Drops of Jupiter
Schluck auf Schluck, die Kehle hinab und auf direktem Wege ab in die Blutbahn. Schon das vierte Bier am heutigen Abend und wenn er es recht bedachte, sollte er seinen Durst langsam aber sicher zügeln.
Andererseits bedeutete weniger Alkohol auch weniger Spaß. Nicht, dass es nicht ohne ging aber grade in einem derartigen Etablissement war man doch darauf angewiesen, dass man die eigene Hemmschwelle mittels Likör, Kurzen, Bier und gegebenenfalls auch Duftwässerchen herabzusetzen wusste. Und heute wusste er ganz genau wie! Und die anderen anscheinend auch, wenn er daran dachte, dass der Lautstärkepegel an ihrem Tisch den Lärm aus den circa ein halbes Jahrhundert alten Jugendboxen von Zeit zu Zeit gut und gerne um das anderthalbfache übertönte.
Und zwar ganz genau das anderthalbfache – da war er sich ganz, ganz sicher!
Das Grinsen von einem Ohr zum andern breit gezogen ließ er Jenrya passieren und sich selbst zurück auf die Bank fallen. Der Platz am Rand, bei nächster Gelegenheit sollte er vielleicht mehr ins Zentrum ihrer kleinen Versammlung rücken. Allerdings käme er dann nicht mehr in den Genuss des uneingeschränkten Bühnenblicks und wer wusste schon wie die Akustik zwei Meter weiter links beschaffen war. Wär doch schade um all die schrägen Töne.
„Now that she's back in the atmosphere
with drops of Jupiter in her hair
she acts like summer and walks like rain
reminds me that there's a time to change
since the return from her stay on the moon
she listens like spring and she talks like June
But tell me did you sail across the sun did you make it to the milky way
to see the lights all fading and that heaven is overrated
tell me did you fall for a shooting star one without a permanent scar
and did you miss me while you were looking for yourself out there!"
Zugegeben, im Vergleich zu Shuichon war Juri ein ganz anderes Kaliber und trotzdem gelang es auch ihr nicht mehr als ein Paar läppscher Noten zu treffen. Ein Schmunzeln und einen weiteren tiefen Schluck aus der grünen Pulle später war er bereits wieder dabei den Text lautstark mitzugröhlen. Zumindest soweit er ihm bekannt- berichtige: im Gedächtnis geblieben war. Wenigstens klang es besser als beim großen Rest der Jungs. Hoffte er zumindest. Wer konnte bei 1,x Promille im Blut schon noch mit gutem Gewissen sagen wer von ihnen hier grade den Vogel nicht nur ab sondern direkt in die Hölle schoss!
Der junge Mann ihm gegenüber schien jedenfalls ein geeigneter Kandidat zu sein. Kenta trug mittlerweile sogar die an seine Sehschwäche angepasste Porschebrille mit der er bereits heute Mittag vergeblich versucht hatte Tom Cruise aka Maverick das Wasser zu reichen. Man, Top Gun war aber auch ein genialer Film! Unbedingt mal wieder anschaun, schrieb er sich hinter die Ohren und ließ seinen Blick wieder zur Bühne zurück schwenken.
Wow, Juri legte sich ja ganz schön ins Zeug – oder gab es andere Gründe, dass sie vor seinen Augen gradezu hin und her zu fallen schien?
„Now that she's back from that soul vacation
tracing her way through the constellation
she checks out Mozart while she does Tae-Bo
reminds me that there's room to grow
now that she's back in my atmosphere
I'm afraid that she might think of me as plain old Jane
told a story 'bout a man who is too afraid to fly so he never did land
But tell me did the winds sweep you off your feet
did you finally get the chance to dance along the light of day
and head back to the Milky Way
but tell me did Venus blow your mind was it everything you wanted to find
and did you miss me while you were looking for yourself out there!"
