Prolog

Je mehr wir unsere Kinder lieben, desto weniger kann es uns genügen, daß sie nur in unsere Fußstapfen treten. Friedrich Schleiermacher (1768-1834)

Ein eiskalter Wind von Norden wehte über das waldreiche Tal hinweg, wog die dichten Tannen in seinem Wind hin und her, brachte sie zum Rauschen und knistern. Wolken wurden vom Nordwind angeschleppt die sich langsam und gemächlich vor den runden Vollmond schoben und so das Tal in eine finstere Schwärze tauchten.

Die Vögel des Waldes waren schon vor langer Zeit gen Süden aufgebrochen und würden wohl so schnell nicht wiederkommen. Der Winter hatte dieses Jahr nicht lange auf sich warten lassen und lag nun wie ein tonnenschweres Gewicht auf den umliegenden Wäldern der einsamen Berglandschaft. Schon bald würde der erste Schnee fallen und das Tal mitsamt seinen Hügeln, Bergen, Hochebenen und Bäumen sowie Sträuchern in ein herrliches Weiß tauchen.

Nur eine einsame Bergstraße führten wie ein Schlangenweg um die vielen Felsen herum die sich wie gigantische Riesen über den schmalen Wanderwegen und Klüften aufbäumten. Hier gab es noch Wildbestände da der Mensch sich hierher nicht oft verirrte. Zu viele mussten sich schon den großen Naturgewalten beugen die in herabfallenden Schneelawinen herabkamen oder in großen Muränen die von den steinigen Hügeln herabdonnerten und alles unter sich begruben die das Pech hatten in ihrem Weg zu stehen.

Gegen Mitternacht war der Himmel völlig zugezogen und die ersten weißen Flocken vielen von der schweren Wolkendecke herab. Es würde noch lange dauern bis das ganze Tal in seiner weißen Pracht erstrahlte aber der Anfang war schon mal gemacht.

Ein Käuzchen schrie auf, durchbrach die Stille der Nacht und verstummte als es den wütenden Schrei einer Eule hörte die sich auf die Jagd begeben hatte. Der schwere Vogel stieß sich von seinem Nest ab und stürzte in die Tiefe der Nacht, hinein ins Dickicht des Waldes, wo es seine nächste Beute vermutete. Die Eule suchte nach Mäusen und anderem Getier, das nicht schnell genug war ihren scharfen Krallen auszuweichen.

Aber heute Nacht sah die Eule etwas ganz anderes in ihrem kleinen Wäldchen. Es war keine Beute die sich da durch die Wälder schlich- im Gegenteil! Ein großer Koloss bewegte sich von Baum zu Baum, hastete über wilde Büsche und sprang über umgestürzte Bäume hinweg als wären sie überhaupt nicht da. Solch ein Wesen hatte die Eule noch nie gesehen.

Es lief schnellen Schrittes auf zwei Beinen durch das Dickicht, wobei es nur einen Arm benutzte um herunterhängende Äste wegzudrücken die ihm in den Weg kamen. Mit der anderen Hand schützte er etwas, dass er auf seinem Arm hielt.

Das Wesen war kein schwarzes Ungetüm, sondern ein Mensch. Genau genommen war es ein Mann, groß gebaut mit wilden Haaren die ihm ins Gesicht peitschten während er sich seinen Weg durchs Dickicht suchte.

Abhänge die sich vor ihm auftaten übersprang er einfach mit gewaltigen Sätzen und duckte sich unter Ästen und schweren Bäumen hinweg wie ein Athlet. Er war in einer ausgezeichneten Verfassung, obwohl er schon so lange auf der Flucht war. Ja, er war auf der Flucht.

Das konnte man seinem Gesicht ansehen. Er hatte einen gehetzten Blick und seine Zähne waren fest aufeinander gepresst während er zum nächsten Sprung ansetzte und über ein neues Erdloch springen wollte. Dieses Mal aber rührte sich etwas in seinen Armen, ein kleines Bündel, ein kleiner eingewickelter Mensch regte sich und gab einen Laut von sich- so dass der Mann kurz innehalten musste um nach seinem Mitbringsel zu sehen.

