Titel: Stille Tränen
Autor: Roeschen
Zusammenfassung: Fortsetzung zu „In der Dunkelheit". Nachdem Harry Voldemort besiegt hat, kämpfen Harry und Ginny mit den Erinnerungen an die Vergangenheit, doch Ginny dachte, dass sie endlich glücklich sein könnten und dass nichts sie je auseinander bringen könnte. Aber nun steht nicht nur ihre Familie im Weg, die es schwer findet Harry zu akzeptieren. Als Ginny und Harry Hogwarts besuchen, findet sich Ginny bald in einem Albtraum wieder, ein Albtraum, der ihre Liebe für immer zerstören könnte…
Disclaimer: Harry Potter gehört mir zwar nicht, aber dafür meine Geschichte!
Prolog
Dem leisen Geräusch der Wellen lauschend, die gegen das Ufer schwappten, saß Ginny bewegungslos da und starrte auf den See. Das Wasser glitzerte im Sonnenlicht. Einige Vögel zwitscherten und zu ihrer Rechten flogen mehrere Schmetterlinge von Blume zu Blume. Es war ein wunderschöner Sommertag, aber für Ginny hatte es keinerlei Bedeutung.
Ihre Hände gruben sich in die weiche Erde. Sie fühlte sich so leer, so verlassen, dass sie noch nicht einmal mehr die Kraft hatte zu weinen. So sehr sie es auch wollte, keine Träne rann ihre Wange hinunter. Könnte sie doch nur die Zeit zurückdrehen. Was gäbe sie nicht dafür, stünde es in ihrer Macht sich diesen Wunsch zu erfüllen.
Ein Jahr, dachte sie. Es war auf den Tag genau ein Jahr her seit sie so glücklich gewesen war, wie es einer nur sein konnte. Und nun konnte sie kaum glauben, dass es solch eine Zeit einst gegeben hatte.
Als die Erinnerungen sie überrollten, erhob sie sich. Sie wollte nicht mehr in der Vergangenheit verweilen, sie konnte es nicht länger ertragen. So heftig bewegte sie sich, dass sie den kleinen Korb umwarf, den sie auf Drängen ihrer Mutter hatte mitnehmen müssen.
Ginny schaute hinunter auf den Korb, sank auf die Knie und streckte kopfschüttelnd die Hand nach einem Apfel aus, der gerade davon rollte. In letzter Zeit war sie selten hungrig. Sie hätte den Essenskorb nicht mitgenommen, doch sie hatte es nicht über sich gebracht sich zu weigern. Ihre Eltern und Brüder waren besorgt genug.
Auch wenn sie es verstand, machte es sie dennoch wütend. Wenn sie sich nicht in solch einer Weise verhalten hätten, wie sie es getan hatten, wäre vielleicht alles anders gekommen, vielleicht…
Ginny schloss ihre Augen. Nein, es war nicht gerecht ihrer Familie die Schuld zu geben, nicht, wenn die gesamte Schuld bei ihr lag. Hoffnungsloser Zorn, Verzweiflung und die bedrückenden Schuldgefühle, die sie zu vernichten drohten, schienen die einzigen Gefühle zu sein, zu denen sie in diesen Tagen fähig war.
Und plötzlich begriff sie, dass sie diese Gefühle willkommen hieß, sich sogar nach ihnen sehnte. Sie verhinderten, dass sie den Schmerz fühlte, den Kummer und die Liebe, die sie so verzweifelt versuchte nicht zu vergessen und an die sie sich doch nicht erinnern wollte.
Sie zwang sich an ihre Eltern zu denken, spürte, wie die Wut wieder in ihr hochkroch. Wie konnten sie es wagen sie zu behandeln, als wäre sie immer noch ein kleines Kind, das man nicht aus den Augen lassen konnte? Als sie ihnen erzählt hatte, dass sie den Tag hier verbringen würde und das allein, hatte ihre Familie sie nur widerwillig gehen lassen. Dabei war sie siebzehn Jahre alt, sie war erwachsen.
