Disclaimer: Mir gehört alles, JKR nichts! Äh, falsch, leider anders rum. Also ich starte einen erneuten Versuch: Mir gehört gar nichts, ich leihe mir Rowlings Welt und ihre Charaktere nur aus, um ein bisschen drum rum schreiben und basteln zu können.

Anmerkung: Tja, was soll ich sagen? Diese Geschichte ist irgendwann einmal aus rein experimentellen Gründen entstanden, dann auf meinem Laptop verstaubt, bis ich sie letzthin wieder gefunden und beschlossen habe, sie zu veröffentlichen. Denn wie das so ist, wenn man ein kleines stilistisches Experiment anstellt, kann man das leider selbst immer nur sehr schwer beurteilen. Dementsprechend würde ich mich über Kritik freuen, aber natürlich auch darüber, wenn es einfach nur Spaß beim Lesen bereitet. In diesem Sinne wünsche ich - hoffentlich - viel Spaß ;)


Nur ein Drink

Genervt nippte Katie an ihrem Butterbier. Sie saß in ihrer Stammkneipe an der Bar und war soeben versetzt worden. Eigentlich hatte sie sich nämlich mit ihrer Freundin Alicia treffen wollen, doch diese hatte ihr gerade mal zehn Minuten, bevor sie sich eigentlich hatten treffen wollen, per Expresseule abgesagt. Das auch noch, ohne einen triftigen Grund zu nennen – Katie vermutetet, dass Alicia sich mal wieder mit Oliver vertragen hatte, denn die Beiden trennten und versöhnten sich mindestens einmal im Monat. Katies letztem Informationsstand zufolge, hatte Alicia Oliver nämlich aus deren gemeinsamen Wohnung geschmissen. Also war es durchaus möglich, dass die Beiden gerade eine ausgiebige Wiedervereinigung feierten.

Grundsätzlich störte Katie dieses Beziehungschaos ihrer Freundin und ihres ehemaligen Quidditchkapitäns auch nicht. Selbst dann nicht, wenn Alicia ihr deshalb erst kurz vor knapp absagte. Wenn Katie allerdings schon 20 Minuten zu früh am Treffpunkt gewesen war und sie Alicias Nachricht deshalb zu spät erhalten hatte, verfiel sie nicht gerade in Freudentaumel.

Nichtsdestotrotz würde Katie jetzt nicht nach Hause gehen und dort Trübsal blasen. Es war Freitagabend, sie hatte eine harte Woche hinter sich und deshalb würde sie sich nun bei dem ein oder anderen Drink ein wenig entspannen. Katie war zwar ein geselliger Mensch, aber im Zweifelsfall nahm sie es auch alleine mit der Butterbierflasche auf. Zumal sie in dieser Einrichtung sowieso so gut wie Zuhause war.

Das Flying Dutchman war eine wirklich urige Kneipe und nicht umsonst ihre Lieblingsbar. Die Einrichtung war rustikal gehalten, die lange Theke bildete ein großes Rechteck mit der dahinter liegenden Wand und war mit hohen Barhockern ausgestattet. Entlang den Wänden standen hohe Stehtische, an welchen ebenfalls Barhocker standen, in einer hinteren Ecke war eine bequeme, dunkel gehaltene Sitzgruppe und in der Mitte des Raumes erstreckte sich eine Art Tanzfläche. Nun ja, besonders groß war das Flying Dutchman eigentlich nicht, aber hier tummelten sich Hexen und Zauberer jeder Altersklasse, die Musik war gemischt, das Preisleistungsverhältnis gut, man konnte tanzen, wenn man wollte, konnte sich aber auch unterhalten, da die Musik nie zu laut war. Alles in allem also die perfekte Stammkneipe.

„Noch ein Butterbier, Katie?" – fragte Josh sie. Der Dunkelhaarige mit dem frechen Grinsen war einer der Barkeeper im Flying Dutchman und hatte freitags immer die Abendschicht. Da Katie und ihre Freunde Stammgäste in dieser Bar waren, pflegte sie mit dem Personal ein beinahe freundschaftliches Verhältnis – was einen einsamen Abend an der Theke durchaus unterhaltsam gestalten konnte.

„Ja, bitte, Josh." – lächelte sie. „Wieso heute ganz allein?" – wollte Josh wissen, nachdem er ihr eine neue Flasche Butterbier auf ihr Bierfilz gestellt hatte. Katie rollte mit den Augen und seufzte. „Das frag ich mich auch."

Während sie Josh nun erzählte, dass Alicia sie versetzte hatte, betrat Adrian die Bar und sah sich um. Sein Auftreten wirkte selbstbewusst, beinahe arrogant, doch dieser Eindruck täuschte. Es war seine Fassade, nichts weiter; mehr Schein, als Sein; die Maske, die er nach außen trug, die ihn am Leben gehalten hatte; das Letzte, das ihm noch geblieben war und das er versuchte, zu wahren. Adrian konnte es sich nicht leisten, Schwäche zu zeigen, hatte er noch nie gekonnt. Nun ja, inzwischen war es nicht mehr überlebensnotwendig und deswegen arbeitete er daran, diese Haltung abzulegen. Seine Mitmenschen machten es ihm allerdings nicht sonderlich leicht, verübeln konnte man es ihnen jedoch nicht. Nichtsdestotrotz verübelte Adrian es ihnen schon hin und wieder, dass sie einfach nicht in der Lage waren, ihm unvoreingenommen gegenüberzutreten. Die Meisten begegneten ihm mit offensichtlicher Angst und wenn nicht damit, dann mit großem Misstrauen oder abgrundtiefer Ablehnung, so dass Adrian keinerlei Wert auf die Gesellschaft dieser Menschen legte – auch, wenn er nicht in der Position war, wählerisch zu sein.

