblood und Anna91!

Intermezzo mit Harpune

12. März 2012
von Mitternacht bis 8:30 morgens

"Dimmock, machen Sie doch die Augen auf! Dieser Hänfling kann das unmöglich getan haben! Er hätte nicht die Kraft gehabt, Carey zu durchbohren! Ich beweise es Ihnen! Und dann verrate ich Ihnen auch, wie wir den wahren Täter in eine Falle locken. Machen Sie einen Schweinezüchter ausfindig – oder einen Schlachthof, wo ich mit einer solchen Harpune ein lebendiges Schwein abstechen kann!"
"Sherlock! Das wird dich niemand machen lassen! Es ist gesetzlich festgelegt, auf welche Weise Schlachtvieh vom Leben zum Tod befördert werden darf", schaltet sich John ein. "Du wirst es schon mit einem toten Schwein machen müssen – wie Forensiker in aller Welt es tun."
"Wie langweilig!" knurre ich eingeschnappt.

Leider hat er recht, wie mich Dimmock gleich informiert.

Wir kommen erst gegen halb zwei nachhause.

"Ich wecke dich, sobald sich Dimmock wegen des Schlachthofs meldet", informiert ich John nachsichtig, denn ich kann sehen, dass er ziemlich müde ist.
"Untersteh' dich!" faucht dieser jedoch zurück. „Mach das mal schön alleine! Ernsthaft, Sherlock, lass mich ausschlafen. Gute Nacht", setzt er in sanfterem Ton hinzu.

Und damit verschwindet er nach oben.

Ich bin frustriert und nervös. – natürlich bin ich das! Ich stehe kurz – oder doch noch nicht so kurz – davor, mich mit dem fiesesten aller genialen Kerle unserer Zeit anzulegen! Ein Schwein herum zu scheuchen, wäre eine nette Abwechslung gewesen. Am besten einen großen, aggressiven Eber...! Schließlich war der Ermordete auch so ein Schwein!
Hähä: Shercooles jagt den erymanthischen Keiler! habe ich schmunzelnd im Stillen gedacht.
Dimmock hat mich nur entsetzt angesehen. Er ist so ein Schaf!
Ich bin gespannt, ob man einen Unterschied erkennen wird, je nachdem, ob man die Harpune wirft, oder einfach damit auf den Körper einsticht.
Und ob die Wucht eines Wurfs überhaupt ausreichen kann, damit die Waffe so weit eindringt...

Der Anruf von Dimmock erreicht mich dann wirklich so früh, dass John noch nicht aus dem Bett gekommen ist.
Der junge DI erwartet mich vor besagtem Schlachthof und ist sehr blass – beinahe grün – und richtig zittrig...
Offenkundig...

"Na, haben Sie sich gut amüsiert, als Sie beim Schlachten zugesehen haben?" beginne ich mit etwas Smalltalk. Woraufhin er mich gänzlich überflüssig davon in Kenntnis setzt, er sei seit eben Vegetarier. So ein, Weichei!
Dann kommt ein Wagen des Coroner aus der Ausfahrt – sie haben gerade das Schwein verladen!

„Was soll das jetzt? Ich komme zu dieser unchristlichen Stunde extra hierher – ", beginne ich verärgert.
„Ja, tut mir Leid. Die Anordnung kam erst nachdem ich hier eingetroffen war – und da...naja...", druckst er verlegen.
„Hat es Sie von den Socken gehauen!" beende ich triumphierend den Satz.

Er sieht verärgert zu Boden. Was denn? Ich habe doch recht!

„Im Übrigen wurde die Harpune ins Bart's geschickt", ergänzt er bissig.

