Es war ein kühler Tag. Zumindest kühler als die vielen anderen davor. Oder es erschien ihr auch nur so. Auf jeden Fall fror sie.
Die Bäume bewegten sich im leichten Wind, der schon den gesamten Morgen über wehte. Und er machte nichts besser. Auch er konnte den Schmerz, den sie fühlte, nicht mit sich nehmen. Obwohl sie es sich so sehr wünschte.
Es war merkwürdig. Sie erinnerte sich daran, vor noch gar nicht all zu langer Zeit – war es gestern gewesen – gemeinsam mit ihm in der Kantine gesessen zu haben. Es war eines der belanglosen Gespräche, welche die beiden derzeit öfters führten. Doch schon zu dem Zeitpunkt wirkte sie angespannt. Ob sie gespürt hatte, dass so etwas geschehen würde? Hatte sie gespürt, dass es das letzte Gespräch sein würde?
Nein, dachte sie bestimmend. Das wäre zu suspekt.
Eine neue Windböe fegte durch die Gegend und ließ sie erneut frösteln. Sie verschränkte ihre Arme und drückte sie fest gegen den Körper.
Warum musste das gerade jetzt passieren? Wieso ausgerechnet jetzt? Und wieso er?
Sie hatte den gesamten Morgen damit verbracht, eine Antwort auf diese Fragen zu bekommen. Und tief im Inneren hoffte sie, es wäre einfach nur ein böser Traum. Und sie würde jederzeit daraus erwachen.
Sie sammelte sich und atmete tief durch.
Nein, es war kein Traum. Schmerzlich erinnerte sie sich daran, was geschehen war.
Dabei hatte sie doch alles getan, um es zu verhindern. Hatte um sein Leben gekämpft. Hatte nicht aufgegeben.
Warum also musste es dennoch so kommen?
Wer hatte bestimmt, dass es schon Zeit dafür gewesen war? Wer hatte entschieden, dass diese Wochen, die sie gemeinsam mit ihm verbracht hatte, gereicht haben.
Erneut schüttelte sie diese Gedanken ab. Was konnte sie jetzt noch tun? Es war zu spät um etwas zu tun. Er hatte den Kampf verloren. Und sie hatte ihn verloren.
Sie drehte sich um. Starrte auf das Land hinter sich.
Einige ihrer Haare lösten sich aus dem Zopf, den sie sich gemacht hatte und wehten ihr ins Gesicht. Sie strich sie vorsichtig bei Seite.
Dann drehte sie sich wieder um und kniete sich schließlich nieder. Richtete ihren Blick auf das, was vor ihr lag. Starrte auf den massiven Stein vor sich. Auf die Buchstaben, die darin eingeritzt waren. Sie streckte ihre Hand aus und fuhr mit ihren Fingern langsam den Namen, der dort eingemeißelt war, nach.
„Nein, ich werde dich nicht vergessen.", flüsterte sie. „Niemals."
Sie spürte, wie eine Träne in ihrem Auge brannte und versuchte, weitere zu unterdrücken.
Bis jetzt hatte sie es auch geschafft, stark zu bleiben. Nicht mal während der Beerdigung hatte sie eine Träne vergießen können. Denn sie wusste, dass die anderen es nicht verstehen würden. Niemand hatte es geahnt. Keiner hatte davon gewusst.
Beide hatten sich damals dafür entschieden, es ein Geheimnis bleiben zu lassen, bis es einen geeigneten Augenblick gegeben hätte.
Und nun...nun würde es diesen Augenblick niemals geben.
„Ich habe dich geliebt.", sagte sie. „Wenn auch nur für eine kurze Zeit, aber ich habe dich geliebt."
Sie zog ihre Hand zurück und ließ sie unter ihrem Ärmel verschwinden. Dann erhob sie sich wieder.
Es war Zeit, wieder zurückzugehen. Zurück nach Atlantis. Zu den anderen. Sie hatte immerhin einen Job zu tun. Und auch wenn sie für diesen Moment das Vertrauen in ihr Können verloren hatte...sie wusste, dass er ihr keine Vorhaltungen machen würde. Er würde wissen, dass sie alles getan hatte, um ihn zu retten.
Und so ging sie, ihren Tränen endlich freien Lauf lassend.
Ende
