Disclaimer: Vorweg das Übliche: Mir gehören sie nicht, die bekannten Charaktere. Leider. Auch nicht die aus den Filmen bekannte Story etc. Und das wird auch in den kommenden Kapiteln so bleiben.

Mast- und Schotbruch, Prolog

Der warme Wind spielte durch ihre bloßen Zehen. Sie wackelte leicht mit ihren herabhängenden Füßen um sich noch etwas mehr Kühlung zu verschaffen und das Blut in Bewegung zu halten. Ein leichter Hauch von weit entferntem Land lag ihr in der Nase, sonst nur der frische Duft der See, die sich nach dem gewaltigen Sturm am vorherigen Abend wieder von ihrer trügerisch freundlichen Seite zeigte und mit dem Himmel einen Wettkampf im Leuchten und Funkeln austrug.

Ray saß schon seit Stunden hier oben in der Takelage des Hauptmastes und flickte sorgfältig die mitgenommenen schwarzen Segel. Ein besonders geniales, aber sehr waghalsiges Manöver des Captains hatte die Black Pearl gerade noch rechtzeitig in einen schützenden natürlichen Hafen gebracht, bevor die ganze Macht des Sturmes über sie herein gebrochen war. Auch so waren die Schäden nicht unerheblich gewesen, doch hinderte dies die schwarze Dame nicht daran, unter den Händen ihres liebevollen Herrn noch in der Nacht wieder Kurs auf ihr - den meisten bislang unbekanntes - Ziel zu nehmen.

Ray wunderte sich, warum sie es so eilig hatten, nachdem sie die letzten Wochen fast sorglos ein paar Handelsschiffe gejagt und um einige tragbare Dinge erleichtert hatten. Unter der Mannschaft machte der Scherz die Runde, dass sie wohl ausgerechnet an der Insel Schutz gesucht hätten, die rachedurstige Kannibalen beherbergte, die es auf ihren Captain abgesehen hatten. Der angewiderte Blick, den Sparrow der felsigen Küste zugeworfen hatte, bevor sie wieder in See stachen, ließ ihr diese Geschichte fast glaubhaft erscheinen. Andererseits warf dieser Mann häufig mit rätselhaften Blicken um sich, und Ray hatte es längst aufgegeben, deren Sinn zu enträtseln. Und überhaupt, wer glaubt schon an Kannibalen, pff. Das ist doch nur ein Ammenmärchen überheblicher Missionare.

Nachdem die frühen Morgenstunden das Ausmaß der Schäden enthüllt hatten, waren sie zu sechst in die Takelage geschickt worden, um unter Fahrt die Segel zu reparieren. Eine nicht ganz ungefährliche Aufgabe, aber „wir haben das beste Schiff, und die beste Crew, klar soweit?", wie der Captain bei solchen Gelegenheiten gerne einflocht. Und ein Mitglied dieser exzellenten Crew war sie. Um dem die Ehre zu erweisen turnte sie mit unnachahmlicher Grazie ein Segel weiter, den Beutel mit den Utensilien fest zwischen ihren Zähnen und leise jedem Baum, jedem Dachfirst und jedem Heuboden dankend, den sie in ihrer Kindheit bestiegen hatte, und die sie immun gegen die beeindruckende Höhe gemacht hatten. Ray war als letzte noch in der Takelage, da der Hauptmast am vorherigen Abend am längsten mit Segeln besetzt gewesen war, die dementsprechend viel Schaden genommen hatten. Doch das machte ihr nichts aus, im Gegenteil. Sie liebte den Ausblick von hier oben über das Geschehen an Deck und die relative Abgeschiedenheit, die ihr erlaubte, sich etwas freier zu geben, als unter ihren Mannschaftsgenossen. Mit einem Grinsen konzentrierte sie sich wieder auf die Arbeit. Noch vor zwölf Stunden hatte es so ausgesehen, als wären bald weder Schiff noch Besatzung mehr oberhalb des Wasserspiegels zu finden. Doch erstaunlicher Weise hatte selbst in dieser Situation niemand die Nerven verloren. „Wir haben eben nicht nur das beste Schiff und die beste Crew, sondern auch den verdammt besten Captain, ay", murmelte sie.

„Ay!", kam die Antwort von nicht weit entfernt. Sie warf einen erschrockenen Blick über ihre Schulter nach oben. Von dort grinsten sie perlweiße Zähne aus einem samtig braunen Gesicht an.