Besorgt klappte er etwas die warme Wolldecke zurück, in der er einen Säugling gewickelt hatte und besah sich den Knirps der seine winzigen Äuglein geöffnet hatte und aus dessen Mund weiße Flüssigkeit lief.
„Hast du Hunger?" Fragte der Mann im tiefen Brummton und rubbelte dem kleinen Zwerg über die Stirn. „Gedulde dich noch etwas... Papa bringt dir bald was zu essen." Dann küsste er seinen Sohn sanft auf die Stirn und wickelte ihn wieder in die warme Decke ein und begann von neuem seinen Spurt durch die Nacht.

Er musste sich beeilen, wenn er schnell genug von diesem Höllenloch weg wollte und er musste noch viel schneller sein, wenn ihm seine Verfolger nicht schnappen sollten. Dabei war das Kind zwar eine leichte Behinderung aber um nichts in der Welt würde er sein Baby zurück lassen. Nicht nach all den Mühen seinen Sohn erst aus ´deren´ Fängen zu befreien. Seine Mutter hatten sie einfach so sterben lassen, als sie merkten das sie keine Kraft mehr für weitere Geburten aufbringen konnte. Ihr Schicksal war also mit der Geburt ihres letzten Kindes besiegelt. Ein Schicksal das dem Mann ebenfalls blühen würde, sollte er nicht schleunigst von hier verschwinden und sich und seinen Sohn ihn Sicherheit bringen können!

Er jagte also weiter, immer weiter in eine Richtung die er nur kurz auf der Karte gesehen hatte, die er nur für wenige Minuten einsehen konnte.

Wenn alle Berechnungen stimmten, dann müsste er bald auf die nächste Hauptstraße kommen die ihn zur nächst größeren Stadt brächte aber es blieb abzuwarten, ob diese Stadt dann nicht schon genauso verseucht war wie die aus der er erst mit seinem Sohn geflohen war.
Nichts in dieser Welt konnte ihn mehr zwingen zurück zu gehen, oder sein einziges Kind diesen Menschen auszuhändigen.

Er knirschte böse mit den Zähnen als er an die Leute zurück dachte, die versucht hatten ihn mit aller Gewalt zurück zu halten, ihn davon abzubringen seine Familie zu sehen.

Sie hatten ihn zu seinem Sohn geführt, der hinter einer dicken Glasscheibe in einem Brutkasten lag mit allerlei Schläuchen in seinen kleinen, so winzigen Ärmchen. Alles wurde von Maschinen überwacht und ein Beutel mit weißlicher Nahrung stellte sicher, dass das Kind zu essen bekam während ein anderer Apparat seine Herztöne überwachte. Eigentlich ging es ihm dort von der medizinischen Seite aus sehr gut aber das genügte dem Vaterherz nicht. Er sah wie die Menschen um das Kind herumscharwenzelten. Sie sahen nicht den Menschen, nicht das Wunder des Lebens sondern ein weiteres Versuchsobjekt, etwas das man erforschen musste- etwas das man BENUTZEN konnte.

Das dort in dem Brutkasten war aber nicht irgendein Versuchsobjekt! Es war sein Sohn zum Donnerwetter noch mal! Jemand musste ihn in den Arm nehmen und ihn lieben und er brauchte endlich einen NAMEN verdammt noch mal! T-014 war eine verdammte Codenummer! So etwas konnte man als Passwort für einen Computer verwenden aber nicht für einen Säugling!

Am liebsten hätte er ihn sofort von dort weggeholt aber er musste sich in seinem Tatendrang zügeln. Die Menschen hier waren vielleicht skrupellos aber nicht allesamt durch die Bank weg bescheuert! Er musste abwarten und auf seine Gelegenheit warten mit seinem Kind zu fliehen.

Diese Gelegenheit hatte sich vor fast drei Wochen endlich ergeben und seitdem war er auf der Flucht.

