Step by Step – Mit kleinen Schritten zum Glück

Geschwisterstreit

Teil 01/?

Autoren: Suka & Yamica

P-18 Slash

Inhalt:

Die Schlacht der fünf Heere ist überstanden, doch sie hat Spuren auf allen Beteiligten hinterlassen. Selbst die sonst so unzertrennlichen Brüder Fíli und Kíli sind sich zurzeit nicht mehr wohl gesonnen. Ein Umstand den Thorin mit einem kleinen Jagdausflug unter Männern zu ändern versucht. Doch auf der Reise kommt es zu einem Unfall, der die Brüder fortan zwingt wieder zusammen zu halten.

Warnung:

[slash][ooc][fluff]

Disclaimer:

Gehört alles nicht uns und wir verdienen keinen Cent damit!


Thorin hatte genug. Er hatte ein Königreich zu führen! Und er kam nicht dazu, weil seine beiden Neffen sich gerade ständig in den Haaren lagen, wie kleine Kinder. Dabei waren sie gestandene Krieger, hatten Schlachten geschlagen und überlebt. Nun schienen sie sich in einer regressiven Phase zu befinden und zankten sich, wie früher als Zwerglinge. Und seine Schwester hielt ihm immer wieder unter die Nase, dass er ein männliches Machtwort sprechen sollte.

Um in Ruhe sprechen zu können, entschied sich Thorin eine Auszeit zu nehmen und mit den beiden Jungs einen Jagdausflug zu unternehmen.

Zu seiner Freude, waren die beiden begeistert und guter Dinge und er hoffte schon auf einen gemütlichen Ausflug in die Wildnis.

Dass er sich zu früh gefreut hatte, bemerkte er recht schnell. Schon bei der Auswahl der Ausrüstung herrschte rege Uneinigkeit zwischen den Geschwistern. Sei es die Wahl der Kleidung, die Menge des Proviants oder die Anzahl der Waffen. Wobei er schnell feststellte, dass wohl Fíli der eigentliche Problempol war. Der junge Thronerbe schien zunehmend aus jeder kleinen Frage eine Wissenschaft zu machen. "Nein, ich nehme nicht den Sommermantel mit! Auch nicht wenn wir Sommer haben. Es könnte regnen.", "Wir sollten drei Laibe Brot mitnehmen. Was wenn wir nicht genug Wild finden?", "Kíli, zum letzten Mal! Nimm dein Schwert und deine Streitaxt mit. Nur mit deinem Bogen wirst du nichts gegen Orks ausrichten können, wenn wir angegriffen werden. Und zieh dir was Längeres an! Bessere deine Sohlen aus, die sind schon stark durchgelaufen! Du solltest lieber Bungo nehmen. Raven ist zu groß für dich!" So ging das anscheinend in einer Tour.

Kíli verdrehte die Augen in einem Fort und tat so ziemlich immer genau das Gegenteil von dem, was sein grosser Bruder sagte. Statt einer Axt packte er noch mehr Pfeile ein und einen zweiten Bogen. Und als Bekleidung entschied er sich für die leichte Jagdausrüstung und gerademal einen Umhang, falls es wirklich regnen sollte. Bei den Ponys aber übertrieb er es und liess die Stuten und Wallache gleich mal links liegen und wand sich einem der jungen Hengste zu. "Wir zwei werden uns schon verstehen nicht wahr, Donner?"

Als Thorin in den Stall kam, wo einer der Burschen bereits seine geliebte Minty gesattelt hatte, sah er die beiden Jungs schon wieder diskutieren. Das ignorierend, führte er sein Pony nach draussen und erwartete, dass Fíli und Kíli ihm folgten, was diese sogar brav taten.

Kíli natürlich mit dem Hengst und Fíli mit Raven und einer Grimasse, für die `verdriesslich´ wohl noch ein Kompliment gewesen wäre. "Wo soll es denn eigentlich hingehen, Onkel?" fragte der Blonde, ignorierte seinen Bruder dabei vollkommen und saß auf.

