Against All Odds - Allen Widrigkeiten Zum Trotz

A/N: Die Geschichte ist fertig geschrieben, ich muss die Kapitel nur noch Korrekturlesen.

Kapitel 1

Seit Stunden saß er, äußerlich ruhig, auf dem unbequemen Plastikstuhl. Immer wieder suchte Johns Blick die bleiche Gestalt unter den weißen Laken, die über Schläuche mit Sauerstoff und Medikamenten versorgt wurde. Ein Monitor piepte und blinkte unaufhörlich und zeigte seine Vitalwerte an, ansonsten wurde die Stille in dem Raum nur durch das regelmäßige pumpen der Blutdruckmanschette an Sherlocks Arm unterbrochen.

Rot-orange Vorhänge filterten die ersten Strahlen der Morgensonne und ließen das Zimmer freundlich und luftig erscheinen, aber keiner der beiden Männer nahm davon etwas wahr.

Geistesabwesend zeichnete John mit seinem Daumen kleine Kreise auf Sherlocks Handrücken. Irgendwann in den letzten Stunden hatte er die Hand mit den langen, schlanken Fingern in seine genommen und hielt sie seitdem vorsichtig fest, immer darauf bedacht den gelegten Zugang nicht zu berühren.

Es fiel John immer noch schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Als er Sherlock gefunden hatte, blutend, bewusstlos, mit einer Kugel im Körper, hatte er einfach nur reagiert und funktioniert. Schließlich war er Armeearzt und für genau solche Krisensituationen ausgebildet worden. Der Notarzt war erstaunlich schnell vor Ort gewesen, trotzdem hätten sie ihn fast verloren. Einen Moment lang war Sherlock weg gewesen, tot.

Der Schock kam erst später, als der Chirurg nach der OP mit Mycroft und ihm gesprochen hatte, ihnen gesagt hatte, wie knapp es gewesen war und dass Sherlock noch nicht über den Berg sei, dass die nächsten Stunden entscheidend wären.

Also wartete John. Wartete, dass Sherlock aufwachte. Wartete, dass sein Leben weiterging.

Er hatte Mary eine SMS geschickt und ihr mitgeteilt, dass jemand auf Sherlock geschossen hatte und er erst mal bei ihm im Krankenhaus bleiben würde. Ihre Antwort kam umgehend, was ihn etwas gewundert hatte, denn normalerweise hatte sie ihr Handy nachts stumm geschaltet und schlief wie ein Stein, besonders in den letzten Wochen, wahrscheinlich ein Nebeneffekt der Schwangerschaft. Auf jeden Fall wusste sie Bescheid und würde ihn am Morgen in der Klinik entschuldigen, danach wollte sie so schnell wie möglich zu ihm ins Krankenhaus kommen.

Blinzelnd sah John auf die Wanduhr und dann auf seine Armbanduhr, knapp neun Stunden waren seit dem Schuss vergangen. Er gähnte, seine Augen fielen ihm zu und er rieb sie mit der freien Hand. Vom langen sitzen war er steif geworden, sein Rücken, sein verdammtes Bein und seine Schulter schmerzten und er überlegte, ob er aufstehen und sich etwas strecken und dehnen sollte, aber dann hätte er Sherlocks Hand loslassen müssen, und aus irgendeinem Grund schien ihm das nicht akzeptabel.

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Das erste was Sherlock wahrnahm waren warme Finger, die seine Hand umschlossen. Wessen Hand war das? Janine? Nein, wohl kaum, sie würde inzwischen über seine Beweggründe für ihr Verhältnis Bescheid wissen und wäre bestimmt nicht in der Stimmung Händchen zu halten. Aber wer dann?

Sherlocks Hand zuckte unwillkürlich. Eine Männerhand, aber trotzdem nicht grob oder plump, die Hand eines – Chirurgen? John. - - - Mary!

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Gebannt starrte John auf die Hand, die in seiner lag. Hatte Sherlock sich wirklich gerade bewegt, oder hatte er sich das nur eingebildet? Wieder zuckten Sherlocks Finger, tasteten dann nach Johns Hand, die er vorsichtig zurückgezogen hatte.