„Out there!" Leicht zeitverzögert, aber immerhin textsicher und in annehmbarer Tonlage, den toten Vogel konnten Kenta, Kazu und die anderen also unter sich ausmachen. Den Blick durch die Runde gleiten lassend ging er in Gedanken noch mal die letzten Stunden durch und kam zu einer erstaunlichen Erkenntnis. Es waren ja bereits fünf! Die pisswarme Dosenbrühe die Kazu ihm vor dem Kino in die Hand gedrückt hatte war ihm doch glatt entfallen. Ob das wohl dieselbe unbewusste Verdrängung war mit der er die Erinnerungen an den Film den sie angesehen hatten aus seinem Hirn getilgt hatte?
So mit sich selbst beschäftigt bekam er Shuichons zigsten Versuch quer über den Tisch einen Schluck aus dem Glas ihres Bruders zu stibitzen nur peripher mit. Als ob es nicht viel leichter gewesen wäre sich einfach an einer der halbvollen Flaschen gütlich zu tun. Ebenso entging ihm Takatos bereits gläsernen Blick der – obwohl trübe und müde – unermüdlich zwischen Juris nur spärlich bedeckten Beinen und großzügig gestopften Brüsten hin und her wanderte. Sein Blick sank auf den kleinen runden Tisch, an den sie sich vor wusste Gott wie vielen Stunden zu acht gedrängt und gequetscht hatten und der jetzt unter einem Haufen leerer Flaschen, Gläser und zerstückelter Bierdeckel- und Etiketten verschwunden war.
Sie hatten also einen dieser übernervösen, hyperaktiven und unter Aufmerksamkeitsdefiziten leidenden Piddeler dabei!
„Can you imagine no love pride deep-fried chicken
your best friend always sticking up for you even when I know you're wrong
can you imagine no first dance freez-dried romance
five-hour phone conversation the best soy latte that you ever had and me
But tell me did the wind sweep you off your feet
did you finally get the chance to dance along the light of day
and head back toward the Milky Way and tell me did you sail across the sun
did you make it through the Milky way to see the lights are faded
and that heaven is overrated
tell me did you fall for a shooting star one without a permanent scar
and did you miss me while you were looking for youself!"
Noch konnte er nicht mit Gewissheit sagen ob es nun Shuichon oder Kenta war der ihren Tisch derart verunstaltet hatte aber er würde schon noch herausfinden wer hier seine hübschen Heineken misshandelte. Vergewaltigte! Auch wenn das vielleicht ein bisschen zu dick aufgetragen war.
Es gab ja nun wirklich nicht viel das ihn auf die Palme brachte aber wenn er schon einmal betrunken war konnte er ja auch seine nicht ganz so sanften Seiten rauslassen und ein wenig mit ihnen über den Tisch flanieren.
Welch Glück, dass just in diesem Augenblick Jenryas milchweiße Hand vor seinen Augen aufgetaucht war. „Leer?" Es ging also auch ohne große Worte. Ein kurzes Nicken und einmal aufstehen- und wieder hinsetzten später war besagter Blauschopf auch schon in Richtung Theke verschwunden.
Er ergriff prompt die dargebotene Gelegenheit um einen Platz ins Zentrum aufzurücken. Mit so viel Bank unter dem Arsch saß es sich doch schon gleich viel angenehmer als auf der beschissenen Kannte.
Den Ärger über die verunstalteten Flaschen vergessend und mit sich selbst zufrieden ließ er sich ein gutes Stück zurücksinken, griff nach der auf dem Tisch stehenden Bierflasche.
„And did you finally get the chance to dance along the light of day!"
Und nun alle im Chor, lautstark brüllend während er das geliebte Kleinod schon fast in den eigenen Händen hielt. Ein großer Schluck und er könnte zur Nummer sechs über gehen!
„And did you fall for a shooting star, fall for a shooting star!"
Schließlich fiel auch er mit ein, das altbekannte Grinsen so lange auf den Lippen bis der stechende Schmerz in seinem Handrücken sich zu seinem Hirn durchgekämpft hatte.
„And are you only looking for yourself out there!"
Wer zum Teufel hatte ihn denn geschlagen? „Flossen weg Akiyama, das ist mein Bier!"