Oh, super! Molly Hooper am frühen Morgen! Kann es noch schlimmer werden? Seit Weihnachten geht sie mir noch mehr auf den Wecker als je zuvor und – ach...ich weiß auch nicht so recht. Ich denke nicht, dass es das ist, was die normalen Idioten ein 'schlechtes Gewissen' nennen. Es ist mir nur irgendwie immer noch so peinlich, dass ich zwar mit all meinen Beobachtungen richtig gelegen habe, aber mir nicht klar war, dass das Päckchen für mich bestimmt war. John hatte noch versucht, mich zu bremsen – aber das tat er ja ständig, also konnte ich nicht ahnen, dass es diesmal wirklich wichtig gewesen wäre...!
Und noch etwas hatte ich nicht erkannt: Was dieses Päckchen eigentlich enthalten hatte. Und ich weiß es bis heute nicht: Molly nahm es nämlich wieder an sich. Also war es etwas, was sie nur ihrem Freund im Sinne von Partner schenken würde – nicht einem Freund im Sinne eines guten Bekannten, etwas, was ihr nach diesem Fiasko einfach nur noch unpassend schien.

Gut, dann ist das ohnehin etwas, was ich lieber gar nicht wissen will...!

Die Päckchen beider Frauen waren rot verpackt gewesen – doch als mein iPhone stöhnte, hatte ich jegliches Interesse an Mollys Präsent verloren und war zum Kaminsims gestürzt. Wie hatte sie das nur dahin praktiziert?! Vor allem – wann?! Ich habe John später gefragt und der Idiot hatte natürlich keine Ahnung! Ebenso wenig Mrs Hudson. Dabei hatte doch eigentlich den ganzen Tag über immer irgendeiner von ihnen oder alle beide damit zugebracht, unser Wohnzimmer in ein albernes, blinkendes Weihnachtsschaufenster zu verwandeln...!
Bei der nächsten Gelegenheit, als ich Geschenke bekam – es war natürlich an meinem Geburtstag, fragte ich John, wieso er gewusst hatte, dass Molly auf die absurde Idee gekommen war, mir mit ihrem Präsent eine Liebeserklärung machen zu wollen. Ich nahm an, sie habe ihn vielleicht einfach gefragt, ob er eine Idee hätte, was sie mir schenken könnte, aber zu meiner Überraschung sagte er, dass er gleich Bescheid gewusst habe, als sie mir damals den Kaffee brachte.
„Wann 'damals'?" fragte ich leicht verärgert, dass er sich so ungenau ausdrückte.
„Na, als Mike uns einander vorstellte!" antwortete John verwundert...

Wenigstens benutzt der Inspektor ein Zivilfahrzeug. Es macht mir zwar im Allgemeinen nichts aus, wenn die Leute mich für einen Freak halten, aber auf der Rückbank eines Streifenwagens zu sitzen, sieht immer so aus, als sei man verhaftet worden.
Okay, auch das habe ich schon erlebt, wenn ich in die Wohnung von Opfern oder Verdächtigen eingestiegen bin, oder versucht habe, einen Drogendeal zu sabotieren oder so etwas...

Im Bart's angekommen, wird das Schwein auf einen Seziertisch gepackt.

„So geht das nicht", sage ich. „Carey hat gestanden, als ihn die Harpune traf – nicht auf einem unnachgiebigen Untergrund gelegen. Wir müssten es irgendwie senkrecht aufhängen", stelle ich fest.
„Macht das denn wirklich einen Unterschied?" fragt Dimmock.
„Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder?!" Ich starre ihn an. „Physik? Erstes Lehrjahr, Mechanik? Impulserhaltungssatz? Sie können das ja nachher mal ausprobieren, wenn der Körper durch den Boden daran gehindert wird, nachzugeben wird die Wunde tiefer sein! – Molly, ich muss mir die Aufnahmen des Stichkanals nochmal ansehen..."

"...falls du diesmal doch einen Schutzanzug möchtest...?", piepst Molly, als ich so weit bin.

"Kinderkram", versetze ich.

Dimmock hüstelt.

"Ich habe diese Harpune hier aus dem National Maritime Museum in Greenwich besorgen lassen, sie ist baugleich und ungefähr genauso gut erhalten – und natürlich wollen sie sie unbeschädigt zurück haben..."

"Haben die auch gesagt, wann...?" erkundige ich mich und überlege, was sich wohl noch interessantes mit diesem imposanten Mordinstrument experimentieren ließe.

"Nicht genau, nein...", antwortet er verständnislos.