So jagte der Mann also weiterhin durch die Nacht, immer weiter weg von dem Ort den er gemeinhin als „Hölle auf Erden" bezeichnete und welche schon ihre schwarzen Reiter entsandt hatte, um sie zurück zu holen aber da rechneten sie nicht mit dem Kampfeswillen, den der Mann in seinen wenigen Monaten der Vaterschaft aufgebaut hatte.

Er kämpfte schon seit geschlagenen drei Wochen um das Überleben des Säuglings, war auf der steten Flucht vor seinen Verfolgern die unablässig nach ihnen suchten. Kaum eine Polizeistelle suchte nicht nach dem Mann der ein kleines Kind ´entführt´ hatte und in kaum einem Dorf hingen nicht Steckblätter von seinem Gesicht und die Tageszeitungen berichteten von einer angeblich gräulichen Tat die mit dem Mord an der Mutter seines Sohnes anfing und der Tatsache das er ein verurteilter Strafverbrecher war, der als zu gemeingefährlich einzustufen war. Das alles in Kombination mit der Tatsache das sein gesamtes Geld bereits aufgebraucht war hatte ihn dazu bewogen sich von den Straßen und Städten fernzuhalten und nur noch querfeldein zu gehen. Diese Entscheidung jedoch führte dazu das sein Kind nur noch unregelmäßig zu essen bekam und er schon seit fast zwei Wochen überhaupt nichts mehr zu beißen hatte. Er musste bald etwas jagen, sonst würde ´das Ding´ in seinem Körper den Kampf gewinnen und danach war niemand mehr sicher.

Fast gut eine halbe Stunde später kam er auf die kleine Landstraße die sich durch das Tal wand. Auf der einen Seite war der Berg von dem er gerade gekommen war auf der anderen Seite tat sich ihm ein steiler Abhang auf der von dichten Bäumen und Sträuchern bewachsen war. Ein schöner Ausblick in die Landschaft war ihm gegönnt als der kalte Nordwind ein paar Wolkenfetzen wegdrückte und der Mond zum ersten Mal das Tal bescheinen konnte. Das Licht war kalt und trüb aber es reichte aus damit sich der Wanderer mit seiner kostbaren Fracht orientieren konnte.

Er rannte weiter mit seinem Kind auf dem Arm durch die Nacht, immer auf der schlecht geteerten Straße entlang bis ihm auffiel das etwas nicht stimmte.

Vor ihm tat sich eine scharfe Kurve auf die in einem steilen Hang hinunter ging. Jeder Autofahrer musste hier Acht geben das es ihn nicht aus der Kurve trug...

Der Mann mit den ozeanblauen Augen und den langen, verwilderten Haaren verengte seine Augen etwas und blickte genauer auf die Leitplanke die stark verbeult und beschädigt war. Hier stimmte etwas nicht! Die Kratzspuren sahen verdammt frisch aus und der eigenartige Geruch in der Luft ließ vermuten das vor nicht allzu langer Zeit hier in dieser Gegend ein Unfall geschehen sein musste.

Gerade wollte der Mann weiter als er mitten in der Kurve stehen blieb und auf die Eisenplanke starrte die zum einen Teil aus der Verankerung gerissen war und nun in der Luft baumelte. Bis zum geteerten Teil der Straße fehlte sogar ein Stück der Erde und vom Abhang darunter drang ein eigenartiges Stöhnen und Keuchen zu ihm durch.

Es blieb keine Zeit für weiteres Nachdenken! Er zog seine dicke Baumwolljacke aus und baute seinem Kind ein warmes Nest in das er es an eine sichere Stelle legen konnte und machte sich dann auf bei der Unfallstelle nachzusehen.

Ein Bild des Schreckens baute sich vor ihm auf als er in den bewaldeten Abgrund hinabblickte.

Ein Auto, ein dunkler Chevrolet hatte sich mit dem Hinterteil in das Gebüsch gegraben so das der Mann direkt dem Fahrer ins Gesicht blicken konnte, der das Licht in seinem Auto angemacht hatte um einer Frau, wohl seine Ehefrau, die neben ihm auf der Beifahrerseite eingeklemmt war zu helfen. Sie sah übelst mitgenommen aus, dass konnte der blauäugige Mann schon von hier oben erkennen und es blieb abzuwarten ob sie diesen Unfall überhaupt überlebte. Der Mann aber schien nicht wirklich schwer verletzt, auch wenn eine Blutspur über sein Gesicht lief.

