TITEL: Vollkommen unvollständig
GENRE: Drama
CHARAKTERE: House, Cuddy, Rachel
PAIRING: House/Cuddy
RATING: R
SPOILER: Spoiler für 6x22
WÖRTER: 12.000
ZUSAMMENFASSUNG: Als nach seinem Geständnis Hanna, Cuddy und sich selbst gegenüber ein Patient mit Körper-Integritäts-Identitäts-Störung und dem quälenden Wunsch danach, ohne ein gesundes Bein zu leben, in die Klinik eingeliefert wird, bringt dieser House und sein Denken komplett durcheinander. Cuddy ist von dem Plan, der sich daraufhin leise und unaufhaltsam in seinem Kopf formt, nicht sonderlich begeistert.
Vollkommen im Dunkeln
Als sie endlich kam, war alles dunkel. Fast unbemerkt schien sie unter die Bettdecke zu huschen, darunter verschwinden zu wollen wie ein lauer Windhauch, aber er schlief bei weitem nicht fest genug, um es nicht doch irgendwie zu spüren und davon wach zu werden. Ihr Körper war klamm von dem eisigen Nieselregen draußen vor der Tür, strahlte die Kälte ungehindert aus und ließ so auch ihn einen Moment lang unangenehm erzittern.
"Eiswürfel im Bett hatte ich mir eigentlich nur für erotische Spiele gewünscht", bemerkte er, rückte ganz nah an sie heran, sodass sein Körper sich von hinten an ihren drückte und breitete einen Teil der Decke über ihr aus, die seine Wärme bereits aufgesogen hatte. Er realisierte erst jetzt, dass er wahrscheinlich unbewusst auf sie gewartet hatte, weil es inzwischen zur wohligen Gewohnheit geworden war, sie neben sich zu spüren, wenn er die Augen schloss.
"Ich dachte, du schläfst schon", gab sie zu und verharrte in ihrer Position, das Gesicht von ihm weggedreht, die Glieder steif und starr. "Alles klar mit Rachel?"
"Alles in Ordnung."
Für sie war es normal, dass er sich irgendwann mitten in der Nacht in ihr Bett schlich, doch für ihn war diese Erfahrung etwas Neues. Seit Rachel Teil ihres Lebens geworden war, waren ihre Abende in der Klinik nicht mehr so lang wie früher, auch wenn sich eine lange Nacht ab und an nicht vermeiden ließ. Ihre Stimme war umsichtig, als sie ihn vor ein paar Stunden am Telefon gefragt hatte, ob er sich um Rachel kümmern könne, bis sie fertig sei.
Seine Antwort war ein Nein. Ganz eindeutig und ohne jedes Zögern. Er war nicht ihr Vater, er wollte nicht ihr Vater sein und im Moment hatte er noch nicht einmal herausgefunden, ob er überhaupt etwas für sie sein wollte. Fest stand nur, dass es Cuddy definitiv nicht ohne sie gab. Über alles andere musste er sich erst klar werden und das verschob er nur zu gern auf später.
Er war auch kein Babysitter und das wusste sie.
"Nur zwei, drei Stunden", hatte sie gesagt und er war sich sicher, dass sie nicht gefragt hätte, wäre es nicht wirklich dringend gewesen. Sie kannte ihn und seine Ängste und er musste diese nicht aussprechen, damit das so war.
"Was ist mit Marina?"
"Sie muss spätestens um neun Uhr weg."
Er hatte sie schmoren und sich die Antworten ein paar Minuten lang aus der Nase ziehen lassen, bevor er zögerlich zustimmte und sich Szenen des Horrors—voll von schreienden Kindern, die hinderlich an seinen Beinen klammerten und sich nicht von ihm besänftigen ließen—vor seinem inneren Auge abspielten.
Doch die Realität war ruhig, nur vom gedämpften Ton des Fernsehers erfüllt, der auch ihn langsam in den Schlaf lullte. Rachel hatte bereits geschlafen, als er ankam, um Marina abzulösen, und war danach auch nicht mehr aufgewacht.