Also ziehe ich Mantel, Schal und Jackett aus und knöpfe mir das frisch gekillte Schwein vor. Ausgezeichnet: Es ist noch ein wenig warm, das Gewebe hat also noch die Festigkeit und Elastizität eines lebenden Schweines – oder Menschen.
Dabei male ich mir aus, dass ich Moriarty vor mir habe – und stoße zu.

Die Gegenprobe macht ein schmächtiger Entomologe – und Dimmock muss einsehen, dass jemand wie dieser – oder sein Hauptverdächtiger – nicht genügend Kraft aufbringt, um ein feistes, gerade erst getötetes Schwein so gründlich aufzuspießen, wie es mit Captain Peter Carey geschehen ist.
Ich muntere den frustrierten Inspektor wieder auf, indem ich ihm freundlich lächelnd vorschlage, er solle erst einmal ein schönes, englisches Frühstück zu sich nehmen - mit SCHWEINESPECK und WÜRSTCHEN! Aber vor allem verrate ich ihm, wie er den wahren Täter schnappen könne. Aber das soll er mal schön selbst machen. Das ist mir zu langweilig.

Außerdem...
...eine Sache gibt es da doch, in der ich mich getäuscht habe...
Ich hätte Mollys Angebot doch besser angenommen...
Es lag vor allem daran, dass ich ja die Harpune – im Gegensatz zu unserem Täter – auch mindestens einmal wieder herausziehen musste, damit Mollys schmächtiger Kollege es auch noch einmal versuchen konnte. Und auch für weitere Tests...
Und durch den Widerhaken... gab es wirklich eine Riesensauerei...

Molly feixt in sich hinein – und ich tue so, als sähe ich es nicht...

"Ähm..., ich pack' dir dann mal deine ...noch sauberen Sachen in einen Plastikbeutel...", bemerkt sie schließlich und tütet Mantel, Schal und Jackett ein.

Ich bin sowas von genervt!

Wie gewohnt rufe ich ein Taxi. Es bremst ab – und macht im nächsten Moment mit quietschenden Reifen einen Bogen um mich!
Auf der Gegenfahrbahn wird heftig gebremst und gehupt.

Mist!

Beim nächsten versuche ich es während der Rotphase an der Ampel.

"Bedaure, Sir! So lasse ich Sie nicht in meinen Wagen. Sie ruinieren mir doch die Polster!"
"Schicken Sie mir die Rechnung für die Reinigung."
"Und der Verdienstausfall währenddessen? Nein, unmöglich!"

Die Ampel springt auf Grün und er legt einen Blitzstart hin.

Ich bin stocksauer!
Verdammt! Ich bin der Mann, der euch alle von Moriarty befreien wird und ihr ekelt euch vor ein paar Blutflecken! Muss ich mir das wirklich bieten lassen? ICH?!

Dem nächsten Cab, das mit leicht heruntergelassenem Seitenfenster des Wegs kommt, stecke ich gleich die Harpune ins Auto.
"Zentrale! Giltspur Street! Ein Amokläufer bedroht mich mit einer Harpune!" kreischt der Cabbie. "Er ist schon ganz blutbesudelt!"
"Halten Sie die Klappe! Sie sollen mich einfach nur mitnehmen!" brülle ich.
"Nur über meine Leiche!" schreit der Cabbie – und tritt auf's Gas.
Ich schaffe es gerade noch, die Harpune in Sicherheit zu bringen.

Fluchend stapfe ich nach Norden zur Bushaltestelle St. Bartholomew Hospital. Passanten machen einen Bogen um mich, nur ein Hund zerrt an seiner Leine und hätte mich gerne von Nahem inspiziert.

An der Bushaltestelle habe ich schnell einen zwei-Yards Radius um mich herum frei..., was mir eigentlich ganz recht ist.
Ein Typ, der mich entfernt an Mycroft erinnert, tritt ein wenig aus der Menge hervor.

„Sir. So wird Sie der Busfahrer nicht mitnehmen – und dann würden Sie uns alle aufhalten. Nun... ich halte Sie für einen Gentleman. Deshalb seien Sie bitte so nett und suchen sich eine andere Beförderungsmöglichkeit."