"Raus!", knurrte Thorin, "Weit weg vom Berg, damit ihr wieder runter kommt."

Für einen Augenblick sah er in den blauen Augen Empörung aufblitzen, dann senkte sein Neffe den Kopf. Fíli war ein begeisterter Krieger, aber was die Jagd anging, da hatte Kíli deutlich mehr Freude dran. Was wohl auch zu einem Großteil daran lag, dass der Jüngere deutlich mehr Jagderfolg hatte als sein älterer Bruder, da er sich das Wild suchen konnte, während der Blonde nur im Gebüsch neben seinen Fallen hockte und zum Warten verdammt war. Ohne genaues Ziel durch die Wildnis zu streifen, war nicht gerade seine liebste Beschäftigung. Doch Fíli war lieber still. Ihm war nicht entgangen, dass Thorins Artikulation ihnen gegenüber auf Knurren und Brummen beschränkt war, was bei dem Zwergenkönig stets ein Ausdruck mangelnder Geduld war.

Fíli wollte die Grenzen lieber nicht zu sehr ausreizen. Das überliess er dem Brünetten. Ohnehin war er mittlerweile fast der Meinung, dass sein Brüderchen mal einen gehörigen Rüffel benötigte. Er übertrieb es zunehmend mit seiner Unaufmerksamkeit. Vielleicht sollte er mal mit Thorin darüber sprechen, wenn sie alleine waren. Als Minty lostrabte, folgten die beiden anderen Ponys ihr einfach. Fíli liess sich etwas zurückfallen, beäugte nur hin und wieder das Gepäck seines Bruders argwöhnisch und seufzte lautlos auf, als er der vielen Pfeile und der Abwesenheit der Axt gewahr wurde.

Kíli war dafür bald bester Laune und plapperte fröhlich vor sich her, was er alles zu jagen gedachte. Thorin hörte ihm mit einem Ohr zu, musste aber innerlich schmunzeln, wie fröhlich der Junge wieder war. Nach der Schlacht der fünf Heere war er ziemlich verstockt gewesen und hatte Wochen nicht mehr gesprochen, als wirklich nötig. Er hatte, wie auch sein Bruder, schwere Verletzungen davon getragen, doch diese waren verheilt, während die Seele einen wohl noch grösseren Schaden davon getragen hatte. Damals war es Fíli gewesen, der wieder zu seinem Bruder durch gedrungen war. Auch ein Grund, warum Thorin nicht verstand, warum die beiden sich nun ständig zofften, standen sie sich eigentlich so nah wie kaum ein Geschwisterpaar. Auch er hatte seinen kleinen Bruder Frerin geliebt, doch niemals waren sie so eng gewesen wie Fíli und Kíli. Er hoffte sehr, dass ein wenig Klartext auf diesem Ausflug helfen würde, die beiden Streithammel wieder zu versöhnen.

Ein Unterfangen, das bald schon auf eine erste Probe gestellt wurde. Gegen Nachmittag, Thorin schätze es knapp nach dem Vesper, zogen dunkle Wolken auf. Sie hatten den Grünwald bereits erreicht, daher bemerkten sie das Unwetter erst, als die ersten Tropfen fielen. Zum Glück war es nur ein kurzer Regenschauer, doch er war stark genug, Kílis Kleidung zu durchdringen. Fíli konnte sich einen Kommentar natürlich nicht verkneifen. "Zum Glück habe ich an meinen dicken Umhang gedacht!", grinste er seinen patschnassen Bruder süffisant an. Nach einem kurzen Moment, indem sich die beiden ein Blickduell lieferten, gab der Ältere aber schließlich wider nach. "Sollten wir nicht langsam ein Lager aufschlagen? Es wird auch bald dunkler."

Thorin sah sich um und nach ein paar Minuten entdeckte er eine Felsformation. "Darunter finden wir Schutz und können ein Feuer machen.", meinte er und ritt hinüber. Den Ponys war der Regen ziemlich egal, ihr dichtes, zotteliges Fell schützte sie perfekt und da es nicht mal besonders kühl war, war es für sie angenehmer als die Sonne. Nur die Zwerge fanden es nicht so toll und unter dem Hang angekommen schüttelte sich Kíli wie ein junger Hund.