So bestand seine Aufgabe am Ende nur darin, einen kurzen Blick in ihr Zimmer zu werfen, bevor er sich selbst schlafen legte. Das kleine Nachtlicht mit dem Mondgesicht offenbarte, dass sie an ihrem Daumen nuckelte, während sich die Decke über ihr in steter Regelmäßigkeit hob und wieder senkte. Auf dem Boden lag ein kleiner Stoffelefant, den er zögerlich aufhob und zurück in ihre ausgestreckten Arme legte, stets darauf bedacht, sie dabei nicht zu berühren und die Barriere, die es irgendwie immer zwischen ihm und ihr gab, zu durchbrechen.
Trotzdem fand er nun, dass er sich nach all der Anstrengung, die theoretisch auf ihn hätte zukommen können, eine Belohnung verdient hatte. Mit warmen Fingern fuhr er unter Cuddys Nachthemd, bahnte sich seinen Weg von ihren perfekten Oberschenkeln über die weiche, ausgekühlte Haut an ihrem Bauch bis hin zu ihren Brüsten, die er sanft zu massieren begann. Seine Fingerspitzen prickelten erwartungsfroh.
"House", sagte sie bestimmt, schlüpfte mit der linken Hand selbst unter ihr Nachthemd, um seine Hand darunter hervorzuziehen, und fuhr dann versöhnlicher fort: "Nicht jetzt."
Ein wenig frustriert atmete er aus. "Müde?", fragte er und ließ sich nicht davon abbringen, seinen Körper weiter fest an ihren zu drücken, sodass sich erste Regungen in seinem Schoß bemerkbar machten.
"Müde und erschöpft", bestätigte sie.
Er konnte nicht leugnen, dass er Lust hatte und sie wie auch immer spüren wollte, doch der Grat, auf dem er wandelte, war schmal und das wusste er. Ihr Sex war alles—leidenschaftlich und zärtlich und wütend und entschuldigend und explosiv und hingebungsvoll. Manchmal auch alles zusammen. Das hier konnte so oder so ausgehen, die stürmische, verärgerte oder die ganz schmiegsame, besänftigende Route einschlagen und ihm war im Moment alles recht, solange es ihm nur das Gefühl von vollkommener Nähe gab.
"Ich kann mich allein da unten vergnügen", bot er an und hauchte einen Kuss in ihr Haar ganz nah an ihrem Ohr. "Du musst nichts machen", flüsterte er ihr zu. "Entspann dich einfach."
Als er sich bereits auf den Weg unter die Bettdecke machte, bremste sie ihn wieder. "House, nicht jetzt", wiederholte sie Wort für Wort ein wenig lauter und bemerkte anscheinend selbst, dass es wohl harscher geklungen hatte, als beabsichtigt. Sie strich kurz über seine Hand. "Außerdem wissen wir beide, dass es am Ende nicht nur dabei bleiben wird."
Fast schon eingeschnappt zog House seine Hand weg. "Was ist los?", wollte er ratlos wissen.
"Ich hatte einen langen, anstrengenden Tag, das ist alles."
"Den hast du sonst auch und bist nicht abgeneigt, dich abends noch mit mir sportlich zu betätigen." Er wusste, dass sie es genauso wie er genoss, miteinander intim zu werden und den Tag so gemeinsam zu beenden und vielleicht auch gemeinsam zu vergessen. Seine Hand fand wieder die elektrisierende Verbindung zu ihr. "Keine Verpflichtungen", ließ er sie wissen.
"Es war ein Nein und es wird ein Nein bleiben, House", stellte sie klar und ihm wurde bewusst, dass es endgültig war. "Ich würde es im Moment nicht genießen, okay."
Einige Sekunden lang konnte er die Gedanken an seine körperliche Lust beiseiteschieben und wurde stattdessen von einer schwachen Sorge um sie erfasst. Ihm war klar, dass sie manchmal einfach solche Tage hatte, so wie er seine eigenen hatte, an denen sie ihn wahrscheinlich unausstehlich fand, doch es lag etwas in der Luft, das er bislang noch nicht greifen konnte. Es schwebte durch den Raum und ließ sich partout nicht in klare Worte fassen.