Mir wird plötzlich klar, dass da eben einige gesimst haben – und dann sehe ich auch schon einen Streifenwagen um die Ecke biegen.
Nein, das wäre jetzt ganz, ganz unpassend...!

Ich schwinge die Harpune, um mir Platz zu verschaffen, renne los und verberge mich dann zuerst mal auf dem Gelände der Pathologie, das ich – wie man so sagt – kenne wie meine Westentasche. Als die Cops vorbei sind, mache ich mich auf zur St. Pauls Tube-Station.

So langsam bekomme ich eine Vorstellung davon, warum manche Leute Montage hassen!

Wieder weichen die Leute mir aus.
Ein kleines Mädchen – vielleicht drei oder vier, versteckt sich hinter seiner Großmutter und beginnt zu weinen. Die Dame mustert mich missbilligend. „Schämen Sie sich! Schlimm genug, wenn die Leute an Halloween so rumlaufen! Und Karneval ist längst vorbei!"
Zwei vielleicht sechzehnjährige Mädchen, die offenkundig die Schule schwänzen, denn sie haben Schultaschen, in denen sie wohl nur ihre Uniformen transportieren, folgen mir, als ich sie passiert habe, und tuscheln.
„Boah...! Sieh dir deeen an...schärfer als jeder Vampir..."
„Die drehen doch hier bestimmt einen Film...obwohl, Kameras sehe ich nicht...", überlegt die andere.
„Vielleicht ist das ja eine neue Aktion von Derren Brown, oder so?" grübelt die Erste.
„Dem wäre sowas zuzutrauen! Denkst du, es ist eine Mischung aus Ketchup und roter Marmelade...?"
„Hm... Weiß nicht...ich riech' nix. Also vielleicht künstlich..."
„Da könntest du recht haben. Diese Hose ist bestimmt maßgeschneidert..."
„Vergiss die blöde Hose – ich wünschte, sie würde uns nicht den Blick auf diesen Knackarsch versperren!" kichert die Erste.
„Ah, du sagst es! Allein dafür hat sich das Schwänzen schon gelohnt!" quietscht die andere hingerissen. „Und das Hemd ist so schön eng..."
„D & G", bemerkt die erste gelassen.
„Ich liiieeebe Kerle, die wissen, wie man sich anzieht!"
„Anzieht? Was nützt das, wenn sie sich dann nicht auch ausziehen?!"

Sie gackern los.

„Aaaaah. Kriegst du keine schmutzigen Fantasien, wenn du sowas siehst?" stöhnt wieder Nr. eins.
„Ja..., den würde ich auch nicht von der Bettkante schubsen", kichert die andere.
„Weißt du, was jetzt absolut geil wäre?"
„Hm?"
„Na, so'n richtiger Regenguss!"
„Was?! Wieso?!"
„Na, weil sein Hemd dann durchsichtig wird, du dumme Gans!"
„Ah! Wir siiind diiieeee...:"

„„Superbitches! !"" grölen sie gleichzeitig.

...Weiber! denke ich entnervt und schlüpfe in die U-Bahn-Station hinunter.