Adrian war ein ehemaliger Todesser. Dass er allerdings niemals aus Überzeugung heraus ein Anhänger Voldemorts gewesen war, interessierte niemanden. Genauso wenig wie, dass er verurteilt worden, fünf Jahre in Askaban inhaftiert gewesen und nur aufgrund guter Führung, tiefster Reue und unter strengsten Bewährungsauflagen freigekommen war.

Unter vielen neugierigen, aber zum Großteil ängstlichen Blicken einiger Gäste bahnte Adrian sich seinen Weg zum Bartresen. Dort angekommen, bemerkte er, wie der Mann neben ihm vor lauter Unbehagen anfing, unruhig auf seinem Barhocker herumzurutschen und langsam Stück für Stück von ihm wegrückte. „Was darf´s sein?" – fragte die brünette Kellnerin, Cassie, die hinter der Theke stand, mit einem Lächeln im Gesicht, doch dieses Lächeln war nur aufgesetzt; aufgesetzt, weil es ihr Job war, freundlich zu den Gästen zu sein, egal, um wen es sich handelte.

Adrian vermutete, dass sie Angst oder zumindest Beklemmung aufgrund seiner Anwesenheit verspürte und so war es auch. Cassie hatte ihn längst als Todesser erkannt - ob er freigesprochen worden war oder nicht, spielte für sie keinerlei Rollen. Sie hatte sogar schon nach einer Möglichkeit gesucht, ihn nicht bedienen zu müssen.

Ohne eine Regung in den Gesichtszügen, gab Adrian seine Bestellung auf. „Ein Butterbier und einen Feuerwhiskey, bitte." Nachdem er Beides erhalten hatte, stürzte er den Whiskey in einem Zug herunter. Der Alkohol beruhigte seine Nerven. Einerseits war er einfach einen zu langen Zeitraum nicht unter Menschen gewesen. Natürlich war es nicht das erste Mal seit seiner Haftentlassung vor knapp vier Monaten, dass er sich in die Gesellschaft anderer begab, aber trotzdem war er es einfach nicht mehr gewohnt. Andererseits machte das Hochprozentige es leichter, die feindseligen Blicke, die auf ihm lagen, ignorieren zu können. Manchmal hatte Adrian das Gefühl, von einem Gefängnis in das nächste gestolpert zu sein. Von einem Ort der trostlosen Abgeschiedenheit in ein Dasein der Einsamkeit.

Gelangweilt ließ Adrian seinen Blick über die Menge der Anwesenden schweifen. Gelangweilt deswegen, weil er keinerlei andere Beschäftigung hatte. Unter den Bargästen allerdings entdeckte er tatsächlich eine Person, die seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Nicht etwa, weil sie so aufmerksamkeitserregend war - das war sie nämlich nicht -, sondern, weil er sie ein bekanntes Gesicht war. Ihm gegenüber an der kurzen Seite der rechteckigen Bar saß Katie Bell und unterhielt sich ausgelassen mit einem der Barkeeper. Sie hatte sich kaum verändert, seitdem er sie zuletzt in Hogwarts gesehen hatte. Natürlich war sie älter geworden, aber Adrian konnte nicht behaupten, dass es ihr nicht stand. Früher war ihm ihr Gesicht Puppenhaft vorgekommen, doch das hatte sich gelegt. Sie war hübsch, eindeutig. Ob ihm das nur so vorkam, weil er sich über jedes bekannte Gesicht – sogar über das seiner ehemaligen Erzfeindin – freute?

Nein, auch rein objektiv betrachtet war Katie nicht zu verachten. Ihre ehemals taillenlangen, honigblonden Locken trug sie nun auf Schulterlänge, ihr Gesicht war nicht mehr so rund wie früher, die großen, haselnussbraunen Augen blitzten frech, die Nase war unauffällig, ihre Lippen allerdings waren eine Spur zu voll für Adrians Geschmack. Katies Erscheinung wirkte insgesamt sehr süß, doch das war sie mit Sicherheit nicht – auch Adrian war während der Quidditchspiele oft genug auf sie getroffen, um das zu wissen.

Obwohl Katie seine ehemalige Rivalin war, verspürte Adrian bei ihrem Anblick eine beinahe kindliche Freude. Das lag mitunter daran, dass er zu selten ehemalige Mitschüler – oder überhaupt Bekannte – traf und wenn, dann hatten die meisten Angst vor ihm.

Ob Katie wohl Angst vor ihm hätte? Auf dem Quidditchfeld oder auch bei jedem anderen Aufeinandertreffen war sie immer alles, aber nicht ängstlich gewesen. Sie war wohl nicht umsonst in Gryffindor gewesen. Ob die Löwin noch genauso mutig war wie früher? Adrian fand, es war an der Zeit es herauszufinden. Schon alleine deswegen, weil es vielleicht ein wenig Abwechslung in seinen von Langeweile geprägten Abend bringen würde – und wenn diese nur aus einer Auseinandersetzung mit einer vorlauten Gryffindor bestehen würde. Also winkte Adrian die Kellnerin zu sich, beauftragte sie mit einer Bestellung, lehnte sich zurück und wartete ab.

„…Ich seh schon, alle schwer beschäftigt. Ist natürlich blöd für dich, aber umso besser für mich. Ich hab nur selten so bezaubernde Gäste." – lachte Josh und zwinkerte Katie zu, während er Gläser polierte. „Du bist ein unverbesserlicher Charmeur." – erwiderte sie augenrollend, als Cassie auf sie zukam und eine Flasche Butterbier vor ihr abstellte.