"Alles klar bei dir?", fragte er etwas sanfter nach.
"Ja", erwiderte sie kurz angebunden, doch selbst dieser kurze Laut schrie das Gegenteil.
"Irgendetwas in der Klink passiert?"
"Nein."
Seine Gedanken wanderten in das Zimmer nebenan. "Hab ich was falsch gemacht mit Rachel? Sie hat die ganze Zeit geschlafen."
"Nein, alles gut."
"Du weißt, dass du mich mit diesem Verhalten nur noch neugieriger machst, oder?" Er richtete sich ein wenig auf, sodass er eine bessere Sicht auf ihre Miene bekam, doch die Dunkelheit gab so wie ihre zurückhaltenden Worte nicht viel preis und hüllte sie stattdessen in einen Mantel der Unnahbarkeit, wo es doch gerade Nähe war, die er gesucht hatte.
"House, lass es einfach", sagte sie und war jetzt hörbar genervt von seinen Versuchen zu ergründen, was genau vor sich ging.
Doch das wiederum spornte ihn nur noch mehr an und viel zu oft vergaß er in solchen Momenten, wo die Grenze war und es sich gebührte aufzuhören—um seiner selbst und ihrer willen. "Warum musstest du so lange bleiben?", bohrte er weiter nach und war sich fast sicher, dass ihre Laune etwas mit den letzten Stunden im Krankenhaus zu tun haben musste.
"Ein Notfall."
"Dir ist klar, dass du für so etwas Ärzte beschäftigst, oder?"
"Es war ein spezieller Notfall", stellte sie klar und zum ersten Mal hörte er in ihrer Stimme, dass sie wirklich erschöpft war. "Es gab ein paar Sachen zu erledigen."
"Wie speziell? Sexunfall-speziell?"
"Nein." Sie gähnte, doch es klang wie ein Schwindel in seinen Ohren, auf den er sich nicht einlassen wollte. "Ich möchte gerne schlafen, House."
Er beschloss, sich einen Spaß daraus zu machen, jetzt wo sie ihm den Spaß mehr oder weniger verdorben hatte. Es barg die Gefahr, dass sie ihm jenen Spaß auch noch länger verwehren würde, aber das war ihm einen unüberlegten Moment lang egal. Er richtete sich weiter auf, kletterte etwas unbeholfen über sie hinweg und ließ sich auf der anderen Seite von ihr wieder nieder, die Augen direkt auf ihre gerichtet. Immer noch verrieten sie nichts.
"Ich habe keine Lust auf deine Spielchen", erklärte sie und drehte sich um, sodass er wieder da endete, wo er gerade schon war, und nur noch ihren Rücken zu Gesicht bekam.
Er seufzte lautlos und entschied sich für eine neue Taktik. Er rückte wieder ganz nah an sie heran, umschloss ihren fast schon zierlichen Körper mit dem seinen, ließ seinen warmen Atem über ihren Nacken streifen und hielt für ein paar Minuten einfach nur den Mund. Es waren quälende Minuten, doch ihr Herzschlag, den er gedämpft unter seinen Fingern spürte, entschädigte ihn zumindest für das.
"Was ist los?", fragte er schließlich wieder, diesmal ganz leise und versöhnlich.
"Ich bin wirklich einfach nur erschöpft. Kannst du das vielleicht akzeptieren?"
"Klar", erwiderte er und versuchte gar nicht erst, es glaubhaft klingen zu lassen. "Was war das für ein Notfall?"
Sie schien zu realisieren, dass es so weitergehen würde und stöhnte verhalten. "Ein Mann hat versucht, sich ein gesundes Bein abzusägen", bemerkte sie fast schon emotionslos. "Zufrieden?"
"Wirklich?", fragte er ungläubig nach.
"Wirklich", bestätigte sie. "Körper-Integritäts-Identitäts-Störung."
Er verstummte für ein paar Sekunden, doch ein Gedanke, der ihm durch den Kopf schoss, ließ ihn rasch seine Stimme wiederfinden. "Und du hast versucht mir das zu verheimlichen?", wollte er zwischen Verwunderung und Vorwurf wissen.