„Mary." Es war nur ein Hauch, kaum zu verstehen. Automatisch glitt Johns Hand wieder in ihre vorherige Position.

„Sherlock, ich bin hier." Besorgt betrachtet John Sherlocks Gesicht aus dem ihn zwei weit aufgerissene Augen, wie es ihm vorkam, erleichtert anstarrten. „John." Diesmal etwas lauter, die raue Stimme angestrengt.

„Shhhh, sprich jetzt nicht." John war aufgestanden und hielt ihm vorsichtig ein Glas Wasser mit einem Strohhalm hin, so dass Sherlock etwas trinken konnte. Als er sich wieder setzte folgten ihm Sherlocks Augen und seine Finger zuckten auf den Laken. Ganz langsam nahm John Sherlocks Hand wieder in seine und drückte sie leicht. Ein kleines Lächeln stahl sich auf Johns Gesicht, als Sherlock den Druck erwiderte bevor seine Lider sich wieder schlossen.

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Als er das nächste Mal aufwachte erlebte Sherlock einen kurzen Moment der Panik. Es war dunkel und Johns Hand war verschwunden. Dann erst wurde ihm bewusst, dass er die Augen noch geschlossen hatte. John saß in seinem Stuhl neben dem Bett, den Kopf auf eine Hand gestützt, und schien zu schlafen. Als Sherlock sich regte, hob er den Kopf, blinzelte ein paar Mal und lächelte ihn dann an. „Hallo."

Sherlock hustete, sein Hals und sein Oberkörper schmerzten und er hatte Durst, und trotzdem schlich sich ein schiefes Lächeln auf sein Gesicht.

„Trink noch einen Schluck." John schob ihm den Strohhalm zwischen die Lippen. Einen Moment später fielen Sherlock die Augen wieder zu.

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Eindringlich geflüsterte Worte an seinem Ohr, sein Name, und immer wieder der gleiche Satz. „Du sagst es ihm nicht. Hast du verstanden, Sherlock? Du wirst es John nicht sagen."

Sherlock blinzelte. Natürlich, Mary. Dann ging die Tür auf und John kam herein, Sherlock schloss erleichtert die Augen und fiel erneut in einen tiefen Schlaf.

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Durch den Morphin-Dunst der Schmerzmittel nahm Sherlock alles nur verschwommen wahr, auch dass die Schwester ihn mit einem feuchten Tuch vorsichtig wusch. Aber es war angenehm, denn John hielt ihn fest, während die Schwester seinen Rücken abrieb. Den Kopf an Johns Brust geschmiegt döste Sherlock wieder weg und verpasste Johns schockiertes Gesicht, der scharf die Luft einsog, als er das erste Mal die vielen Narben auf Sherlocks Rücken sah.

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Es dauerte einige Tage bis Sherlock wieder voll bei Bewusstsein war. Die Schmerzmittel auf Morphium-Basis dämpften allerdings seine Wahrnehmung und machten ihn langsam, Sherlock hasste das.

Irgendetwas war mit John, er benahm sich seltsam, wirkte die ganze Zeit angespannt und vermied direkten Blickkontakt. Wusste er von Mary? Was sie getan hatte? Nein, dann hätte er anders reagiert. Aber was war es dann? Es machte Sherlock wahnsinnig, dass er keine Ahnung hatte, was vor sich ging.

Janine war da gewesen und sie hatten sich ausgesprochen. Wenn sie ihm verziehen hatte, konnte John doch wohl nicht mehr wegen der vorgetäuschten Verlobung sauer auf ihn sein.

Sherlock fuhr das Kopfteil des Bettes etwas höher, um einen besseren Blick auf John zu haben, der auf einem Stuhl am Fußende saß und ein Buch las. Jedenfalls tat er so, denn seit mindestens 30 Minuten hatte er nicht mehr umgeblättert.

„John, du starrst noch ein Loch in die Seite." Erschrocken zuckte der Doktor zusammen.

„Tut mir leid, ich war mit den Gedanken woanders. Was hast du gesagt?"

„Was ist los mit dir?"

