Wiedersehen
„Bin ich froh, dass du mich dieses Mal begleitest und nicht Wakaba oder Macao", lachte Kinana und strahlte Erza an, während sie im Wald nach seltenen Heilkräuter suchten. Makarov bestand darauf, dass man zur Sicherheit immer einen guten Vorrat von seltenen Heilkräutern in der Gilde hatte, falls Wendy mit ihrer Magie nicht weiter helfen konnte oder damit Porlyushika sofort alles zur Hand hatte und nicht vollbepackt zur Gilde eilen musste.
Heute waren Erza und Kinana unterwegs. Das letzte Mal hatten Macao und Wakaba die Lilahaarige begleitet und so gut sie auch mit den beiden auskommen, allein mit den beiden ziemlichen Perverslinge wollte Kinana nicht unbedingt noch einmal sein.
Es brauchte schon zwei bis drei Tage, bis man die Kräuter fand und da meistens Kinana diese Aufgabe übernahm, wurde sie jedes Mal begleitet. Zwar war sie endlich zu einer Magierin geworden, doch Makarov wollte sie anscheinend nie gerne ganz alleine lassen.
Erza wusste den genauen Grund nicht, doch der alte Master schien merkwürdigerweise immer ein wenig besorgt wenn es um Kinana ging. Die Rüstungsmagierin musste zugeben, dass sie eher wenig über Kinana Bescheid wusste. Doch da die Lilahaarige so gut wie gar nichts von ihrer Vergangenheit Bescheid gab, beschloss Erza mal Makarov auszufragen. Oder auch Mirajane, Wakaba und Macao, die anscheinend mehr über Kinana Bescheid wussten als die anderen.
Kinana kniete runter und pflückte eine Elfenrose, gut darauf achtend, dass sie auch die Wurzel wegnahm. Manche von diesen Heilpflanzen wuchsen nur für kurze Zeit – Elfenrosen fand man nur im Juni – und darum passten die Magier von Fairy Tail auf, dass sie nie die Wurzel wegrissen. Sie brachten immer kleine Töpfe mit, in dem sie diese Kräuter vorübergehend pflanzten. Erst zurück in der wurden diese in haltbaren, grösseren Gefässen reingetan.
Erza beobachtete die Heilkräuter, die sie heute schon gesammelt hatten. Es waren reichlich viele. Tigerzahn, Ordenien, Silbersterne, Schwertsalbei, Kronendisteln und jetzt noch Elfenrosen stritten sich um den besten Platz im Korb. Wenn es so weiter ginge, könnten Kinana und sie schon am nächsten Morgen zurück nach Fairy Tail gehen.
Die Rüstungsmagierin blickte in den Himmel hinauf. Zwischen den Ästen bemerkte sie, dass das helle Licht der Sonne langsam immer röter wurde. Gewissenhaft sagte sie zu Kinana: „Die Sonne geht gleich unter. Am besten suchen wir jetzt einen Platz, wo wir übernachten können. Andere Kräuter können wir immer noch morgen sammeln."
„Einverstanden. In der Nähe gibt es eine Lichtung mit einem kleinen Bach. Heute wird es eine klare Nacht sein, da können wir es uns doch leisten unter freiem Himmel zu schlafen", schlug Kinana vor. Erza nickte, damit war sie einverstanden. Sie musste zugeben, dass sie die Ruhe im Wald wirklich genoss. Nach einer katastrophalen Mission mit ihrem Team war dies die willkommene Abwechslung. Natsu und Gray hatten wieder einmal die Hälfte einer Stadt zerstört und die Belohnung mussten sie als Schadenersatz zurücklassen, sehr zu Lucys Verdruss, die mit ihrer Miete im Rückstand war.
Als Kinana die Rüstungsmagierin zur Lichtung führte, zuckte sie plötzlich zusammen und flüsterte: „Mist. Anscheinend ist die Lichtung schon besetzt."
Erza verstand sofort was ihre Freundin meinte. Aus der Richtung, in der sie gegangen waren, sah man ein wenig Rauch empor steigen. Sofort hatte sie ihr Schwert zur Stelle und gab Kinana ein Zeichen, ja vorsichtig zu sein. Man konnte nie wissen, ob es sich um Freund oder Feind handelte und im Zweifelsfall wollte Erza nichts überstürzen. Innerlich war sie aufrichtig erleichtert, dass Natsu oder Gray nicht dabei waren. Die beiden Idioten wären sicher sofort Kopf voran ins Unbekannte gestürzt, hätte sie auch nur gesagt, dass es sich vielleicht um Feind handeln würde.