Der Mann ließ sich langsam den Abhang hinab und arbeitete sich zu dem Wagen vor, der sich im Sturz um seine eigene Achse gedreht haben musste und nun gerade zwischen dicken Baumstämmen festgeklemmt war. Die beiden Seiten des Wagens waren genauso wie die Vorderseite die er gut im Blick hatte, komplett hinüber und zerbeult. Das Wort „Totalschaden" wurde durch dieses schreckliche Bild erst richtig verständlich.

Der Mann am Steuer hatte inzwischen gesehen das ein Mann zu ihnen hinunter unterwegs war und das erleichterte ihn dennoch ungemein! Er blickte zu dem Mann der sich langsam aber sicher zu ihnen runter arbeitete, hinauf und betete das er ihnen helfen konnte.

Unterdessen machte seine Frau ein ächzendes Geräusch als würde sie gleich etwas hoch husten müssen.
„Francine... Francine..." Keuchte ihr Mann Nathan und rüttelte sie sanft an den Schultern. „Da ist Hilfe unterwegs, siehst du? Jemand kommt uns zu Hilfe." Keuchte er schwer und hustete schwer. Auch er war verletzt worden durch den Unfall und sein rechter Arm wollte nicht mehr so aber das machte nichts solange es seiner Frau nur gut ging!

"Dieses verdammte Reh.." dachte sich Nathan wütend als er sich mit dem noch gesunden Arm die dunklen Haare aus dem Gesicht wischte. „Das nächste Mal fahr ich es einfach um!"

Inzwischen war der Fremde fast schon an ihrem Auto angekommen. Er arbeitete sich zuerst zu Francine vor, die es wirklich schlimm erwischt hatte und zuerst Hilfe brauchte. Nathan sah sie unglücklich an und warf einen besorgten Blick auf die Rückbank wo ihr Baby noch bis eben gesessen hatte. Nun war da nur noch etwas, dass mal an den Kindersitz erinnerte in den er Leon gesetzt hatte. Der Kindersitz war vollkommen zerstört und vom Astwerk durchlöchert. Ein schwerer Baumstamm hatte sich durch das Heck seines Wagens gefressen und es blieb abzuwarten ob es sie nicht auch beide erwischen würde. Nathan schluckte die aufkommenden Tränen hinunter als er an seinen kleinen Sohn dachte der bis eben noch auf dem Rücksitz geschlafen hatte und daran was Francine sagen würde, sollten sie diesen Unfall überleben aber nicht ihr Kind! Sie würde es nicht überleben! Nathan schluckte schwer und sah auf seine Frau die schon die ganze Zeit über den Namen ihres Sohnes aufsagte und nach ihm zu suchen schien. Sie war im Delirium, keine Frage aber sie war noch immer eine verantwortungsbewusste Mutter die Angst um ihr Kind hatte.

Nathan verkniff sich ein Aufschreien und blickte noch einmal zurück wo sein Sohn gesessen hatte... Nichts mehr... Leon war fort... Nachdem sie es so oft versucht hatten ein eigenes Kind zu bekommen war ihnen dieses hier einfach so genommen worden. Es war zum heulen! Nathan wollte schreien und um sich schlagen! Hatten er und seine Frau durch die drei Fehlgeburten nicht schon genug durchgemacht? Mussten sie jetzt das einzigste in ihrem Leben verlieren das sie mehr als alles auf der Welt liebten? Francine würde wahnsinnig werden! Sie würde wieder anfangen depressiv zu werden und das nächste Mal wenn er ins Badezimmer kam würde sie es nicht nur beim Versuch lassen sich etwas anzutun! Sie hatte es sich so zu Herzen genommen als man ihr erklärte das sie nur noch einen funktionsfähigen Eierstock hatte und das die Hoffnung auf ein Kind sich somit drastisch verringerte. Was hatten sie für Höllen überstanden bis der Arzt endlich das lang erwartete Kind aus ihrem Bauch holen durfte.