"Nein", stellte sie klar.
"Es hat auch nicht funktioniert, falls du das wissen wolltest."
Sie sagte nichts mehr dazu, verharrte reglos in ihrer Position und umgab sich so wieder mit der Unnahbarkeit, die er wahrscheinlich viel zu oft selbst ausstrahlte und trotzdem nicht auch ihr zugestehen wollte.
Er konnte sein aufkeimendes Interesse an dem Fall nicht verbergen. Es war eine Kombination aus fachlichem Interesse und unhaltbarer Neugier darüber, warum Cuddy beschlossen hatte, ihn bei dieser Angelegenheit auszuschließen und stattdessen lieber seinen Unmut auf sich zu ziehen. Er kannte diese Art des Verhaltens von ihr, er kannte diese Art des Verhaltens von sich, doch gerade jetzt erschien es ihm wie ein besonders interessantes Puzzle.
"Wie schlimm war die Verletzung?", wollte er wissen.
Sie seufzte ein weiteres Mal, doch ihr Willen, die Mauer des Schweigens aufrecht zu erhalten, schien gebrochen. "Noch nicht gefährlich. Jemand hat ihn rechtzeitig gefunden."
In seinem Kopf formten sich Szenen, die er nicht sehen wollte. Ungehindert und unkontrollierbar fluteten sie seinen visuellen Cortex, auch wenn seine Augen längst geschlossen waren. Haut, Gewebe, Knochen, Blut, Schmerz, überall Schmerz. Es war die enge Verbindung zu ihr, die ihn spüren ließ, dass er immer noch hier war, dass es nur grausame Vorstellungen waren. In seinem Bein pochte unterdessen der ganz reale Schmerz.
"Was habt ihr mit ihm gemacht?", fragte er ablenkend und nahm seine rechte Hand von Cuddy, um sie auf seinen Oberschenkel zu legen und sanften Druck auszuüben.
"Die Wunde versorgt und ich habe zwei Ärzte aus der psychiatrischen Abteilung gerufen und ihm erst einmal zur Seite gestellt. Aber es wird nichts bringen."
"Warum?"
Sie seufzte wieder und er musste zugeben, dass es von Mal zu Mal müder klang. "Er hat eine ganze Krankenakte voller Therapien."
Er nickte unmerklich, sah in kurzen Blitzen wieder Haut, Gewebe, Knochen, Blut, Schmerz, überall Schmerz. "Warum hast du versucht, es vor mir zu verbergen?"
"Ich habe dir schon gesagt, dass das nicht meine Intention war."
Das Verlangen sie an den Pranger zu stellen und darüber zu diskutieren, bis sie es zugab, war da, doch vielleicht war es die reale Erschöpfung in ihrer Stimme, die ihn letztendlich davon abhielt, es auch wirklich zu tun. Er rollte sich auf den Rücken, die Hand immer noch besänftigend auf dem Bein abgelegt, und starrte an die Decke.
"Ich wollte dich nicht damit belasten", sprach sie dieses Mal von sich aus. "Du hattest erst ein traumatisches Erlebnis, das unglücklicherweise ein Bein beinhaltete. Ich dachte, du könntest vielleicht nicht noch eines gebrauchen."
"Ja, ich zartes Pflänzchen", bemerkte er ironisch.
Sie drehte sich zu ihm um und legte ihre Hand auf seine, ließ die Bewegungen seiner Finger auf der Narbe versiegen. "Sag mir nicht, dass es dich nicht irgendwie berührt."
Er sah zum ersten Mal ihre Augen, in denen sich ein winziger Lichtstrahl fing. Sie offenbarten so viele Gefühle zur gleichen Zeit, dass er verwirrt zurückblieb. Sein Gehirn suchte angestrengt nach Ablenkung. "Im Moment berührst du mich. Noch ein bisschen weiter oben und du bist da, wo ich dich haben wollte."
"Quod erat demonstrandum", erwiderte sie simpel und er wusste, dass er den kleinen Kampf verloren hat, auch wenn es die ganze Zeit vielleicht anders ausgesehen haben mochte.