„Von dem Typ da drüben." Neugierig blickte Katie in die Richtung, in die die Kellnerin deutete, und dann verschlug es ihr fast den Atem. Ihr gegenüber auf der anderen Seite der Bar saß ein hochgewachsener, dunkelblonder Mann mit saphirblauen Augen. Ein Grinsen umspielte seine Mundwinkel und er hatte eine Augenbraue angehoben. Katie kannte diese Mimik und das dazugehörige Gesicht nur zu gut. Das konnte doch nicht wahr sein! Von allen Männern, die sie auf einen Drink einladen konnten, musste es ausgerechnet er sein? Wieso machte er das überhaupt? Sie waren Feinde gewesen, immer schon. Feinde aufgrund ihrer Hauszugehörigkeit, Feinde auf dem Quidditchfeld, Feinde in dem darauffolgenden Krieg. Feinde in dem Krieg, der einen ihrer besten Freunde das Leben gekostet hatte. Noch immer fühlte Katie die unbändige Wut und die Trauer in sich aufsteigen, wenn sie an Fred dachte. Es war einfach nicht fair, dass Adrian quietschfidel in einer Bar saß und augenscheinlich nicht einmal mehr für seine Verbrechen bestraft wurde, während Fred nie wieder die Augen öffnen durfte; gestorben war, um die Welt zu einem besseren Platz zu machen. Wer bist du, Katie Bell, dass du dir anmaßt, ein Urteil über Leben und Tod zu fällen? – schoss es ihr unwillkürlich durch den Kopf. Sie seufzte, hatte sie doch tatsächlich kein Recht, einem anderen Menschen den Tod zu wünschen, genauso wenig, wie sie eben jenen Menschen für das Ableben ihres Freundes verantwortlich machen konnte.

Aber nichtsdestotrotz mochte Katie Adrian nicht; genau genommen hatte sie noch nie etwas anderes als pure Abneigung ihm gegenüber empfunden. Er war ein arrogantes, eingebildetes, selbstgerechtes Arschloch, das sich immer nur für sich selbst interessiert hatte – zumindest war das Katies Meinung über ihn. Allein deswegen war Adrian Pucey auch der letzte Mann, von dem sie sich auf ein Butterbier einladen lassen würde.

Katie verengte ihre Augen und funkelte Adrian böse an. „Mit freundlichen Grüßen zurück." – meinte sie bissig und drückte Cassie das Butterbier wieder in die Hand. Diese nickte verstehend. „Ist wohl auch besser so. Mit so einem würde ich auch nichts zu tun haben wollen."

Adrian war kein bisschen überrascht, als die Butterbierflasche wieder den Weg zu ihm fand. „Sie will es nicht." Ohne eine Erwiderung abzuwarten, drehte Cassie sich um. Sie wollte nicht mehr als unbedingt nötig mit diesem Todesser zu tun haben.

„Danke für deine Bemühungen." Adrian konnte sich diesen Kommentar, genauso wie den triefenden Sarkasmus einfach nicht verkneifen. Er konnte nichts an der Haltung der Menschen ihm gegenüber ändern, aber deswegen musste er sich trotzdem nicht alles gefallen lassen. Zögerlich drehte Cassie sich um und zwang sich zu einem zuckersüßen Lächeln. „Gern geschehen. Kann ich sonst noch was für dich tun?" Ja, hör auf, mich wie einen Aussätzigen zu behandeln. Ich bring dich schon nicht um. Das konnte Adrian wohl kaum sagen, also schüttelte er einfach nur den Kopf.

Unschlüssig drehte er die Flasche Butterbier, die er eigentlich Katie hatte ausgeben wollen, in den Händen, rollte sie zwischen seinen Handflächen hin und her. Er könnte das Bier auch einfach selbst trinken, das wäre das Einfachste und vor allem das Nächstliegende. Andererseits hatte ihr ablehnendes Verhalten seinen Kampfgeist geweckt – wieso ausgerechnet sie, die für ihn sowieso noch nie etwas anderes, als Ablehnung übrig gehabt hatte, dies geschafft hatte, wusste er selbst nicht genau. Vielleicht aber auch genau deshalb, weil es noch nie anders zwischen ihnen gewesen war.

Adrian konnte es sich nicht erklären, kämpfte aber auch nicht dagegen an. Er war des Kämpfens und der unsinnigen Machtspiele überdrüssig – beides hatte in seinem Leben eine zu große Rolle gespielt, als dass er diesen einen weiteren Platz einräumen wollte.

Abrupt stand er auf, leerte seine Butterbier mit einem Zug und machte sich mit der vollen Flasche auf den Weg um die Bar herum auf die gegenüberliegende Seite. Den Gedanken, dass er sein Verhalten selbst ziemlich erbärmlich fand, schob er geflissentlich beiseite, denn falscher Stolz war kein guter Freund – immerhin hatte eben dieser ihn schon in sehr unschöne Situationen gebracht.

Auf der anderen Seite der Bar angekommen, blieb Adrian neben Katie stehen und stellte das Butterbier auf dem Tresen ab. „Es ist unhöflich, eine Einladung abzulehnen, Bell."

Katie konnte es nicht fassen. Was wollte er hier? Wieso besaß er die Dreistigkeit einfach zu ihr herüber zu kommen? War es denn zu viel verlangt, in Ruhe ein Bier trinken zu wollen? Genervt schloss sie die Augen, zählte langsam bis Drei, ehe sie sie wieder öffnete und Adrian ansah. „Sagt wer, Pucey?" Die Herausforderung, die in ihrer Stimme mitklang, hatte sich unbewusst eingeschlichen. Nun konnte sie nur hoffen, dass er diese Herausforderung nicht annehmen würde.

„Meine gute Erziehung." – antwortete er grinsend. Katie Bell war anscheinend noch genauso wie früher. Schlagfertig, angriffslustig und vorlaut, aber vor allem hatte sie noch nie Angst vor ihm gehabt und hatte es anscheinend auch jetzt nicht.

Mit Aufmerksamkeit heischender Verachtung schnaubte sie. „Ach, etwa dieselbe Erziehung, deren Ansichten dich auch als Todesser auszeichnen?"

