Eine Erbschaft? Eine Erbschaft! … Es war der Absender des Briefes, der mich erahnen lies, was kurze Zeit später zur überraschenden Gewissheit werden sollte. Mit dicken, geschwungenen, selbstbewussten Lettern prangte hoheitsvoll der unzweifelhaft höchst ehrenwerte Name auf dem Umschlag: Shearman und Sterling, Fachanwälte für Erbschaftsrecht und Nachlassverwaltung, 9 Appola Street, London.

Dem pompösen Erscheinungsbild des Briefumschlages konnte man die Wichtigkeit der vertretenen Klientel der honorigen Anwälte unverkennbar ansehen. Dieser erste Eindruck setze sich beim Öffnen des Briefes fort. Keineswegs profanes Briefpapier, sondern erlesenes Baumwollpapier diente als kostbares Utensil der an mich gerichteten Worte

ICH HATTE GEERBT!

Sicher, angesichts der Tatsache, dass man mir weder den Erblasser bekannt gab, noch das an mich gerichtete Schreiben die Art, den Umfang oder gar den Wert des mir hinterlassenen Vermächtnisses benannte, hätte verhaltene Skepsis aufkommen oder zumindest ein gerütteltes Maß an Ernüchterung eintreten müssen.

Doch die Aussicht durch einen unbekannten reichen Erblasser ein zumindest in Ansätzen monetär prosperierenderes Leben als bisher führen und fürderhin bar jeder finanziellen Sorge leben zu können ersetzte jeden Gedanken der Eventualität, des Zweifels, der Unsicherheit durch einen euphorisierten Freudentaumel.

Die Hoffnung war groß, die Erwartung immens, das Ergebnis … niederschmetternd… In allen Belangen. … Der mir ach so elegant und viel versprechend angekündigte Nachlas stand nun vor mir…

80 X 50 cm im Ausmaß, bestehend aus einer verdreckten, schadhaften, durch ein Vorhängeschloss gesicherten alten Holztruhe.

Man wird sich meine Enttäuschung vorstellen können, als mir dieses schäbige Überbleibsel einer viel versprechenden Hoffnung auf ein besseres Leben von den Londoner Anwälten ohne ein Wort der Erklärung, ohne einen Hinweis auf den Erblasser übereignet wurde…

Noch länger wurde das Gesicht beim Öffnen der Truhe: Dutzende alter vergilbter Briefe, eine verbeulte Taschenuhr, ein zerschundener Deerstalker-Hutein Monokel, ein dreckiges, zerfranstes Buch, eine schäbige alte Pfeiffe und ein verrotteter Lumpen, ehedem wohl vor einhundert Jahren vielleicht einmal ein passabler Mantel. Das repräsentierte den wertlosen Inhalt.

Was zum Teufel sollte das? Wer hatte sich hier auf meine Kosten einen üblen Scherz erlaubt? Nun, ich würde es wohl nie erfahren. Missmutig packte ich den alten Plunder zusammen um ihn zu entsorgen. … Ein Blick streifte den Titel des alten Buches … und ich fuhr zusammen….

Mich traf es wie ein Schlag. Nein, das konnte nicht sein! Das war vollkommen unmöglich… !

Die unveröffentlichten Fälle des Sherlock Holmes – eine geheime Chronik verfasst von Dr. John H. Watson".

Dies stand verblasst und kaum leserlich in akkurater Handschrift auf dem Buchdeckel. WATSON ?… SHERLOCK HOLMES? Konnte das sein? Nein, der Streich den man mir spielte war wohl noch üblerer Natur, als ich es zunächst annahm. Jemand wollte mir offenkundig weiss machen, hier eine authentische Niederschrift des Chronisten des bedeutendsten Detektivs der Literaturgeschichte in Händen zu halten. Klar, dazu passte dann auch der andere Plunder, der sich in der Kiste befunden hatte.

Welch ein Humbug! Watson ist und war genauso wie sein kriminalistischer Freund Holmes eine fikitive literarische Figur. Ausersonnen von dem Schriftsteller Arthur Conan Doyle. Punktum. Daran änderte weder der Umstand etwas, dass der Mediziner in mir einen Namensvetter hatte, noch die Tatsache, dass ich hier ein sehr sehr altes Buch in Händen hielt.

… Aber das Buch? Es war unzweifelhaft tatsächlich alt. Einen Blick musste ich riskieren. Immerhin war mir daran gelegen zu erfahren, wie weit man die Posse mit mir zu spielen gedachte…

Ich begann zu lesen. Zunächst noch voller Hohn und Spott, dann, mit jeder Zeile aufgeregter, faszinierter…