Hier

Irgendwo in einer großen Stadt.

Regen prasselte auf die Erde. Der Himmel war grau. Menschen rannten durch den Regen, Autos fuhren durch tiefe Pfützen und ließen das Wasser spritzen. In der Nähe hörte man die laute Sirene eines Ambulanzwagens.

Ein Bus fuhr die Straße entlang und stoppte an einer Bushaltestelle. Menschen drängten aus dem Bus auf die Straße und eilten durch den Regen.

Ein dünnes, unscheinbares Mädchen schob ihre große Brille weiter auf die Nase, klappte seufzend das Buch zu, welches sie gerade las, und steckte es behutsam in ihre Umhängetasche.

Mit einem zweifelnden Blick zum Himmel stieg sie aus dem Bus. Sie nahm ihre Tasche schützend unter dem Arm, und lief durch den Regen über die Straße. Die blonden Haare, die ihr bis knapp über die Schultern reichten, klebten nass am Kopf.

Es war zwar bereits März, aber es regnete mal wieder in Strömen. Ihre Jeans und die helle Fließjacke waren allein von der kurzen Strecke komplett durchnässt.

Sie flüchtete sich unter das Dach eines Kiosks, nahm ihre Brille ab, und wischte sich mit dem Handrücken über das nasse Gesicht. Regentropfen rannen ihr über den Hals und wurden von ihrem T-Shirt aufgesogen.

„Warum kann nicht mal wieder die Sonne scheinen?" fragte sich Melanie leise. Wieder sandte sie einen Blick in den Himmel. Graue Wolken waren dort zu sehen. Nicht ein Stück blauen Himmels. Hohe Häuser umrahmten ihr Gesichtsfeld, und die immer währenden Geräusche einer Stadt dröhnten ihr in den Ohren.

Sie sah sich um, und beobachtete einen Moment die Menschen, die durch den Regen rannten. Hektik war auf den Straßen. Sie sah viele Studenten, die zu ihren Vorlesungen eilten, Menschen mit Regenschirmen, die den tiefen Pfützen auswichen, und Autos, die ihre Scheibenwischer auf die höchste Stufe gestellt hatten.

Sie seufzte. Wie schön es wäre die warme Sonne auf ihrem Gesicht zu spüren. Kurz erinnerte sie sich an vergangene Zeiten. Es war bereits Jahre her. Fröhlich rannte sie mit ihren alten Freunden über die grünen Wiesen ihres alten Heimatortes. Sie hörte noch die Vögel in den Bäumen zwitschern, und roch die saubere, frische Luft.

Damals war sie noch ein Kind. Damals hatte sie noch nicht an die Sorgen und Probleme denken müssen, die schon wenige Jahre später in ihr Leben zogen.

Nun war sie erwachsen. Sie hatte vor wenigen Monaten ihren einundzwanzigsten Geburtstag gefeiert – allein. Niemand war bei ihr gewesen. Ihre Mutter hatte keine Zeit gehabt, ihr Vater war weit weg, und Freunde hatte sie hier in dieser grauen Stadt keine.

Erneut seufzte sie. Das war jetzt zum Glück vorbei. Jetzt hatte sie jemanden an ihrer Seite. Endlich war sie glücklich!

Ein Auto fuhr vorbei. Es war um einiges schneller als hier erlaubt. Es preschte durch eine tiefe Pfütze, das Wasser spritze hoch und durchnässte Melanies Jeans noch zusätzlich.

„Idiot!" schimpfte sie, als sie sich ihre beschmutzte und klitschnasse Hose ansah. „Der Tag fängt ja gut an." Wütend sah sie dem Golf hinterher. Sie drehte sich um und stieß mit jemandem zusammen.

„Pass doch auf wo du hinläufst! Setz lieber deine Brille wieder auf, blöde Kuh!" fuhr sie der junge Mann an, den sie as versehen angerempelt hatte.

Erschrocken sah sie ihn an. „Entschuldigung." sagte sie leise und ging ihm aus dem Weg. Was war heute nur los mit den Leuten?

Sie schüttelte den Kopf und sah auf die Uhr an der Apotheke nebenan. Sie hatte noch Zeit um in die Bücherei zu gehen, bevor die Vorlesung begann.

„Wenn ich schon mal hier bin, kann ich mir auch gleich etwas Nervennahrung holen." dachte sie. Sie drehte sich zum Kiosk um. „Einen von diesen Schokoriegeln, bitte!" sagte sie zu dem Kioskverkäufer. Sie schob ihre Brille wieder auf die Nase, und gab ihm einen Geldschein.

Während der Verkäufer das Wechselgeld zusammensuchte, streifte ihr Blick über die Straße. Ihre Augen hefteten sich plötzlich auf einen Punkt. Der Kioskverkäufer reichte ihr das Wechselgeld und den Riegel, doch sie reagierte nicht.

„Hallo? Junge Dame! Ihr Schokoriegel!" Sie hörte ihn nicht. Ihr Blick war auf ein Café gegenüber gerichtet. Ohne die Schokolade oder das Geld zu nehmen, ging sie.

„Hallo? Was ist mit ihrem Schokoriegel?" rief der Verkäufer ihr hinterher. „Dann eben nicht! Komische Tussi!" murmelte er, als das Mädchen einfach ging, und steckte das Geld in seine Tasche.

Melanie war wie hypnotisiert. Sie konnte nicht glauben, was sie dort sah. An einem Tisch am Fenster saß ein gut aussehender, dunkelhaariger junger Mann mit einem wunderhübschen, blonden Mädchen, und sie küssten sich!

Sie ging noch ein Stück näher. Sie musste sich irren!