Wie Katie beabsichtig hatte, traf Adrian diese Aussage wie ein giftiger Pfeil. Für einen kurzen Moment kochte der Zorn in ihm hoch, doch nichtsdestotrotz behielt er seine Mimik unter Kontrolle, setzte sogar noch ein leicht überhebliches Lächeln auf. „Meine Erziehung war vielleicht nicht optimal, aber zumindest weiß ich, was Höflichkeit bedeutet – Wo wir gerade beim Thema Höflichkeit sind… Darf ich mich setzen?"

„Nein!" – fauchte sie. „Verpiss dich einfach wieder, Pucey!"

Er zog belustigt eine Augenbraue nach oben. „Deine Manieren lassen eindeutig zu wünschen übrig, Bell."

„Gibt´s hier ein Problem, Katie?" – mischte auf einmal Josh sich mit einem eindeutig abneigenden Blick in Richtung Adrian ein.

„Nein, alles bestens, Josh." – winkte Katie ab. „Mit dem werde ich schon fertig." Nachdem der Barkeeper ihnen beiden noch einen skeptischen Blick zugeworfen hatte, wandte er sich wieder den anderen Gästen zu und Katie nahm den Gesprächsfaden nahtlos wieder auf.

„Todessern gegenüber habe ich keine Manieren!"

„Ich bin ein freigesprochener Todesser." – erinnerte Adrian sie. „Sonst wäre ich wohl kaum hier."

„Ach, und wieso haben sie einen verurteilten Mörder laufen lassen?" Katies haselnussbraune Augen blitzen provozierend. „Hast du dich freigekauft? – Das ist doch in euren Kreisen Gang und Gebe."

Kurz rang Adrian um seine Beherrschung. Würden diese Vorurteile ihn auf ewig verfolgen? „Nein." – erwiderte er mit betont ruhiger Stimme. „Ich hab mich gut benommen und war zudem nie ein überzeugter Todesser. Ich hatte eine ganz normale Verhandlung und bin seitdem auf Bewährung draußen."

Damit erzählte er Katie nichts, was sie nicht schon wusste. Als Reporterin beim Tagespropheten war sie stets bestens informiert, auch wenn Gerichtsverhandlungen nicht in ihren Aufgabenbereich als Sportreporterin fielen. Trotzdem änderte ihr Wissen über sein Freikommen nichts an ihrer Einstellung ihm und seinesgleichen gegenüber. „Das ändert nichts daran, dass du einer warst."

Nachdenklich legte Adrian die Stirn in Falten. Sein altes Ich hätte spätestens zu diesem Zeitpunkt alle Schotten dicht gemacht und das Weite gesucht. Sein neues Ich hingegen war bemüht, in der Gesellschaft wieder akzeptiert zu werden. „Weißt du, Bell, nicht jeder von uns hat das Glück, auf der richtigen Seite geboren zu werden." Diese Aussage entsprach seiner vollsten Überzeugung, hatte er doch am eigenen Leib erlebt, wie das familiäre Umfeld einen umklammern und formen konnte.

Katie verengte ihre Augen. Typisch Slytherin – diese Schlangen waren noch nie um eine fadenscheinige Ausrede verlegen gewesen. „Ach, du bist also eigentlich ganz unschuldig und hattest keine andere Wahl?"

„So hab ich das weder gesagt noch gemeint." – seufzte Adrian und fuhr sich durch seine dunkelblonden Haare. „Es fällt einem nur schwerer, das Richtige zu erkennen, wenn man das Falsche bereits mit der Muttermilch aufsaugt… Ich weiß, das ist keine Entschuldigung, aber ich hab zu der Zeit einfach keinen anderen Ausweg gesehen. Schließlich gibt es einen Grund, weshalb ich in Slytherin und nicht in Gryffindor war."

Mit steigendem Unglauben hatte Katie seinen Ausführungen gelauscht. Er wirkte auf einmal erwachsener und reifer, als sie es jemals für möglich gehalten hätte. Mit jedem Wort war ihre Ablehnung Adrian gegenüber ehrlichem Interesse gewichen. Sie konnte sogar beinahe ein wenig Verständnis für ihn aufbringen – aber nur beinahe. Trotzdem musste sie ihm ein Zugeständnis machen. „Du hast dich verändert."

Die Wahrheit wäre gewesen, dass fünf Jahre Askaban einen Menschen veränderten; dass er fünf Jahre Zeit gehabt hatte, um Nachzudenken, um den Ursprung seiner Handlungen und Motive zu ergründen; dass er fünf Jahre lang seine Taten bereut hatte – und sie immer noch jeden Tag bereute; dass er nach über fünf Jahren immer noch nicht in den Spiegel sehen konnte, ohne dabei ein feiges Monster mit fehlendem Rückgrat zu sehen. Doch das wäre wohl zu viel des Guten gewesen, denn er wollte sein Glück - dass er tatsächlich ein halbwegs normales Gespräch führte, ohne dass sein Gegenüber zitterte wie Espenlaub -, nicht überstrapazieren. Also beschränkte er sich auf ein Schulterzucken. „Tja, Bell. Wir sind nicht mehr in Hogwarts und zumindest ich für meinen Teil bin kein pubertierender Teenager mehr… Menschen entwickeln sich weiter. Wir bleiben nicht stehen – keiner von uns."

Abermals hatte Adrian sie innerhalb kürzester Zeit überrascht. In dem ehemaligen Slytherin schien mehr Verborgenes zu stecken, als sie ihm zugetraut hatte. Zumal sie ihm in seinen Aussagen Recht geben musste. Er hatte es geschafft, ihre Neugier zu wecken. Vielleicht hatte er mehr, als ihre bloße Abneigung verdient. Möglichweise war es an der Zeit, ihre alten Vorurteile abzulegen und sich zumindest anzuhören, was ein ehemaliger Todesser, der scheinbar aus seinen Fehlern gelernt hatte, zu sagen hatte – zumindest vorerst und unter Vorbehalt. „Setz dich, Pucey."