Ihren Sohn! Ihr erstes Kind! Nathan war so stolz auf seine Frau und seinen Sohn gewesen das sie den Ärzten ein Schnippchen geschlagen hatten und sie endlich ihr eigenes Kind in den Armen halten durften. Leon war das Wundermittel das Francine gebraucht hatte um wieder neuen Lebenssinn zu finden und sie kehrte auch auf schnellstem Wege wieder in ihr normales Leben zurück.

Nathan hatte Angst. Panische Angst vor dem Kommenden, wenn man ihr die Nachricht vom Tod ihres erst sechs Monate altem Säugling beibringen musste.. Francine würde das nicht überleben! Sie würde...

„Sir? Ma´am?" Hörte er plötzlich die dunkle Stimme des Mannes der von außen an die Scheibe klopfte. Nathan riss sich zusammen und beugte sich so gut es ging zu der Fensterkurbel seiner Frau hinüber und mit seinem linken Arm kurbelte er das Glas so weit er konnte herunter, soweit es der Schmerz in seinem Arm zuließ.

„Wir hatten einen Unfall.." Fuhr es plötzlich Nathan dummerweise heraus. „Helfen sie meiner Frau, bitte! Sie ist schwer verletzt!"
Der Mann mit den langen, dunkelblonden Haaren nickte und sah zu der Frau die auf der Beifahrerseite saß und immer wieder den Namen ihres Kindes flüsterte.

Der Fremde fasste durch das Fenster und kurbelte das Glas weiter bis zum Anschlag hinunter. Dann endlich fasste er durch das Fenster und befühlte den Puls von Nathans Frau, zählte offenbar die Schläge, prüfte unterdessen nach weiteren Blessuren.

„Wir müssen sie hier rausschaffen." Knurrte dann der Mann säuerlich und ging von dem Auto zurück. „Die Bäume werden nicht mehr lange halten..."
„Bitte... mein Sohn.." Keuchte Francine und schlug die Augen auf. „Mein Kind! Retten sie meinen Sohn!" So schnell wie das aber gekommen war, so schnell verging es auch wieder und Francine schloss wieder ihre Augen. Der Fremde blickte sie mit düsterem Blick an und beugte sich dann nach hinten zur Rückbank aber Nathan konnte erkennen wie dieser den Kopf schüttelte. Es war also sicher: Leon Scott war tot! Er hatte es nicht überlebt!!

Nathan atmete schwer und schon flossen die ersten Tränen. Sein Sohn war also wirklich tot...

Da kam der blonde Fremdling wieder zurück an das Fenster seiner Frau und man sah ihm deutlich an das er nach einer Lösung suchte.

„Sir, ich schaff sie hier beide raus!" Dann trat er so gut es eben ging auf dem steilen Abhang zurück, schaffte sich etwas Gleichgewicht und ging dann in die Hocke, so dass er aus dem Augenwinkel von Nathan verschwand.

Gerade als Nathan nachfragen wollte ob alles in Ordnung sei, ob ihr Helfer überhaupt noch vor Ort war hörte er ein seltsames Geräusch sich anhörte als würde Stoff reisen und Gummi der aufeinander rieb dazu das Tropfen von etwas das an Wasser erinnerte und schließlich erklang das schneidende Geräusch von etwas scharfen an der Seite seiner Frau.

Was danach geschah sollte Nathan Kennedy niemals wieder vergessen können:

Er erkannte den Umriss ihres Helfers der seinen linken Arm seltsam verkrümmt von sich weg hielt. Seine gesamte linke Seite hatte sich eigenartig verändert, als wäre sie ums doppelte angewachsen. Nathan konnte deutlich mehrere Höcker erkennen die von der Schulter des Fremden abstanden der nun mit seinem linken Arm ausholte.