„Nichts ist los. Was soll denn sein? Nur weil ich mal etwas - "

„John, du starrst schon den ganzen Morgen auf dieses Buch und in der letzten halben Stunde hast du nicht ein Mal umgeblättert. Offensichtlich gibt es etwas wichtigeres, über das du nachdenkst. Was?"

Wütend knallte John das Buch zu. „Es ist – " setzte er, viel zu laut, an, brach dann ab und atmete einmal tief ein und aus, bevor er nochmal anfing, diesmal in Zimmerlautstärke. „Es ist gar nichts", presste er durch zusammengebissene Zähne heraus und schloss kurz die Augen, um sich zu sammeln.

Sherlock beobachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen, aber er kam einfach nicht dahinter, warum John so erregt war. „Wie lange planst du eigentlich noch hier zu campieren?" versuchte er ihn aus der Reserve zu locken. Die Atmosphäre in dem kleinen Raum war sowieso schon aufgeladen mit unausgesprochenen Emotionen und Sherlocks Frage trug nicht grade zur Entspannung der Situation bei.

„Wieso, störe ich dich?" Unsicherheit mischte sich in die harsche Frage. John wusste nicht mehr, auf wen er eigentlich so wütend war. Am liebsten würde er Sherlock am Kragen packen und durchschütteln und ihn fragen, warum er ihm nichts von den Narben erzählt hat. Narben die von Folter und Misshandlungen sprachen, tief in Sherlocks Körper und Geist geätzt, und jetzt auch in Johns Innerstes. Sherlock schnaubte nur statt einer Antwort und die angespannte Stille, die seit Tagen zwischen ihnen lag, breitete sich wieder aus.

„Du hast mir nie erzählt, was wirklich in den zwei Jahren passiert ist." Vorsichtig hob John den Kopf und sah Sherlock direkt in die Augen. Er vertraut mir nicht, er verheimlicht mir etwas. Was? Warum?

Langsam dämmerte die Erkenntnis in Sherlocks Blick. „Du hast die Narben gesehen." Keine Frage, eine Feststellung. Sherlocks Gesicht war eine leere Maske, ließ nichts nach außen dringen.

„Warum hast du nichts davon erzählt?"

„Was hätte das geändert? Gar nichts. Wozu sollte das also gut sein?"

„Sherlock, ich bin dein Freund. Ich dachte – " John brach resigniert ab. Er wusste einfach nicht mehr, was er sich gedacht hatte. Dass Freunde füreinander da sein sollten? Sich vertrauen sollten? Das hatten sie schon mal, nicht wahr? ‚Allein ist was ich hab, allein beschützt mich' dröhnte es in seinem Kopf und John versuchte einen Schauer zu unterdrücken.

Schweigen legte sich erneut wie eine schwere Decke über den Raum. Sherlock hatte offenbar beschlossen, ihn zu ignorieren und lag mit geschlossenen Augen und versteinertem Gesicht im Bett. Unbehaglich rutschte John auf seinem Stuhl hin und her. Er war nervös und konnte sich nicht auf das Buch in seinen Händen konzentrieren bis ihm klar wurde, dass es zumindest teilweise daran lag, dass er seit Tagen mehr oder weniger nur herumgesessen hatte. Das Krankenzimmer hatte er nur verlassen, um sich frisch zu machen oder sich etwas zu essen oder einen Kaffee zu holen, und auch das nur, wenn Sherlock anderen Besuch hatte. Er konnte nicht sagen warum, aber er wollte Sherlock keinen Moment alleine lassen.

Es war albern, das wusste John. Sherlock wurde hervorragend versorgt, die Ärzte waren mit seinem Heilungsprozess zufrieden und Sherlock selbst benahm sich erstaunlich gut. Vielleicht war es gerade das, denn Sherlock war geradezu unheimlich zahm. Sein ungutes Gefühl bestätigte sich nur allzu bald. Nach einem kurzen Spaziergang, bei dem er Lestrade aufgegabelt hatte, fanden sie lediglich ein leeres Zimmer und ein offenes Fenster vor. Sherlock war verschwunden.