Bin ich eigentlich schon mal so richtig normal mit der Tube gefahren...?
...schwarz, als Junkie – oder surfend – auf dem Dach oder so – deshalb war für mich doch auch der Fall Andrew West so leicht durchschaubar gewesen...
Aber...falls ich jemals einen Einzelfahrschein gelöst hatte...
Nein. Das muss ich wohl gelöscht haben.
Raz meint ja immer, sie sollten die Steuern erhöhen und dann die Benutzung der Tube gratis anbieten.
Klar.
Er zahlt ja auch keine Steuern.
Ich sehe das natürlich anders.
Nicht, weil ich Steuern zahle – darum kümmert sich... irgendeine Bürokraft von Mycroft – sondern, weil ich nicht mit der Tube fahre.
So viele Menschen auf einem Raum. Unterirdisch. Wenn's wirklich drauf ankommt: Eine tödliche Falle.
Nein, ich bin nicht paranoid. Es ist so. Sarin oder ein Feuer – selbst wenn man es schafft zum Fenster herauszukommen stauen sich Qualm, Gas oder was auch immer doch in dem engen Schacht... und anders als im Bus kann man meist nicht bis zum Fahrer vordringen und es vergehen kostbare Sekunden oder gar Minuten bis der etwas merkt...
Und deshalb habe ich hier endlich auch Erfolg. Niemand greift ein – viele gucken entsetzt und hilflos wie Tiere, die die Welt nicht mehr verstehen... (oder besser gesagt: Die jetzt merken, dass sie sie eigentlich nie verstanden haben!)
Es ist unangenehm: So viel Stumpfsinn auf engem Raum! Ich kann die Dummheit förmlich spüren. Es fühlt sich an, wie wenn man in einem Wartezimmer sitzt und alle niesen und husten – oder wenn du merkst, das Individuum neben dir hat Läuse oder Flöhe oder die Krätze – aber du kannst nicht weg, weil du mit ihm mit einem Paar Handschellen zusammen gefesselt wurdest, als sie ein leerstehendes Haus von Pennern und Junkies 'gesäubert' haben...

Mit Harpune und Plastikbeutel besteige ich also eine U-Bahn der Central Line.

Zumindest ist die Peak Time (Rushhour – Stoßzeit) fast vorüber. So dass sich all die kleinen Feiglinge vor mir in die Ecken des Waggons flüchten können.

Naja...
...fast alle...

„Ey! Du! Welche intelligenten Meeressäuger killst du mit dem Mordgerät, da? Schon mal davon gehört, dass Wale keine Ungeheuer sind, Captain Ahab?! Wale – viele Walarten sind eine bedrohte Spezies!" belehrt mich ein schräger Typ angriffslustig.
„Und wenn du Freak die Buckelwale ausrottest, dann gefährdet das vielleicht später mal den Fortbestand der Menschheit!" schaltet sich ein anderer Freak ein. Er hat schwarzgefärbtes Haar, das er in einem seltsamen Schnitt trägt – mit einem kurzen Vollpony und eigenartig spitz zulaufenden, kleinen Koteletten. Außerdem hat er sich kürzlich jeweils die äußere Hälfte seiner Augenbrauen abrasiert...

Doch dann dämmert es mir. John hat mir mal einige Kostproben einer alten Science-Fictionserie aufgezwungen, weil er der Ansicht war, ich hätte Ähnlichkeit mit einem gewissen Mr Spock... Dazu passt dieser merkwürdige Look: Er muss nur noch die Brauen entsprechend schräg aufwärts verlängern und sich spitze Ohrmuscheln aufsetzen...
Doch zunächst muss ich mal auf diesen Vorwurf reagieren.

„Wo sollte ich wohl – mitten in London – einen Wal killen...?! Bin ich angezogen, als wäre ich jemand, der irgendwelche Meeressäuger oder was auch immer jagt?! Denkt mal ein bisschen nach!" verteidigte ich mich.

Außerdem werde ich gefilmt! Hallo, ihr albernen YouTube-Gucker! ...Ach, Scheiße!

Gut, dass ich dann sowieso in die Bakerloo umsteigen muss.
Was regen die sich bloß alle so auf?!
Lesen diese Idioten keine Zeitung? Online-News? Sehen sie nicht fern? Überall passieren Verbrechen! Direkt vor ihrer Nase finden sie statt – und sie ...sind erstaunt wenn sie dann wirklich mal jemanden sehen, bei dem man darauf schließen könnte, dass er gerade jemanden umgebracht hat? Jedenfalls, wenn man ihn dann auch noch für so verrückt – oder naiv – hält, dass er dann noch so in der Öffentlichkeit unterwegs ist...!