Für einen kurzen Moment dachte Adrian, er hätte sich verhört. Woher kam dieser plötzliche Sinneswandel? Andererseits wollte er sich bestimmt nicht darüber beschweren. Wann kam er schon einmal in den Genuss, mehr als fünf Sätze zu kommunizieren? Mal ganz davon abgesehen, dass er letztendlich genau darauf hinausgewollt hatte. Nur hatte er nicht damit gerechnet, dass Katie ihn tatsächlich auffordern würde, sich zu setzen.

„Na, geht doch, Bell." – grinste er überheblich, was sie mit einem Augenrollen quittierte. „Nur auf einen Drink, Pucey. Dann schwingst du deinen Arsch wieder keine Ahnung wohin – Hauptsache weit weg."

„Klar, Bell."

Nachdem Adrian sich auf einen der Barhocker hatte fallen lassen und sich ein weiteres Butterbier bestellt hatte, herrschte eisernes Schweigen zwischen ihnen. Keiner von Beiden wusste recht, was sie zu ihrem ehemaligen Erzfeind sagen sollten. Überhaupt waren sie Beide überrascht, dass sie hier nebeneinander an einer Bar saßen. Während Katie sich fragte, ob sie von allen guten Geistern verlassen worden war, sinnierte Adrian darüber, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, Katie anzusprechen. Andererseits hatte er sein Ziel erreicht – er saß hier. Nur über was sollten sie sich unterhalten? Es war schon eine ganze Weile her, dass er eine zwanglose Unterhaltung mit jemandem geführt hatte. Ganz davon abgesehen, dass er wohl noch nie ein Gespräch mit einer Gryffindor geführt hatte, das über Anfeindungen und Beleidigungen hinausging.

„Und? Was machst du so?" – fragte er, weil ihm nichts besseres einfiel.

Dankbar, dass er das Schweigen gebrochen hatte, antwortete Katie: „Ich bin Sportreporterin beim Tagespropheten."

„Hört sich gut an." – meinte Adrian anerkennend. „Und? Gefällt´s dir?"

„Ja, klar." – nickte Katie. „Ich kann mir so gut wie jedes Quidditchspiel kostenlos anschauen, treff viele Quidditchprofis… Das macht wirklich Spaß."

Amüsiert schossen Adrians Augenbrauen in die Höhe. „Profispieler treffen also? – So hätte ich dich gar nicht eingeschätzt."

Sie rollte gekonnt mit den Augen. „Nicht so, wie du denkst. Ich führe Interviews mit ihnen – das ist alles."

„Aber sicher doch." – erwiderte Adrian spöttisch. „Was solltest du auch sonst mit ihnen machen? Ausführliche Interviews sind wichtig… Damit kannst du bestimmt einen tiefgehenden Einblick verschaffen – also deinen Lesern natürlich."

„Pucey!" – stieß Katie zwischen zusammengebissenen Zähnen aus. „Lass es mich nicht bereuen, mich mit dir abzugeben."

Augenblicklich wurde Adrian ernst. Er wollte nicht, dass sie seine Gesellschaft bereute. Dazu genoss er die ihre viel zu sehr. Auch wenn ihm dieser Umstand selbst mehr als merkwürdig erschien. „Tut mir leid, Bell. – Aber du bist ein bisschen empfindlich. Das sollte nur ein Witz sein." Den letzten Satz konnte er sich einfach nicht verkneifen.

„Schon ok." – winkte Katie ab. Sie musste selbst zugeben, dass sie wohl etwas überreagiert hatte. „Und du? Was stellt ein freigekommener Todesser mit seinem Leben an?"

Die Menschen davon überzeugen, dass ich keine wandelnde Mordmaschine bin und dass man mir deshalb auch einen Job geben könnte. Ja, es war wirklich nicht einfach, eine Anstellung zu finden mit seiner Vorgeschichte. Glücklicherweise war er nicht auf ein monatliches Einkommen angewiesen. Das war der einzige Vorteil, wenn man aus einer der reichsten Reinblutfamilien Englands stammte. „Ach, dies und das." – versuchte er sie abzulenken. „Was machen deine anderen Freunde so?"

„Welche anderen Freunde meinst du?"

„Naja, Spinnet, Johnson, Wood, Jordan, die Weasley-Klone – die haben doch einen Laden aufgemacht, oder? Weasly´s zauberhafte Zauberscherze oder so ähnlich."

Als Adrian Fred unwissentlich erwähnte, verkrampfte Katies Magen sich. Sie richtete den Blick auf ihre Bierflasche. „Ähm, Fred ist… also Fred hat die Schlacht nicht überlebt." Ihre Stimme war nur ein Krächzen. In einem Zug leerte sie ihr Butterbier, versuchte den Schmerz damit hinunterzuspülen.

Eine tiefe Betroffenheit machte sich in Adrian breit. Er hatte keine alten Wunden aufreißen wollen, aber wenn er sich Katie ansah, musste er feststellen, dass er genau das getan hatte. „Das tut mir leid. Ehrlich." So abwegig es auch war, er konnte sich eine Welt, in der nur noch ein Weasly-Zwilling existierte, nicht vorstellen. Er konnte es kaum glauben, dass es nur noch einen dieser nervtötenden, überdrehten, gegenseitig ihre Sätze beendenden Clowns geben sollte.

„Der Krieg hat eben seine Opfer gefordert." – murmelte Katie, bevor sie sich ein Lächeln abrang und dabei versuchte, Adrian nicht die Schuld an Freds Tod zu geben. „Oliver spielt bei Puddlemere, Alicia arbeitet bei Madam Malkin´s – die Beiden sind zusammen. Naja, Angelina Johnson ist inzwischen Angelina Weasly und sie und George arbeiten grade fleißig an der Familienplanung – George betreibt den Laden übrigens immer noch zusammen mit seinem Bruder Ron. Tja, und Lee ist mit Leib und Seele Stadionsprecher." Merlin, hatte sie etwa gerade wirklich private Details über das Privatleben ihrer besten Freunde Preis gegeben? Wo war ihr generelles Misstrauen Slytherins gegenüber geblieben? Sie musste wirklich unter geistiger Unzurechnungsfähigkeit leiden.