Es regnete in Strömen und die dicken Tropfen liefen ihr kalt in den Nacken und den Rücken herunter, doch Melanie bemerkte es nicht. Sie starrte in das Café auf das Pärchen. Er war es tatsächlich! Ihr Freund saß dort mit einem anderen Mädchen und küsste und streichelte sie.

Es war wie ein Fausthieb in ihre Magengrube. Hatte sie nicht eben noch gedacht, dass sie endlich jemanden gefunden hatte? Das sie endlich glücklich wäre? Mit einem Schlag war alles zunichte.

Fassungslos sah sie immer noch in das Café. Er hatte doch gesagt, dass er sie liebt, damals, in der Nacht, in der sie weitergegangen waren, als sie eigentlich wollte. Als sie noch gar nicht bereit war für so etwas Intimes. Als sie eigentlich noch warten wollte, weil sie immer geglaubt hatte, dass es etwas ganz Besonderes sein sollte. Als sie sich anschließend mit Körper und Seele schlecht gefühlt hatte. Sie hatte sich ihm, gegen ihren eigentlichen Willen hingegeben. Und jetzt sah sie diesen Jungen dort mit einem anderen Mädchen sitzen…

„Weißt du, dass du wunderhübsch bist?" sagte der Junge zu dem Mädchen, und strich ihr übers Gesicht und über die lippenstiftroten Lippen. Diese fing an zu kichern, und warf ihm einen koketten Blick mit ihren blauen Augen zu.

Er grinste sie an. Dann sah er über den blonden Kopf des Mädchens hinaus in den Regen. Er sah Melanie dort stehen – seine Freundin. Ein schüchternes, zugeknöpftes, nicht unbedingt hübsches Mädchen. Trotzdem war er mit ihr zusammen. So genau wusste er auch nicht, was ihn damals dazu getrieben hatte, das er sie angesprochen hatte. Das einzig hübsche an ihr waren ihre Augen, aber ansonsten war sie eine graue Maus.

Er wusste, dass dieses blasse und dünne Mädchen, welches immer, nach seinem Geschmack, viel zu lange und weite Kleidung anhatte, schon seit dem ersten Semester in ihn verliebt war. Er wusste nicht, warum er sie ins Kino eingeladen hatte. Sie war nun wirklich nicht sein Typ. Wollte er sehen, wie weit er bei ihr gehen konnte? Er wusste keine Antwort darauf. Er wusste nur, dass er kein Mann für nur eine Frau war, und erst recht nicht für so ein Mauerblümchen.

Und nun stand sie da draußen, klatschnass, und starrte die beiden durch die Fensterscheibe an. Einen Augenblick sah er sie an. Dann zog er schnell seine Hand von dem Gesicht des immer noch kichernden Mädchens zurück. Mit einem künstlichen Lächeln winkte er ihr durch das Fenster zu. Melanie sah ihn jedoch nur fassungslos an. Dann drehte sie sich um und rannte weg.

„Scheiße!" fluchte der junge Mann, stand auf und nahm seine Jacke. „Ich komme gleich wieder." rief er dem hübschen Mädchen noch beim rausgehen zu, die ihm ziemlich verdattert nachsah.

Er rannte durch den Regen hinter ihr her. „Vielleicht ist das jetzt die passende Gelegenheit, diese langweilige Beziehung zu beenden." überlegte er. Aber er dachte sich auch noch, dass er es nett verpacken musste, denn anscheinend war er für sie die große Liebe, und er wollte ja nicht, dass sie sich aus Enttäuschung noch irgendetwas antun würde.

Er spurtete hinter ihr her, holte sie ein und hielt sie am Arm fest. „Mel, warte! Ich kann dir das alles erklären!"

„Fass mich nicht an!" fauchte sie, und funkelte ihn mit ihren grünen Augen an. „Wie konntest du das tun? Ich versteh das nicht!" Sie sah ihn fragend an. Tränen standen in ihren Augen. „Ich dachte, wir wären glücklich?" Entsetzt wich sie seinen Armen aus, die erneut nach ihr griffen.

„Es tut mir leid, Mel! Es war ein Ausrutscher! Es kommt nie wieder vor – versprochen! Aber du musst mich auch verstehen. Ich bin ein Mann!" Er grinste entschuldigend, und versuchte erneut sie zu fassen, doch sie ging ein paar Schritte zurück. Der Regen lief ihr Gesicht hinunter und man konnte nicht mehr sehen, welches Regen, und welches ihre Tränen waren.

„Lass mich in Ruhe! Ich will dich nie wieder sehen!" flüsterte sie. Doch sie wusste, dass dies unmöglich sein würde, denn schließlich studierten sie beide Englisch und Französisch im selben Semester, und würden sich täglich über den Weg laufen. Allerdings wusste sie nicht, dass es anders kommen würde als sie befürchtete…

Sie drehte sich um, und wollte über die Straße laufen. Ihre Tränen in den Augen und der Regen auf ihrer Brille verschleierten ihre Sicht. Sie hörte die Fußgängerampel piepen – doch es war die falsche Ampel die piepte…

„Mel warte doch! Ich kann dir das alles erklären!" Die Stimme des jungen Mannes hörte sich beschwichtigend an. Dann aber bekam sie einen panischen Ton. „Mel, das Auto…"

Sie rannte auf die Straße, hörte ein Hupen, und sah dann grelle Scheinwerferlichter. Dann flog sie nach einem harten Aufprall durch die Luft…

So, das war das 1. Kapitel. Wer jetzt denk, dass es mal wieder so ´ne typische Mary Sue ist, der irrt. Abwarten und weiterlesen!

Würde mich über Reviews freuen...