Vorsichtig schlichen sich die beiden Magierinnen von Fairy Tail näher der Lichtung heran. Doch kurz bevor sie sehen konnten, wer dort ein Lagerfeuer gemacht hatte, wurden sie von einer fröhlichen Stimme überrascht: „Cobras Ohren haben ihn wieder einmal nicht getäuscht. Welche Freude dich endlich wieder zu sehen, Erza Scarlett."
Erza liess erleichtert das Schwert sinken, als sie Hoteyes Stimme erkannt hatte. Crime Sorciere war also hier, kein Grund misstrauisch zu sein. Obwohl... die Rothaarige machte sich dennoch ein wenig Sorgen. Bis jetzt hatte sie noch niemandem verraten, dass fünf Mitglieder von Oracion Seis sich Crime Sorciere angeschlossen hatte. Sie wusste nicht, wie Fairy Tail dies aufnehmen würde. Schliesslich hatten sie zwei Mal gegen die Oracion Seis gekämpft, die wohl zu ihren grössten Erzfeinden zählten.
Mit Kinana machte sich Erza keine Sorgen, sie hatte ja nie etwas mit beiden Kämpfen zu tun gehabt. Doch was war mit Natsu, Lucy, Gray, Romeo und allen anderen? Selbst Master Makarov wäre wohl misstrauisch. Es brauchte schon noch einige Zeit, bis man sich mit einem ehemaligen Feind versöhnen konnte. Wie Lucy mit Flare. Oder Erza selber mit Jellal.
Trotzdem lächelte sie Hoteye glücklich an: „Schön dich wieder zu sehen, Richard. Letztes Mal haben wir leider nicht miteinander reden können. Doch du musst wissen, dass ich sehr erleichtert bin, dass du und die anderen euch Crime Sorciere angeschlossen habt."
Sie meinte jedes Wort aufrichtig. Erza hatte akzeptiert, dass die ehemaligen Mitglieder von Oracion Seis nun mit Jellal in einer Gilde waren, auch wenn diese Tatsache sie am Anfang Sorgen bereitet hatte. Innerlich hatte sie ihnen auch schon verziehen. Irgendwie konnte sie Cobra, Midnight, Racer, Angel und Hoteye auch ein wenig verstehen. Mit einem Leben im Tower of Heaven und wenn niemand ihnen die richtige Hilfe gegeben hatte, kein Wunder dass sie Brains Angebot angenommen hatten. Sie hatten nur Verbrechen gekannt, es hatte kein Fairy Tail gegeben, um ihnen ein richtiges zu Hause zu geben. Erza dachte manchmal, dass es ihr vielleicht ebenfalls passiert wäre, wäre sie dort geblieben.
„Vielen Dank. Es ist wirklich eine grosse Chance für uns alle, um bessere Menschen zu werden. Ausserdem kann ich endlich nach Wally suchen. Aber kommt doch, deine Freundin und du könnt ruhig eine Weile bei uns bleiben! Wir sind auf der Jagd nach einer dunklen Gilde namens Invisible Heart und viele Mitglieder wurden in der Nähe von Magnolia gesichtet."
„Meine Freundin heisst Kinana, sie ist erst kürzlich eine Magierin geworden, allerdings ist sie schon seit Jahren ein Mitglied von Fairy Tail. Wir sammeln seltene Heilkräuter für unsere Gilde und wollten eigentlich ein Ort für unser Nachtlager suchen. Die Einladung nehmen wir gerne an."
Ausserdem möchte ich endlich wieder mit Jellal reden können, zwischen uns gibt es noch zu vieles, das geregelt werden soll, fügte Erza in Gedanken hinzu, sagte es aber nicht laut. Dies ging nur Jellal und sie etwas an. Sie nahm Kinana, die bisher erstaunlich ruhig geblieben war, an der Hand und folgte Hoteye zum Lager von Crime Sorciere.