„Na, bei euch geht´s ja zu wie ihm Inzuchtverein." – grinste Adrian. „Fehlt nur noch, dass du was mit Jordan hast."

„Nein." Schmunzelnd schüttelte Katie den Kopf. „Wir wohnen nur zusammen."

„Ist das dein Ernst?" – hakte Adrian nach. „Du erträgst Jordan freiwillig? Ist das nicht anstrengend?"

Katie schürzte die Lippen und tat so, als müsste sie angestrengt nachdenken. „Nein, eigentlich nicht. Nur wenn er mal wieder irgendeine seiner Groupies mitbringt und den Stillezauber vergisst."

Allein diese Vorstellung ließ Adrian in schallendes Gelächter ausbrechen. Wieso genau er das so lustig fand, wusste er auch nicht. Dafür aber wusste er, dass er das erste Mal seit seiner Inhaftierung so herzhaft lachte. Dass ausgerechnet Katie Bells Erzählung dafür verantwortlich war, beunruhigte ihn zwar, aber dennoch nahm er diesen Umstand einfach als gegeben hin.

Nachdem sie noch das ein oder andere Butterbier getrunken hatten, Katie noch ein paar erheiternde Anekdoten aus ihrem Freundeskreis zum Besten gegeben hatte und sie sich beide erstaunlich gut amüsierten, stellte sie ihm eine Frage, bei dem ihm sein Lachen unwillkürlich in der Kehle stecken blieb. „Jetzt haben wir meine Freunde durchgekaut, aber was ist mit deinen?" Aufmerksam musterte sie ihn. Seine saphirblauen Augen wirkten leblos, beinahe so, als würde ein dunkler Schatten sich über sie legen.

Was für Freunde? – hätte Adrian am liebsten gefragt. Er hatte noch nie besonders viele Freunde gehabt. In Slyterhin waren reine Zweckverbindungen und interne Machtkämpfe an der Tagesordnung gewesen. Er hatte genau zwei Menschen gegeben, die er wirklich zu seinen Freunden gezählt hatte. Marcus Flint und Graham Montague. Die Freundschaft mit Letztem allerdings war schon kurz nachdem sie Hogwarts verlassen hatten zerbrochen. Genau wie Marcus und Adrian war auch Graham von den Todessern rekrutiert worden, nur dass er sich mit deren Einstellungen sehr schnell hatte identifizieren können. Graham hatte seine Seele bereitwillig an den Dunklen Lord verkauft und ab diesem Zeitpunkt hatte Adrian nichts als Abscheu ihm gegenüber empfunden – wahrscheinlich würde selbst der lebenslange Askabanaufenthalt, zu dem Graham verurteilt worden war, ihn nicht zur Reue bewegen.

Marcus hingegen hatte sich das Dunkle Mal nicht aus Überzeugung, sondern aus purer Angst und Verzweiflung einbrennen lassen. Letztendlich hatte er – genauso wie Adrian – um sein Überleben gekämpft; hatte in diesem Kampf sein eigenes Leben über das der Widerstandsmitglieder und unschuldigen Opfer gestellt; war zum Mörder geworden, um seine eigene körperliche Unversehrtheit zu sichern. Das war mit Sicherheit alles andere als ruhmreich und heldenhaft. Adrian war auch nicht stolz darauf. Er hatte zu diesem Zeitpunkt einfach keinen anderen Ausweg gesehen.

Den Preis für seine Vergehen zahlte er täglich. Er musste lernen, mit dieser Schuld zu leben; mit der Last, eine Menge Unschuldige auf dem Gewissen zu haben.

„Ähm, ich wollte dir mit dieser Frage nicht zu Nahe treten." – meinte Katie unsicher, nachdem Adrian nur geistesabwesend vor sich hin gestarrt hatte.

Aus seinen Gedanken gerissen, wandte er sich wieder ihr zu. „Macht nichts. Es ist nur so, dass ich nie besonders viele Freunde hatte und der einzige, den ich heute noch meinen Freund nennen würde, wahrscheinlich noch die nächsten zehn Jahre in Askaban sitzt." Ein bitteres Lächeln umspielte seine Lippen.

„Flint, oder?" – fragte Katie, nachdem sie kurz überlegt hatte.

Adrian beschränkte sich auf ein Nicken und nahm einen tiefen Schluck Butterbier.

Betroffen kaute Katie auf ihrer Wangeninnenseite. „Warum sitzt er noch die nächsten zehn Jahre?" – traute sie sich nach einer Weile zu fragen. „Du bist doch auch früher entlassen worden."

„Ja, aber bei Marcus liegen die Dinge anders."

„Inwiefern?"

Erneut musste Adrian sich daran erinnern, dass er sich anderen Menschen öffnen musste, um sein Dasein nicht weiterhin in absoluter Einsamkeit fristen zu müssen. „Marcus war – wie ich – nie ein überzeugter Todesser." – erklärte er zögerlich. „Aber er hat trotzdem einiges mehr auf dem Kerbholz als ich und zudem konnte ihm mehr nachgewiesen werden. Sein Anwalt war auch nicht halb so gut wie meiner… Und naja, Marcus tut sich sehr schwer, Fehler einzugestehen. Selbst wenn er weiß, dass er welche gemacht hat – und glaub mir, er weiß das, er wusste es damals schon… Einer der Hauptgründe, weshalb ich früher entlassen wurde, war gute Führung. Ich hab keine Ahnung, wie Marcus sich in Askaban benimmt, aber ich würde wetten, dass er sich nicht gerade gesittet und reuevoll zeigt. Dazu ist er einfach nicht der Typ… Zu aufbrausend… Zu jähzornig… Zu Marcus eben."