"Hey!", echauffierte sich augenblicklich der Blonde, "Herzlichen Dank! Was glaubst du eigentlich, warum ich einen dicken Umhang angezogen habe? Damit du mich jetzt nass spritzt? Geh lieber Feuerholz suchen. Mehr durchweichen kannst du eh nicht."

Sauer stapfte er ein ganzes Stück von seinem Bruder weg und breitete seinen nassen Mantel an der Felswand aus, damit er etwa trocknen konnte.

"Spinnst du? So hol ich mir noch den Tod. Kannst ja mit deinem Supermantel da raus und Feuerholz holen", keifte der Jüngere sofort zurück.

"Pah! Du hättest ja nur auf mich hören müssen! Dann würdest du jetzt nicht aussehen wie ein begossener Elb. Und obendrein stinkst du auch noch, wie ein nasser Warg!"

"Grrrr...", kam es von dem Braunhaarigen. Irgendwann würde er handgreiflich werden, wenn das nicht bald besser würde. Das ahnte auch Thorin und ging dazwischen, um jeden an ein Ende des Vorsprungs zu verdonnern und dann höchstpersönlich Feuerholz zu suchen, was nicht ganz einfach war, nun, wo alles nass war.

Mpf... Wieso ergriff Thorin immer für den Jüngeren Partei? Er wusste doch, dass Fíli im Recht war. Gut, genau genommen hatte er nicht wirklich eine Seite unterstützt, sondern beide gleichsam zu Recht gewiesen, aber das übersah der Ältere einfach mal großzügig. Er war im Recht und es schlug ihm noch viel mehr aufs Gemüt, dass er von Thorin nicht auch Zustimmung erhielt. Und daran war nur Kíli schuld! Er hatte ihren Onkel schon immer leichter um den Finger wickeln können. Schon als sie noch Zwerglinge waren.

"Vater hätte mir Recht gegeben!", murrte Fíli in seinen Bart und blickte verbittert nach draussen in den Regen.

Die ständigen Streitereien mit Kíli zerrten an seinen Nerven. Er meinte es doch nur gut. Er hatte ihn schon mehr als einmal fast verloren, physisch wie psychisch. Die große Schlacht um den Erebor war schlimm gewesen, doch wirklich grauenhaft, war der Zustand in den der Krieg seinen geliebten kleinen Bruder versetzt hatte. Es war anstrengend und aufreibend ihn da raus zu holen. Und alle waren froh, dass er es geschafft hatte, doch keiner hatte gesehen, was das mit ihm gemacht hatte. Welche Verletzungen er davon getragen hatte. Seine Augen brannten. Mit der Zeit hatten seine seelischen Verletzungen angefangen sich zu entzünden, hatten sich zu Verbitterung und Wut gewandelt. Eine Wut, die er zunehmend nicht mehr kontrollieren konnte und die sich immer öfter ihren Weg an die Oberfläche suchte. Wie das Feuer des Schicksalsberges, dass den Nachthimmel im Süden immer wieder bedrohlich aufglühen lies.

Thorin versuchte sein Bestes die beiden irgendwie versöhnlich zu stimmen. Abends, als endlich ein gemütliches Feuer brannte, versuchte er sie mit Geschichten aus ihrer Kindheit daran zu erinnern, wie viel sie einander bedeuteten. Die beiden nickten zwar immer wieder artig, doch wirkliche Erkenntnis konnte Thorin weder im Blick des einen, noch in dem des anderen sehen. Seufzend schickte er sie schliesslich schlafen und würde selber die Wache übernehmen. Trotz der gewonnenen Schlacht traute Thorin dem Frieden nicht und er wollte nicht riskieren von einem verirrten Ork im Schlaf erschlagen zu werden.