Das kreischende Geräusch von Klingen die sich durch Stahl arbeiteten machten Nathan fast taub und als sich dann plötzlich fünf lange Klauen dicht neben den Kopf seiner Frau arbeiteten, war Nathan aufgeschreckt und hatte seine Frau in ihrem Sitz zurück gezogen. Dabei kam er den fünf klingenartigen Klauen gefährlich nahe die das harte Metall und Eisen in Anbetracht all ihrer Kraft auseinander bogen und eine tiefe Schneise bogen und sich so in Richtung Türverankerung arbeiteten.

Die Klauen waren mindestens fünfzehn Zentimeter lang und so scharf wie... Nathan kannte eigentlich nichts was so scharf und vor allem so stark war das es die massive Wand eines Autos ausreißen konnte. Trotzdem tat dieses `Ding´ es gerade: Es bearbeitete die Verankerung der Tür so lange bis er sie herausnehmen konnte und zum ersten Mal erkannte Nathan das gesamte Antlitz seines Retters.

Der Mann mit den blonden Haaren und den ozeanblauen Augen sah besorgt zu den beiden Menschen in der Fahrerkabine. „Alles klar?" Fragte er dann mit tiefer Stimme und Nathan konnte nur flüchtig nicken. „Ihre Frau hole ich zuerst hier raus, schaffen sie es solange hier?" Fragte der Mann weiter. Zuerst wollte Nathan lauthals `Nein!` schreien, dann aber sah er noch mal in die Augen des Mannes der ihn ansah, mit einer Mischung aus Mitleid und Traurigkeit aber mit einer Ernsthaftigkeit das Nathan nur noch nicken konnte.

Der riesige Arm des Mannes blieb immer hinter seinem Rücken während er mit der Rechten damit beschäftigt war Francines Gurt zu lösen. Als es vollbracht war und der Mann seinen Arm wieder hervorholte hatte er keine Klauenhand mehr und nur noch ein aufgerissenes Sweatshirt erinnerte an die Aktion mit der riesigen Hand. Mit einer Sanftheit und Sorgfalt die Nathan dem Mann gar nicht zugetraut hätte, hob er Francine auf die Arme und holte sie vorsichtig aus dem Wagen heraus. Zuerst hatte Nathan Angst gehabt das er sie fallen lassen könnte aber er bewegte sich so zielsicher den Abhang hinauf mit seiner Frau auf dem Arm das Nathan niemals daran zweifeln würde, sie wäre bei ihm in schlechten Händen. Dann verschwand er oberhalb des Abhanges wieder auf der Straße.

Nathan Kennedy blieb solange allein im Wagen zurück und versuchte das gerade erlebte irgendwie auf die Reihe zu bekommen. Der Unfall. Francine. Der Tod seines Sohnes und dann war da noch dieser Fremde der ihnen half und das seltsame Gefühl in Nathan das er eigentlich nicht wissen wollte was es mit dem Helfer auf sich hatte. Immerhin kümmerte er sich um sie und ohne seine Hilfe würden sie wohl bald das Schicksal ihres Kindes teilen also wollte Nathan die Fragen nach dem ´Warum´ ´Wieso´ und ´Wer´ erst mal auf später verschieben.