Ja, das konnte Katie sich bei dem trollartigen Marcus Flint, für den sie mehr Antipathie als für jeden anderen Slytherin gehegt hatte, bildlich vorstellen.

„Aber du könntest ihn doch vielleicht mal besuchen…?" – schlug Katie vor.

„Nein." Seufzend schüttelte Adrian den Kopf. „Sie haben mich freigelassen, aber das bedeutet nicht, dass sie mir trauen. Ich bin und bleibe ein ehemaliger Todesser. Ich darf ihn nicht besuchen, weil ich ihm ja zur Flucht oder sonstwas verhelfen könnte… Keine Ahnung, was die sich denken. Als ob ich mal eben im Alleingang sämtliche Wachen lahm legen, die Dementoren austricksen und alle Sicherheitsvorkehrungen durchbrechen könnte."

Auf der einen Seite konnte Katie die Beweggründe, weshalb Adrian seinen Freund nicht besuchen durfte, verstehen. Auf der anderen Seite allerdings empfand sie es als ungerecht, beschloss aber dennoch nicht weiter auf dieses Thema einzugehen.

„Naja, aber Flint wird doch nicht der Einzige sein, mit dem du noch Kontakt haben willst." – sagte Katie. „Du hattest doch eine Freundin – die Greengrass…. Was ist mit der? Oder mit deiner Familie? Die können doch wohl nicht alle in Askaban einsitzen…"

Dieses Gespräch wurde Adrian zunehmend unangenehm. Er hatte eigentlich nicht vorgehabt, einen Seelenstriptease vor Katie hinzulegen. Wieso zeigte sie sich überhaupt auf einmal so interessiert? Er war davon ausgegangen, dass sie höchstens ein Streitgespräch führen würden, als er zu ihr um die Bar herum gegangen war. Ganz wie in guten alten Zeiten… Niemals hätte er gedacht, dass die ehemalige Gryffindor ihm so unvoreingenommen gegenüber treten würde, hatte sie dazu doch wahrlich keinen Grund.

„Ja, Daphne…" Verbittert schnaubte er bei der Erinnerung an seine erste und bis jetzt auch einzige große Liebe. „Sie will nichts mehr von mir wissen – ist wohl zu besorgt um ihren gesellschaftlichen Status, als dass sie sich mit einem wie mir abgeben würde."

„Das ist doch nicht dein Ernst, oder?" – hakte Katie fassungslos nach.

Ihr entgeisterter Gesichtsausdruck ließ Adrian kalt auflachen. „Doch. Das ist mein voller Ernst. Sie hat mir deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nichts mit mir zu tun haben will und auch niemals mehr mit mir in Verbindung gebracht werden möchte."

Das konnte Katie nicht glauben. Ihre eigene Loyalität hätte ein solches Verhalten nämlich niemals zugelassen. „Aber sie wusste doch, dass du ein Todesser bist, oder? Ihr wart doch nach der Schule auch noch zusammen? Oder nicht?"

Eine Weile sah Adrian sie nachdenklich an. Erst jetzt bemerkte Katie die dunklen Schatten unter seinen Augen. Er sah übermüdet aus, so als ob er schon eine geraume Zeit schlecht schlief.

Adrian wandte sich ab und winkte Cassie heran. „Zwei Butterbier und einen Feuerwhiskey bitte – einen doppelten."

Auf Katies fragenden Blick hin zuckte er mit den Schultern. „Alkohol lockert die Zunge."

Noch bevor sie protestieren konnte, dass er nicht mit ihr darüber reden musste, wenn ihm das tatsächlich so schwer fiel, fuhr er fort. „Daphne und ich waren sogar bis zu meiner Inhaftierung zusammen. Also ja, sie wusste immer, dass ich ein Todesser war. Sie vertrat auch deren Ansichten, nur nicht die Methoden… Aber sie ist sehr anpassungsfähig, steht gerne auf der Gewinnerseite… Man könnte sagen, Daphne fährt in dieser Hinsicht eine Art Doppelmoral. Sie würde alles tun, alles sagen und auch alles hinnehmen, solange sie sich einen Vorteil daraus verspricht. Ich war eine gute Partie – Reinblüter, wohlhabend, gesellschaftlich angesehen – und ich stand auf der Gewinnerseite – zumindest sah es damals so aus, als ob der Dunkle Lord gewinnen würde. Ich hab lange gebraucht, um zu erkennen, dass ihr wohl nie etwas an mir als Person lag, sondern nur an mir als Statussymbol, das ihr Sicherheit und Ansehen versprach."

Nachdenklich nippte Katie an ihrem Butterbier. „War sie für dich denn mehr?"

Leise lachend schüttelte Adrian den Kopf. „Ihr Gryffindors… Ihr denkt doch wirklich, dass Slytherins alle gefühlskalte Eisberge, ohne jegliche menschlichen Empfindungen sind."

Augenblicklich fühlte Katie sich ertappt, denn sie konnte nicht bestreiten, dass das eines der herausragenden Vorurteile war, die sie gegen jegliche Slytherins hatte. „Ihr wirkt aber alle so." – gab sie nach einer Weile zu.

„Schon mal auf die Idee gekommen, dass das vielleicht auch nur Fassade sein könnte? Dass wir nicht alle emotionslose Killermaschinen sind?"

Beschämt senkte Katie den Blick. „Nein." – erwiderte sie kleinlaut, bevor sie die Schultern straffte. „Aber woher soll ich denn auch wissen, was wirklich in einer Schlange vorgeht? Ich kann doch nur nach dem urteilen, was ich sehe und höre."

Abwehrend hob Adrian die Hände. „Das sollte kein Angriff sein, Bell."