Dementsprechend murrig war er am Morgen und sogar Plappermaul Kíli hielt lieber die Klappe, als er die dunklen Ränder unter Thorins Augen bemerkte.

Fíli hingegen war ein wenig versöhnlicher gestimmt. Er hatte gut geschlafen, da seine Kleider schnell an dem warmen Feuer getrocknet waren, und saß nun sogar neben Kíli ohne ihm schräge Blicke zu zuwerfen oder irgendwas herum zu kritteln. "Morgen", grüßte er seinen Onkel freundlich, als der sich ans Feuer gesellte, "Ich mach mal Frühstück", setzte er zaghaft hinterher, als ihn sofort ein mahnender, müder Blick traf. Viel hatten sie ja nicht. Doch er konnte das Brot anbrechen und von dem geräucherten Schinken großzügige Stücke abschneiden, von denen er das größte seinem Onkel reichte und sich selbst das kleinste nahm. "Hier", meinte er zu seinem Bruder, als er ihm seinen Trinkbecher reichte. Er hatte mal wieder sehr wohl mitbekommen, dass Kíli an jede Form der Pfeilspitze gedacht hatte, nur nicht an solch elementare Sachen wie Geschirr.

Kíli sah ihn ganz erstaunt an und beäugte den Inhalt des Bechers. Dann aber erhellte ein Lächeln sein Gesicht und er nahm den Becher dankend an. Sooft sich die beiden auch stritten, am Ende blieben sie Brüder und konnte doch nicht ohne einander.

Der Morgen verlief friedlich, ohne weitere Zwischenfälle. Die Brüder gönnten ihrem Onkel noch eine Mütze voll Schlaf, damit er nicht den ganzen Tag so muffelig blieb. In der Zwischenzeit erkundeten sie die Gegend. "Ich glaube die Quellen sind unser Ziel. Oder was meinst du?", fragte der Ältere und betrachtete nachdenklich die Umgebung. Das Nebelgebirge ragte, trotz der enormen Entfernung, majestätisch zwischen den Wipfeln der Bäume empor.

"Quellen sind beliebt beim Wild", meinte Kíli zufrieden nickend.

"Ja. Aber das sind noch mal gut vier Stunden Ritt. Wir sollten Thorin wecken. Sonst grummelt er uns an, weil wir ihn haben schlafen lassen."

"Er ist genauso ein Morgenmuffel wie du", lachte Kíli, "Ich komme da zum Glück nach Mutter."

"Dafür kommst du in so gut wie jedem anderen Charakterzug nach ihm. Von der Besonnenheit des Herrschers mal abgesehen", knuffte ihn Fíli an, während er hinter seinem Bruder zurück zu ihrem Lager stapfte.

"Du meinst also ich bin majestätisch, würdevoll und der geborene König."

"Nein, ich meine du bist dickköpfig, impulsiv und machst dir mit Vorliebe Feinde unter den Elben. Und auf einen vernünftigen Rat hören, bereitet dir fast körperliche Schmerzen!"

Kíli begann zu prusten. "Lass das Thorin nie hören."

Fíli grinste. "Ich frage mich, ob er schon als Kind so war. Ich meine, er kann ja nicht mit einem solch griesgrämigen Gesicht auf die Welt gekommen sein. Von Mutter hört man auch nur ab und zu eine kleine Geschichte und die ist meistens nur dazu da, um uns zu Recht zuweisen. Ich wette er war genauso anstrengend wie wir und sie geben es nur nicht zu. Er war bestimmt eine absolute Landplage!"

"Jeder war mal ein süsses, kleines Kind. Laut Balin ja sogar sein Bruder. Er besteht darauf, dass Dwalin ein süsses Kind gewesen sei, mit rosigen Pausbäckchen."

Fíli brach in schallendes Gelächter aus. Krampfhaft hielt er sich den Bauch, musste sogar stehen bleiben, sonst hätte ihn sein Lachen zu Boden geschickt.

"Stellst du dir gerade einen Zwergling mit Glatze vor?"

