Ein Anruf, der alles verändert…
Es war ein Morgen wie jeder andere – nur, dass eben das Telefon klingelte. Aber davon ließ ich mich nicht im Geringsten stören. Sollte doch Edward aufstehen und herausfinden, wer uns da anrief! Mit einem zufriedenen Seufzen über meine Idee, drehte ich mich auf die andere Seite und zog mir die flauschige Bettdecke fast bis zur Nasenspitze. Ich machte mir noch nicht einmal die Mühe, meine Augen zu öffnen. Edward würde das schon machen, da war ich mir sicher. Oder zumindest war dem so, bis mein feiner Ehemann auch nach dem achten Klingeln keinerlei Anstalten machte, seinen Hintern aus unserem Bett, ja, dem Schlafzimmer zu bewegen und hinüber in die Diele zu gehen, wo das nervtötende Telefon munter vor sich hinklingelte.
Beim zehnten Klingeln stieß ich ein genervtes Schnauben aus und setzte mich auf. „Das Telefon!", grummelte ich mit noch immer geschlossenen Augen. Edward gab keine Antwort und gab mir auch sonst kein Zeichen, dass er diesen ganz eindeutigen Wink mit dem Zaunpfahl, verstanden hatte. Widerwillig schlug ich also die Augen auf und blickte zunächst ein wenig blinzelnd auf meinen Mann hinunter, der doch tatsächlich mit weit geöffneten Augen dalag und an die Decke starrte. „Edward!", entfuhr es mir halb genervt und halb vorwurfsvoll. Er reagierte noch immer nicht, doch immerhin wusste ich jetzt dank seines Blinzelns, dass er überhaupt noch lebte!
„DAS TELEFON KLINGELT!", schrie ich ihn fast an, weil das nervige Klingeln noch immer nicht aufgehört hatte und Edward sich so vollkommen unpassend benahm. Jetzt endlich reagierte er. Er schüttelte verwirrt den Kopf, als erwache er aus einer Art Trance und schrak dann so heftig auf, dass unsere Köpfe beinahe kollidierten. Ich konnte ihm gerade noch im letzten Moment ausweichen und plumpste prompt auf den Boden. Jedoch hatte ich mich noch nicht einmal wieder richtig auseinander sortiert, da stieg Edward auch schon nur mit Shorts bekleidet über mich hinweg und eilte mit großen, barfüßigen Schritten nun doch endlich in die Diele. Ich seufzte tief und lehnte mich gegen die Seite des Bettes. Ich hatte mir das dann doch ein wenig anders vorgestellt, dachte ich seufzend, nachdem ein Blick auf meinen Wecker auf dem Nachttisch mir verraten hatte, dass es gerade einmal viertel nach neun Uhr am Morgen war.
Heute war Edwards erster freier Tag seit einer Ewigkeit – zumindest empfand ich so. Der erste von insgesamt nicht weniger als zehn herrlichen Tagen ohne die allmorgendliche Hektik, wenn er ins Büro aufbrach und ich ihn – wenn überhaupt – erst ganz spät abends wieder zu sehen bekam. Seit unserer Hochzeit vor nun fast einem Jahr war all das Routine geworden – die täglichen Überstunden, der Mangel an gemeinsamer Zeit, die immer weiter fortschreitende Entfremdung und das traurige Gewissen, dass der einzige Ort, wo Edward noch voll und ganz bei der Sache war, sein Arbeitsplatz war.
Vielleicht lag es ja doch daran, dass es zu früh gewesen war, um zu heiraten, dachte ich trübsinnig. Damals hatten nicht wenige meiner Freunde es für übereilt gehalten, dass ich einen Mann, den ich erst ein halbes Jahr kannte und der gerade einmal drei Jahre älter war als ich, schon im zarten Alter von neunzehn hatte heiraten wollen. Einzig mein Vater Charlie, für den Edward ein recht profitabler Gewinn für seine Kanzlei – inzwischen hieß sie Swan & Cullen, da Dad und Edward mittlerweile Partner waren - gewesen war, hatte von Anfang an hinter unseren Plänen gestanden. Und natürlich hatte ich Edward abgöttisch geliebt – das tat ich ja immer noch. Doch der bittere Nachgeschmack, der meine Liebe zu ihm inzwischen durchtränkte und an dem jene widerwärtige Routine schuld war, blieb. Ich konnte einfach nichts dagegen tun – nicht, wenn Edward mir nicht half.