Es sind nur zwei Stationen – und doch ein solcher Spießrutenlauf! Es ist so grotesk, wie sie auf mich reagieren, dass ich letztendlich beschließe, ihre Erwartungen zu erfüllen – denn so etwas ist bekanntlich sehr nett, denn so gebe ich Ihnen die Bestätigung, dass sie richtig gelegen haben – also sage ich:

„Sie denken, Ihre Welt wäre sicher. Das ist eine
Illusion. Eine tröstliche Lüge, erzählt zu Ihrem Schutz. Genießen Sie diese
letzten friedlichen Momente, denn ich bin zurückgekehrt, um mich zu rächen.
Also, sollen wir beginnen?*"

* (Star Trek – Into Darkness)

RocknRoll: Danke für die deutsche Version!

tbc

Irreversibler Doppelfehler - 12. März 2012 (2)

Vielen lieben Dank an Roggenpfirsich, John Snape, RocknRoll, Heartofblood, Anna91, Abel Audrey und Unicorn87!

Nachtrag um 19:30

Okay, ich hab ja auch weitere Blogeinträge gewartet (und Lidster hatte sie ja angekündigt) - aber dann vier auf einmal hochladen, die sich über ein halbes Jahr erstecken, ist krass!

„Sie denken, Ihre Welt wäre sicher.
Das ist eine
Illusion. Eine tröstliche Lüge, erzählt zu Ihrem Schutz.
Genießen Sie diese
letzten friedlichen Momente, denn ich bin zurückgekehrt, um mich zu rächen.
Also, sollen wir beginnen?"

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Irreversibler Doppelfehler

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12. März 2012, 8:30 - ca. 9:00

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Im Nachhinein betrachtet, ist diese Äußerung vielleicht doch keine so gute Idee gewesen. Da will man einmal nett sein...! Ich muss erneut flüchten und schüttle meine Verfolger ab, indem ich ihnen vorspiele, dass ich in der Baker Street erneut umsteige, aber natürlich verlasse ich die Station und sprinte den Rest des Weges nachhause.

Nachdem ich endlich unsere Haustür hinter mir zuschlagen kann, werfe ich den Plastikbeutel mit Mantel, Schal und Jackett achtlos beiseite und stürme die Treppe hinauf.

John sitzt in seinem Sessel und liest Zeitung.

He! Du hast angemessen zu reagieren, wenn ich reinkomme! Und zwar augenblicklich! Aufspringen! Fragen, wie ich's diesmal geschafft habe! Mir einen Tee anbieten! Dich erkundigen, wie es mir geht! So was alles eben!

Also stoße ich das untere Ende der Harpune vernehmlich mitten vor mir auf die Dielen. John dreht sich um.

Und dann rutscht sein Haaransatz um ein gutes Inch nach oben.

„War das ein Stress!" stelle ich klar.

„Bist du etwa so U-Bahn gefahren?" fragt er entgeistert.

„Taxis wollten mich nicht mitnehmen!" beschwere ich mich knurrend.

„Wie überraschend!" höre ich ihn noch in seine Zeitung murmeln, während ich mich samt Harpune in mein Badezimmer zurückziehe.

Nur zehn Minuten später sind ich und die Harpune geduscht. Trocknen muss sie allerdings von selbst, während ich mir das Haar föhne. Ich ziehe mich an – bis auf Strümpfe, Schuhe und Jackett und streife mir den blauen Morgenmantel über.

Die noch feuchte Harpune in der Hand kehre ich ins Wohnzimmer zurück

„Frühstück?" fragt John. Er trägt mal wieder dieses rote Hemd, das so gut zu ihm passt und er ist zu dieser frühen Stunde schon komplett ausgehfertig. Ich tippe darauf, dass er mal wieder versuchen wird, im Tesco mit einer jungen Dame anzubandeln.

Langweilig! Nervtötend! ...und völlig witzlos!

Lass dass, John! Wir wissen doch, wohin das führt!

„Kein Hunger!" gebe ich Auskunft. Er hat schon etwas gegessen. Die Harpune von einer Hand in die andere werfend, gehe ich auf und ab. Ich habe das Gefühl, jeden Moment zu explodieren.

Mein Nachhauseweg – und wie oft habe ich den schon zurückgelegt in den letzten dreizehneinhalb Monaten, aus der Giltspur in die Baker Street? – mein Spießrutenlauf, meine Flucht hierher, die Anfeindungen, die Furcht, das Entsetzen, der Widerwillen, ja Ekel, dem ich auf dieser kurzen Strecke, in dieser kurzen Zeitspanne zu begegnen hatte, haben mir Angst eingejagt: Unter Umständen könnte unser Plan – Moriartys Plan – für mich in eine vergleichbare Richtung verlaufen! Ich und Mycroft hoffen, dass uns andere Optionen bleiben werden, aber dieser Möglichkeit sind wir uns durchaus bewusst.