"Nein", gluckste er und wischte sich die Tränen weg, "Aber einen gestandenen Zwerg mit Pausbäckchen. Die Orks würden sich reihenweise todlachen."

"Fee, wir sollten zurück. Ich glaube, Thorin ist wach."

"Ja, komme schon."

Das Lager war eh nur noch eine Biegung weiter. Nebenbei sammelten sie noch die Ponys ein, die es sich nicht hatten nehmen lassen, den Unterschlupf zu verlassen und nun friedlich in der Nähe grasten.

Thorin sah die beiden bereits wach und schon fertig mit Packen an. "Wo habt ihr euch denn rum getrieben?"

"Waren nur ein Stück im Wald. In der Nähe ist ein kleiner Bach, direkt am Wegesrand. Reiten wir zu den Quellen? Der Tag wird bestimmt heiß. Die Tiere werden sich im Schatten und in die Nähe von Wasser zurück ziehen", fragte Fíli, während er schnell seinen Mantel und die Decke schnappte und sie hinter seinem Sattel befestigte.

"Können wir machen", stimmte Thorin brummend zu.

Nickend sah Fíli zu Kíli, saß auf und lenkte Raven neben Donner.

"Hat wohl nicht viel gebracht, der Schlaf", flüsterte er seinem kleinen Bruder zu.

"Nein, er ist einfach so."

"Mh."

Den restlichen Weg legten sie eher schweigend zurück. Fíli sollte Recht behalten. Über den Tag wurde es zunehmend wärmer. Die Schwüle kroch ihnen bald unter die Mäntel und in die Kleider. Auch die Ponys waren davon alles andere als begeistert. Durchgeschwitzt kamen sie am frühen Mittag an den Quellen an. Eine fast kreisrunde Lichtung bot ihnen einen guten Lagerungsort, zumal hier ein leichter Zug den Dunst auffrischte. Fíli hielt seine Nase in den Wind, verzog gleich darauf das Gesicht.

"Brüderchen, du duftest jetzt nicht mehr nach nassem Warg. Es hat sich zu verschwitztem Warg gewandelt", grinste er den Braunhaarigen an und steckte ihm spielerisch die Zunge raus.

"Dann riech eben wo anders", murrte Kíli und schulterte seinen Bogen.

Fíli verdrehte die Augen und wand sich ab. Man, so hatte er es doch gar nicht gemeint. Sorgsam nahm er sein Gepäck ab und wickelte seine Fallen aus, überprüfte die Gelenkigkeit. Immerhin bestanden seine Fallen aus Metall, das sich mit Wasser bekanntlich nicht gut vertrug. Er hatte absolut keine Lust auf einen weiteren Streit mit Kíli, nur weil seine Fallen beim Zuschnappen quietschten und das Wild vertrieben.

"Wirst du wieder den ganze Tag auf irgendeinem Baum hocken, wie ein Elb, um zu jagen?", fragte er an ihn gewandt, ohne sich nach ihm umzusehen.

"Ist erfolgversprechender, als sich in eine Grube zu kauern."

"Aha.", Fíli stand auf und schulterte seine Sachen, "Das werden wir ja sehen!"

"Wer mehr erjagt? Der Verliere macht heute den Abwasch."

"Okay. Dann möge der bessere Fallensteller gewinnen!"

Fíli blickte noch kurz zu seinem Onkel, ob sie sich entfernen durften, und lief dann Richtung des nächsten Gebüschs. Sein Bruder mochte bessere Augen haben und war flexibler mit seiner Auswahl des Wildes, jedoch hatte er nur eine begrenzte Anzahl von Pfeilen in seinem Köcher und die Rehe des Grünen Waldes waren ob ihrer Größe sehr bekannt. Er würde mindestens zwei Pfeile pro Tier brauchen, wenn er in dem dichten Gestrüpp überhaupt was ordentlich treffen konnte. Seine Fallen waren zwar fest auf dem Boden verankert, aber einmal hineingelaufen, kam ein Hase da nicht mehr raus. Er würde sicher gewinnen.