Es dauerte fast gute zehn Minuten bis der Fremde wieder dabei war sich auf den Weg zu ihm hinunter machte. Nathans Fensterseite war eingeschlagen, so konnte er die kalte Nachtluft spüren die draußen herrschte. Der Fremde tat gut daran das Fenster vorsichtig einzudrücken damit er besser an den Mann vor dem Lenkrad herankam.
„Sir?" Fragte der Fremde und hielt ihm die Hand hin. „Freut mich. Alexander O´Bannion!"
Nathan blickte die ihm dargereichte Hand skeptisch an, hob aber dennoch seine andere Hand und schüttelte die andere. „Nathan Kennedy und das eben war meine Frau Francine Kennedy."
„Ah ja, das hat sie mir schon gesagt. Sie ist wieder etwas zu sich gekommen und hat gleich nach ihrem Sohn gefragt. Wie war sein Name?" Alexander O´Bannion war dabei Nathan auf Verletzungen zu überprüfen. Bis hier Hilfe eingetroffen war konnten noch Stunden vergehen und Nathan hatte nicht vor einfach zu verschwinden ohne alles in seiner Macht stehende zu tun um dieser Familie zu helfen.
„Leon. Leon Scott Kennedy." Antwortete Nathan mit matter Stimme.
„Leon?" Fragte Alexander zurück der jetzt mit seiner Inspektion fertig war und nun anfing am Türschloss zu arbeiten. „Das ist ein sehr schöner Name, muss ich sagen. Gefällt mir." Schon wieder das Geräusch von kreischendem Eisen und die gleiche Prozedur begann von neuem. Der Mann hatte eine Fähigkeit die es ihm erlaubte festes Eisen zu zerstören und Nathan wunderte sich schwer darüber, stellte aber keine Fragen. Erst als die Tür heraußen war erlaubte es sich Nathan noch mal zu sprechen. „Scott war der Name von Francines Vater... Leon war mein Vorschlag.."
„Ah ja.." Alexander, der mysteriöse Helfer beugte sich über Nathan und begutachtete den Gurt dessen Öffnung es irgendwie hinter den Sitz verzogen hatte. „Sir, bitte schließen sie kurz die Augen." „Wieso?" Fragte Nathan zurück und blickt den Fremden panisch an, dieser winkte nur ab und drückte Nathan die Hand auf die Augen so dass dieser nichts mehr sehen konnte. Im nächsten Augenblick spürte er wie sich etwas an seinem Gurt zu schaffen machte. Kurz darauf hörte er das Material seines Gurtes kurz ´Ratsch´ machen und schon lockerte sich der Gurt. Nathan war ebenfalls frei, nun konnte er von Alexander aus dem Auto gehoben werden.
„Passen sie gut auf ihren Kopf auf." Meinte Alexander noch und genau wie er es bei Francine gemacht hatte und hob Nathan sicher auf die Arme, dann schon machte er sich ebenfalls auf den Rückweg.

Oben erwartete Nathan ein unglaubliches Bild. Seine Frau, Francine lag in einer dicken Jacke eingehüllt am Wegrand und hielt ein kleines, schreiendes Bündel in den Armen, versuchte es zu beruhigen und knuddelte das kleine Kerlchen liebevoll, hauchte ihm sogar zarte Küsse auf den kahlen Kopf und herzte es wie es nur eine Mutter konnte.

Alexander ließ Nathan dann neben seine Frau hinunter und hockte sich dann etwas weiter entfernt, dafür aber neben die Frau die den Säugling so sicher fest in ihren Armen hielt obwohl sie so schwer verletzt war und ihre beiden Beine mit Sicherheit gebrochen waren.
„Francine.. Dieses Baby..." Sprach Nathan leise und deutete auf das Kind das seine Frau in den Armen hielt. Francine, die etwas benebelt aussah, blickte ihren Mann verwundert an und konnte mit seinem Blick erst mal nichts anfangen. „Was hast du Nathan?" Fragte sie dann zögerlich. „Erkennst du etwa deinen eigenen Sohn nicht mehr?" Fragte sie weiter und herzte das Baby noch einmal liebevoll.
Nathan blickte daraufhin den Fremden an der immer noch neben Francine saß und die beiden aus gütigen Augen ansah. Er bemerkte den fragenden Blick des Vaters und zuckte leicht mit den Schultern.
„Ist das etwa..." Fragte Nathan weiter und starrte den Fremden an dem trotz all der Güte in seinen Augen ein schmerzlicher Blick von Wehmut nachging. Nathan ahnte etwas schreckliches.
„Ich habe ihren Sohn zuerst aus dem Wagen gezogen." Erklärte sich Alexander dann plötzlich. „Er hat wie durch ein Wunder überlebt und damit er nicht friert habe ich ihn in diese warme Decke gehüllt." Nathan starrte Alexander immer noch ungläubig an und als er dann zu seiner Frau zurück blickte die ihren Sohn nur liebevoll bemutterte wurde ihm wieder ganz flau in der Magengrube. Langsam streckte er seine Hand nach dem Kind aus und Francine ließ zu das er seinem `Sohn´ über den Kopf streicheln durfte.
„Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Ma´am," Fing Alexander dann von neuem an. „Sie haben da einen sehr hübschen jungen Mann in ihren Armen. Darf man fragen wie er heißt?"
Francine sah mit müden Augen auf ihren Retter antwortete erst mal nicht auf die Frage, nur ein seliges Lächeln. Als dann auch noch ein kleines Händchen auf der Suche nach etwas essbaren sein ganzes Umfeld absuchte zauberte ihr das wieder ein zufriedenes Lächeln ins Gesicht.
„Leon Scott Kennedy... Aber eigentlich sollten wir ihn nach seinem Retter benennen.
Alexander aber winkte ab. „Nein, bitte alles nur das nicht! Er hat schon einen sehr schönen Namen und den soll er auch behalten. Außerdem fände ich es nicht gut wenn er durch meinen Namen auch noch zu einem Unglücksmagneten werden würde."
„Unglücksmagneten?" Sie sah den knienden Mann skeptisch an, lächelte dann aber erneut. „Nein... Sie hat der Himmel geschickt!" Dann küsste sie ´ihren Sohn´ sanft auf das kahle Köpflein. „Ich hätte nicht gewusst was ich getan hätte, wäre meinem kleinem Glückskind etwas zugestoßen. Vielen Dank Sir! Vielen herzlichen Dank!" Und das überglückliche Strahlen im Gesicht der jungen Mutter ließ sogar Nathan verstummen und alle Sorgen vergessen. Ihr Retter schien ebenfalls etwas erleichtert über das freudige Gesicht der Frau mit den verdreckten, rotlockigen Haaren. Natürlich sah man ihm so etwas wie Kummer und Schmerzen aber das alles wurde von einem freundlichen Lächeln auf den Lippen übersehen.