„Passt schon." – meinte sie großzügig, was Adrian die Augen verdrehen ließ, doch das ignorierte sie einfach. „Kommen wir zum Thema zurück. Greengrass ist also ne blöde, egoistische Schlampe. Ok, aber was ist denn jetzt mit deiner Familie?" Sie konnte es sich selbst nicht erklären, aber ihr Interesse an Adrians Leben wuchs von Sekunde zu Sekunde.

„Mit meiner Familie ist es…" Er stockte und fuhr sich mit der Hand durch seine dunkelblonden Haare. „…schwierig."

„Das ist aber eine sehr vage Formulierung." Katie schürzte die Lippen.

Adrian nickte. „Ja, das war Absicht." Er hatte nämlich wirklich keine Lust über seine Familie zu sprechen. Wie war er eigentlich überhaupt in dieses Gespräch geraten? Und wieso fühlte er sich eigentlich gar nicht mal so unwohl dabei, Katie private Details aus seinem Leben zu erzählen? Auf keine dieser Fragen fiel ihm eine zufriedenstellende Antwort ein.

Es war ihm schon nicht leicht gefallen, über Daphne zu sprechen, aber nichtsdestotrotz hatte er mit seiner Exfreundin schon vor langer Zeit abgeschlossen, seinen Frieden gemacht. Aber konnte man jemals mit seiner Familie abschließen? Mit den Menschen, die einen großgezogen hatten? Selbst wenn man sie für ihre Erziehungsmethoden verachtete? Oder gerade deswegen?

„Jetzt komm schon, Pucey, raus mit der Sprache." – forderte Katie ihn auf.

„Seid ihr Löwen immer so neugierig?"

„Ja, Neugierde ist eine unserer vielen positiven Eigenschaften." – grinste Katie selbstbewusst, bevor sie ernst wurde. „Aber Schweigen können wir auch."

Nachdem Adrian ihr sowieso schon mehr erzählt hatte, als er es jemals für möglich gehalten hätte, gab er sich einen Ruck. „Mein Vater hat den Krieg nicht überlebt und meine Mutter hat mich… verstoßen wäre wohl die richtige Bezeichnung. Einfach weil ich ihre Überzeugungen nicht mehr teile und mich auch noch öffentlich dazu bekannt habe.

Naja, Geschwister hab ich nicht und der Rest meiner lebenden Verwandtschaft will auch nichts mit mir zu tun haben – und ich im Übrigen auch nicht mit ihnen. Mit keinem von denen."

Betroffenheit machte sich in Katie breit. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie allein Adrian sein musste. Sie konnte die Einsamkeit und die Abgeschiedenheit, die von ihm ausgingen, beinahe greifen. Das erste Mal an diesem Abend – und überhaupt in ihrem Leben – empfand sie ehrliches Mitgefühl für ihn. Es musste sich schrecklich anfühlen, ein Ausgestoßener der Gesellschaft zu sein und ein solches Schattendasein zu fristen. Vielleicht war nicht alles im Leben schwarz und weiß; vielleicht gab es wirklich Grautöne.

Mit einem Mal stand ihr Entschluss fest. Sie wollte ihm helfen. Sie würde ihm helfen.

„Nenn mich Katie."

„Wie bitte?" Adrian dachte für einen kurzen Moment, er hätte sich verhört. Was war denn in sie gefahren? In welchem Zusammenhang stand ihre Aussage überhaupt zu dem davor Gesagtem? Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. War das ein schlechter Scherz? In ihren haselnussbraunen Augen allerdings fand er nichts, als pure Aufrichtigkeit.

Problemlos hielt Katie dem durchdringenden und zeitgleich verwirrten Blick seiner saphirblauen Augen stand. „Du hast mich schon verstanden." – lächelte sie.

„Ja, aber… aber wieso?" – hakte Adrian nach.

„Du kannst einen Freund gebrauchen, ganz dringend sogar." – erwiderte Katie nach wie vor lächelnd. „Und du bist nicht grade in der Position, wählerisch zu sein, Adrian."

Er blinzelte ein paar Mal. Ein Teil von ihm war geschockt, dass ausgerechnet Katie Bell ihm ihre Freundschaft angeboten hatte, ein anderer Teil war misstrauisch und wartete bereits darauf, dass sie in schallendes Gelächter ausbrechen würde und dennoch freute ein winzig kleiner Teil sich beinahe, dass sie – seine ehemalige Feindin – ihm tatsächlich ihren Vornamen angeboten hatte. Trotzdem konnte er das nicht so recht glauben. „Du musst dich nicht aus Mitleid mit mir abgegeben, Bell. Ich weiß, dass ihr Löwen unter einem ausgeprägten Helfersyndrom leidet, aber…"

„Halt die Klappe, Adrian." – unterbrach sie ihn augenrollend. „Ich mach das nicht, weil ich unter irgendeinem komischen Syndrom leide, sondern weil an dir tatsächlich mehr dran zu sein scheint, als das bloße Auge sieht. Und jetzt reden wir nicht mehr drüber, sonst überleg ich´s mir noch anders."

Was sollte Adrian darauf noch erwidern? Wenn er eines auf Hogwarts gelernt hatte, dann, dass Gryffindors sehr stur sein konnten – da wollte er sich doch lieber nicht mit einer anlegen. „Ok, Bell." – grinste er. „Noch ein Butterbier?"

„Mein Name ist Katie." – erinnerte sie ihn. „Und ja, ich möchte noch ein Butterbier."

Adrian bestellte noch zwei Bier. Während sie auf ihre Bestellung warteten, dachte er über diesen Abend nach. Innerlich schüttelte er den Kopf. Wer hätte das gedacht? Da war er nur auf der Suche nach ein bisschen Abwechslung gewesen und auf einmal war er mit einer ehemaligen Gryffindor befreundet – was auch immer das bedeuten mochte.