Kíli verschwand bald schon im Geäst eines Baumes nahe der Quelle, um auf potentielles Wild zu warten.

Fílis Enthusiasmus verschwand sehr bald. Er hatte fünf Fallen in seinem Gepäck unterbringen können, die er nun rings um den kleinen See aufgestellt hatte. Doch ab da, langweilte er sich zu Tode. Erst lag er eine Weile im Gras, dann begann er zu schnitzen und schließlich bastelte er sich eine Angel, die er ins Wasser hängte. Ab und zu sah er auch mal einen braunen Haarschopf durch die Blätter blitzten. Insgeheim bewunderte er Kíli ja schon um seine Behändigkeit.

Er selbst konnte zwar auch klettern, würde sich aber nie stundenlang in den Ästen halten können. Das hatte ja damals die Situation auf den Kiefern deutlich gezeigt. Während Kíli von Baum zu Baum und Ast zu Ast gesprungen war, landete er immer sehr unsanft auf irgendwelchen Zweigen und zerstach sich die Finger an den Nadeln, wenn er versuchte nicht abzurutschen und als Wargfutter zu enden. In regelmäßig Abständen schaute er nach seinen Fallen, doch lange war nicht die Spur eines Tieres zu erkennen. Erst am späten Nachmittag wusste er, dass sich Wild in der Nähe aufhielt. Sämtliche Köder waren nämlich aus den Fallen heraus gefressen, die Fallen selber aber unberührt. Entweder war das Wild hier verdammt klug, oder etwas ging nicht mit rechten Dingen zu. Misstrauisch schielte er nach oben, wo er drei Bäume weiter seinen Bruder ausmachen konnte, der konzentriert und den Bogen gespannt in die entgegengesetzte Richtung starrte.

Dann ging ein Sirren durch die Luft und Kílis Jubel gab an, dass er getroffen hatte.

"Mpf..."

Missmutig stapfte der Ältere zu seinen Fallen zurück und legte neue Köder aus. Zwei Stunden später waren aber auch die wie vom Erdboden verschluckt.

Inzwischen hatte Kíli sein Rotwild schon ausgenommen, zerlegt und zum Lager gebracht, wo er Thorin half das Fell aufzuspannen. Fast etwas besorgt sah er zu Fíli, der an einer der Quellen stand. "Vielleicht sollte ich mal mit ihm reden." Thorin nickte daraufhin nur. "Aber reib ihm deinen Erfolg nicht unter die Nase. Das gibt nur wieder Streit."

Etwas gedankenverloren starrte der Blonde derweil ins Wasser. Die seichten Wellenbewegungen liessen seine Angelschnur tanzen. Irgendwie kam er sich komisch vor. Nicht wegen der missglückten Jagd, sondern aufgrund seines Verhaltens, oder besser seiner Gedanken, ob der geleerten Fallen. Der erste Gedanke, der ihm gekommen war, war der, dass Kíli ihn beschummelte. Das hatte ihn zum Nachdenken gebracht. Wie konnte er seinen Bruder nur so leichtfertig verdächtigen. Sie hatten sich zwar schon den einen oder anderen Streich gespielt, aber meistens waren die Anderen ein viel besseres Ziel. Zum Beispiel, wenn sie in Bomburs Torte Knallfrösche versteckten, die sie zuvor von Gandalf stibitzt hatten oder wenn sie rohe Eier in Bofurs Stiefeln versteckten. Seine Gedanken schweiften immer weiter. Irgendwie musste das Verhältnis zu seinem Bruder mächtig abgerutscht sein, wenn er ihn nun schon ohne Beweis verdächtigte und darüber auch noch wütend wurde. Selbst wenn es Kíli war, war das doch nun wirklich keine große Sache. Er war so in seine Gedanken vertieft, dass er selbigen nicht einmal bemerkte.

Oder zumindest erst, als dieser ihn anstupste und damit einen Höllenschrecken einjagte. In letzter Sekunde fing er sich wieder. "Bei Mahal! Kíli! Erschreck mich nicht so!", rief er aus. Zu spät bemerkte er, dass seine Lautstärke und sein Ton alles andere als erschrocken oder neckend klangen. Er brüllte den Jüngeren eher an.