Ich dachte gerade darüber nach, ob ich ihn vielleicht während seiner freien Tage dazu bekommen könnte, ein vernünftiges Gespräch zu führen, in dem ich ihm alles würde sagen können, was mich bewegte – so, wie früher –, meine Ängste, die noch immer in mir aufkeimende Hoffnung. Doch bevor ich mir ernstlich Gedanken über dieses Thema machen konnte, kam Edward zurück ins Schlafzimmer. Ich lächelte ihn an und hoffte, auch bei ihm einmal wieder jenes schiefe Lächeln zu sehen, in welches ich mich damals, als ich meinen Mann in einem von New Yorks Nachtclubs kennen gelernt hatte, sofort verliebt hatte. Doch nein. Edward lächelte nicht. Ja, er sah sogar noch weit verschlossener aus, als in all den vergangenen Monaten. Mir sank das Herz in die Pyjamahose, als ich sah, dass Edwards schon von Natur aus recht blasses Gesicht jetzt aschfahl war und er aussah, als kämpfte er eisern gegen die Tränen an.
Das verstand ich nicht. Ich hatte ihn noch nie weinen gesehen. Niemals in…siebzehn Monaten und zweieinhalb Wochen. „Was ist los?", fragte ich ihn leise und vergaß für den Moment meine Sorgen aufgrund der tiefgehenden Veränderungen innerhalb unserer Ehe im Laufe der letzten Monate, ebenso wie meine anfängliche Genervtheit über Edwards Weigerung vorhin, ans Telefon zu gehen, dessen Klingeln mich geweckt hatte. Als Antwort schüttelte er den Kopf und ließ sich auf die Bettkante nieder. Seit ich ihn kannte, war er immer der Starke von uns beiden gewesen. Er war immer der gewesen, der den Fels in der Brandung dargestellt hatte, während ich wohl nicht mehr gewesen war, als eine traurige, kleine, unbedeutende Sandburg, die dem tosenden Meer des Lebens nichts, absolut gar nichts entgegen zu setzen hatte.
Wann immer es mir schlecht gegangen war, hatte Edward mich festgehalten, bevor ich in Verzweiflung versank. Wann immer ich zu stürzen drohte, hatte er mich aufgefangen – bis vor knapp vier Monaten, als das alles angefangen hatte. Ihn jetzt da sitzen zu sehen, das Gesicht in den Händen verborgen und…weinend, war seltsam. Ich krabbelte zu ihm hinüber und schlang ohne groß nachzudenken meine Arme um ihn. Seine Haut war kühl, nicht so wie sonst, nicht samtig und warm. Er zuckte kurz vor mir zurück, als würde er nicht wollen, dass ich ihn tröstete oder seine Tränen sah, die inzwischen zwischen seinen schlanken Fingern hervorsickerten. Doch nur kaum später zog er mich mit einer Hand auf seinen Schoß, während er die andere Hand dazu gebrauchte, sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen.
Ich konnte mich nicht mehr recht daran erinnern, wann wir das letzte Mal einfach so dagesessen hatten, so nahe beieinander, ohne irgendwelche Hintergedanken. Edward vergrub sein noch immer tränenüberströmtes Gesicht in meinem langen, noch immer vom Schlafen verwuschelten Haar und im Gegenzug schmiegte ich mich eng an ihn. Natürlich wollte ich wissen, warum es ihm so schlecht ging und wer da eben angerufen hatte, doch ich wusste – aus welchem Grund auch immer -, dass er es mir dann sagen würde, wenn er dazu bereit war, und keine Sekunde früher.
Da jedoch immer mehr Minuten verstrichen, in denen wir nur eng umschlungen dasaßen und nicht ein Wort wechselten, machte ich mir meine ganz eigenen Gedanken darüber, was der Grund für Edwards Gefühlsausbruch sein könnte. War jemand gestorben? Die einzigen Menschen, die Edward nahe standen – außer mir und meinem Dad –, waren seine ältere Schwester Elizabeth und deren Ehemann Charles. Elizabeth war gut zehn Jahre älter als Edward und hatte sich nach dem Tod ihrer Mutter aufopfernd um ihren kleinen Bruder gekümmert, obwohl sie damals selbst gerade erst achtzehn Jahre alt gewesen war.
Und so herzlos es auch klingen mochte, so konnte ich mir wirklich nichts anderes vorstellen, was Edward derart mitnehmen könnte. Ich schluckte unwillkürlich. Ich wusste nur zu gut, dass Elizabeth Edward sehr viel bedeutete und dass er sich unglaublich für sie gefreut hatte, als sie ihm vor einem guten Dreivierteljahr gesagt hatte, dass sie und Charles nun endlich ihr erstes Kind erwarteten, nachdem sie sich schon so lange eines gewünscht hatten. Wenn Elizabeth oder dem Baby – bei Charles war ich mir nicht so sicher – etwas passiert wäre, dessen war ich mir jetzt vollkommen im Klaren, dann würde Edward genau so reagieren wie in diesem Moment.