Nathan wusste nicht was den Mann dazu bewogen hatte eine so große Tat zu vollbringen und ihnen sein Kind zu überlassen aber offenbar nahmen sie ihm dadurch auch eine große Last von den Schultern. Was auch immer ihn getrieben hatte , er schien nun wesentlich erleichtert über etwas zu sein.

„Ich werde nun losgehen und ihnen Hilfe besorgen." Sprach Alexander dann auf einmal und erhob sich von seinem Platz. „Bleiben sie solange hier bis die Einsatzkräfte hier eintreffen und machen sie es gut!"
„Wollen sie uns etwa hier alleine zurück lassen?" Fragte Nathan geschockt. „Ganz alleine, hier? In dieser Ödnis?"
Alexander drehte sich noch einmal um und sah ihn aus undeutsamen Augen an. „Keine Angst, sie werden Hilfe bekommen aber unsere Wege werden sich wohl nicht mehr kreuzen. Passen sie gut auf ihre Familie auf Nathan." Er winkte den beiden noch und verschwand dann um die Ecke.

Nathan blieb mit seiner Frau und dem neu gewonnenem Familienmitglied zurück. Der Familienvater wusste einfach nicht was er davon halten sollte. Dann aber sah er zurück zu seiner Frau die glücklich mit ihrem Sohn im Arm eingeschlafen war. Hatte sie es in ihrem Schock und ihrer Angst nicht bemerkt? Oder wusste sie das sie da ein fremdes Kind in den Armen hielt, welches ihnen von einem wildfremden Mann anvertraut wurde? Nathan wusste es nicht und irgendwie wollte er es auch gar nicht wissen.

Das einzige was jetzt zählte war, dass seine Frau glücklich war und keinen weiteren Nervenzusammenbruch erdulden musste. Gott hatte ihnen zwar ein Kind genommen, ihnen aber im nächsten Augenblick eine neue Chance gegeben gute Eltern für diesen kleinen Kerl zu sein.

Nathan beugte sich über seine Frau und blickte in das schlafende Gesicht seines Sohnes. Er schlummerte mit dem Däumchen an seinem Mund und ließ sich durch nichts stören.

„Hallo... Leon." lächelte Nathan erleichtert in die Nachtluft während er als einziger wach blieb und auf das eintreffen der Rettungskräfte wartete die ihn und seine Familie nach Hause bringen würden.