Der verzog auch sogleich beleidigt das Gesicht. "Na nun tu mal nicht so. Wollte dich ja nicht umbringen. Aber wenn ich ein Ork gewesen wäre, wärst du jetzt Fischfutter."

"Pah! Wenn du ein Ork wärst, dann hättest du den Nachmittag nicht überlebt. Dich kann man schon meilenweit entfernt in den Bäumen ausmachen. Dich hätte ich mit einem gezielten Wurf vom Ast in den See befördert und du hättest nicht mal gewusst, wo es hergekommen wäre!"

"Ich hatte dich immer im Auge. Dein Strohkopf leuchtet über Meilen hinweg aus dem Gras."

"Ha! Da sieht man, dass du von der Jagd am Boden keine Ahnung hast! Meinen Fallen ist das egal, was ruhig im Gras liegt. Im Gegenteil, dass lockt die neugierigen Tiere an. Du solltest öfter deinen Kopf aus den grünen Wolken holen. Irgendwann siedelst du sonst noch nach Düsterwald um und nennst Thranduil `Onkel´! Zwerge gehören in die Erde und in ihre Hände gehören Schwerter und keine gebogenen Stöcker, die mit Seilen befestigt werden!" Zunehmend saurer sah er Kíli an und ballte die Hände zu Fäusten. Was dachte sich dieser... dieser... dieser Zwerg eigentlich? Dass er den ganzen Tag dumm rum lag? Das er faulenzte und keine Ahnung von der Jagd hatte? "Und solange du mir nicht die Augen im Hinterkopf zeigst, kannst du mir nicht erzählen, dass du mich immer im Blick hattest, denn du hast immer in die andere Richtung geschaut!"

Kíli ballte ebenfalls zornig seine Fäuste. "Ach ja? Dieser gebogene Stock hat deinen werten Arsch in der Schlacht mehr als einmal gerettet", fauchte er den Älteren an.

Thorin, dem der Zwist nicht entgangen war, kam seufzend zu den Streithähnen. Warum brauchte es nur immer so wenig und die beiden fuhren aus der Haut?

"MIR? Hast du auch nur die geringste AHNUNG davon, wie oft meine Schwerter deinen Hals gerettet haben? Wie oft ich dir das Leben gerettet habe, das du durch bloße DUMMHEIT in Gefahr gebracht hast?"

Fíli sah buchstäblich rot. Er packte seinen Bruder am Kragen und schüttelte ihn unsanft durch.

Das liess sich Kíli nicht gefallen und schupste den Kleineren von sich, in Richtung der Uferkannte, wo es gut zwei Meter runter zur Quelle ging.

Ob nun in der ernsthaften Absicht den Bruder baden zu schicken oder nicht, der Stoss war zu stark, als dass sich der Blonde auf dem bröckeligen Untergrund hätte halten können. Reflexartig griff er nach dem Nächstbesten, dass er in die Finger bekam. Thorins Tunika.

Der hatte nicht damit gerechnet, doch der Reflex eines Kriegers liess ihn herum wirbeln und Fíli so vom Abgrund wegschleudern. Mit einem kurzen, erschrockenen Aufschrei jedoch verschwand Thorin urplötzlich von der Bildfläche.

Vollkommen perplex saß der junge Thronerbe im Gras. Was war denn jetzt passiert. Erst ein etwas unintelligenter Laut seines Bruders, der verdächtig nach `Ups´ klang, liess ihn aus seiner Starre erwachen. "Thorin?", rief er verwundert. Vorsichtig robbte er, immer noch auf allen Vieren, auf die Stelle zu, an der er seinen Onkel zuletzt gesehen hatte. "Onkel?" Er lugte über die Kante des Ufers... Und sah gerade noch einen dunklen Haarschopf aus dem Wasser blitzen, bevor er wieder unter dem schimmernden Blau verschwand.

"THORIN!"