„Schatz?", flüsterte ich schließlich nach einer ganzen Weile mehr als dass ich fragte. Ganz langsam, wie in Zeitlupe, hob Edward den Kopf und sah mir ins Gesicht. Ich schluckte, als ich in seine nun rotgeränderten smaragdgrünen Augen blickte, von denen sich Tränenspuren über seine noch immer aschfahlen Wangen abzeichneten. Er sagte nichts und sah mich nur an, als sehe er mich zum ersten Mal. Dann hob er für mich völlig überraschend eine Hand an meine Wange und streichelte sie, so wie er es ganz zu Beginn unserer Beziehung so oft getan hatte. Seine Berührung jagte Schauer durch meinen ganzen Körper und ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht schoss und ich rot anlief.
Mit einem traurigen Lächeln um die Mundwinkel küsste Edward mich sanft auf die Wange und nahm seine andere Hand hinzu, damit er mein Gesicht in beiden Händen halten konnte. Ich schloss überrannt von Gefühlen die Augen, da mich all das hier so sehr an den Edward erinnerte, der er gewesen war, der Edward, in den ich mich so Hals über Kopf und unwiderruflich verliebt hatte. Der Edward, den ich geheiratet hatte und mit dem ich mir schon vor einem Jahr unsere gemeinsamen Kinder erträumt hatte. „Liebes, es tut mir so leid.", hauchte Edward fast unhörbar und ich schlug die Augen auf.
Er sah so traurig, so schuldig drein, dass mir ganz elend zumute war. Sein Daumen streichelte meine Wange, während eine einzelne Träne Edwards Wange hinunter kullerte. „Ich liebe dich doch…aber ich habe es vergessen.", krächzte er. „Und erst jetzt…erst jetzt, wo Elizabeth…wo Elizabeth…" Er schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf. Plötzlich hatte ich einen Kloß im Hals. Ich hatte also tatsächlich recht gehabt. Elizabeth war tatsächlich etwas zugestoßen…und genau darum hatte Edward mir nach all der Zeit wieder den Grund genannt, warum es überhaupt ein wir gab – weil er mich liebte.
Dass ich etwas Derartiges geahnt hatte und jetzt glücklich war, weil ich nun doch wusste, dass Edward mich noch zu wollen schien, ließ mich, mich gleich zweimal schuldig fühlen. „Schon gut.", murmelte ich tröstend und küsste Edward zärtlich auf beide Mundwinkel. Er zog mich eng an seine Brust und holte mehrmals tief Luft. Ich vermutete eigentlich, dass er das tat, um sich wieder zu beruhigen, doch dem war nicht so. „Elizabeths Anwalt war es, der eben anrief.", erklärte Edward mir stattdessen mit jetzt wieder ruhiger Stimme. „Sie hat uns zwei angegeben, als es darum ging, wer im Falle eines Falles benachrichtigt werden soll, wenn ihr und Charles…etwas passiert." Unwillkürlich mühte ich mich, den Kloß in meinem Hals, der bei Edwards Aussage, dass es nicht nur seine Schwester, sondern auch ihren Mann getroffen hatte, noch einmal größer wurde, hinunter zu schlucken.
„Er hat gesagt, dass die beiden einen…Autounfall hatten." Ich hörte den Schmerz in Edwards Stimme und erschauderte, weil es mir einfach wehtat, wenn ihn etwas derart schmerzte. „Sie haben nicht gelitten.", versicherte er mir, als habe er mein Schaudern bemerkt. Ich lehnte den Kopf an seine Brust und lauschte seinen weiteren Worten, ebenso wie seinem Herzschlag. „Ich soll heute Nachmittag um halb drei zu ihm kommen…wegen der Beerdigung der beiden, ihrem Nachlass und auch, um Amy abzuholen." Ich nickte traurig und seufzte. Wenn ich ehrlich war, konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass Elizabeth und Charles, mit denen ich doch so oft telefoniert hatte, jetzt plötzlich einfach nicht mehr sein… Moment! „Amy?", fragte ich Edward ein wenig verwirrt, als mir klar wurde, dass ich nicht die geringste Ahnung davon hatte, was er mit der Erwähnung dieses Namens meinte.
Edward hielt inne, mir durch mein Haar zu streichen und schien plötzlich ein wenig angespannt. „Ja, Amy.", sagte er schließlich und auch in seiner Stimme lag eine gewisse Anspannung. „Elizabeth nannte Amanda immer so und ich finde auch, dass dieser Name gut zu der Kleinen passt." Aber hatte er eben nicht…nicht gesagt, er würde Elizabeths und Charles' Tochter später abholen? Was meinte er damit? „Na ja", Edward räusperte sich. „Sie hat außer uns keine Familie mehr.", fügte er schlicht hinzu.
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