So entsetzlich habe ich es mir nicht vorgestellt! Und dabei war das doch nur ein ganz kurzer Vorgeschmack auf das, was passieren könnte...!

Mein Herz rast. Mir ist heiß und kalt. Ich fühle mich, als könnte ich gleich wirklich aus der Haut fahren! Auch wenn ich genau weiß, dass das biologisch unmöglich ist. Beim Menschen jedenfalls.

„Menschenskind, was ist denn mit dir los? Nun komm mal wieder runter! Du bist so hibbelig, als hättest du zwei Liter Kaffee in dich reingeschüttet! Ist alles okay?" fragt John – halb verärgert, halb besorgt – okay, sagen wir dreiviertel besorgt und ansonsten erstaunt und ein kleines bisschen verstimmt...

„Frag nicht so dumm! Sag mir lieber, ob irgendetwas in der Zeitung steht, was es wert wäre, das Haus zu verlassen!"

Ein klitzekleiner Teil von mir nimmt wahr, dass es Johns Ansicht nach zu grob geklungen hat. Das ist...ungewöhnlich. Ich finde Knurren und ähnliches immer völlig der Situation angemessen. Ich habe immer einen guten Grund für das, was ich sage und wie ich es sage – anders als die meisten anderen Menschen mit ihren Höflichkeiten und ihrem Smalltalk! Das meiste davon ist doch einfach nur verlogen!

Doch jetzt bin ich bin sauer auf mich, sauer, dass ich mich nicht besser im Griff habe. Sonst bin ich immer nur sauer auf andere.

Und es ist mehr als das: Ich ertrage mich gerade selber kaum.

Das ist...beunruhigend...!

John durchforstet die Zeitung.

Plötzlich drängt sich mir ein Gedanke auf: Wenn John vorhin bei mir gewesen wäre? Als ich blutbesudelt mit der Harpune unterwegs war...?!

Ich kann es mir kaum vorstellen...!

Er ist ebenso fassungslos gewesen... Er hat mich angesehen, als sei ich übergeschnappt!

Was bedeutet das, im Hinblick auf meinen Plan?

Auf seine möglichen Varianten?

Auf sein Worst Case Scenario?

Und überhaupt: ...das Schwimmbad...! Moriarty weiß: John ist mein schwacher Punkt... Vielleicht wäre es sicherer für ihn, wenn ich ihn vergraule. Wenn es für ein paar Wochen so aussieht, als hätten wir miteinander gebrochen..., als bedeute er mir überhaupt nichts mehr...

„Nichts?" dränge ich John.

„Eh... Militärputsch in Uganda...", murmelt er.

Will er mich eigentlich ärgern?! Und was würde er wohl sagen, wenn ich vorschlage: Lass uns ein schönes Krisengebiet aufsuchen. Uganda soll gerade sehr gefährlich sein – oder der Arabische Frühling? Hast du Heimweh nach Afghanistan? Oder wir könnten verminte und von Scharfschützen bewachte Kokaplantagen in Kolumbien zerstören helfen. Das könnte einen mords Spaß machen! Vielleicht finden wir dabei ja auch Ian Monkfort...!

Mir rauscht das Blut in den Ohren und ich weiß kaum noch, was ich überhaupt rede. Es ist beängstigend. Ein Teil von mir scheint daneben zu stehen und dem Rest zuzuschauen, wie ich fast ausflippe!

John bleibt scheinbar ungerührt. Er hat jetzt auf diesen 'Mach-doch-was-du-willst,-an-mir-prallt-das-alles-ab'-Modus geschaltet...

Ja, ich weiß: Ich mache manchmal eine Show aus meiner Langeweile, aus meinem Ärger über dumme Mitmenschen und dumme Verbrecher... Aber, wieso eigentlich nicht? John redet doch immer davon, dass ich Gefühle zeigen soll – aber wenn ich das dann tue, ist es auch wieder nicht recht...!

