AN: Diese Geschichte spielt im Dresden-Verse, allerdings kommt keiner von Jim Butchers Hauptcharakteren vor. Ich habe mir aber einen ausgeborgt, der nur in einem Buch aufgetreten ist und mir da sehr gefallen hat.
Die Protagonisten dieser Geschichte, sind ein Wiener Magier und Lysandra, eine Abgesandte von weiter unten.


Es ist wirklich interessant, was sich manche Menschen von mir wünschen, wenn sie einen Deal machen. Meistens ist es die alte 'Mach! Macht! Macht! Mehr Macht!'-Leier, aber ab und zu finde ich mich Angesicht zu Angesicht mit jemandem, der so dermaßen verzweifelt ist, dass ich sein letzter Ausweg bin.

"Mein Sohn hatte einen Autounfall und liegt im Koma. Ich will, dass er wieder aufwacht und alles wieder gut wird."

"Ich habe mein Baby verloren. Mach das ungeschehen."

"Meine Frau hat Krebs im Endstadium. Bitte erlöse sie von ihrem Leiden."

Ausnahmslos alle bieten mir - von sich aus - dafür ihr eigenes Leben an. Oder ihre Seele. Auch wenn dort, wo mein Herz sein sollte, eine der tiefsten Teergruben der Sieben Höllen blubbert, diese Leute berühren etwas in mir, das niemand berühren können dürfte. Ich empfinde Mitleid.

Wenn mir niemand auf die Finger schaut - und wenn ich ehrlich bin, so ist das eh beinahe immer der Fall - dann achte ich darauf, dass in diesen Verträgen noch der eine oder andere Zusatz steht. Die meisten Leute wissen gar nicht, wie viel wert eine Seele tatsächlich ist, was sie eigentlich alles dafür verlangen können. Und so bekommt der verzweifelte Vater nicht nur seinen Sohn wieder, sein Magenkrebs wird ebenfalls gleich beseitigt, damit er noch miterlebt, wie der Junge eine eigene Familie gründen wird. Das Baby, das gestorben ist, weil es einen genetischen Defekt hatte, wird nicht nur wieder zurückgebracht, es wird auch geheilt - und wenn ich schon dabei bin, bekommt es noch einen Stempel 'Plötzlicher Kindstod - nein, danke!'. Und die todkranke Ehefrau verbringt ihre letzten Tage nicht nur schmerzlos, sondern auch mit so klarem Geist wie schon lange nicht mehr, sodass sie beide genug Möglichkeit haben, sich von einander zu verabschieden. Für immer. Denn jeder, der mir seine Seele verkauft, landet unten. Ohne Rückfahrkarte.

Aber machen wir uns nichts vor. Früher war es sehr viel leichter, Seelen zu sammeln. Heute, durch TV, Internet und unzählige einschlägige Romane, glaubt jeder genau zu wissen, wie man mit unsereins umgehen muss. Und das Wort 'Seele' ist sowieso ein rotes Tuch. Keiner glaubt mehr daran, dass er eine hat, aber niemand will sie hergeben.

Kurz um, der Job hat sich in den letzten 100 Jahren signifikant verändert. Nicht unbedingt zum Besseren. Und so habe ich es mir irgendwann zur Angewohnheit gemacht, nach jedem erfolgreichen Abschluss eines Deals, bei dem ich eine Seele erworben habe, feiern zu gehen.

Alleine zu feiern mag vielleicht nicht für jeden erstrebenswert erscheinen, aber ich habe kaum eine andere Wahl. Dämonen feiern nicht gemeinsam und die Menschen, die ich kenne? Nun, die würden wohl kaum einen Anlass zur Freude sehen, wenn einer der ihren mir seinen wertvollsten Besitz überlässt. Trotzdem - oder vielleicht gerade deswegen - ist eine Feier alleine sehr entspannend. Es gibt niemanden, der nur darauf wartet, dass ich zu viel getrunken habe und mich dann heimlich abmurksen möchte. Und wenn ich jemanden möchte, der mit mir anstößt, so brauche ich nur eine Lokalrunde zu schmeißen. Es ist ja auch nicht gerade so, als hätte ich zahllose Freunde, die nur darauf warten, mit mir Trinken zu gehen.

Okay, wenn ich ehrlich bin, alleine zu feiern ist auch nicht mehr das, was es mal war. Und außerdem gab es da schon eine Person, deren Gesellschaft ich mir gewünscht hätte.

Mit einem Seufzen leerte ich mein Glas und versuchte nicht an einen intelligenten, schlanken Mann mit ersten silbernen Strähnen in seinen dunkelbraunen Haaren zu denken. Auch wenn die Zeiten langsam ein wenig liberaler wurden, so war es dennoch undenkbar, einen Magier des Weißen Rates zu so einer Feier einzuladen. Ich stellte mein Glas wieder auf die Bar und nahm mir vor, Reinhard Fuchs morgen anzurufen und mich danach zu erkundigen, ob es irgendetwas Neues bei ihm gab. Ein Höflichkeitsanruf bei einem wertvollen Kontaktmann. Mehr nicht. Aber es würde gut tun, mal wieder seine Stimme zu hören.

Ich bezahlte mit einem abgegriffenen zwanzig Schilling Schein, nahm meinen Mantel von der Garderobe und verließ das Lokal. Kalte Luft umgab mich, umschmeichelte mein Gesicht und zog an meinen offenen Haaren. Die Nacht war sternenklar und versprach kalt zu werden.