Angekommen entdeckte sie sofort Jellal, der neben einem schlafenden Midnight sass und sie beinahe schüchtern anstarrte. Angel und Meldy sassen auch am Feuer, anscheinend waren sie gerade mitten in einem Gespräch vertieft gewesen, als Hoteye mit den Besucherinnen aufgetaucht war. Racer kam gerade aus dem Wald mit zahlreichen abgebrochenen Ästen in den Armen, die sicher als Feuerholz dienen würden. Cobra hingegen stand etwas abseits von der Gruppe, an einem Baum gelehnt. Etwas in seinem Blick war wie erstarrt und nervös, obwohl er von aussen her ruhig wie immer blieb. Er war der Einzige, der sie nicht einmal angesehen hatte. Erza fragte sich, was mit ihm los war.
Sie spürte, wie Kinana neben ihr angespannt wirkte und die Rüstungsmagierin drückte ihre Hand fester, wie um sie zu beruhigen. Doch als sie einen Blick auf die Lilahaarige warf, war Erza von ihrem strahlenden Blick überrascht. Was war mit Kinana los?
Diese befreite sich von ihrem Handgriff und ging langsam auf Cobra zu. Zur Überraschung der anderen Anwesenden flüsterte sie erleichtert: „Ich bin so froh dich wiederzusehen... Erik."
Xxx
In diesem Augenblick sahen sie alle ausser Cobra vermutlich mit grossem Erstaunen an, selbst dieser Midnight war aufgewacht, doch Kinana bemerkte es nicht. Ihr Blick lag einzig und allein auf diesen Mann, dessen Stimme sie immer wieder in ihren Gedanken hörte und der ihr so viel bedeutete, auch wenn sie immer noch nicht wusste warum.
Kinana hatte sich immer wieder gewünscht ihn wieder zu sehen. Auch wenn sie wusste, dass er einst der dunklen Gilde Oracion Seis angehörte, konnte sie Cobra einfach nicht hassen und verabscheuen. Wenn er wirklich ein Monster wäre, hätte er sich damals im Krater sicher nicht geopfert und verneint sie zu kennen, nur um sie vor dem Gefängnis zu retten. Damals war es ihr noch nicht klar gewesen, sie hatte seine Verneinung einfach nicht verstehen können. Doch nachdem Kinana ihn als Cobra von der dunklen Gilde Oracion Seis identifiziert hatte, konnte sie seine Geste verstehen.
„Erik... ich danke dir", flüsterte sie, als sie schliesslich vor ihm stehen blieb. Hinter ihr hörte sie einige Personen schlucken, doch sie achtete es nicht. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt allein dem Giftdragonslayer. Cobra blickte Kinana schweigsam an, doch in seinem Blick erkannte sie Unsicherheit, Trauer und eine winzige Spur von Freude.
„Wofür?", fragte er nur. Seine Stimme klang ruhig, doch vermutlich fühlte er sich nicht dergleichen. Sein Blick war Beweis genug. Kinana holte tief Luft und sagte sanft: „Dass du mir damals vor dem Gefängnis gerettet hast, dass du dich für mich geopfert hast. Und all das, was du sonst für mich getan hast, auch wenn ich mich nicht mehr daran erinnere."
„Moment Mal, Auszeit! Ich komme hier nicht ganz mit. Was meint sie damit? Cobra, woher kennst du dieses Mädchen?", fragte Racer genervt. Genau wie alle anderen hatte er ziemlich doof aus der Wäsche geguckt, als er erfuhr, dass Cobra anscheinend noch zur der Zeit von Oracion Seis jemanden gerettet und sich wohl um diese Person gekümmert hatte. Diese Seite von der Persönlichkeit des Dragonslayers kannte niemand von ihnen. Das einzige Wesen, mit dem er je liebevoll umgangen war, war Cubelios gewesen und die war kein Mensch, sondern eine Schlange.
Cobra seufzte. Er hatte nie gedacht Cubellios wiederzusehen, nachdem er sich damals im Krater für dieses Mädchen geopfert hatte. Eigentlich hatte er sogar gebetet, dass sie ein neues, glücklicheres Leben führen konnte, obwohl es andererseits die Vorstellung, sie nie wieder sehen zu können, wirklich geschmerzt hatte. Cobra wusste nicht, wie er es den anderen erklären konnte.
„Eigentlich solltest du sie auch kennen, Racer", sagte er schliesslich entnervt, wohl darauf bedacht die richtigen Worte zu finden. „Ich selber weiss es erst seit einem Jahr. Doch allem Anschein nach war Cubellios eigentlich ein Mädchen, dass in einer Schlange verwandelt wurde."