Doch in den letzten Tagen ist es anders geworden. Ich tue so, als läge es daran, dass mein Körper nach Nikotin schreit.

Doch das ist bloß Maskerade für das, was mich gerade wirklich zum Nervenbündel macht!

Es ist Moriarty!

Oder besser, die Ungewissheit, wie unser Kampf ablaufen wird...

Und Mrs Hudson?!

Ich bin mittlerweile sicher, dass Neilson, dieser CIA-Kerl, von Moriarty gekauft worden war, um an das Handy zu kommen. Noch nicht, als er nach Belgravia kam, aber als er an Silvester in unser Heim eindrang, Mrs Hudson misshandelte und halb zu Tode ängstigte!

Und durch ihn – durch meinen unbedachten Racheakt – wusste Moriarty nun nicht nur, dass mir die alte Dame viel bedeutete, sondern auch, dass mir Lestrade eine schwere Körperverletzung einfach so hatte durchgehen lassen! Diese Kulanz war für ihn selbst ziemlich riskant, also musste auch er ein Freund von mir sein!

Diese Informationen hatte ich Moriarty unklugerweise selbst zugespielt!

Zwei dumme, brandgefährliche Patzer – sozusagen in Tateinheit...

Jetzt konnte ich mir wirklich keine Fehler mehr erlauben. Und Mycroft auch nicht. Hätte er mir damals gesagt, warum ich mich aus dem Fall Adler raushalten sollte, und was er mit Bond-Air meinte, hätte ich ihr doch nie und nimmer verraten, dass es überhaupt der Belegungsplan für ein Passagierflugzeug war...!

Doch all das war nicht mehr zu ändern.

An diesem Morgen die Diva zu spielen, half mir etwas, so konnte ich mich wenigstens ein bisschen abreagieren. Es erregt meist Johns Unmut, denn er kennt meine Fähigkeit zur Selbstbeherrschung ebenso gut, wie meinen Hang, in gewissen Bereichen zu übertreiben. Doch nun brauchte ich wirklich ein Ventil für meine Nervosität.

Im Übrigen regte es mich auf, dass nun nicht nur John, sondern neuerdings auch noch Mrs Hudson romantische Ambitionen hegte – und sich die Redensart 'Liebe macht blind' mal wieder bestätigte!

Ich ließ meinem Frust freien Lauf und als ich Mrs Hudson vor den Kopf stieß und später John beleidigte, bemerkte ich das sogar – aber irgendwie ging es buchstäblich mit mir durch. Ein Teil von mir konnte mich gerade selbst nicht ausstehen.

Selbsthass?

Das hatte ich zuletzt im erfolglosen Kokainentzug erlebt...!

Ich hatte gerade dazu angesetzt, John zum wiederholten Mal erklären, wieso es durchaus einen Sinn ergeben konnte, dass bei Cluedo Täter und Opfer identisch sind – es gab da sogar mehrere Möglichkeiten – etwa, wenn jemand Selbstmord beging, und es so aussehen ließ, als sei es Mord und den Verdacht auf seinen Feind lenkte – etwa, indem er den Revolver an einem langen Gummischlauch befestigte, so dass der nach dem tödlichen Schuss in den Kamin hinaufgezogen würde** – oder auch wenn das Opfer bloß zum Schein Selbstmord beging – was mit den begrenzten Möglichkeiten von Cluedo allerdings schwierig wäre... , als mich ein Klingeln davor bewahrte, Andeutungen zu machen, die später vielleicht hinderlich geworden wären.

Ich trug John auf, unseren Klienten zu empfangen, während ich meine Garderobe komplettierte.

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(Das bedrohliche Zitat stammt natürlich aus STAR TREK Into Darkness - und ist mehr ein Gag...)

Die ursprüngliche Idee einen Selbstmord wie Mord aussehen zu lassen, stammt aus
THE PROBLEM OF THOR BRIDGE,

die Variante mit dem Gummischlauch aus CSI - den Tätern auf der Spur, Meisterdetektive (05/11)