Oktober in Wien ist ein Monat der Unbeständigkeit. Beinahe so wie der April. Im Oktober kann es passieren, dass man noch mit kurzen Ärmeln draußen in der Wiese sitzt und den Spätsommer geniest, oder aber ein übereifriger November mit seinem dichten Nebel und ersten Schneeflocken einen verfrühten Besuch abstattet und die ganze Stadt in einen eisigen Mantel des Frosts hüllt. Dieses Jahr schien der Oktober es sich zum Ziel gemacht zuhaben, sämtliche Kälterekorde zu brechen. Ich hatte einen dicken Schal um meinen Hals gewickelt und eine Fellhaube aufgesetzt, dennoch fand der eisige Wind Lücken und Spalte, durch die er kriechen und mir eine Gänsehaut über den ganze Körper jagen konnte.

Es kommt nicht von ungefähr, dass alle Welt denkt, dass wir die Kälte hassen. Ja, unsereins mag es nicht, wenn es zu kalt wird. Aber nicht unbedingt aus dem Grund, denn alle denken. Nein, unten in der Hölle ist es nicht heimelig warm. In Wirklichkeit erinnert uns die Kälte zu sehr an zuhause. Das Feuer, das in der Hölle brennt, wärmt nicht. Es mag jeden verzehren, der es berührt, aber es verbrennt ohne die befriedigende Wärme, die man mit einem normalen Feuer verbindet. Die Hölle ist kalt.

Mit einem Schaudern zog ich den Schal fester um meinen Hals und eilte in Richtung meines Wagens. Mein knallroter Hudson Hornet, den ich mir vor einem Jahr geleistet hatte, war zwar nur ein Cabrio, aber es würde mich binnen weniger Minuten nachhause in die heimelige Wärme meiner Wohnung bringen. Wenn dieser verdammte Wind mich nicht vorher in die Donau fegte. Ich erwischte meine Fellhaube gerade noch, bevor eine besonders starke Böe sie mir vom Kopf reißen konnte und beschleunigte meinen Schritt.

Ja, ich war mit meinen Gedanken wo anders. Ja, ich war durch das Wetter abgelenkt. Und ja, ich erwartete hier auch eigentlich keinen Angriff. Trotzdem hätte ich besser acht geben müssen. Einen Moment war ich noch alleine in der Gasse, in der ich meinen Wagen geparkt hatte, im nächsten stand eine Gestalt vor mir - kleiner als ich, aber dafür mit einem unangenehm aussehenden Schwert bewaffnet.

Als das Schwert, ein Katana, zu leuchten begannt und die Gestalt - einen junger Mann mit asiatischen Gesichtszügen - beleuchtete, wusste ich, dass ich wirklich in Schwierigkeiten steckte. Das hier war nicht irgendein Schwert. Das war eines der Schwerter. Ein heiliges Artefakt, von Gott geschaffen und den Menschen anvertraut, um eine Bastion gegen das Böse darzustellen. Um die Bedrohung durch die Dämonen abzuwehren. Na toll, und ich war alleine und unbewaffnet.

Mit einem Schrei - wahrscheinlich "Attacke" oder "Stirb" oder eine ähnliche Freundlichkeit auf Chinesisch oder Japanisch - stürzte er sich auf mich. Ich taumelte einen Schritt zurück und die scharfe Klinge verfehlte mich um Haaresbreite. Ich hatte nicht einmal Zeit ein zweites Mal zurückzuweichen, bevor das Katana erneut auf mich herab sauste. Verdammt, der Typ war übermenschlich schnell!

Ich ließ mich auf den Boden fallen, rollte ab und wollte hinter ihm wieder auf die Beine kommen, aber diese verdammten Pumps sind nicht eben zum Kämpfen geschaffen. Der Stöckel meines rechten Schuhs verfing sich im Rocksaum und anstatt aufzustehen landete ich auf dem Bauch. Das rettete mir wahrscheinlich das Leben, denn der Asiat war zum selben Zeitpunkt herumgewirbelt und hatte sein Schwert geradewegs durch die Stelle gebohrt, wo eben noch meine Brust gewesen war.

Ich brauchte nur einen Moment um mich hoffentlich aus der Affäre zu ziehen. Eine kurze Willensanstrengung und die gesamte Gasse veränderte sich. Jede ebene Oberfläche begann zu brennen und tauchte die Gegend in ein unwirkliches, flackerndes und heißes Licht. Die Illusion umspannte die Gasse bis zur nächsten Seitenstrasse und hatte nicht nur den netten Nebeneffekt, dass es jetzt wirkte, als hätte hier eine Außenstelle der Hölle eröffnet. Nein, unter all den Flammen und Lichteffekten verbarg der Zauber meinen tatsächlichen Aufenthaltsort und sämtliche der Geräusche, die ich beim Aufstehen verursachte.

Der Japaner blinzelte ein paar mal verwirrt während ich langsam rückwärts das Weite suchte. Meinen Wagen würde ich morgen holen. Jetzt kam es erst mal darauf an, hier möglichst schnell zu verschwinden. Drinnen in der Kneipe gab es garantiert genug Gentlemen, die mir liebend gerne helfen und mich nach Hause chauffieren würden. Dieser Ritter des Kreuzes würde es bestimmt nicht wagen, mich zu attackieren, wenn ein Unschuldiger dabei war.