Wenn es sich nicht um ihn und Cubelios gegangen wäre, hätte er über die schockierten Gesichter seiner Gildenkameraden sowie jenem von Titania schlapp gelacht. Selbst Midnights Miene müsste man als Bild aufnehmen können. Doch im Moment war es ihm nicht nach Lachen zumute. Er selber wusste natürlich selber nicht, warum Cubelios nun eigentlich ein Mensch, eine junge Frau war, doch er konnte sich irgendwie den Grund vorstellen.
Damals, im Tower of Heaven, hatte eine Strafe darin besessen, Menschen in irgendwelche Tiere zu verwandeln, am liebsten immer unbeliebte Wesen, die dann von den Sklaven getötet wurden. Cubelios hatte wohl dieses Schicksal erlitten. Sie konnte wirklich von Glück reden, dass sie damals auf ihn gestossen war, Schlangen hatte er schon immer geliebt.
„Warte Mal... dieses Mädchen... ist Cubelios?", quietschte Angel erschrocken auf und wäre sicher fast ohnmächtig geworden, wenn Meldy und Racer, der schnell angerannt kam, ihr nicht geholfen hätten. Titania hingegen blickte nur sprachlos zwischen Cobra und Kinana hin und her. Der Giftdragonslayer hörte sehr gut, wie ihre Gedanken rasend arbeiteten, um den Zusammenhang zu verstehen. Doch er hatte keine Lust dies noch mehr zuzuhören.
„Nicht Cubelios... mein wahrer Name ist Kinana", sagte die Lilahaarige nur. Cubelios... Cobra und einige seiner Kameraden hatten sie also unter diesem Namen gekannt. Sie hatte also eine Verbindung mit den ehemaligen Mitgliedern von Oracion Seis. Wieder eine Antwort aus ihrer Vergangenheit, die allerdings wieder Fragen enthüllte. Wahrscheinlich kannten alle hier nur einen Teil der Wahrheit.
Kinana rieb sich die Schläfen. Sie war müde und obwohl sie sich nicht nervös fühlte, waren durch dieses Treffen mit Oracion Seis wieder neue Fragen ihrer Vergangenheit aufgetaucht. Und anscheinend war sie nicht die Einzige, die mit ihrem Latein am Ende war. Racer, Angel, Midnight und Hoteye betrachteten sie nun mit einer Faszination, die ihr fast peinlich wurde. Warum wurde sie von ihnen so angesehen? Hatte sie früher so speziell ausgesehen, wenn man sie so fasziniert anstarrte?
Kinana spürte wie Cobra ihr einen Arm um die Schultern legte, wie um sie zu beruhigen und ihr eine tröstende Stütze zu geben. Doch die Lilahaarige meinte fast zu fühlen, dass er genauso voller Fragen und Unsicherheit war wie sie.
Es war ganz ruhig auf der Lichtung, nur die sachte Brise, das Feuer und Rufe von entfernten Tieren machten Lärm. Jeder war irgendwie in seinen Gedanken versunken und musste anscheinend diese Neuigkeit verarbeiten. Jellal und Erza starrten sich fassungslos an, Midnight und Hoteye blickten immer noch fasziniert auf Kinana, die sich einfach gegen Cobra lehnte. Meldy starrte jeder von ihnen abwechselnd an, während Racer und Angel sich wortlos die Hände hielten. Die Stimmung war nicht direkt angespannt, doch irgendetwas log trotzdem in der Luft. Als jemand etwas gerissen hätte.
Schliesslich war es Meldy, die diese Stille unterbrach: „Ich denke, jeder hier hat Fragen und möchte wohl Antworteten darauf. Diese Angelegenheit sollten wir in Ruhe diskutieren. Hoteye, könntest du vielleicht das Essen vorbereiten? Wahrscheinlich ist es am einfachsten für uns alle, wenn wir mit etwas im Bauch darüber reden."
Ihre Stimme klang bei weitem nicht so sicher wie ihre Worten es hätten sein sollen. Doch jeder war froh, dass endlich jemand etwas unternahm. Schweigend setzten sich die beiden Magierinnen von Fairy Tail rund um das Feuer, zwischen den ehemaligen Verbrechern. Vielleicht, wenn der Schock vorüber war, würden klar darüber denken können. So schlimm war diese Neuigkeit wirklich nicht.