‚Sie lieben dich, sie machen sich solche Sorgen um dich.', flüsterte eine leise Stimme in ihr und Ginny hätte beinahe gelacht. Sie erinnerte sich deutlich an ihr Spiegelbild heute Morgen. Ein weißes, spitzes Gesicht hatte ihr entgegen geschaut, ein Gesicht, das sie kaum als ihres erkannt hatte. Sie war zu dünn geworden in den letzten Monaten. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, jegliches Strahlen, das einst in ihnen geleuchtet hatte, war verschwunden. Ihr glänzendes, schimmerndes rotes Haar war stumpf geworden, dunkler. Nein, sie sollte sich nicht darüber wundern, dass ihre Eltern und Brüder außer sich vor Sorge waren.
Aber irgendwie ließ es sie kalt. Erschrocken stellte sie fest, dass es ihr nichts ausmachte. Es war ihr schlichtweg gleichgültig. Und dieses mangelnde Gefühl gegenüber ihrer Familie machte ihr Angst. Das schlimmste jedoch war, dass sie es nicht über sich bringen konnte mit ihrer Familie zu sprechen. Auch wenn ihre Eltern und Brüder inzwischen wohl mehr oder weniger wussten, was genau geschehen war, konnte sie sich ihnen einfach nicht anvertrauen.
Zitternd verdrängte Ginny alle Gedanken hinsichtlich ihrer Familie. Es fiel ihr nicht schwer. Sie hatte in den letzten Monaten viel Übung gehabt.
Auf den Korb schauend, seufzte sie. Hoffentlich würden heute einige Kinder in den Park kommen, denen sie den Korb geben könnte.
Ginny zog ihre Knie zu sich und sah auf das Wasser hinaus. Sie wusste, dass es nicht so weitergehen konnte. Wenn es das tat, würde sie zusammenbrechen. Und war sie nicht hierher gekommen, einen Weg zu finden, wie sie wieder leben würde können, wie sie die Verzweiflung, die unglaubliche Leere in ihr überwinden würde können, die sie nicht verlassen wollte?
Es war Zeit sich der Vergangenheit entgegenzustellen. Vielleicht sogar Zeit sich zu vergeben, obwohl sie wusste, dass das etwas war, das sie niemals fähig sein würde zu tun.
Sie wandte ihren Kopf zur Seite und sah zu den Blumenbeeten, die im frühen Sommer von hunderten von weißen Lilien übersät gewesen waren. Wo einst das Hauptquartier des Dunklen Lords gewesen war, war nun der Lilienpark, ein Ort der Erinnerung, zum Gedenken an all diejenigen, die den Krieg nicht überlebt hatten. Es waren die Hauselfen gewesen, die auf Harrys Geheiß letztes Jahr die Blumen gepflanzt hatten.
Ginnys Augen wanderten zu der Mauer, die Lily Potters Rosengarten umgab, verweilten einen Augenblick dort und richteten sich wieder auf den See. Und plötzlich sah sie sich in Harrys Armen liegen und das Bild war so lebendig, dass sich ihr Atem beschleunigte. Nicht länger war die Erinnerung schwach und weit zurückliegend. Es erschütterte sie zutiefst.
Diese eine Erinnerung machte ihr so deutlich wie keine andere bewusst, was sie verloren hatte. Und sie hatte alles verloren; Harrys Liebe, ihr Glück und ihre Freude. Selbst ihr Lachen hatte sie verloren.
Eisige Kälte hüllte sie ein, als die Erinnerungen auf sie einstürzten und sie mit sich rissen. Sie hatte nicht die Kraft sie zu verdrängen und hier an diesem Ort, der so viele Erinnerungen barg und an dem alles angefangen hatte, wollte und konnte sie es auch nicht. Ginny lehnte sich gegen den Baum, starrte in die Ferne und ließ sich von ihnen davontragen.
Wie hatte das geschehen können? Wie hatte es so weit kommen können? schrie sie lautlos, nicht wissend, dass jemand anderes, nicht allzu weit entfernt von ihr, dieselbe Frage flüsterte.