Oh! „Anamaria!" Es sah so aus, als wäre es mit der Abgeschiedenheit nicht ganz so, wie sie das gehofft hatte, den zweiten Maat im Ausguck hatte sie in den letzten Stunden völlig vergessen. Jetzt war sie soweit oben, dass diese offensichtlich ihr Murmeln gehört hatte. Mist, zum Glück habe ich nichts Verdächtiges gesagt. Aber ich muss entschieden besser aufpassen.

„Hey, Kleiner, das wird dem Captain gefallen, dass Du so von ihm überzeugt bist." Anamaria musste lachen, als sie das überraschte Gesicht des Neuen vor sich sah, der sie offensichtlich vorher nicht bemerkt hatte. Der Junge war offensichtlich ein ebenso großer Bewunderer Sparrows, wie ihn sich der Captain nur selbst wünschen konnte. Seine Wangen hatten jetzt fast den gleichen Farbton wie ihn die rotesten Strähnen seiner rotblonden Haare, hm, gehabt hätten, falls diese unter dem ganzen Dreck zu sehen gewesen wären. Ein bisschen Mitleid hatte sie mit ihm, er war förmlich in sich zusammengesunken, als sie ihn angesprochen hatte, dabei war nichts Falsches an dem, was er gesagt hatte, obwohl sie das natürlich niemals dem Captain sagen würde. Sie mochte den Jungen, auch wenn er etwas zurückhaltend war.

„He, Ray, was'n los? Kein Grund so zu schauen, ich freue mich wirklich, dass du so gut über Sparrow denkst, statt dich zu beklagen, dass er dich so herum scheucht! Bist 'n guter Kerl und passt prima in die Mannschaft." Mhm, jetzt wurde er noch röter, aber immerhin zeigte er wieder sein ansteckendes Grinsen, auch wenn er weiterhin betreten den Blick auf seine Hände fixierte.

„Danke, Anamaria!" Uff, offensichtlich hat sie nicht bemerkt. Noch immer glücklich grinsend machte sie sich an das letzte zu flickende Segel, darauf achtend ihre Schultern nicht zu gerade zu halten, um die verräterische Wölbung ihrer Brust zu verdecken. Sie war wirklich sehr gerne Teil dieser Mannschaft, und hier anerkannt zu werden gab ihr ein gutes Gefühl, doch es bedrückte sie nun umso mehr, dass sie den anderen etwas vorspielen musste. Manchmal zweifelte sie allerdings daran, ob es wirklich einen Unterschied machen würde, wenn sie ihnen verriet, dass sie eine Frau war, kein bartloser Knabe. Anamaria kam schließlich auch hervorragend mit allen zurecht und keiner behandelte sie anders als einen Mann. Naja, andererseits verstand Anamaria auch mehr vom Segeln und dem Piratenleben als die meisten der Männer, während sie selbst noch immer froh war, dass die anfängliche, ziemlich verräterische Seekrankheit seit ein paar Tagen verschwunden war und sie langsam die Namen der Masten, Segel und der tausend anderen Dinge an Bord im Kopf hatte.

Bevor sie sich in den ziemlich peinlichen Erinnerungen an ihre ersten Wochen an Bord verlieren konnte, hörte sie hinter sich eine weitere Stimme. „He, Ray, wir sind hier nicht beim Tee- und Stickkränzchen. Trödel nicht rum, Mann. Unten heißt's Deck schrubben! He, Ana! Soll dich ablösen, der Captain will dich wegen irgendwas sprechen. Außerdem gibt's was zu futtern." AnaMaria raunzte hinter ihr irgendwas und machte sich an den Abstieg, während sich der Kerl, den sie hier nur Dreher nannten, in den Mastkorb schwang. Na, kein Grund hier zu bleiben, wenn der hier rumhängt. Zum Glück war sie wirklich fertig, schnell kontrollierte sich noch den festen Sitz des Flickens und machte sich auf den Weg nach unten. Dreher war einer der wenigen, die sie gar nicht ausstehen konnte, und er schien sie zum Schikanieren herausgepickt zu haben, deshalb mied sie ihn, wo es nur ging. Und ihr Magen war ohnehin der Meinung, dass es besser war, möglichst sofort etwas Essbares zu ergattern.